GegenStandpunkt: Vorabveröffentlichungen aus dem nächsten Heft
2. April 2020
Die Zeitschrift „GegenStandpunkt“ veröffentlicht meistens auch schon vor Erscheinen ihrer nächsten Nummer einige Artikel. Da die nächste Ausgabe aber erst am 19. Juni 2020 erscheinen wird, haben sie sich jetzt entschlossen, zur aktuellen mißlichen Lage mehrere Artikel schnell fertig und online zu stellen:
Februar: Pandemie I. + Migrantenflut = Doppelkrise
So war ‚Globalisierung‘ nicht gemeint!
März: Pandemie II.
Vom demokratischen Sinn einer Seuche
März ff.: Pandemie III.
Die wirkliche Doppelkrise
Kategorien(1) MG + GSP
Die Bankrott-Erklärung!
Für wen sind diese dürftigen und antiagitatorischen Artikel eigentlich verfasst? Wahrscheinlich für die eigene Mannschaft, der man beweist, dass man intellektuell alles im Griff hat. Ist doch alles eh Kapitalismus und das kapiert eh keine Sau: „Und das Virus, das dafür sorgen könnte, dass der bürgerliche Kopf einmal aus Schaden klug wird, ist noch nicht erfunden.“
Folglich: Die Artikel erklären z. B. nichts zu:
– Spahns Beschwichtigungsprogramm: Alles unter Kontrolle, no problem!
– Merkel: Was heißt das, wenn sie sagt: 60 – 70 % werden infiziert.
– Welche Szenarien diskutieren die Politiker? Mit wie vielen Opfern kalkulieren die?
– Was bedeutet „Volksgesundheit“?
– Wenn schon Zusammenhang mit einem anderen Problem, dann vielleicht mit Grenzwerten – das passt nämlich.
– dem Abbau im Gesundheitswesen
– usw.
Das wären Themen, die einen agitatorischen Anspruch haben und etwas erklären wollen.
„Vorabveröffentlichungen des GegenStandpunkt zur Corona-Krise“ (argudiss.de). Die 3 Artikel des GSP können auch Weihnachten erscheinen. Das macht keinen Unterschied.
Warum Spahn wie fast alle anderen weltweit für Gesundheitspolitik zuständigen Politiker beschwichtigt hat, liegt doch auf der Hand: Weil eben kaum etwas unter Kontrolle ist und reihenweise Probleme auftauchen.
Wenn Merkel sagt, „60 – 70 % werden infiziert“, dann ist das die Einschätzung der meisten Epidemiologen. Damit hat sie wahrscheinlich recht. Mittlerweile kann sie nur noch versuchen, die Ausbreitung so zu verlangsamen, daß diese „Durchseuchung“ nicht in wenigen Wochen oder Monaten erreicht wird.
Ich habe das Gefühl, daß im Augenblick in Deutschland recht wenige Politiker überhaupt „Szenarien“ im Kopf haben. Und diskutieren darüber tun sie eh nicht sonderlich auffällig.
Mit welchen Opfern kalkuliert wird, kann man doch mittlerweile (also seit so rund 2013) nachlesen: Knapp 10 Mio Tote, wenn es blöd kommt, diesmal vielleicht „nur“ ein paar Hunderttausende.
Was Volksgesundheit bedeutet hat Suitbert Cetchura doch gerade erst recht beunruhigend dargelegt.
Über die zynische Kalkulation mit Grenzwerten in der Gesundheitspolitik reden doch deren Kritiker schon seit Jahrzehnte.
UNd kennst du irgendeine halbwegs linke Stellungnahme zur aktuellen Krise, die *nicht* auf den Abbau im Gesundheitswesen hingewiesen hätte?
„Wenn Merkel sagt, „60 – 70 % werden infiziert“, dann ist das die Einschätzung der meisten Epidemiologen.“ Eigentlich ist genau das der fundamentale Streit über die nationale Coronastrategie: Eindämmung oder Herdenimmunität. Die Who hat Eindämmung befürwortet.
https://www.heise.de/tp/features/Coronakrise-Abkehr-vom-deutschen-Sonderweg-4692739.html
Ich finde die Artikel auch etwas kurz. Aber der Satz stimmt leider: „Und das Virus, das dafür sorgen könnte, dass der bürgerliche Kopf einmal aus Schaden klug wird, ist noch nicht erfunden.“
Natürlich wäre es bei Beginn der sich leider schnell als Epidemie entpuppenden Welle an Covid-19-Erkrankungen sinnvoll gewesen, zu versuchen, das buchstäblich gleich im Keim zu ersticken. Dann hätte aber von Anfang an massiv getestet werden müssen, massiv den Kontakten nachgegangen werden müssen und sehr schnell wahrscheinlich auchsehr weitreichende Maßnahmen zur Einschränkung der sozialen Kontakte erfolgen müssen, in erster Linie natürlich bei identifizerten Kontakten von schon infizierten Menschen. Sowas ist in Deutschland, wie in den meisten Staaten, wo die Krankheit bisher aufgetreten ist, aber nicht passiert. Dann ist die Einschätzung, daß die Scheiße insgesamt erst vorbei sein wird, wenn schließlich rund zwei Drittel der hier lebenden Menschen von dem Virus infiziert wurden und hoffentlich fast alle von denen wenigstens für ein paar Monate auch resistent gegen eine weitere Erkrankung sind, ja eine realistische Sichtweise.
Aber der Satz stimmt leider: „Und das Virus, das dafür sorgen könnte, dass der bürgerliche Kopf einmal aus Schaden klug wird, ist noch nicht erfunden.“
Wenn man eine andere Strategie gehabt hätte, hätte man vieles anders machen müssen.
„Dann ist die Einschätzung, daß die Scheiße insgesamt erst vorbei sein wird, wenn schließlich rund zwei Drittel der hier lebenden Menschen von dem Virus infiziert wurden…“ Ja, das eine ist die Folge des anderen. Wenn man nicht stoppen will, ist die Konsequenz eben „kontrollierte“ (die Kapazität des Gesundheitswesens soll nicht überlastet werden) Herdenimmunität. Wobei, ich höre gerade Podcast von Kekülé, auch eine geringere Immunität schon einen Effekt hat. Es kommt auch auf die Bevölkerungsgruppe an, die immun ist. Wenn z.B. die Jüngeren mit den meisten Sozialkontakten immun sind, bilden sie so eine Art Schutzschild für die anderen. Sodass möglicherweise eine niedrigere Immunität in der Gesamtbevölkerung ausreicht, wenn diejenigen mit den meisten Sozialkontakten zu 70%+ durchseucht sind. Statt Superspreader, Supercontainer oder Firewall sozusagen.
Keküle spricht sich übrigens auch für eine Stichprobenanalyse aus einer Gruppe von 20 000 Leute aus, die alle durchgetestet werden.
Rudolf,
du hast dir ein Urteil über Corona etc. gebildet, das du in den GSP-Artikeln nicht findest. Vielleicht liegst du damit richtig, weil der GSP ein anderes Urteil darüber hat?
Eines wird deutlich: Du willst mit deinen Fragen auf die radikale Variante der ziemlich verbreiteten und zum kapitalistischen Gesundheitswesen der BRD seit seinem Bestehen fest dazugehörenden Beschwerde hinaus, dass die Politik (mal wieder) versage, das gigantische Gesundheitswesen sich vor allem dadurch auszeichne, dass es zu klein sei und auch noch immer abgebaut werde, dass die Politik darum ganz zynisch mit der Krankheit und dem Tod vieler Tausender kalkuliere und dass das alles die Politiker auch noch mit Beschwichtigungen begleiten. Das ist es doch, was du für das Gegenteil von „dürftig und antiagitatorisch“ hältst und lesen willst, richtig?
Darauf, dass man, z.B. der GSP, eine andere, sogar entgegengesetzte Auffassung haben und die sogar für eine viel fundamentalere Kritik an der staatlichen Seuchenbekämpfung (und dem Gesundheitswesen überhaupt) halten könnte, kommst du nicht.
Kleine Lesehilfe: Wie die Rhetorik „Alles im Griff“ zur demokratischen Kultur beim Seuchen-Bekämpfen gehört, könntest du in den Artikeln lesen, wenn du die nicht nur nach Vorhandensein / Nichtvorhandensein deiner Kritik scannen würdest. Was „Volksgesundheit“ ist bzw. wie sie nach Auffassung des GSP zu erklären sei, könntest du ebenfalls in den Artikeln finden (und dann ja immer noch für falsch halten), aber auch hier vermisst du einfach deine Erklärung und behauptest dann, da stünde nichts, noch nicht einmal etwas falsches. Auch könntest du den Artikeln entnehmen, was zumindest nach Auffassung des GSP der UNTERSCHIED zwischen einer Seuche wie der jetzigen und der mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise einhergehenden Dauer-Massenschädigung wie z.B. der Verseuchung mit Stickoxiden ist, welche der Staat als Begleiterscheinung des von ihm betreuten Kapitalstandorts begutachtet und (u.a. mit Grenzwerten, siehe GSP-Artikel über die Grenzwert-Debatte zum Dieseldreck) verwaltet. Auch diese Auffassung könntest du ja kritisieren, aber dafür müsstest du sie zur Kenntnis nehmen.
Zu Merkels 60-70%:
Auf eine solche Einschätzung kommt man nur, wenn man Wichtigeres zu tun hat, als die Leute zu schützen. Ist eigentlich noch niemandem aufgefallen, dass in China die Seuche erfolgreich eingedämmt wird. Vom 03. März bis 03. April gab es 2.300 Neuinfizierte. In einigen Zehntausend Jahren sind die dann so weit, wie es Merkels ‚Prognose‘ für Deutschland in den nächsten ca. 2 Jahren bestimmt.
Auch sollte man sich mal fragen, wie es kommt, dass jede politische Entscheidung, auch wenn sie vorherigen Maßnahmen widerspricht, ebenfalls mindestens einen Virologen auf seiner Seite hat. Auch deren ‚Erkenntnisse‘ sind doch nicht frei von den Kalkulationen der Politiker, die sind als Wissenschaftler auch deren Handlanger. Reine Wissenschaft, ist doch lächerlich. Das sind Einschätzungen!
Tja Hulk, so etwas z. B. muss man dem Volk natürlich nicht sagen, auch nicht dass es die Rechnung für alles zu zahlen hat, was jetzt noch folgt. Schließlich hat der GSP „sogar eine viel fundamentalere Kritik an der staatlichen Seuchenbekämpfung“. Mindestens. Und dass der Laschet als Entscheider mehr Chancen auf die Kanzlerschaft hat als der Merz, ist gewiss das Fundamentalste, das man an der Corona-Krise vermelden kann.
P.S.: Der Empfehlung des Artikels „Was heißt hier Volksgesundheit?“ von Suitbert Cechura bei „Telepolis“ schließe ich mich voll an.
„Zu Merkels 60-70%:
Auf eine solche Einschätzung kommt man nur, wenn man Wichtigeres zu tun hat, als die Leute zu schützen. Ist eigentlich noch niemandem aufgefallen, dass in China die Seuche erfolgreich eingedämmt wird?“
Natürlich weiß jetzt jeder, daß man mit den Maßnahmen, die China und Korea angewendet haben, in jedem Staat die Ausbreitung im Keim ersticken kann. Nur ist das jetzt müßig, weil sowas eben nur diese Staaten gemacht haben, in den anderen gab es ja anfangs so gut wie keine Fälle. Da wäre das doch reine Panikmache gewesen, nur eine teure Wiederholung der SARS-Pleite usw. Jetzt muß eben auch eine Merkel zugeben, daß es auf die berühmten 60-70 % rauslaufen wird. Und daß es jetzt gerade noch darum gehen kann, die Ausbreitungsgeschwindigkeit wenigstens zu drücken, die in so vielen Staaten schon eingetretene massive Überlastung der Gesundheitssysteme wenigstens rauszuzögern und irgendwie etwas zu „mildern“.
Ja, auch das weiß mittlerweile so gut wie jeder, daß alle diese Pressekonferenz- und Podcast-Virologen und Epidemiologen (selbst Lauterbach von der SPD ist ja soeiner) eben nicht nur und jetzt eben nicht mal in erster Linie Wissenschaftler sind, sondern die Vermeidung von Panik und schon Unruhe in der Bevölkerung als Wichtigstes auf ihre publizistischen Fahnen geschrieben haben. Prof. Wieler sitzt doch nicht zuletzt auf seinem Job als RKI-Präsident, weil er der Archetyp von solch einem „verantwortungsbewußtem“ Volksgesundheitler ist.
Neoprene, du sagst, weil man am Anfang nicht eingedämmt hat, kann man jetzt nichts anderes machen als kontrollierte Durchseuchung (60-70%). Das klingt ein bisschen so, als wären sie der Lage ausgeliefert. Dabei w o l l t e n sie doch von Anfang an nichts anderes. Da kann man doch nicht sagen, jetzt müssen sie leider das machen, was noch geht. Als wären sie der Lage ausgeliefert. Die Merkel muss doch nichts zugeben, die hat von Anfang an gesagt, langsam 60-70% erreichen, das ist unsere Strategie.
Ich bin mir nicht sicher, ob Merkel, Spahn et al. wirklich von Anfang an eine „kontrollierte“ Durchseuchung der Bevölkerung in Deutschland wollten. Zumindestens als klar war, daß die Epidemie auch hier in Anrollen ist hat Merkel dann gesagt:
„„60 bis 70 Prozent der Menschen in Deutschland werden sich mit dem Coronavirus infizieren“, sagte Kanzlerin Merkel (65, CDU) kurz nach Beginn der Fraktionssitzung“,
das schreibt jedenfalls die BILD-Zeitung am 10. März
„Deutschland werde ganz offensichtlich noch längere Zeit mit dem Virus zu kämpfen haben, deshalb sei es jetzt wichtig, dass die Ansteckungs- und Verbreitungsphase nicht an Geschwindigkeit gewinne. Nur so könnten flankierende Maßnahmen ergriffen und hoffentlich wirksam werden.
Gesundheitsminister Jens Spahn bestätigte die Analyse der Kanzlerin. Mit 60 bis 70 Prozent Infizierten müsse gerechnet werden – wenn es nicht vorab gelinge, einen Impfstoff zu entwickeln und zum Einsatz zu bringen. Spahn, dessen Auftritt von Teilnehmern als „souverän, klar und sachlich“ beschrieben wird, habe allerdings darauf hingewiesen, dass 80 Prozent aller Infizierten nahezu ohne Symptome durch die Epidemie kommen würden.“ (ebenda)
Neoprene,
du hast, ich glaube unfreiwillig, auf mein eigentliches Anliegen zurückgeführt:
„Natürlich weiß jetzt jeder, daß man mit den Maßnahmen, die China und Korea angewendet haben…“
„Ja, auch das weiß mittlerweile so gut wie jeder, dass alle diese Pressekonferenz- und Podcast-Virologen und Epidemiologen…“
Nein, das weiß leider kaum jemand. Schau dir/schaut euch mal an, was in den Leserbriefen der Zeitungen drinsteht, welche Vorstellungen über das gesamte Corona-Geschehen herrschen: Die herrschenden Gedanken sind die Gedanken der Herrschenden! Und wenn man dagegen etwas unternehmen möchte, steht etwas anderes an als 2 lächerliche bis blödsinnige, inhaltsleere Artikel und einem 3., der – wahrscheinlich völlig korrekt abgeleitet, wie es kaum jemand hinbekommt – völlig an den Adressaten vorbeirauscht.
Man sollte sich klarmachen, was man will: Und da hat sich der GSP von der alten MG leider völlig verabschiedet.
Ich habe fertig…
„Man sollte sich klarmachen, was man will: Und da hat sich der GSP von der alten MG leider völlig verabschiedet.“
Ja, Rudolf, das stimmt, bestreiten ja noch nichtmal die Wortführer des GegenStandpunkts. Nur ergibt sich aus deiner Vorstellung, jetzt bräuchte es was völlig anderes, wohlmöglich eine Neuauflage der aufgelösten Marxistischen Gruppe, noch nicht, was für eine Aufklärung und Agitation du denn dieser Tage machen willst. Jedenfalls konnte ich das deinen eher verärgerten Verissen der paar Artikel, die der GSP sich immerhin aus der Rippe geschnitten hat, nicht entnehmen.
Meines Wissen war das die erste offizielle Verlautbarung der Kanzlerin zu Corona überhaupt. Vorher hat immer Spahn sich geäußert, also 2 Riege. Und dann kam die Aussage von der Chefin selbst. Ich hab mich da noch gewundert, wie sie auf die Zahl kommt. Ist ja schon ein ziemlicher Hammer, den sie da losgelassen hat. Da ist eine potentiell tödliche Seuche im Anrollen und die Kanzlerin verkündet, Leute macht euch drauf gefasst, dass zwei Drittel der Bevölkerung die Krankheit kriegen.
Briefentwurf:
Liebe Mitarbeiter der Redaktion des Gegenstandpunkts,
in Zeit reihenweise ausfallender Diskussionsveranstaltungen ist uns etwas eingefallen. Wie, wenn der GSP in nächster Zeit die Möglichkeiten eines WEBINARS nutzte, um auch weiterhin als Verbreitungsorgan marxistischer Argumentationen präsent zu sein?
„Webinare sind örtlich unabhängig, das heißt, Nutzer aus der ganzen Welt können theoretisch teilnehmen. Das erspart Anfahrtswege und schafft Flexibilität. Außerdem ist der Teilnehmerkreis größer, was in der Regel auch zu besseren Diskussionen führt. Die Inhalte von Webinaren können im Internet weitgehend frei gewählt werden.
Heute gibt es zu fast allen Themen entsprechende Angebote. Ideal ist zudem, dass ein Webinar beliebig betreten oder verlassen werden kann, ohne das die anderen Teilnehmer gestört werden. Gerade schüchterne Studierende schätzen an Webinaren die weitgehende Anonymität. Sie können Fragen stellen, ohne das die Aufmerksamkeit des gesamten Hörsaales auf sie gerichtet ist. Aktuell gibt es zudem vielfältige Angebote, die kostenlos sind, sodass für die Webinare auch keine großen Aufwendungen erforderlich sind.“ (Uniturm.de)
Hier sind zwei Artikel, die ich ganz aufschlussreich fand. Dort werden verschiedene Szenarien bzw. Strategien zur Coronabekämpfung dargestellt und diskutiert:
http://blog.florisbiskamp.com/2020/03/30/die-politik-wird-zurueckkommen-aber-wie-wird-sie-aussehen/
http://blog.florisbiskamp.com/2020/04/01/die-fiktion-der-kontrolle-warum-der-schutz-der-risikogruppen-bei-kontrollierter-durchinfektion-groessenwahnsinnig-ist/
Kurz: Die Artikel finde ich gar nicht gut. Morgen schreibe ich noch mehr dazu. Beide Artikel gehen von der Annahmen aus, dass es die Strategie betreffend noch etwas zu entscheiden. Die Entscheidung wurde aber bei der ersten Verlautbarung der Kanzlerin zu Corona getroffen. siehe oben
Sie sagte klipp und klar 50-70% werden sich mit dem Virus infizieren. Das heißt die Entscheidung ist längst getroffen gleichzeitig schossen die Infektionszahlen in die Höhe. Es wurde auch gleich von Anfang an gesagt es ginge um das Abflachen der Kurve und nicht um Stop der Krankheit. Jetzt ist es auch für eine Strategieänderung zu spät. Vollständig eindämmen lässt sich das jetzt längst nicht mehr. Und ob in Deutschland bei der Vorgeschichte, siehe den Artikel von Suitbert Cechura überhaupt was anderes realistisch war, das höchstens ist unklar. Für eine gescheite Eindämmung fehlten z.B. die Masken, die vorher eingespart, vernichtet, nicht erneuert wurden. Der Kostendruck im Gesundheitswesen lies ein Lagerhaltung auch nicht mehr zu. Am Gesundheitswesen wurde gespart, Krankenhäuser geschlossen, Stellen abgebaut usw. Testkapazitäten fehlten schlicht. Die BRD war schlicht auf Eindämmung nicht vorbereitet (wie andere Nationen, die schon mit Epidemien zu tun hatten).
Ich sehe aber auch weit und breit keine Anstalten, dass das behoben und zurückgenommen wird. Den Pflegekräften wird viel Lob und auch vereinzelt Bonuszahlungen in Aussicht gestellt, aber besser bezahlt werden sie nicht und Schutzkleidung bekommen sie auch nicht. Söder stellt sich in einen Betrieb und blökt werbewirksam man bräuchte Maskenproduktion. Aber die Produktion nimmt er nicht in die Hand, sondern überlässt das dem Privaten Geschäftsinteresse, wie das Gesundheitswesen und die Leute mir Masken versorgt werden. Wirklich was passieren Richtung Schutz der Bevölkerung passiert nicht. Mit Gewaltmaßnahmen: Bundeswehr, Händiapps, Ausgangssperren, Strafgeldkatalogen usw. sind alle schnell bei der Hand, aber ein Virus reagiert nicht auf Gewalt. Der Autor der Artikel wälzt also Probleme, die längst überhaupt nicht mehr anstehen.
Meines Erachtens erfasst die Autorin die beiden Alternativen falsch. Meines Erachtens laufen die aufs Gleiche raus. Denn die „kontrollierte Durchinfektion“ stellt sie so dar, dass da in Wirklichkeit überhaupt nichts kontrolliert ist.
„Kontrollierte Durchinfektion bei Schutz der Risikogruppen“ kann dagegen heißen, dass große Teile der Gesellschaft traumatisiert sind, die Gesundheitsversorgung zusammenbricht, Menschen an anderen heilbaren Krankheiten sterben, die im überlasteten Gesundheitssystem nicht mehr adäquat behandelt werden können und so weiter – und all dies hätte auch wirtschaftliche Folgen, die wiederum weitere menschliche Folgen hätten usw.“ Das ist ein Horrorszenario, das doch sowieso niemand will. Auf der anderen Seite: Was ist denn Hammer and Dance anderes als ein Versuch der Kontrolle von Verdopplungszeit (wird jetzt übrigens auf der Tagesspiegelkarte angegeben) und der Senkung der Reprorate? Solange kein Impfstoff da ist, ist Hammer und Dance genau der Versuch der Kontrolle der Verseuchung mit dem Ziel ein gesellschaftliche und ökonomisches Leben noch irgendwie zu bewerkstelligen. Komischerweise gilt ja die Ankündigung der Kanzlerin, 60-70% werden sich anstecken, nicht als die böse Variante der kontrollierten Durchseuchung, sondern als was anderes.
Darüberhinaus funktioniert weder Testing, noch funktioniert Tracing, noch funktioniert Masking, weil weder Test ausreichend vorhanden sind, noch Personal oder Apps ausreichend vorhanden sind, noch Schutzkleidung und Masken ausreichend vorhanden sind. Es wird zwar immer von verschiedenen Politikern öffentlichkeitswirksam getönt, dass es jetzt eine Produktion in Deutschland braucht aber gleichzeitig wird die Aufbau solcher Produktion dem privaten Geschäftsinteresse überlassen, statt so eine Produktion staatlicherseits im nötigen Umfang aufzuziehen. „Hammer und Dance“ dazu zu sagen ist bei der absoluten Mangellage ein Euphemismus und ein Hohn. Es sind ja noch nicht mal genügend Tests da, um repräsentative Stichproben zu machen, damit man die Dunkelziffer der infizierten ermitteln kann. Das wäre absolut notwendig, um die Zahlen einschätzen zu können, also für nur ein bisschen Kontrolle. Von Anfang an wurde die Bedeutung der Masken für Verringerung der Ansteckung heruntergespielt. Da wurde dann immer betont, dass sie für den Träger nichts bringen und unter den Tisch fallen lassen , dass sie für andere sehr wohl was bringen, also die Ansteckung reduzieren. Nachdem nun ein Umdenken stattgefunden hat, kam gestern sogar im Fernsehen eine Einschätzung wie gut welcher Stoff die Viren abhält, z.B. Staubsaugerbeutel, Küchentuch, Kaffeefilter, Baumwolle. Woher wissen sie das denn plötzlich? Wie dreist gelogen wurde, weil zu wenig Masken da waren, wird auch nochmal deutlich daran, das empfohlen wurde in die Armbeuge zu niesen und zu husten. Na klar, Masken bringen nichts, aber Armbeuge, das bringt’s voll.
In Wirklichkeit gibt es in Bezug auf die Strategie gar nichts zu entscheiden. Das wurde in der Vergangenheit dadurch entschieden, dass man im Gesundheitswesen unrentable Kapazitäten abgebaut hat und notwendige Bevorratung von Masken und Schutzkleidung für unnötige Kosten erklärt hat. Mit der Konsequenz, dass jetzt bloß noch kostenlose Gewaltmaßnahmen, also Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote übrig bleiben um den Anschein von Kontrolle zu erwecken.
Das halte ich für eine völlige Fehleinschätzung. Eine öffentliche Diskussion und Entscheidungsfindung findet nicht statt. Stattdessen wird veröffentlicht, wie die Regierung entscheidet. Dass sich immer mal wieder ein Ministerpräsident mit einer besonderen Maßnahmen in der Vordergrund spielt, sollte man nicht mit einer öffentlichen Diskussion verwechseln. Ich prophezeie, dass das so ablaufen wird, dass noch etwas gewartet wird, bis die Verdopplungszeit etwa bei 25 Tagen liegt, wie bei Österreich, und dann werden die Ausgangsbeschränkungen langsam gelockert. Zuerst Schulen, dann Einzelhandel, Großveranstaltung bleiben verboten. Unternehmen mussten ja sowieso noch nie zumachen. VW hatte einfach Probleme mit Zulieferern. Gestorben wird dann natürlich weiter in nicht geringem Ausmaß.
Hmm, ich weiß nicht. Ich habe gelesen, dass es mit #FlattenTheCurve bei derzeitigen Maßnahmen (Kontaktverbot usw.) 1-2 Jahre dauern würde, bis 50%-70% der Bevölkerung infiziert wären. Kann natürlich sein, dass das die Strategie der Bundesregierung ist, aber ich halte es für unwahrscheinlich wegen den wirtschaftlichen Auswirkungen.
Ansonsten gäbe es halt zwei Varianten: 1) Eine ziemlich unkontrollierte Durchinfektion, wie das in GB und Schweden geplant und jetzt wieder zurückgenommen wurde – ich habe den Eindruck, in Moment hält das keine Regierung mehr für eine sinnvolle Strategie; oder halt 2) Krankheit wieder eindämmen, wie in Südkorea, China.
Ich gebe dir Recht, dass es momentan nicht so aussieht, als ob Strategie #2 ernsthaft verfolgt wird (ob das überhaupt möglich wäre, bin ich mir auch nicht sicher), aber ich denke, dass man nach Ostern eine Ansage der Regierung bekommt, in welche Richtung es gehen wird. Ich glaube, nicht, dass alles schon beschlossene Sache ist. GB und Schweden zeigen ja, dass beschlossene Sachen wieder umbeschlossen werden können.
Dazu auch noch das hier (wer’s noch nicht gesehen hat):
https://www.youtube.com/watch?v=3z0gnXgK8Do
Es gibt verschiedene Szenarien. Je weniger Opfer durch die Krankheit desto länger dauert es ohne Impfung bis Herdenimmunität erreicht ist. Wobei laut Kekulé es auch weniger als 60% sein können wenn diejenigen mit den meisten Sozialkontakten immun werden, also die Jungen z.B. Mein Eindruck ist, dass sie es mit den Maßnahmen die beschlossen sind durchlaufen lassen wollen und mit Lockerung der Ausgangsperre beginnen, wenn die Verdopplungszeit bei 25 Tagen (wegen Österreich) liegt. Da wird eine Nation auf die andere schauen. Es hängt auch von den Todeszahlen ab. Wenn die Leute trotz hoher Verdopplungszeit wegsterben wie die Fliegen, dann kann man die Maßnahmen nicht runterfahren. Beispiel Italien, die haben eine Verdopplungszeit von 21,5 Tagen. Also nicht so weit von Österreich weg, aber bei den Todeszahlen können sie natürlich die Maßnahmen (noch) nicht lockern.
In Schweden gibt es keine unkontrollierte Durchinfektion. Die haben ja nicht nichts gemacht, sondern bloß keine generelle Ausgangsbeschränkungen und keine so weitgehenden Kontaktverbote ausgesprochen und mehr auf Eigenverantwortung gesetzt. Und von den Zahlen steht Schweden auch nicht ganz übel da. Es ist schwer abzuschätzen, weil man nicht weiß in welcher Phase sich Schweden befindet. Wenn die jetzt eine Strategieänderung machen, dann wegen internationalem Druck.
Möglich wäre viel, aber nicht im Kapitalismus.
Glaube ich auch nicht. Aber meine Prophezeiung im letzten Beitrag wird eintreten – sagt zumindest mein Glasauge, bzw. meine Glaskugel. 🙂
Das Video ist im Prinzip gut, bloß halte ich die Hoffnung, dass man irgendwann die Fälle wieder nachverfolgen kann für illusorisch und zwar, weil die Ansteckung zu mindestens über 50% durch Symptomlose geschieht und wer nicht krank wird, kann auch nicht nachverfolgt werden. Das ginge nur wenn man durch stichprobenartige Querbeettests der Bevölkerung in verschiedenen Regionen die Dunkelziffer ermitteln kann. Dann weiß man wenigsten, ob das nachverfolgen überhaupt aussichtsreich ist. Dabei kann sich herausstellen, dass das nicht aussichtsreich ist, weil die Dunkelziffer der Infizierten ohne Symptome zu hoch ist. Das heißt man müsste die gesamte Bevölkerung durchtesten. Aber schon für die Ermittlung der Dunkelziffer sind die Tests nicht da.
Deutschland hat übrigens nicht vernünftig auf die Coronakrise reagiert und tut das auch weiterhin nicht.
Hundertprozentige Nachverfolgung und Dunkelziffer schließen sich aus. Auch eine halbwegs aussagefähige Stichprobe in einem besonders betroffenen Gebiet ergibt ja nur, wie hoch aktuell die Dunkelziffer ist. Es bleibt aber immer nur, daß man versuchen müßte, wenigstens die Kontakte der Menschen nachzuverfolgen, die man durch Tests als Infizierte identifizieren kann. Mehr machen an individuell bezogenen Maßnahmen kann man ja offensichtlich eh nicht.
Und ja: „Deutschland hat übrigens nicht vernünftig auf die Coronakrise reagiert und tut das auch weiterhin nicht.“
„Hundertprozentige Nachverfolgung und Dunkelziffer schließen sich aus.“ Richtig. Ich frage mich bei welcher Dunkelziffer Nachverfolgung überhaupt noch Sinn macht. Angenommen es sind 50% Symptomlose. Selbst wenn man die anderen 50% alle nachverfolgt und die Infizierten findet, wäre der Nutzen begrenzt. Bei 10% Dunkelziffer bringt nachverfolgen schon sehr viel mehr. Deshalb wäre die Bestimmung der Dunkelziffer so grundlegend wichtig für Gegenmaßnahmen.
Eine Belastungsprobe für Deutschland steht an, belastet wird nämlich angeblich und hauptsächlich, so analysiert es der GSP, “ … wegen der notwendigen Kompensation die Finanzmacht des Staates; mit schwerwiegenden Folgen für zwischenstaatliche Konkurrenzverhältnisse unter den Alibi-Namen „europäische Solidarität“ und „internationale Arbeitsteilung“.
A. Es ist Spargelzeit; und Deutschlands „postindustrielle Dienstleistungsgesellschaft“ erfährt auf einmal wieder exemplarisch, auf wie viel Proletariat im Ernährungssektor sie angewiesen ist für ihren Lebensstandard und wie klassenkämpferisch die nationale Staatsgewalt die nötigen Saisonkräfte rekrutiert und organisiert. Löhne, die den Menschen ernähren, erspart sie ihren Landwirten, indem sie die nationalen Grenzen für arme Osteuropäer öffnet; genauer: für ein Geschäft mit international mobilen Knechten und Mägden, die mit einer Arbeit, die sich mehr als ein paar Wochen ohnehin kaum durchhalten lässt, kaum mehr verdienen, als was ihr Dienstherr ihnen für Kost und Logis berechnet; ein Geschäft, an dem dubiose Arbeitskräftevermittler und die großen Aufkäufer der entsprechend billigen Agrarprodukte noch am meisten verdienen. Die Heimatländer dieser Sorte europäischer Wanderarbeiter – die mit ihren bei Gelegenheit bedauerten chinesischen Kollegen natürlich überhaupt nicht zu vergleichen sind – dürfen sich darum kümmern, wie dieser Teil des europäischen Proletariats ansonsten zurechtkommt: nach Gebrauch, außerhalb der jeweiligen Saison, mit Familie… Das fällt auf, oder wieder genauer: Nicht die spezielle politische Ökonomie dieses Geschäftszweigs, sondern das Ausmaß, in dem Deutschlands Lebensmittelwirtschaft auf national outgesourcte Tagelöhner angewiesen ist, wird bemerkt, weil der Innenminister im Dienst der nationalen Volksgesundheit die Grenzen für potentielle Virusträger fremder Staatsangehörigkeit hochzieht – und weil die Regierungen der Freunde, von denen das wiedervereinigte Deutschland seit einer Generation nur noch umgeben ist, Gleiches tun, Wanderarbeiter nicht mehr durchlassen oder nur unter Quarantäne-Auflagen zurückkommen lassen. Dagegen braucht es Abhilfe, notfalls sogar ein Flugticket für arme Leute, damit deren Benutzung weitergehen kann: zu den herrschenden Bedingungen, die man deutschen Landeskindern kaum zumuten kann, und höchstens aushilfsweise Flüchtlingen mit irgendeinem Aufenthaltsstatus, was kein Zynismus ist, sondern eine Gunst, mit der es sich Deutschlands Menschenverwalter ganz bestimmt nicht leicht machen.
Außerdem, apropos ausgelagertes Proletariat, enthält der deutsche Kapitalismus einen großen und wachsenden und gar nicht bloß saisonalen Dienstleistungssektor für die Alten-, Kranken- und sonstige Pflege, für den Europas Führungsmacht gleichfalls eine Zufuhr von Billigkräften aus dem Volksbestand der osteuropäischen Freundstaaten organisiert hat. Diese Kräfte muss man halten, auch wenn ein wiederhergestelltes Grenzregime ihnen das gewohnte Hin und Her zwischen Wohnort und Arbeitsplatz schwer macht; daran hängt nicht bloß der so stolz vermeldete gute Ruf des deutschen Pflege- und Gesundheitswesens, sondern, erst recht in Corona-Zeiten, das Überleben ganz vieler Patienten und Pflegefälle. An den dort herrschenden Arbeits- und Entlohnungsbedingungen – die für einheimische Kräfte natürlich ebenso gelten – wird deswegen natürlich gar nichts geändert. Ein Dankeschön in Form einer einmaligen steuerbefreiten Sonderzahlung gilt aber schon als angebracht, auch wenn es zunächst auf den Widerstand der einschlägigen Dienstleistungsunternehmen trifft, die auf gar keinen Fall die Beitragszahler der Pflichtkassen überfordern wollen, mit deren Geld sie ihr Geschäft machen.
Was da allenfalls an Geschäftsschädigung und Zusatzkosten anfällt, das sind freilich bloß Peanuts im Verhältnis zu der Rezession, die alle nationalen und internationalen Instanzen für die nationale und die Weltwirtschaft ansagen, die an den Börsen, also in der Sphäre des internationalen Finanzkapitals auch längst in Gang gekommen ist – und deren Abwendung, Bekämpfung und, wenn absehbarerweise beides nicht gelingt, deren Kompensation und anschließende Überwindung durch die Staatsgewalten eine Bewährungsprobe eigener Art und Größe für die Finanzmacht der Nationen darstellen.
B. Deutschland wie alle mit Kapital und Lohnarbeit wirtschaftenden Nationen haben es mit einem Einbruch der Geschäftstätigkeit zu tun, den sie selbst mit ihrem gesundheitspolitischen Eingriff ins soziale, darin eingeschlossen das ökonomische Leben ihrer Völker verursacht haben. Was sie „Corona-Krise“ nennen, ist nicht der von vielen Experten seit längerem vorhergesagte Zusammenbruch eines „überhitzten“ Finanzmarkts, auch nicht ein plötzlicher Schub bei der Liquidation übermäßig gewachsener industrieller Kapazitäten in diversen Bereichen, die ohnehin seit längerem stattfindet; es ist überhaupt keine ökonomische Krise in dem Sinn, dass ausbleibendes Wachstum an einer Stelle den Fortgang kapitalistischer Geschäfte an vielen anderen Stellen verhindert. Es sind staatliche Verordnungen, die ganze Bereiche der alltäglichen Geldzirkulation, in der Folge auch Warenproduktion lahmlegen und darüber einiges an Kreditüberbau gefährden. Maßgeblicher Gesichtspunkt dafür ist Seuchenbekämpfung, um die Volksgesundheit, weil und soweit unerlässliche Bedingung fürs Wirtschafts- und das politische Leben überhaupt, zu sichern. Deswegen hängen Ausmaß und Dauer der „Krise“ von einer politischen Ermessensentscheidung zur Schadensvermeidung oder -minimierung ab, die sich bis auf Weiteres von einem unökonomischen, nämlich fachmedizinischen Urteil über die mutmaßliche Virulenz eines gefährlichen Krankheitserregers leiten lassen muss.
Den Schaden, den er verursacht, will der Staat ungeschehen machen. Mit Geld – wie sonst –, das er nicht zuvor seiner geschädigten Gesellschaft abknöpft, sondern selber schöpft und an die Stellen schleust, wo der Schaden entsteht: in die Geldzirkulation zwischen Verkäufer und Kundschaft, wo er sie unterbindet; in die Warenproduktion, wo es deswegen an Liquidität fehlt; in der sachlich angemessenen Form von Kreditgarantien in die Finanzwelt, weil der „realwirtschaftliche“ Schaden aufs spekulativ erzeugte Geldkapital zurückschlägt. Absicht und Ehrgeiz der Politik ist es, keine kapitalistisch produktive Existenz und kein kapitalistisch produktives Eigentum kaputtgehen zu lassen. Das kostet natürlich; Geldsummen, die – wo und mit welcher Konsequenz auch immer – als zusätzliche Staatsschuld verbucht werden.
Wie oft und wie viel Liquidität dafür geschaffen werden muss – das macht die staatliche Hilfe ziemlich speziell –, bleibt dabei nicht bloß offen, sondern bleibt unabhängig von ökonomischen Parametern, an denen die Politik im Fall normaler Wachstumskrisen abliest, wann „die Wirtschaft“ wieder „Tritt gefasst“ hat. Veranschlagt wird erst einmal eine halbe Billion Euro – mit Kreditgarantien für bedürftige Großunternehmen sogar mehr als eine ganze –, die gar nicht auf eine Steigerung der Produktivkraft des nationalen Kapitals zielt und sich durch gesteigertes Wachstum rechtfertigen soll, noch nicht einmal im Sinne der Merkel-Devise für die Bewältigung der Finanzkrise vor 13 Jahren: „… stärker herauskommen, als wir hineingegangen sind!“; mehr ein verlorener Zuschuss zur Aufrechterhaltung der Warenzirkulation, des Lohn- und des Kreditsystems. Gerechnet wird dabei mit einer Frist von erst einmal längstens drei Monaten. Nach der soll dann aber doch nicht nur das stornierte Geschäftsleben wieder aufleben wie gehabt, so als wäre nichts gewesen: Der größte Teil der staatlichen Liquiditätshilfe wird nicht bloß der Form nach als Kredit vergeben, sondern soll – soweit in Anspruch genommen – zurückgezahlt werden; zwar so gut wie ohne Zins, aber doch so, als ließe sich das befristet unterbundene Geschäft anschließend nachholen. Das finden die Banken, die dieses Geld in Form eines Kredits an ihre Kunden weiterreichen sollen, heikel, obwohl der Staat 80 bis 90 Prozent der Rückzahlung garantiert; sie kooperieren erst wunschgemäß, nachdem der Staat ihnen in ganz vielen Fällen auch noch das Restrisiko abnimmt – und damit klarstellt, dass er mit einer auch nur annähernd vollständigen Rückzahlung nicht wirklich rechnet, praktisch also eine gewaltige Geldspende auf seine Kosten für den Fortbestand des Kapitalismus im Land leistet. Und er geht auch nicht sicher davon aus, dass nach längstens drei Monaten die „Krise“ vorbei und das Geschäftsleben wieder voll in Schwung gekommen ist, die veranschlagte Riesensumme also ausreicht.
Wie auch immer: Die Staatsgewalt strapaziert in großem und noch gar nicht feststehendem Ausmaß ihre Finanzmacht. Das muss sie – sich – leisten können. Fest steht dabei auf alle Fälle, dass diese Bewährungsprobe im internationalen Vergleich abgewickelt und entschieden wird.
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/belastungsprobe
Der letzte Satz ist entscheidend. Welche Nation Corona wie überlebt oder nicht, ist ein Frage der internationalen Konkurrenz.
Prophezeiung eingetreten, würde ich sagen.
Gegenstandpunkt – Exkurs zum Thema „Volksgesundheit“
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/exkurs-zur-volksgesundheit
Ich möchte im Folgenden einen Punkt der GSP Analyse herausgreifen, den ich für folgenschwer falsch halte. Gewissermaßen fällt der GSP hier noch hinter Einsichten, wie sie z. T. in der bürgerlichen Welt vorhanden sind zurück.
In dem 3. Hirtenbrief des GSP (März ff.: Pandemie III. Die wirkliche Doppelkrise) zur Pandemie werden im Abschnitt 6 die Kritiker verhandelt:
„6.
Eine nicht ganz kleine Minderheit verschafft sich ihre Anerkennung innerhalb einer selbstkonstruierten Echokammer in vorgestellter Opposition gegen die politisch vorgegebenen Verhaltensrichtlinien, per Absage an die öffentlich bekannt gemachten und in Dauerschleife verfestigten Begründungen dafür. Wissen über Corona-Viren braucht es nicht, ein paar Antworten auf einschlägige 1000-Euro-Fragen machen sich aber ganz gut, um ausgerechnet das medizinische Expertenwissen, dem die Staatsgewalten weltweit mit ihren Restriktionen für den sozialen Alltag ihrer Bürger Rechnung tragen, als Verschwörung gegen die bürgerlichen Freiheiten zu entlarven.“
Hier wird nun alles – mehr als affirmativ auf den Kopf gestellt. Im Kern sind das drei Behauptungen:
1. Es gäbe das – und das unterstrichen – Expertenwissen
2. Dieses ist Leitlinie des Staatshandelns
3. Im Gegensatz zu den Experten und dem diesen folgenden Staat laufen Kritiker herum, die saudoof sind. Ihre Kenntnisse reichen bestenfalls für eine Quiz Show, den Experten können sie nicht das Wasser reichen
In Wahrheit ist es doch so:
Die Chef-Virologen Drosten und Wieler äußern sich in der Regel nicht zum Virus und seiner Qualitäten, sondern zur Empidemie und ihrer Entwicklung. Das ist aber nicht Naturwissenschaft, sondern Epidemiologie, also Statistik, deren Exponentialkurve ein Rechenmodell ist, das darauf beruht, dass einer krank ist und dann zwei weitere ansteckt, die zwei dann vier und so entsprechend der Potentialrechnung weiter. Das Modell ist ein Hilfsmittel um den Verlauf der Seuche zu bewerten. Und so gibt es noch diverse andere Rechenmodelle, die im Dunklen bleiben oder von der Politik dann doch auf den Tisch geknallt werden. Mit der Pandemie ist die wesentliche Bedingung für die kapitalistische Reichtumsproduktion gefährdet, die menschliche Grundlage. Deshalb jetzt die Verkehrung, die Bedingung muss zum Zweck werden – Wiederherstellung der Volksgesungheit, damit die Wirtschaft wieder florieren kann. Dazu muss ausgerechnet das, worauf es ankommt, eingeschränkt werden. Von daher ergeben sich die Überlegungen, wieviel Volksgesundheit braucht es und was an Toten kann in Kauf genommen werden, damit die Wirtschaft wieder ihren Gang.
Und dazu gibt es einen gewaltigen Methoden Streit unter den Virologen. Die höchst renommierten Virologen Streeck und Kekule gehen ganz anders vor, kommen zu ganz anderen Ergebnissen und kritisieren die derzeit angesagten Drosten und Wieler bzw. deren statistischen Ansatz mehr oder weniger fundamental.
Der renommierte Virologe und Drosten-Nachfolger an der Uni Bonn, Prof. Streeck beispielsweise, zeigt sich höchst verwundert über die Radikalität des shutdown. Er zeichnet zugleich als Verantwortlicher für die Heinsberger Studie. Buchstäblich von Haus zu Haus wurden Abstriche von Menschen und Gegenständen aller Art genommen. Ergebnis: Das Corona könnte zwar überall, von Klodeckel bis zur Katze nachgewiesen werden, aber nur als tote DNA. Dieses und andere Ergebnisse lassen Streeck zu dem Schluss kommen, dass die offiziellen Studien mit denen der shutdown legitimiert wurde, noch nicht einmal die Übertragungswege kennen, sich dafür auch nicht interessieren, vielmehr sich Wahrscheinlichkeitsrechnungen verdanken. Prof Püschel hoch dekorierter Gerichtsmediziner weist nach, dass 40 Corona Tote in Hamburg nicht an, wegen oder an wie behauptet, Corona gestorben sind, sondern mit. Die Kritik an den offiziellen Statistiken mit Quoten , was Coronatote angeht, lässt er sogleich folgen
Mittlerweile zeigt sich offen, dass für jede gewünschte von der Politik für das Volk und die Wirtschaft verordnete Maßnahme legitimatorisch ein Virologe zur Beglaubigung der wissenschaftlichen Dignität bereitsteht.
Spätestens bei einem Blick über die Grenzen wird das deutlich. Österreich macht früher und mehr auf, Frankreich lässt Wochen länger zu und radikaler.
Und Schweden und Südkorea hatten von vornherein ein ganz anderes Modell. Wie kommen diese Länder dazu? Haben die keine Experten oder andere. Frage an den GSP: sind diese Länder mit ihren Maßnahmen auf einem intellektuellen Niveau, welches bestenfalls dafür reicht, im Fernsehquiz eine 1000Euro Frage zu lösen?
Das magische, aber falsche Viereck
Allerdings gleicht das gewöhnliche, in der Gesellschaft kursierende Vorstellungsbild den Entscheidungsprozess betreffend eher einem Viereck – durchaus auch in linken Kreisen verbreitet:
• Hier das naturwissenschaftliche Unschuldslamm namens Corona.
• welches nun in das gewinnorientierte Krankenhaus geliefert wird und dort ins Bett gelegt wird.
• Jetzt die Experten Wieler und Drosten
• und schließlich die Politiker, die als Träger der Gesamtverantwortung den Expertenrat unter Berücksichtigung von als Sachzwang definierten Dingen in die Praxis umsetzen.
Nun rückt der Reihe nach aus jeder Ecke einer vor und alle ergänzen sich.
Dieses Bild ist insofern schief, als das Virus dort in einem äußerlichen Verhältnis zu der kapitalistischen Ordnung steht.
Demgegenüber wäre zu erkennen, dass das Virus selbst auch bereits in seiner einfachen Naturwissenschaftlichkeit kapitalistisch verseucht ist.
Das Virus ist nicht einfach da oder angeflogen gekommen, sondern wird im nächsten Schritt Produkt einer kapitalistischen Kalkulation, es in seinen Anfangsgründen nicht weiter unter die Lupe nehmen zu wollen. Das könnte man Geburtshilfe nennen. In dem von Virologen 2012 für die Regierung erstellten Epidemieplan ist genau von einem solchen Szenario die Rede, mit dem wir es jetzt zu tun haben. Da wurde abgewunken. So kann man ein Virus anzüchten.
Dass Politiker ein ausführender Ausschuss wissenschaftlicher Erkenntnisse seien, kann ich dem nicht entnehmen – im Gegenteil.
Hier hat einer nicht im Ansatz verstanden, was die Virologen so treiben. Ebenfalls ist das Verhältnis von Wissenschaft und Politik in eine Sachlogik verwandelt, reichlich affirmativ ierund naiv gegenüber einem kapitalistischen Herrschaftssystem.
Die Blamage der gesamten Kritiker wegen Doofheit und mangelnder Huldigung der Experten fällt auf den GSP zurück.
Ideologiekritisch muss man sagen, hier ist ein antikritischer Impuls am Werk, der alle kritische Betrachtung ( mit Ausnahme der GSP Aussagen) in den Karzer einweist.
Ein Auseinandersetzung mit denen ist nicht nötig, Theorie liegt bei denen nicht vor, das sind Deppen, bei denen es kongenial zum in den Quizshows materialisierten Volksdeppentum hinlangt.
Hier findet sich eine Schnittmenge von GSP und autoritären Politikerphantasien auf, wie sie sich etwa in der Idee Korina Maßnahmen Übertreter in die Psychiatrie einzuweisen zu identifizieren ist. Das bekannte gewordene wissenschaftliche Beratungspapier für das Innenministerium ist ein beredtes Beispiel für die Begeisterung bürgerliche Freiheiten zu kassieren und dafür entsprechende Ideologien in die Landschaft zu setzen Angst zu verbreiten um eine für was auch immer gewünschte Gefolgschaft hervorzurufen, steht dabei im Zentrum.
Wichtig ist bei diesen Ideen und beim GSP, die Anderen, von mir aus Kritiker von vornherein auszugrenzen, Widerspruch per se als unsachgemäß abzucanceln.
Auf diesen Impuls möchte ich aufmerksam machen und vor so etwas ausdrücklich warnen, wenn staatliche Stellen so anrücken (der GSP hat ja eh nichts zu melden, kann man aber auch registrieren)
Ich möchte dem GSP hier nicht Kombattantentum mit dem Staat unterstellen, aber in der Konsequenz seiner kruden Theorie landet er genau in diesem Umfeld.
Das war jetzt nicht eine Schülergruppen Klasse 10, die mal was Kritisches ausarbeiten wollte, und sich dabei verhaspelt hat, sondern die nach eigenen Aussagen Avangarde der marxistischen Bewegung. Au weiah!
Das kann jeder mal zu Ende denken, ich lass es einstweilen mal bei diesem Hinweis.
Die FOCUS-Kolumne von Jan Fleischhauer
Rhetorik der Angst: Wie die Regierung die Deutschen in die Corona-Starre versetzt
18.04.2020 | 11:28
FOCUS Online/dpa: Christian Charisius
*FOCUS-Kolumnist Jan Fleischhauer
„Es gibt ein neues Wort für Leute, die jetzt zu viel Freiheit verlangen. Man spricht von Corona-Leugnern. Darunter fallen auch alle, die die Zahlen der Regierung in Zweifel ziehen. Oder die Einhaltung von Verfassungsrechten anmahnen. ….
Ich hatte alle mögliche Kritik erwartet: dass wir zu oberflächlich seien, zu unoriginell, zu wenig ernsthaft angesichts des ernsten Themas. Aber der Einwand, der kam, war viel grundsätzlicher. Er lautete, dass wir uns als Journalisten mit einem Thema befassen würden, das man besser den Experten überlassen sollte. Das Argument wurde ausgerechnet von einem der bekanntesten Medienkritiker des Landes, Stefan Niggemeier, vorgetragen. Ich hätte verstanden, wenn ein Mediziner oder ein Mathematiker den Einwand formuliert hätte. Aber ein Journalist?
Die Rhetorik der Angst kennt keine Fragen, nur Antworten. Ihr Sujet ist das Absolute, ihre Grammatik die der Verfügung. Wer abwägt oder nach der Verhältnismäßigkeit der angeordneten Maßnahmen fragt, setzt sich dem Vorwurf aus, es mit der Moral nicht so genau zu nehmen. Er wolle wohl Wirtschaftsdaten gegen Menschenleben aufrechnen, heißt es dann. Dabei müsste man aus meiner Sicht im Gegenteil viel mehr fragen und abwägen.“
Noch ein Nick-Name-Artikel bei TELEPOLIS („Björn Hendrig“)
„Corona“ und „Volksgesundheit“
@Gustavo,
ich verstehe deine GSP Kritik nicht ganz. Was ist denn dein konkreter Vorwurf? Ist es, dass der GSP deiner Meinung nach tatsaechlich glaubt, dass das „Expertenwissen“ richtig ist und damit den staatlich verordneten Entzug/Beschraenkung der buergerlichen Freiheit affimiert also fuer richtig erachtet?
Ich frage das, weil ich das anders verstanden habe ( Ich bin kein GSP Fan, habe mit der Gruppe nichts zu tun, finde allerdings die Zeitschrift ueber grosse Strecken hin ganz gelungen)
Ich hatte eher den Eindruck, die Kritik zielt auf die Albernheit derjenigen „nicht ganz kleine Minderheit“ die denkt mit dem Verweiss auf die Beschraenkung der buerlichen Freiheiten des Pudels Kern getroffen zu haben, gleichwohl den Kern der buergerlichen Freiheit ueberhaupt nicht begriffen zu haben. Diese Kritiker meinen, die buergerlichen Freiheiten seien etwas vom einem florierenden kapitalistischen Geschaeftemachen vollkommen unabhängiges, welche auch jenseits der kapitalistischen Ordnung ein vernueftiges Regelwerk darstellt, wobei doch die buergerlichen Freiheiten – ihre Betaetigung und/oder Ausuebung – sowieso nur Rahmen der kapitalistischen Ordnung ihre Berechtigung und Begruendung haben – ja eigentlich nur diesem Zweck dienen. Insofern geht die Kritik dieser „nicht ganz kleine Minderheit“ vollkommen daneben, weil ja die Sicherung der Profitmacherei die conditio sine qua non fuer die sog. buergerlichen Freiheiten darstellen. Demzufolge ist es auch unsinnig von Verschwoerung zu reden. Vielmehr ist dies die Verlegenheit einer Staatsmacht die tatsaechlich die buergerlichen Freiheiten durch ihre Einschraenkung schuetzt, naemlich indem sie dafuer Sorge traegt (durch Einschraenkung), dass ungebremstes Geschaeftemachen schnellstmoeglicht wieder stattfinden kann.
Also insofern habe ich die Passage eher polemisch nicht affirmmativ verstanden. Ich kann mich allerdings auch irren.
Das Neueste:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/exkurs-zur-volksgesundheit
Morgen gibts auf discord eine Diskussion des „Arbeitskreises Auflösen“, wohl mit einem Referenten des GSP. In der Ankündigung heißt es:
„Fragen der Diskussion werden sein:
Was ist die Sache “Seuchenbekämpfung“ und „Volksgesundheit“, die der Staat über sein Volk verhängt, wenn er für sein sturzvernünftiges Vorgehen ohne Gewalt nicht auskommt, wo doch keiner krank werden möchte? Und: Auf was und wen, auf welche Interessen trifft er mit seiner verordneten Vernunft?
Diese und weitere Fragen wollen wir mit euch diskutieren am kommenden Mittwoch, den. 22.04.20 ab 19 Uhr.
Da wir uns derzeit nicht physisch treffen können, werden wir die Diskussion auf einem Discord-Server führen.“
Eine in der Bundesrepublik nie dagewesene Ausgangssperre wird verhängt, zieht sich in die Länge und wird begleitet von einer immer größeren Zustimmung für die Regierenden einerseits und einer Sorge um den Zustand der Grundrechte andererseits. Die wirklich Zuständigen beschönigen nicht den Einsatz hoheitlicher Gewalt. Sie rechtfertigen ihn mit den Geboten der seuchenmedizinischen Vernunft. Und das ist schon interessant, ganz jenseits der teilnahmsvollen Frage nach dem gleichgewichtigen Verhältnis beider Seiten. Denn mit Vernunft reklamiert die Politik, dass sie im Sinne und im Interesse derer handelt, die sie ihren Maßregeln unterwirft. Dabei zeugt die Gewalt, die sie aufwendet, davon, dass der Zweck, den sie mit ihren Vorschriften verfolgt, nicht der der Betroffenen ist. Und das wirft zwei Fragen auf: Was ist die Sache, die der Staat über sein Volk verhängt, wenn er für sein sturzvernünftiges Vorgehen ohne Gewalt nicht auskommt? Und: Auf wen, auf welche Interessen trifft er mit seiner gewaltsam verordneten Vernunft?
Theo Wentzke: Bürge und Büttel
In der laufenden Krise schießt der Staat viel Geld vor und rettet so dem Kapital die Kommandogewalt über die Arbeit
Zunächst wird sich die Expertenwelt einig: Seit Jahresbeginn breitet sich weltweit ein hochinfektiöses Virus aus, das (noch) nicht per Impfung zu neutralisieren ist und in bedenklicher Proportion tödlich wirkt, weil es bei gravierendem Krankheitsverlauf kein sicher wirksames Heilmittel gibt. Die Fachwelt überzeugt, nach und nach, die Inhaber der staatlichen Gewalt, der einzigen gesellschaftlichen Ordnungsinstanz in der freien bürgerlichen Zivilgesellschaft, von der Notwendigkeit, die Ausbreitung der Infektion durch ein Maximum an Unterbindung sozialer Kontakte über das engste Haushaltsgemeinschaftsleben hinaus zu bremsen, damit die Folgen für die Volksgesundheit beherrschbar bleiben. Das passiert dann auch; mit ziemlich einschneidenden Konsequenzen. (…)
Unentbehrliches Lebensmittel
Der Inhaber der Geldhoheit
Globale Konkurrenzen
Der Staat und seine Bürger
Wahn und Wahrheit
Dabei ist die Sache so schwierig nicht. Was derzeit manche Patienten nicht überleben und was rückblickend – wieder einmal, wie stets in vergleichbarer Situation – als Versäumnis beklagt, als Vernachlässigung und leichtfertiger Abbau nötiger Kapazitäten im Gesundheitswesen den ehemals Verantwortlichen zur Last gelegt wird, das ist die systemgemäß eng begrenzte Bandbreite des gesundheitspolitischen Normalfalls im kapitalistisch wirtschaftenden bürgerlichen Gemeinwesen. Aber diese schlichte Wahrheit halten die einen Antikommunisten für eine unzulässige Beleidigung der besten aller Welten, die anderen für eine Verharmlosung eines Systems, das sie abgrundtief verurteilen im Lichte dessen, dass sie sich von ihm unverdrossen viel bessere als seine wirklichen Leistungen versprechen. Und das Virus, das dafür sorgen könnte, dass der bürgerliche Kopf einmal aus Schaden klug wird, ist noch nicht erfunden.
https://www.jungewelt.de/artikel/377088.pandemiefolgen-b%C3%BCrge-und-b%C3%BCttel.html
vgl. auch
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/exkurs-zur-volksgesundheit
Jargon höhnischer Diskriminierung,
Emil, deinen Eintrag sehe ich erst jetzt. Vielleicht trägt meine Zuspitzung was zur Klärung bei??
Bei der Verfolgung der Fragestellung, wie steht’s hierzulande mit einer linken Gegenöffentlichkeit, bin ich auch auf den GSP gestoßen Indianer Folgendes herausgefunden.
Der GSP gefällt sich in einem
Jargon der höhnischen Diskriminierung
Nochmal folgende GSP Textstelle, – ebenso identisch in Theo Wentzkes Artikel
„Eine nicht ganz kleine Minderheit verschafft sich ihre Anerkennung innerhalb einer selbstkonstruierten Echokammer in vorgestellter Opposition gegen die politisch vorgegebenen Verhaltensrichtlinien, per Absage an die öffentlich bekanntgemachten und in Dauerschleife verfestigten Begründungen dafür. Wissen über Coronaviren braucht es nicht, ein paar Antworten auf einschlägige 1.000-Euro-Fragen machen sich aber ganz gut, um ausgerechnet das medizinische Expertenwissen, dem die Staatsgewalten weltweit mit ihren Restriktionen für den sozialen Alltag ihrer Bürger Rechnung tragen, als Verschwörung gegen die bürgerlichen Freiheiten zu entlarven.“
Jargon der höhnischen Diskriminierung
Inhaltlich möchte ich direkt nichts ergänzen, aber stilkritisch auf den Jargon der Diskriminierung aufmerksam machen. Mit diesem wird der Versuch unternommen in wenigen Zeilen eine Totalabfuhr zu leisten.
• Ein inhaltliches Anliegen ist schon mal nicht sichtbar, wohl aber das Ziel Anerkennung.
• Dass man in der bürgerlichen Öffentlichkeit nicht zu Gehör kommt, bei Demonstrationen selten oder nie das Anliegen genannt wird, wohl aber eine Reduktion auf die Gewaltfrage stattfindet, wird vom GSP höhnisch aufgelöst, die hätten sich eine Echokammer selbstkonstruiert. So wird also der Versuch gewertet, sich wenigstens, weil einstweilen mehr nicht geht, zu verständigen. Der zweite höhnische Punkt, den hier alternative Öffentlichkeitsversuche um die Ohren gehauen bekommen, ist ihre Erfolglosigkeit. Sie kümmern sich nur um sich selbst und verschaffen sich (gegenseitig) ein Echo, sprechen also nur mit sich selbst.
• So nimmt der GSP zynisch und positiv auf den Erfolg der „verwalteten Welt“ Bezug, nicht indem er diese und deren Erfolg direkt feiert, sondern indem er die kleinen Versuche der Alternativen zynisch lächerlich macht.
• Inhaltlich haben die Kritiker in der Sache sowieso nichts zu bieten. Warum? Sie sind keine Experten und hören nicht auf diese.
• Hier wird ein ganz borniertes Bild einer kapit. Klassengesellschaft entworfen, indem sozusagen Partei/klassenübergreifende Gesichtspunkte Grundlage für die Handlungsmaximen der Politiker abgeben würden.
• Die Politiker tragen dem Expertenwissen Rechnung.
• Wissen haben die Alternativen pauschal ja nicht, es reicht bestenfalls für eine bekloppte Quizshow und damit wollen sie gegen Experten antreten.
Was ist damit gewonnen, jenseits der Inhalte des Gesagten auf den Jargon abzuheben. Es geht darum zu verstehen, dass mit der Pflege eines solchen Jargons es zur Selbstverständlichkeit wird, Argumentationen hinter Diskriminierungen verschwinden zu lassen.
Der Versuch eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen erscheint sogleich als „selbstkonstruierte Echokammer“. Damit ist alles gesagt, besser, ist alles runtergeputzt. Da muss nichts ergänzt werden. Dieses Sprachbild zeigt in sich selbstsüchtige, nur aufeinander bezogene, an Aussenwirkung nicht Interessierte.
Kritiker, Andersdenkende sind auf Quizshowniveau.
Hier geht es um Entwertung, um Delegitimierung jeglichen Kritikanspruches, um Runterputzen. Nochmal: die Form, um zu diesem Resultat zu gelangen, ist bewusst argumentlos. Das Sprachbild der Quizshow will sagen, die sind so doof, dass jegliche Befassung mit denen überflüssig ist. Ein Diskurs, eine kritische Auseinandersetzung wird überhaupt nicht mehr angesteuert, wird als überflüssig, als zuviel der Ehre verworfen. Das ist der Jargon höhnischer Diskriminierung in Aktion.
Dieser zielt auch nicht auf Überzeugung, auf Einwerbung anderer Leser. Wie sollte das auch gehen. Wie sollte eine Lesart überzeugen, die bloß von sich gibt, sie, die Anderen sind aber doof.
Also geht es hier – dem Stammtischverfahren abgelauscht – um ein Ritual unter Gleichgesinnten. Der Oberhirte gibt einen Signallaut von sich, in den die Hammelherde einstimmt oder besser noch zuvor erst einmal kurz oder lang vermisste Heimatgefühle entwickelt und entwickeln kann.
In bester Stammtischgesinnung finden hier zwei zusammen: Führer und Geführte. Es ist ein identitätsstiftendes Ritual: Wir signalisieren uns unsere Zusammengehörigkeit, wesentlich dadurch, wie bekloppt die Anderen sind.
Stammtisch und Antikritik haben schon immer eine heilige Allianz gebildet – so auch hier.
Wenn ich mal eine Anleihe beim GSP machen würde und sein Verfahren auf ihn selbst anwenden würde, ginge das so los: Der GSP, ein Verein, der sich in einer selbstkonstruierten Kammer eingehaust hat – ohne Echo.
„ausgerechnet das medizinische Expertenwissen, dem die Staatsgewalten weltweit mit ihren Restriktionen für den sozialen Alltag ihrer Bürger Rechnung tragen“ GSP)
Für eine Kritik der Maßnahmen-Kritiker sollte man sich wirklich nicht ausgerechnet auf ein „Expertenwissen“ rückbeziehen.
Medizinisches Expertenwissen 03/2020:
Einfacher Mundschutz taugt nicht viel, kann man lassen.
Medizinisches Expertenwissen 04/2020:
Einfacher Mundschutz ist von dermaßen nationaler Wichtigkeit, dass Unterlassung sogar bestraft wird.
Medizinisches Expertenwissen 03/2020:
Masken verführen dazu, sich sicher zu fühlen und leichtsinnig zu werden.
Medizinisches Expertenwissen 04/2020:
Masken helfen, daran zu denken, dass man auch die anderen Schutzmaßnahmen beachten muss.
Medizinisches Expertenwissen 03/2020:
Die Gefahr geht von „Tröpfchen“ aus: Husten und Niesen sind das Problem, deshalb der Abstand.
Medizinisches Expertenwissen 04/2020:
Die „Tröpfchen“ können so klein sein, dass sie mit der normalen Atemluft rausgehen und eine ganze Weile in der Luft schweben können. Die atmet man auch dann noch ein, wenn ein infizierter Mitmensch vor dir die Supermarkt-Kasse bereits verlassen hat.
… Natürlich gab es von Anfang an auch Experten, die schon besser Bescheid wussten. Aber auf die hat die Politik gerade NICHT gehört.
Jemand hat bei Facebook folgenden Kommentar gepostet:
„Viele Wörter, wenig Aussage. Die wesentlichste ist die Diskriminierungskeule.
Mit der macht der Schreiber sein ganzes Anliegen zu Nichte.
Er verwechselt in seiner Erregung Diskriminierung mit Spott.
Der spöttisch-ironische (manchmal höhnische) Stil beim GSP und noch mehr früher in der MSZ ist schon schwer bekömmlich. Ich selbst find ihn dem je besprochenen Gegenstand entsprechend meist durchaus angemessen, wenngleich ich manchmal Sätze zwei mal lesen muss, um sicher zu gehen, ob die so, wie zu lesen gemeint sind, oder persiflierend umgekehrt.
Ich hab mal jemand einen Text zu Fromm aus der Wissenschaftskritik zu lesen gegeben. Ich selbst hätt mich fast nicht mehr eingekriegt vor Lachen, beim wiederholten Lesen nach längerer Zeit. Der Empfänger fand den aber gar nicht lustig, sondern arrogant.
Wenn man das so kennt, erscheint einem der Bürge und Büttel Text ausgesprochen unironisch. Die bemängelte Passage bespricht ja ein Seitenthema, das bloß im Vorbeigehen summarisch abgewatscht wird. Ich denk, so viel Konsens kann man voraussetzen. Der aber scheint hier nicht gegeben zu sein, weshalb eine Vermutung nahe liegt, welcher Sorte „Alternative“ der Autor angehört.“
Die dem GSP von Gustavo unterstellten (fiesen) Absichten, kann man quasi jeder Aussage entnehmen, die sich kritisch mit den staats- und systemtreuen Kritikern öffentlicher Belange befasst. In dem Textauszug geht es lediglich um die Kritik, dass zu Verschwörungstheorien neigende Individuen medizinisches Wissen instrumentell behandeln. Diese haben dann ja auch ihre Experten und denen glauben Sie halt eher, weil deren Wissen besser in das eigene (verschwörungstheoretische) Weltbild eingefügt werden kann.
Die Instrumentalisierung medizinischen Wissens gilt natürlich auch für die Politiker. Deren Entscheidungen in der Coronakrise richten sich ja nicht danach, dass die Bevölkerung die Virusattacke möglichst schadensfrei übersteht, sondern dass diese dazu führen, dass das politisch-ökonomische System im allgemeinen und die Stellung in der internationalen Konkurrenz im besonderen keinen nachhaligen Schaden erfährt. Die Entscheidung welche politische Strategie in der Pandemie (aber auch generell hinsichtlich der gesundheitlichen Belastbarkeit der Bevölkerung) hierfür angesagt ist, beruht dann auf der zynischen Abwägung, wieviel Tote man sich erlauben kann, um letzteren Zweck zu erreichen. Und dementsprechend wird dann mit dem Expertenwissen hantiert. So beruht das hin und her mit dem Tragen von Masken (s. Mattis), ja nicht auf Wissen – denn dass Qualitätsmasken (ffp2) die Übertragungsgefahr mindern, ist ja durch die Erfahrung in einigen asiatischen Ländern längst verifiziert -, sondern auf der Verhinderung der Blamage des völligen (systemischen) Versagens zurückzuführen, die Bevölkerung mit einem so relativ einfach herzustellenden Gebrauchswert nicht ausreichend versorgen zu können.
Solche, und andere im Verlaufe der zynischen politischen Strategie der Regierung auftretenden Widersprüchlichkeiten sind für mit Halbwahrheiten hantierende Verschwörungstheoretiker natürlich ein geeigneter Nährboden, um ihren Blödsinn in manch anfällige und politisch entsprechend präparierte bürgerliche Hirne quasi virusartig eindringen zu lassen. Dass Gustavo diesem aufkommenden, gesellschaftskritikischem Typus hehre Absichten unterstellt und sich dabei so konzediert für ihn einsetzt, ist unter diesem Aspekt, dann doch seltsam.
„Eine nicht ganz kleine Minderheit“
Die Menschen, über die der GSP hier schreibt, sind also recht viele (höhnisch könnte man hinzufügen, sicherlich mehr als GSP-Anhänger). Aber sie sind für den GSPwiederum so unbedeutend, daß man da keinen Zeitungsredakteur, keinen Blogger, keinen offene Briefe schreibenden Zeitgenossen auch nur der Erwähnung wert erachtet.
„verschafft sich ihre Anerkennung innerhalb einer selbstkonstruierten Echokammer“
Dazu hat Gustavo ja schon richtig angemerkt:
„Dass man in der bürgerlichen Öffentlichkeit nicht zu Gehör kommt, bei Demonstrationen selten oder nie das Anliegen genannt wird, wohl aber eine Reduktion auf die Gewaltfrage stattfindet, wird vom GSP höhnisch aufgelöst, die hätten sich eine Echokammer selbstkonstruiert. So wird also der Versuch gewertet, sich wenigstens, weil einstweilen mehr nicht geht, zu verständigen.“
Es ist ein historisches Thema der in der Tat recht isolierten Linken, jedenfalls der linkeren Linken, daß daß sie keine „Öffentlichkeit“ finden. Natürlich nicht gerade überraschend in der „bürgerlichen Öffentlichkeit“, den große Medien, Zeitungen, Sendern usw. Aber eben auch sonst nicht, da gibt es dann schon mal „Demonstrationen“, wo sich zwei Dutzend Menschen zu ihrem Anliegen versammeln, und selbst bei „Groß“demos geht der Demozug regelmäßig durch Frankfurter Bürogebiete oder ähnlich massenwirksame Gegenden. Ja das sind „Echokammern“, weil die Menschen halt nicht in Massen die Anliegen der Linken aufgreifen, bloß weil die damit auf die Straße oder auch nur auf ihren Facebook-Account gehen. Gehässig und infam ist die draufgesetzte Verhöhnung, „Selber schuld, ihr Idioten!“. Als wenn ausgerechnet der GSP den Zauberweg zum garantiertem Revolutionsecho der Massen gepachtet hätte. Besonders infam ist es ja, wo gerade der GSP der Prototyp des echolosen linken Posaunenchors ist. Was man ja gerade jetzt in den Corona-Zeiten wieder mal feststellen kann/muß.
„Wissen über Coronaviren braucht es nicht“ Das ist ein besonders verlogener Vorwurf, als wenn es erstens überhaupt hinreichend „Wissen über Coronaviren“ gäbe und der GSP das natürlich durch und durch verinnerlicht hätte.
„das medizinische Expertenwissen, dem die Staatsgewalten weltweit mit ihren Restriktionen für den sozialen Alltag ihrer Bürger Rechnung tragen“ Ist ein besonderer Hohn, wo doch ganz offenkundig, mittlerweile selbst für den ignorantesten Zeitungsleser, klar sein sollte, daß so gut wie alle Regierungen hierzulande, von ein paar Ausnahmen in Asien abgesehen, seit Jahrzehnten einen Scheiß geben auf Expertenwissen in Pandemiefragen. Zudem das bei solch einem neuen Virus wie SARS-CoV-2 auch noch nicht allzuweit her ist. Das hierzulande die Regierung immer noch nicht wirklich an Wissen über Corona interessiert ist, kann man z.B. auch daran balesen, daß mittlerweile die Testkapazitäten weit über den tatsächlich durchgeführten Tests liegen und selbst so naheliegende Sachen wie große flächendeckende Studeíen zur bisher erreichten Durchseuchung der Bevölkerung genauso unterlassen werden wie die Durchtestung gefährdeter Berufsgruppen wie Heimpflegekräfte.
„als Verschwörung gegen die bürgerlichen Freiheiten zu entlarven.“ Daß es einem bürgerlichen Staat zu paß kommen könnte,die „bürgerlichen Freiheiten“ massiv einzuschränken, sowas ist für den GSP per se Verschwörungstheorie. Da gehört dann ein Facebook-Spinner genauso dazu wie der Top-FDPler.
Den Artikel von Wentzke halte ich im Allgemeinen schon für gelungen, aber der hier kritisierte Absatz ist mir auch negativ aufgefallen. Zuerst einmal dadurch, dass ich mich fragte, wer damit angesprochen sein soll oder wer sich angesprochen fühlen soll. Das hasse ich. Wenn man jemand kritisieren will, dann soll man auch genau sagen, um wen es sich handelt und keine allgemeinen despektierlichen Sprüche loslassen,die man als Leser auf eine passende Gruppe anwenden soll. „Eine nicht ganz kleine Minderheit“ – von denen gibt es viele.
Die selbstkonstruierte Echokammer gefällt mir auch nicht. Hat nicht Karl Held gesagt man muss eine Gegenöffentlichkeit schaffen und nicht durch die demokratischen Institutionen marschieren? Ist ein Blog, ein Forum, ein Zeitung, eine Zeitschrift, eine Diskussionsveranstaltung eine selbstkonstruierte Echokammer. Was soll daran denn schlecht sein? Dass man auf Echo wartet? Dass die Kammer selbst konstruiert wurde? Gerade der GSP, sollte hier nicht mit Steinen werfen.
Zum Expertenwissen hat neo, mattis und ricardo schon das meiste gesagt. Mein Eindruck ist, dass auf Wissen zum Virus nichts gegeben wird. Leute wie Streek müssen quasi in „Eigeninitiative“ mit ihrem Institut eine Studie anleiern, um die Notwendigkeit breit angelegter Studien ins mediale Interesse zu rücken. Dann wurde vom RKI offiziell davon abgeraten Covid19 Tote zu obduzieren, obwohl bloß eine Obduktion Klarheit darüber bringt, was der Erreger alles angreift. Das sind nämlich nicht bloß Atemwege und Lunge. Auch hier wurde in Hamburg dank eines klar denkenden Pathologen ein Sonderweg begangen, der dann dazu geführt hat, dass das RKI seine Empfehlung zurückgezogen hat.
Um bei einer hochansteckenden Viruskrankheit ein Kontaktverbot zu verhängen, dazu braucht es im Übrigen wahrlich kein Expertenwissen, wenn das mit dem Satz gemeint gewesen sein sollte, dass „Staatsgewalten dem medizinischen Expertenwissen Rechnung tragen“.
Das kriegt ja sogar ein Donald Trump noch hin, wenn es gar nicht mehr anders geht. Und Trump ist nun wirklich ein von Wissen völlig unbeleckter Vollidiot, wie sein kindlicher Vorschlag beweist, bitteschön zu erforschen, ob man nicht den Leuten Desinfektionsmittel spritzen könnte.
Ich auch. Das hat den Charakter, daß es sich gar nicht an die unspezifizierten Anderen richtet, sondern nur die Eigenen auf Reihe halten soll.
Ja, daran habe ich, wie sicherlich viele Leser, die die alten Ausführungen von Held kennen, auch sofort gedacht. Und obwohl die Schreiber des GSP das ja auch kennen und auch wissen, daß „wir“ das kennen, schreiben sie es verbohrterweise doch.
Das war ein schlagender und selbst für mich dann doch sprachlos machender Beweis dafür, daß die Politik kein Interesse an einer vernünftigen wissenschaftlichen Untersuchung dieser Epidemie hat, wohl weil sie schon vorher befürchtet, daß ihr die naheliegenden Erkenntnisse politisch überhaupt nicht in den Kram passen würden.
Wohl wahr, soviel Einsicht haben noch die meisten Menschen, von denen so rund 0,0 Prozent Virologen und Epidemiefachleute sind.
@ Gustavo
Vielen lieben Dank fuer die Klaerung. Ich denke ich weiss jetzt worauf Du hinaus wolltest. Die Anschlussfrage ist hingegen, ob man sich selbst den Schuh anziehen will. Also sich als zu bloed ansprechen zu lassen.
Ich kenne zugegebenermaßen nicht alle Kritik, die im Zuge von Corona geaeussert wird und es ist auch hoechstwahrscheinlich so, dass es viel richtige Kritik gibt. Die Kritik die ich allerdings in den normalen Medien zu lesen bekomme, ist die des buergerlichen Mainstreams und des kritischen buergerlichen Mainstreams, die kritische Kritik wenn man denn so will. Diese teile ich nicht. Zum einen geht es dabei tatsaechlich um die Lobpreisung buergerlichen Freiheit und den Vorwurf, die politische Herrschaft nehme Corona zum Vorwand diese zu beschneiden , eine Albernheit, es sei denn man wuerde vermuten, dass die politische Herrschaft das System abschaffen will, welches sie so hervorragend unterhaelt. Zum anderen geht es dabei um den Verweis auf allerlei psychosoziale Probleme zum Beispiel Vereinsammung, haeusliche Gewalt, Verdienstausfall und Verarmung, die ja beim normalen Geschaeftsgang das ganz normale Hintergrundrauschen ausmachen ohne das dies jemanden sonderlich stoeren wuerde, da diese Probleme im Regelfall als selbst verschuldet interpretiert werden. Dies nun als Ausfluss der Corona Beschraenkungen zu deuten und dabei zu denken dies sei eine zutreffende Kritik am staatlichen Gewaltapparat ist nicht nur kindisch sondern zeigt das ganze Aussmass des gesellschaftlichen Analphabetismus.
OK ich muss auch zugegen, dass mich die Expertenmeinungen zu Corona und ueberhaupt das Virus an sich also die Frage nach Gefaehrlichkeit, Ursachen, mit oder ohne Maske, Test oder kein Test, Obduktion oder nicht usw. nicht sonderlich interessiert. Vor allem nicht die empirische day-to day Berichterstattung, wo jeder der es denn wissen wollte sowieso wissen koennte, dass gesicherte Aussagen ueber Corona seine Zeit brauchen.
Neoprene, ich habe mich auch über die Empfehlung des RKI gewundert, auf Obduktionen zu verzichten. Begründet wurde diese Empfehlung mit der Gefahr von zusätzlichen Infektionen. Aus Sicht des RKI ist das wahrscheinlich sachgerecht: die Obduktionsergebnisse sind nützlich für die Behandlung der Erkrankten, eher nicht für die Verhinderung von Übertragungen. Lies mal die detaillierten Anweisungen des RKI für den Umgang mit an Corona verstorbenen, da wird die spezielle Betrachtungsweise des RKI deutlich. Ich denke mal, dass das Zustandekommen der später zurückgenommenen Empfehlung damit erklärt ist. Wenn man den Abgang in Verschwörungstheorien vermeiden will, ist die Bestimmung von Vorgängen als unerklärbar ja nicht befriedigend. Du schreibst:
Inwiefern passen die (möglichen oder tatsächlichen) Obduktionsergebnisse der Politik nicht in den Kram, welcher Staatszweck begründet Deiner Ansicht nach die Empfehlung des RKI, auf Obduktionen zu verzichten?
Der Druck auf alle kapitalistischen Regierungen ist enorm, die Wirtschaft wieder hoch zu fahren. Da denke ich, daß jetzt die gleichen Überlegungen vorherrschen, die auch das Ignorieren der Epidemie in vielen Staaten am Anfang erklären könnten: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Wenn eine Regierung ganz genau weiß, wo wieviele Menschen sich infizieren, wieviele wo daran schon gestorben sind, und die Öffentlichkeit das leider auch weiß, dann schränkt das die Freiheit ein, das Wirtschaftsleben wieder zu ermöglichen und deren recht plötzlichen „Tod“ zu verhindern. Denn eventuell ergäbe eine exakte Rechnungsführung über die Opfer, daß gesundheitspolitisch sich ein solches wieder Hochfahren noch verbieten würde.
@neo: Diese Überlegung würde aber unterstellen, dass sich die Bundesregierung durch Wissen genötigt fühlen könnte. Da steht sie doch aber eh drüber und bedient sich frei des Wissens oder ignoriert es, wie im Moment eben auch. Umgekehrt, wenn ich etwas nicht weiß, kann ich auch nicht sachgerecht damit umgehen selbst wenn ich wollte.
„die Obduktionsergebnisse sind nützlich für die Behandlung der Erkrankten, eher nicht für die Verhinderung von Übertragungen.“ Daran merkt man eben, dass das RKI eine staatliche Behörde ist, die Epidemien abwenden soll und das macht sie dann auch nur. Ein bisschen borniert, wäre das aber schon, wenn bei einem neuen Virus die Devise ausgegeben werden würde: Hauptsache Eindämmung der Ansteckung, Behandlung von Patienten ist uns wurscht. Und in diese Richtung geht die Empfehlung ja, besser nicht zu obduzieren.
Die Regeln für den „Mindestschutz bei Aerosol oder Tröpfchen produzierenden Maßnahmen am SARS-CoV-2 infiziert Verstorbenen:“ sind ja rationell, obwohl Pathologen das ja eh wissen. Das ist ihr Job und ihr Handwerkszeug. Deshalb ist die Empfehlung nicht zu obduzieren ja so seltsam. Das tut so als würde Bürger xy im Hobbykeller eine Obduktion durchführen und nicht ein ausgebildeter Pathologe.
Sicherlich. Und wenn die gar nicht „sachgerecht“ damit umgehen wollen?
Selbst von einem dem RKI mal unterstellten bornierten Standpunkt, nur die laufende Epidemie eindämmen zu wollen (oder zu sollen) macht es für mich wenig Sinn, noch nicht mal zu wissen, wie hoch der Anteil der Corona-Toten eigentlich an der zur Zeit festzustellenden Gesamtsterblichkeit ist.
In der Tat, als normaler Pathologe muß man sich doch durch solche Allgemeinplätzchen glatt verarscht fühlen.
An einem Widerspruch müsst Ihr euch alle mal abarbeiten:
Auf der einen Seite wird der Politik nachgesagt, Den Virus nicht ernst genug zu nehmen und damit die Wirtschaft über Menschenleben zu stellen – auf der anderen Seite wurde die Wirtschaft so weit heruntergefahren, dass die wirtschaftlichen Schäden noch nicht in Gänze abzusehen sind. Der Staat steht vor dem Dilemma, dass eine neue und womöglich stärkere Welle unmittelbar zurückführt zu dem Punkt, wo der Lockdown angeordnet wurde, dann aber mit einer größeren Notwendigkeit zum Lockdown.
Ich konnte beim Lesen der Kommentare jetzt nicht entdecken, dass in der Quintessenz die Behauptung stände, die Politik(zumindest die deutsche) nähme den Virus nicht ernst genug und stellte die Wirtschaft über Menschenleben. Aus meiner Sicht, und dem wurde nicht widersprochen, ist die prinzipielle These vielmehr, dass die Politik mit ihren Maßnahmen verhindern will, dass das bestehende politische und ökonomische System durch die Pandemie nachhaltig geschädigt wird (als auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit etc. gefährdet wird) und in diesem Kontext Menschenleben gegen diese zentrale Zielerreichung aufwiegt. Einen Widerspruch „unsererseits“ kann ich in dieser prinzipiellen Beurteilung der deutschen Pandemie-Maßnahmen nicht erkennen.
Doch, ich bin schon der Auffassung, daß die Corona-Krisen-Reaktion in Verbindung mit den Jahrzehnten der Gesundheitspolitik, die das heutige Gesundheitswesen so weit gebracht haben, daß schon ein paar zehntausend ernstere Fälle einer Infektionswelle die berüchtigten „Grenzen“ sprengen, ein Beleg dafür sind, daß die Politik (auch hier zulande) „die Wirtschaft über Menschenleben“ stellt. Es gilt für die Politik allenthalben in der Tat, zu verhindern,“dass das bestehende politische und ökonomische System durch die Pandemie nachhaltig geschädigt wird“. Aber erstens erst jetzt, wo das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und zweitens in den meisten Staaten mehr als unzureichend. Was bekanntlich schon zigtausenden Menschen das Leben gekostet hat, was nicht hätte sein müssen, wenn es auch nur halbwegs soviel „vernünftige“ Politik im Gesundheitswesen gegeben hätte, wie es früher in den meisten Staaten ja noch für notwendig erachtet worden ist. Wenn z.B. allein in Schweden 6 von 7 Intensivbetten in den letzten Jahrzehnten abgeschafft wurden, dann fällt es mir sehr schwer dafür einen anderen Grund zu finden, als daß denen Menschenleben letztlich wurscht waren, solange der Haushalt mit so blöden Ausgaben nicht mehr belastet wird.
Da stimm‘ ich dir voll zu, Neo. Es wird halt so behandelt wie bei den Grenzwerten:: wieviel Tote veträgt das System bzw. wie weit kann man das Gesundheitssystem herunterfahren, um am kostengünstigsten die chronisch Kranken und/oder die für das Wachstum Überflüssigen durchzuschleppen. Es geht nicht darum, Tote durch das Virus konsequent zu vermeiden, sondern ein Massensterben zu vermeiden bzw. das Sterben unter Kontrolle zu halten, denn ein Zuviel könnte ja auch der politischen Stabilität und damit „der Wirtschaft“ schaden. Das heißt aber nicht, dass die Politiker das Virus nicht ernst nehmen würden.
Ein „Zuviel“ an Toten könnte auch schon der „Wirtschaft“ schaden, weil die enggetakteten Just-In-Time-Produktionspläne ins Wanken kommen könnten, wenn auch nur „Wenige“ erst länger krank werden und dann auch noch sterben. Da müßte dann schon erheblicher Horror obendrein in der Gesellschaft aufkommen, ehe die Politik befürchtet, daß es mit ihrer Stabilität vorbei sein könnte.
Das stimmt, aber dass dieser Horror aufkommen könnte, ist bei einer sich mehr oder weniger unkontrolliert ausbreitenden Pandemie ja kein unrealistisches Szenario, das sich die Politiker aber auf keinen Fall einhandeln wollen.
So fürchterlich viel Angst vor einem epidemiebedingten Horror hat auch in Deutschland die Politik ja wirklich jahrelang nicht die Bohne gehabt. Die politischen Reaktionen auf den „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“
https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf
war ja gleich Null, obwohl die damals von potentiell Millionen von Toten allein in Deutschland ausgegangen sind. Wird schon nichts passieren, Augen zu und durch, waren die Leitlinien der Gesundheitspolitik.
Na klar wurde auch die Gesundheit der Menschen wie quasi fast alles in diesem Reproduktionssystem aus Kostengründen (über Grenzwerte gesteuert) dem höchsten Risiko ausgesetzt. Jetzt, wo der Ernstfall eingetreten ist, müssen sich die Politiker vor diesem Hintergrund erst einmal die Szenarien der Fachleute anschauen und dann entscheiden, wieviel Tote sie sich erlauben können. Außer in Staaten, wie den USA, in denen die faschistische Maxime des „Rechts des Stärkeren“ im Volk breit und fest verankert ist, tun sich Staaten mit über Jahrhunderten und Jahrzehnten aufgebauten huanistischen Normen schon schwer hundertausend oder gar Millionen vermeidbare Tote hinzunehmen, nur damit die Geschäftemacherei flutscht. Außerdem sollte nicht vergessen werden, dass es bei auch der Bekämpfung der Pandemie eine internationale Konkurrenz gibt, unter der es vor allem gilt, sich gegenüber Ländern wie China oder Kuba, in denen noch rudimentär realsozialistische Ansprüche auch an die Gesundheitspolitik gestellt werden, nicht zu blamieren. Und weil ja die Tendenz schon jetzt in diese Richtung (also der Blamage) geht, fängt man schon mal an, über China zu hetzen, um das Thema vom eigenen Versagen ideologisch in eine spekulative Schuldfrage aufgehen zu lassen.
„Außer in Staaten, wie den USA, in denen die faschistische Maxime des „Rechts des Stärkeren“ im Volk breit und fest verankert ist, tun sich Staaten mit über Jahrhunderten und Jahrzehnten aufgebauten huanistischen Normen schon schwer hundertausend oder gar Millionen vermeidbare Tote hinzunehmen, nur damit die Geschäftemacherei flutscht.“
Das halte ich für falsch und beschönigend:
Deutschland hatte bei all diesen „humanistischen Normen“ überhaupt keine Probleme damit, in Europa noch jeden Menschen umzubringen, den sie für einen Juden gehalten haben. Und Europa, daß sich ebenfalls in Reden alle naselang diese Normen als Überlegenheitsbeweis ans Revers heftet, hat auch überhaupt kein Problem damit, daß die Flüchtlinge im Mittelmeer an der Festung Europa scheitern und zu Zehntausenden absaufen.
Es gibt auch keine „Konkurenz“ in der Bekämpfung der Pandemie. Einige Staaten haben die in der Tat erfolgreich bekämpft, andere tun sich offensichtlich schwer bzw. hielten das für überflüssig. Kubas Verhältnisse interessieren in der EU schon niemand, erst recht nicht in den USA, jedenfalls nicht in dem Sinne, daß man sich da eine Scheibe von abschneiden wollte. Und bei China verärgert es in Europa und in den USA, daß dieser immer mächtiger werdende Konkurrent in der Konkurrenz um die imperialistische Weltordnung offensichtlich bisher viel erfolgreicher war in der Bekämpfung des Virus und deshalb vielleicht auch wirtschaftlich gesehen relativ besser aus der Krise herauskommen könnte als die Konkurrenzstaaten. Und nur deshalb, aus Verärgerung über den als gefährlich empfundenen Konkurrenznachteil hetzen jetzt alle volles Rohre gegen China.
Normen heißen in demokratischen Herrschaftsystemen aus Sicht der herrschenden Elite, dass man sie (moralisch) interpretiert und instrumentalisiert und aus Sicht derjenigen, welche die Herrschaft wollen, dass man sich sein Weltbild damit zusammenstoppelt und darüber die Einheit mit der Herrschaft herstellt. So hat, denke ich, sich inzwischen schon der Großteil der Bevölkerung ein Weltbild auf der Grundlage humanistischer Werte zusammengebastelt, weshalb sich die herrschende Politik schon schwertun würde diese liebgewonnenen Weltbilder durch eine rüchsichtslose Politik zugunsten der Geschäftemacherei zu zertrümmern. Das sieht man doch gerade beim Verhalten gegenüber den über das Mittelmeer Flüchtenden. Da sind gerade die wegen der Schande mit höchsten Werten vollgepfropften Menschen in Deutschland in der Mehrzahl(noch) nicht bereit, dem rücksichtlosen Absaufen lassen von Flüchtlingen im Sinne der Neofaschisten zuzustimmen. Und dieses Faktum, an dem sie selbst bzw. ihre Vorgänger beteiligt waren, müssen die Politiker berücksichtigen, wenn sie wieder an die Macht bzw. gewählt werden wollen.
Dein letzter Satz stimmt natürlich. Aber es geht auch darum, dass die offensichtliche Faktizität, dass das existierende System, wenn es ernst wird, nicht mal das wichtigste Bedürfnis, das (Über) Leben, gewährleisten kann, in einen Gegenstand nationalen Gegeiferes überführt wird, um das eigene Versagen zu kaschieren. Das wird nicht nur an dem Narren Trump mit seiner Hetze gegen China verifiziert, sondern auch z. B. bei den Deutschen mit den Verweisen auf das eigene tolle Gesundheitssystem, das besser wie in vielen andern Ländern funktioniert haben soll, begleitet mit dem entsprechenden stolz auf die eigene Brust schlagen.
Gestern hat Karl Lauterbach auf Phönix was Kluges gesagt. „Die Lösung des ökonomischen Problems/Frage, ist die Lösung der medizinischen Problems/Frage.“ (sinngemäß) Und das heißt eben, dass es ohne Impfstoff und Medikament gar nicht anders geht als mittels Lockdownmaßnahmen, gescheiten Masken, Abstand, Tests, App usw. die Krankheit in den Griff zu bekommen. Weil wenn man das nicht macht, stecken sich irgendwann so viele an, dass die Wirtschaft eh unkontrolliert den Bach runter geht und dann hat man eben einen Lockdown ohne Lockdown, bloß dass dann das totale Chaos ausbricht. Was die Politiker also zur Zeit machen mit Lockdownmaßnahmen ist kein Schutz von Menschenleben oder sonstwas, der Absicht nach. Denen bleibt schlicht nichts anderes übrig. Es ist eine reine Schadensabwägung, die die Regierung vornehmen muss, weil es keine Vorbereitung auf diesen Fall gab. Sprich keine Maken, kein Desinfektionsmittel, keine Beatmungsgeräte, weniger Geld für das Gesundheitssystem usw. Jetzt stellt sich natürlich die billige Lösung als die teure Lösung heraus und ich bin mir nicht sicher, dass Konsequenzen daraus gezogen werden.
Man kann nämlich noch so viel diskutieren über Lockerungen, wenn die Fallzahlen wieder steigen, sind die obsolet. Das Virus richtet sich einfach nicht nach dem politischen Willen. Lauterbach hat auch gesagt, was ich ja auch sage, dass die Idee, die Zahlen soweit sinken zu lassen, dass man die Infektionsketten wieder nachverfolgen kann, ein Ideal ist. Das geht vielleicht bei Mecklenburg-Vorpommern und bei Sachsen-Anhalt, aber nicht bei Bayern, Baden Württemberg und Nordrhein-Westfalen. (Für sowas braucht man pro Fall fünf bis 20 Mann) Da ist die Eindämmung halt einfach an der fehlenden Vorbereitung gescheitert.
Ganz genau. Und ich wette die ganzen Virologen und Epidemiologen, die die Bundesregierung beraten haben ihnen genau das gesagt.
Das ist aber was völlig anderes als keine Angst zu haben. Das ist interessiertes Wegleugnen einer potentiellen Gefahr. Die dachten halt dem Standort Epidemievorsorgekosten zu ersparen und wenn doch mal was passiert, dann betrifft das meist sowieso den Nachfolger im Amt. Es ist also mehr die Inkaufnahme eine gewussten und bekannten Risikos. Zockerei eben.
Das sehe ich auch so.
Es stimmt ja nicht, dass dann die Geschäftemacherei flutscht. Im Gegenteil, würde man nichts machen, flutscht die Geschäftemacherei gar nicht mehr. Es ist also nicht Humanismus, sondern die haben schlicht keine Alternative und nennen das dann Humanismus.
Pandemie VII: Kredit und internationale Konkurrenz
Mit Weltgeld gegen die „Corona-Krise“
Die Regierung in Berlin begegnet der „Corona-Krise“ nach dem Vorbild von Mario Draghi – „whatever it takes“ – mit erklärtermaßen unbegrenzten Mitteln, fürs Erste mit einem Finanzvolumen von der dreifachen Größe des jährlichen Bundeshaushalts. Die Summe relativiert sich zwar, da sie zum größeren Teil aus Kreditgarantien besteht, die – hoffentlich – nicht voll in Anspruch genommen werden. Dennoch: So etwas muss ein Staat sich leisten können.
Deutschland kann, wie die Regierung stolz vermeldet:
Die Disziplin der „Schwarzen Null“
zahle sich jetzt aus. Dass Schulden, die gestern nicht gemacht wurden, heutige Schulden, volle 1200 Milliarden Euro, verfügbar machen, ist zwar Blödsinn. Der Zusammenhang, den die Regierung da herstellt, ist dennoch aufschlussreich.
Der Hinweis auf ihre zurückliegende Haushaltsdisziplin erinnert immerhin daran, dass die von ihr bereitgestellte Liquidität Kredit ist; eine staatlich verbürgte Schuld. Und dass, auch wenn der Staat ihren Wert hauptsächlich der EZB, seiner KfW, also letztlich sich selbst gegenüber verbürgt, dieses Geld in einem Verhältnis – der Abhängigkeit oder, andersherum, der Inanspruchnahme – zum Kapital der Nation steht, also zu dem durch Profit vermehrten Reichtum und gerechtfertigten Kredit der heimischen Wirtschaft. Was der Staat sich an Haushaltsdefizit leistet, hat sich dadurch zu rechtfertigen, dass es Wirtschaftswachstum bewirkt und sich durch ein steigendes Steueraufkommen bezahlt macht.
An diesem im Dogmatismus der „Schwarzen Null“ verbindlich gemachten Maßstab gemessen und auch nach Maßgabe der nach wie vor gültigen Maastricht-Kriterien für eine ökonomisch tragbare Staatsverschuldung geht die Schaffung einer Finanzmasse, die die Staatsverschuldung schlagartig von 60 auf mindestens 80 % des BIP steigen lässt, nicht in Ordnung. Das verbietet sich aus zwei Gründen, nämlich wegen zwei Wirkungen, deren Vermeidung die Regierung ihrer Politik der „Schwarzen Null“ gutschreibt: Schulden in solcher Höhe, die gar nicht auf künftigen Zuwachs an nationalem Geschäft berechnet sind, kosten den Schuldner – im Normalfall – Kreditwürdigkeit und entsprechend hohe Zinsen; und wenn der Staat mit hoheitlicher Geldschöpfung dafür einsteht, kosten sie – normalerweise – eine gehörige Entwertung des staatlichen Wertzeichens. Im aktuellen Fall kommt hinzu: Es unterbleibt so viel Geschäft, dass die Wirtschaft insgesamt schrumpft statt zu wachsen; auch nach der Seite hin verschlechtert sich das Verhältnis zwischen nationalem Gesamtgeschäft und Staatsschuld, das – normalerweise – über die in Zinsforderungen gemessene Kreditwürdigkeit des Staates und den Wert des von ihm verantworteten Zahlungsmittels entscheidet.
Der Nutzen der „Schwarzen Null“ und sein Grund: Grenzenloser Kredit für die Macher eines Weltgelds
Beide Wirkungen treten nicht ein. Weder „explodieren“ die Zinsen, noch sinkt der Wert des Geldes, das eine Masse von Kredit repräsentiert, der nicht stattfindendes Geschäft ersetzt. Beides ist auch nicht absehbar, wird speziell von den Verfechtern einer Finanzpolitik der „Schwarzen Null“ jedenfalls nicht befürchtet. Und das hat tatsächlich mit der Null zu tun, auf die sie so stolz sind. Allerdings nicht im Sinne einer Belohnung für bewiesene Sparsamkeit; vielmehr mit den wirklichen Gründen dafür, dass der deutsche Fiskus schon seit längerem für seine Schulden nicht bloß keine Zinsen zahlt, sondern weniger als die verbuchte Summe zurückzahlen muss, und dass die zuständige Notenbank mit noch so freigebiger Geldschöpfung zwecks Refinanzierung aller Arten von Leihgeschäften ihrem erklärten Inflationsziel von wenigstens 2 % nicht näher kommt.
Der erste Grund ist zwölf Jahre alt und liegt in der Rettung des weltweiten Kreditsystems aus der Krise eines Übermaßes aufeinander aufgetürmter spekulativer Wertpapiere durch die Staaten. Die Schaffung einer Unmasse liquider Mittel durch nichts als politischen Beschluss war eine Bewährungsprobe für die Kreditgelder aus den Zentren der Finanzkrise, nämlich für den Fortbestand ihrer exklusiven Tauglichkeit als allgemein benutztes, also praktisch anerkanntes Weltgeld. Die hat – dank wechselseitig eingeräumter Kreditlinien, mit denen die maßgeblichen Notenbanken einander diesen Status ihrer jeweiligen Kreditzeichen beglaubigt haben – der Euro so gut wie der US-Dollar bestanden. Daraus folgt der zweite Grund: Seither existiert eine Masse Geldvermögen, die nicht aus erfolgreichen kapitalistischen Geschäften stammen, sondern den staatlichen Ersatz für flächendeckende Misserfolge repräsentieren: Geldkapital auf der Suche nach produktiver Anlage. Möglichkeiten und Chancen dafür gibt es zwar, aber bei Weitem nicht in dem Umfang, dass sie die zu verwertenden Summen absorbieren könnten. Das Übermaß an Geldkapital trifft auf einen Weltmarkt voller Überkapazitäten – u. a. mit einer chinesischen Volksrepublik, die es von einer großartigen Anlagesphäre für ausländisches Kapital zur Quelle weltweit einsetzbaren Kredits gebracht hat –; es trifft auf „Zukunftsindustrien“, die zum größten Teil die ausufernde Spekulation, die sie auf sich ziehen, kaum rechtfertigen. Sicherheit findet die Finanzwelt für ihren Reichtum in den Schuldpapieren der Staaten mit tauglichem Weltgeld; dafür nimmt sie sogar Minus-Zinsen in Kauf. Von dieser Verlegenheit des überakkumulierten Geldkapitals profitiert Deutschland, wenn es für seine Staatsanleihen noch nicht einmal die volle Rückzahlung versprechen muss. Und wenn die EZB in jedem benötigten Umfang Liquidität schafft, bedient sie damit den Bedarf der Geschäfts- und der Staatenwelt an tauglichem Weltgeld und sichert ihrem Produkt zugleich eben diese Qualität.
Die Kumpanei der großen Weltgeldmacher
Diesen Status teilen Deutschland und die EZB mit den paar anderen Nationen, die dank ihrer unangefochtenen, die gültigen Maßstäbe setzenden Kreditwürdigkeit und mit ihrem als Weltgeld zirkulierenden Kreditgeld dem Finanzkapital die Sicherheit zuverlässiger Werterhaltung zu bieten haben. Dabei kommt es in besonderer Weise auf die USA und deren Notenbank an, die in einzigartigem Umfang ihre Währung als maßgebliches Weltgeld durchgesetzt haben und deren Staatsschulden sowohl als sicheres Geldkapital in privater Hand fungieren als auch den wichtigen Notenbanken als Anlage für angesammelte, auf Dollar lautende Außenwirtschaftsüberschüsse dienen. Wenn Amerikas Partnerländer im Besitz amerikanischer Schuldpapiere in der jetzigen Krisensituation Weltgeld in liquider Form brauchen, um sich und ihre Kreditinstitute international zahlungsfähig zu halten bzw. ihre Finanzmacht international zu beglaubigen, steht ihnen für die Beschaffung von Dollars der Weltmarkt für US-Treasuries zu Gebote; wenn ein krisenbedingtes Überangebot an solchen Wertpapieren den Markt dafür in Stress bringt, stellt die Fed für deren Ankauf oder ihre Beleihung die benötigten Geldsummen zur Verfügung, stabilisiert damit deren Kurs wie den ihres Kreditgelds; auf diesem Weg – sowie vermittels wechselseitig eingeräumter Kreditlinien wie vor 12 Jahren bei der Bewältigung der Finanzkrise – garantiert sie die Weltgeldqualität der Währung ihrer Partner, die umgekehrt mit ihrer Dollar-Nachfrage der US-Währung ihre einzigartige Weltgeltung bestätigen und sichern. So deckt die Kooperation der Weltgeld-Nationen die krisenbedingte Kreditschöpfung aller; der weltweite partielle Shutdown der Wirtschaft und die ungeheure politische Schuldenwirtschaft, mit der dessen ruinöse Folgen überbrückt werden, stärken die kapitalistischen Zentren, die sich die neuen Schuldenberge leisten, und befestigen die Abhängigkeit der anderen Nationen von ihnen.
Die Krankheit des „globalen Südens“: Kein Geld!
Die vielen notorisch „armen Länder“ sind die Kehrseite der Sache. Von denen weiß alle Welt jetzt schon, dass das Virus sie noch ärmer machen und die Schere zu den reichen Ländern noch weiter öffnen wird. Mit großer Sicherheit erwartet man die wahren Horrorzahlen an Corona-Toten aus Afrika und anderen Teilen der Südhalbkugel und rechnet auch schon fest damit, dass der Hunger, den der krankheitsbedingte Produktionsausfall dort verursachen wird, noch einmal viel mehr Leben fordern wird als das Virus. Man weiß von Regierungen, die die Ausbreitung der Seuche, jedenfalls ihre Gefährlichkeit leugnen, weil sie meinen, sich ihre Bekämpfung nicht leisten zu können, und ist über deren Zynismus empört. Dabei liegt es weder am Virus noch an schlechter Regierung, dass diese Länder von der Pandemie so anders als die Metropolen getroffen werden. Es liegt schlicht daran, dass Nationen, die im globalen Kreditgeschäft nicht Heimat, sondern bloß Gegenstand geldkapitalistischer Spekulation sind, keinen Kredit haben, den sie für sich nutzen könnten. Was sie an Finanzmitteln brauchen, müssen sie mit hohen Zinsen – und können sie in der Regel überhaupt nicht – bezahlen; ihre autonom geschaffene Währung ist entweder lokales Hilfsmittel für die Verwertung „guten“ Weltgeldes oder gar nichts wert. Ihnen fehlt jedes Mittel zur Kompensation des Stillstands, den sie dem bisschen Gelderwerb ihrer armen Bürger verordnen, erst recht der Schäden, die ihrer dem Weltgeschäft einverleibten Ökonomie aus dessen Rezession erwachsen: aus dem Rückgang der Nachfrage nach ihren Exportartikeln, aus dem Abzug von Krediten, die auswärtige Investoren daheim brauchen, aus einer „Kapitalflucht“ in die Sicherheit guten Weltgelds, die den Wert der heimischen Währung dezimiert und dadurch sich selbst verstärkt.
Die Heimatländer des Weltfinanzgeschäfts beweisen in der Not die Solidarität mit dem „globalen Süden“, die sich für diese Partner gehört: Sie verzichten befristet auf Verzinsung und Tilgung der Schulden der armen Länder, die diese erstens sowieso nicht und zweitens in der gegebenen Lage schon gleich nicht leisten können; sie verzichten auf nichts, was sie haben könnten, tun aber etwas dafür, um offene Staatsbankrotte und deren Auswirkungen aufs internationale Finanzsystem zu vermeiden. In einem weiteren Akt der Solidarität weisen sie ihre für die Finanzierung zahlungsunfähiger Staaten geschaffene Gemeinschaftsinstitution, den IWF, an, in der Notlage vermehrt und ohne die sonst üblichen knebelnden Haushaltsauflagen Kredite an die entsprechenden Kandidaten zu vergeben. Sie sollen zahlungsfähig gehalten werden, brauchen neues Geld – schon um die laufende Kapitalflucht zu finanzieren, also um den internationalen Investoren die Rettung ihrer Vermögen vor den absehbaren – damit in keiner Weise abgewendeten – Katastrophen dieser Länder zu ermöglichen.
Coronabonds oder was? Europäische Solidarität in der „größten Krise seit 100 Jahren“
Ein Sonderfall, für Konkurrenz und Kooperation in Europa aber das Hauptkampffeld, sind die Nöte der von der Epidemie besonders betroffenen, mit besonders langem Shutdown und entsprechend tiefen Wirtschaftseinbrüchen geschlagenen, ärmeren Staaten der Eurozone. Sie sind Mitbesitzer der harten europäischen Weltwährung, die – Deutschland macht es vor – eine staatliche Notfallverwendung und darauf bezogene maßlose Verschuldung verträgt, ohne gleich als Geld Schaden zu nehmen. Aber sie haben nur eine eingeschränkte Lizenz, sich dieser Währung zur nationalen Verschuldung zu bedienen. Die Mitbenutzung der bisher unerschütterlichen Währung ist an die Bedingung gebunden, dass sie im Verhältnis zu Größe und Wachstum ihres nationalen Kapitalismus sich übermäßige Staatsschulden versagen, durch solche Schulden die Bonität des Euro nicht beschädigen. Das Maß für einen angemessenen Schuldenstand wie für die jährliche Neuverschuldung wird ihnen vom erfolgreichen deutschen Kapitalismus gesetzt; ein Maß, an dem Italien, Spanien etc. auch ohne die Pandemie zuverlässig scheitern. Sie können die internationale Qualität des guten Geldes, das auch ihres ist, national nicht garantieren; können die Staatsschulden, die sie für die Bewirtschaftung ihres Landes machen müssen, nicht im gleichen Maß wie Deutschland durch Wachstum rechtfertigen; haben also für den Euro und, was nach seinen Nutzungsbedingungen – den Maastricht-Kriterien und ihren Fortentwicklungen – erlaubt ist, immer zu viel Schulden, für die sie national haften müssen und immer schlechter können. Und dieser Unterschied zum „Musterschüler“ mit der „Schwarzen Null“ schwindet keineswegs dadurch, dass Deutschland in der „Corona-Krise“ eine nach oben offene, durch keinerlei Produktivitätsgewinn zu rechtfertigende Neuverschuldung ansagt, im Gegenteil: Der deutsche Staatshaushalt profitiert von der Nachfrage nach seinen Schulden, die ihm Zinsen erspart und zugleich den Wert des massiv vermehrten Kreditgelds, des Euro, nicht nur nicht gefährdet, sondern stabilisiert. Die Partner mit dem schwächeren nationalen Kapitalismus profitieren zwar auch in ihrer Haushaltsführung von der Stabilität des Geldes, das sie benutzen und in Grenzen schöpfen dürfen. Eben deswegen wird aber, sobald sie mit ihrem Kreditbedarf an den Finanzmärkten vorstellig werden, ihre nationale „Schuldentragfähigkeit“ kritisch – durch die notorischen drei Ratingagenturen mit durchaus praktischen Konsequenzen – überprüft, zu dem Standard, den Deutschland vorgibt, ins Verhältnis gesetzt und mit Zinsen – im „Spread“ gemessen als Abstand zum deutschen Null-Zins – belastet.
Es nützt ihnen also nicht viel, dass die reichen Länder der Eurozone in einem ersten Akt der Solidarität den besonders geschlagenen armen erlauben, was sie sich selbst herausnehmen: Für das Corona-Jahr 2020 setzen sie die vertraglichen Haushalts- und Verschuldungsbeschränkungen generell außer Kraft; auch Italien, Spanien und andere dürfen, was sie müssen und in ihrer Finanznot ohnehin tun, nämlich ihr Haushaltsdefizit vergrößern. Damit handeln sie sich aber eine zusätzliche Schulden- und Zinslast ein, die es ihnen praktisch und unter den weiter geltenden Regeln des Euro-Kredits auch rechtlich und politisch unmöglich macht, aus der Krise – auch wenn sie die fürs Erste überstehen – und aus den bleibenden Schäden für ihre Wirtschaft mit einem Wiederaufbauprogramm herauszukommen; einem Programm, das ihnen wenigstens ihren bisherigen Status bedingter kapitalistischer Leistungsfähigkeit und Haushaltsautonomie wieder beschaffen und sichern könnte.
Italien & Co beantragen daher bei den bessergestellten Partnern und den zuständigen Gemeinschaftsinstanzen substanzielle Finanzhilfen, die ihren Schuldnerstatus nicht verschlechtern; vorzugsweise durch „Corona-Bonds“ zur Finanzierung der Überwindung der Krise und vor allem der Krisenfolgen: Anleihen, die die Finanzmacht der Schwächeren und besonders geschädigten Partner dadurch stärken würden, dass die Staaten der Eurozone als Kollektiv an den Finanzmärkten auftreten, also per Vergemeinschaftung der besonderen Kreditwürdigkeit der ökonomischen Führungsmächte. Damit reaktivieren sie alte Frontlinien des Prinzipienstreits um das Verhältnis zwischen europäischer Solidarität und fiskalischer Solidität, die, wieder einmal und wieder einmal verschärft, vom grundsätzlichen Widerspruch der Euro-Konstruktion zeugen.
Dass es Finanzhilfen für die „überschuldeten“ Partner im Süden braucht, akzeptieren die finanzstarken Mächte um Berlin herum durchaus. Noch viel weniger als vor 10 Jahren Griechenland dürfen heute Italien und Spanien in eine Staatspleite hineinlaufen. Da stehen unverzichtbare Teile des Binnenmarkts auf dem Spiel, an denen die erfolgreichen Kapitalstandorte so gut verdienen, dass sie ihren ganzen Club ökonomisch dominieren. Gefährdet wären Billionen von Euro-Schulden, die in den starken Ländern als Guthaben zu Buche schlagen. Den Willen, diesen „gemeinsamen“ Nutzen zu retten, nennen die finanzkräftigen Partner Solidarität und lassen ihm Taten folgen. Sie dulden Programme der EZB zum Ankauf von Finanztiteln auch aus notorisch schwachen Euro-Ländern, die der Spekulation gegen diese Partner vorbeugen und den „Spread“ bei den Zinsen in Grenzen halten. Für die Zahlung von Kurzarbeitergeld wird ein gemeinsamer Fonds aufgelegt, der vor allem den finanzschwachen Ländern mit drohender besonders hoher Arbeitslosigkeit zugutekommt. Sie stocken die Finanzmasse des für Wiederaufbauprogramme verfügbaren Europäischen Stabilitäts-Mechanismus auf, lockern oder streichen sogar restriktive Bedingungen der Kreditvergabe aus diesem Fonds. Konsequent verweigern sie jedoch die beantragten Gemeinschaftskredite, die den Südländern ohne Erhöhung ihrer nationalen Schuldenlast zu vermehrter Finanzmacht verhelfen würden. Am Prinzip der nationalen Verantwortung für die nationalen Schulden wollen sie nichts ändern, auch angesichts einer Krise, die ihnen den heillosen Widerspruch zwischen diesem Grundsatz und dem gemeinschaftlichen Geld, das den Kredit der gesamten Eurozone repräsentiert, drastisch vor Augen führt. Und im Grundsatz treffen sie sich da auch mit den bedürftigen Partnern, die bei aller Finanznot das Prinzip der nationalen Hoheit über den nationalen Haushalt auf keinen Fall aufgeben wollen.
Ökonomisch steht also, einmal mehr, die Sicherheit des supranationalen Kreditgelds gegen dessen nationale Verwendung. Politisch kollidiert der in einer Lebensfrage schon realisierte Supranationalismus der Union mit der nationalen Souveränität der Beteiligten – aller Beteiligten; denn den Widerspruch will kein Unionsmitglied einer Lösung zuführen, schon gar nicht im Sinne einer Übertragung des heiligen Haushaltsrechts auf die Institutionen der Gemeinschaft. Einstweilen beweist der Club, auch das einmal mehr, seine erprobte Findigkeit in der Umgehung der Grundwidersprüche seines Kollektivismus gerade da, wo die sich zu einem unauflöslichen Widerstreit zuspitzen. Nach wochenlangem Streit, für den bei allem akuten Zeitdruck dann schon Zeit war, willigen die Verweigerer gemeinsamer Haftung für Schulden anderer Mitgliedsländer in eine virtuelle, knappe Verdopplung des Brüsseler EU-Haushalts ein, für die sie nationale Beiträge gar nicht wirklich einzahlen müssen. Sie geben – im Maß ihrer nationalen Haushaltsbeiträge – nur Kreditgarantien für Schulden, die die EU-Kommission aufnehmen soll, haften in dieser Form also doch gemeinsam für die neuen Schulden. Die Kommission wird die vermehrten Haushaltsmittel „hebeln“, d. h. nicht direkt verwenden, sondern wiederum als Garantiemittel einsetzen, mit denen sie privaten Geldgebern das Risiko von Investitionen in der Eurozone abkauft, sie damit profitabel macht – auch wenn es die jeweiligen Unternehmungen von sich aus nicht sind. Mit diesem, von EU-Recht vorerst nicht gedeckten Schachzug will die Kommission das für die Periode 2021 – 2027 knapp verdoppelte Haushaltsvolumen in seiner investiven Wirkung vervielfachen und dem ganzen Verein zur Wiederauferstehung aus der gemeinsamen Rezession verhelfen.
Alles Weitere, ob andere Teile der mobilisierten Summen als Ausgaben des EU-Haushalts, also als Zuschüsse für die begünstigten Länder vergeben werden oder als Kredit, dessen Tilgung die Empfänger dann nur der Brüsseler Kasse, der aber schon schulden, ob sie nach Bedürfnissen des nationalen Wiederaufbaus, also auch nach nationalen Konkurrenzgesichtspunkten oder im Interesse einer europäischen Bewirtschaftung des ganzen Wirtschaftsraumes zum Einsatz kommen sollen – das alles bleibt dem weiteren Streit der Euro-Finanzminister überlassen.
Das Coronavirus, das ja sonst nichts lässt wie es war, ändert am Widerspruch der Eurozone kein Jota: Sie bleibt ein Bündnis von Nationalstaaten, die mit nationalen Schulden um nationales Kapitalwachstum in einem gemeinsamen Geld konkurrieren, das seinerseits den Gesamterfolg der Währungszone in seiner Qualität als international gefragtes und verlässliches Geld reflektiert; das also den Gesamterfolg braucht, den die konkurrierenden Partner einander streitig machen.
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/weltgeld-gegen-corona-krise
außerdem hat der Gegenstandpunkt weitere Artikel zur Corona-Krise herausgegeben:
https://de.gegenstandpunkt.com/
u.a. auch diesen neuen Artikel:
Der Lockdown zieht sich in die Länge:
Pandemie VIII: Klassenbewusstsein von rechts
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/klassenbewusstsein-rechts
Theo Wentzke: Weltgeld gegen Virus
Im Umgang mit der gegenwärtigen Coronakrise zeigt sich erneut der Widerspruch zwischen den nationalen Haushalten der EU-Staaten und ihrer gemeinsamen Währung
(jw, 13.05.2020)
Die Regierung in Berlin begegnet der Coronakrise nach dem Vorbild von Mario Draghi – es koste, was es wolle – mit erklärtermaßen unbegrenzten Mitteln, fürs erste mit einem Finanzvolumen von der dreifachen Größe des jährlichen Bundeshaushalts. Die Summe relativiert sich zwar, da sie zum größeren Teil aus Kreditgarantien besteht, die (hoffentlich) nicht voll in Anspruch genommen werden. Dennoch: So etwas muss ein Staat sich leisten können. Deutschland kann, wie die Regierung stolz vermeldet: Die Haushaltsdisziplin zahle sich jetzt aus. Dass Schulden, die gestern nicht gemacht wurden, heutige Schulden, volle 1.200 Milliarden Euro, verfügbar machen, ist zwar Blödsinn. Der Zusammenhang, den die Regierung da herstellt, ist dennoch aufschlussreich.
Die Disziplin der »schwarzen Null«
Der Hinweis auf ihre frühere Haushaltsdisziplin erinnert immerhin daran, dass die von ihr bereitgestellte Liquidität Kredit ist: eine staatlich verbürgte Schuld. Und dass, auch wenn der Staat ihren Wert hauptsächlich der Europäischen Zentralbank (EZB), seiner Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), also letztlich sich selbst gegenüber verbürgt, dieses Geld in einem Verhältnis – der Abhängigkeit oder, andersherum, der Inanspruchnahme – zum Kapital der Nation steht, also zu dem durch Profit vermehrten Reichtum und gerechtfertigten Kredit der heimischen Wirtschaft. Was der Staat sich an Haushaltsdefizit leistet, hat sich dadurch zu rechtfertigen, dass es Wirtschaftswachstum bewirkt und sich durch ein steigendes Steueraufkommen bezahlt macht.
An diesem im Dogmatismus der »schwarzen Null« verbindlich gemachten Maßstab gemessen, und auch nach Maßgabe der nach wie vor gültigen Maastricht-Kriterien für eine ökonomisch tragbare Staatsverschuldung, geht die Schaffung einer Finanzmasse, die die Staatsverschuldung schlagartig von 60 auf mindestens 80 Prozent des BIP steigen lässt, nicht in Ordnung. Das verbietet sich aus zwei Gründen, nämlich wegen zwei Wirkungen, deren Vermeidung die Regierung ihrer Politik der »schwarzen Null« zuschreibt: Schulden in einer solchen Höhe, die gar nicht auf künftigen Zuwachs an nationalem Geschäft berechnet ist, kosten den Schuldner – im Normalfall – Kreditwürdigkeit und entsprechend hohe Zinsen; und wenn der Staat mit hoheitlicher Geldschöpfung dafür einsteht, kosten sie – normalerweise – eine gehörige Entwertung des staatlichen Wertzeichens. Im aktuellen Fall kommt hinzu: Es unterbleibt so viel Geschäft, dass die Wirtschaft insgesamt schrumpft statt wächst; auch nach der Seite hin verschlechtert sich das Verhältnis zwischen nationalem Gesamtgeschäft und Staatsschuld, das über die in Zinsforderungen gemessene Kreditwürdigkeit des Staates und den Wert des von ihm verantworteten Zahlungsmittels entscheidet.
Grenzenloser Kredit
Beide Wirkungen treten nicht ein. Weder »explodieren« die Zinsen, noch sinkt der Wert des Geldes, das eine Masse von Kredit repräsentiert, der nicht stattfindendes Geschäft ersetzt. Beides ist auch nicht absehbar, wird speziell von den Verfechtern einer Finanzpolitik der »schwarzen Null« jedenfalls nicht befürchtet. Und das hat tatsächlich mit der Null zu tun, auf die sie so stolz sind. Allerdings nicht im Sinne einer Belohnung für bewiesene Sparsamkeit; vielmehr mit den wirklichen Gründen dafür, dass der deutsche Fiskus schon seit längerem für seine Schulden nicht bloß keine Zinsen zahlt, sondern weniger als die verbuchte Summe zurückzahlen muss, und dass die zuständige Notenbank mit noch so freigebiger Geldschöpfung zwecks Refinanzierung aller Arten von Leihgeschäften ihrem erklärten Inflationsziel von wenigstens zwei Prozent nicht näher kommt.
Der erste Grund ist zwölf Jahre alt und liegt in der Rettung des weltweiten Kreditsystems aus der Krise eines Übermaßes aufgetürmter spekulativer Wertpapiere durch die Staaten. Die Schaffung einer Unmasse liquider Mittel durch nichts als politischen Beschluss war eine Bewährungsprobe für die Kreditgelder aus den Zentren der Finanzkrise, nämlich für den Fortbestand ihrer exklusiven Tauglichkeit als allgemein benutztes, also praktisch anerkanntes Weltgeld. Die hat – dank wechselseitig eingeräumter Kreditlinien, mit denen die maßgeblichen Notenbanken einander diesen Status ihrer jeweiligen Kreditzeichen beglaubigt haben – der Euro so gut wie der US-Dollar bestanden.
Daraus folgt der zweite Grund: Seither existiert eine Masse Geldvermögen, die nicht aus erfolgreichen kapitalistischen Geschäften stammen, sondern den staatlichen Ersatz für flächendeckende Misserfolge repräsentieren: Geldkapital auf der Suche nach produktiver Anlage. Möglichkeiten und Chancen dafür gibt es zwar, aber bei weitem nicht in dem Umfang, dass sie die zu verwertenden Summen absorbieren könnten. Das Übermaß an Geldkapital trifft auf einen Weltmarkt voller Überkapazitäten – u. a. mit einer chinesischen Volksrepublik, die es von einer großartigen Anlagesphäre für ausländisches Kapital zur Quelle weltweit einsetzbaren Kredits gebracht hat. Es trifft auf »Zukunftsindustrien«, die zum größten Teil die ausufernde Spekulation, die sie auf sich ziehen, kaum rechtfertigen. Sicherheit findet die Finanzwelt für ihren Reichtum in den Schuldpapieren der Staaten mit tauglichem Weltgeld; dafür nimmt sie sogar Minuszinsen in Kauf. Von dieser Verlegenheit des überakkumulierten Geldkapitals profitiert Deutschland, wenn es für seine Staatsanleihen noch nicht einmal die volle Rückzahlung versprechen muss. Und wenn die EZB in jedem benötigten Umfang Liquidität schafft, bedient sie damit den Bedarf der Geschäfts- und der Staatenwelt an tauglichem Weltgeld und sichert ihrem Produkt zugleich eben diese Qualität.
Die großen Weltgeldmacher
Diesen Status teilen Deutschland und die EZB mit den paar anderen Nationen, die dank ihrer unangefochtenen, die gültigen Maßstäbe setzenden Kreditwürdigkeit und mit ihrem als Weltgeld zirkulierenden Kreditgeld dem Finanzkapital die Sicherheit zuverlässiger Werterhaltung zu bieten haben. Dabei kommt es in besonderer Weise auf die USA und deren Notenbank an, die in einzigartigem Umfang ihre Währung als maßgebliches Weltgeld durchgesetzt haben und deren Staatsschulden sowohl als sicheres Geldkapital in privater Hand fungieren, als auch den wichtigen Notenbanken als Anlage für angesammelte, auf Dollar lautende Außenwirtschaftsüberschüsse dienen. Wenn die Partnerländer, die US-Schuldpapiere besitzen, in der jetzigen Krisensituation Weltgeld in liquider Form brauchen, um sich und ihre Kreditinstitute international zahlungsfähig zu halten bzw. ihre Finanzmacht international zu beglaubigen, steht ihnen für die Beschaffung von Dollars der Weltmarkt für US-Treasuries zu Gebote; wenn ein krisenbedingtes Überangebot an solchen Wertpapieren den Markt dafür in Stress bringt, stellt die Fed (Federal Reserve System, das US-Zentralbanksystem; jW) für deren Ankauf oder ihre Beleihung die benötigten Geldsummen zur Verfügung, stabilisiert damit deren Kurs wie den ihres Kreditgelds; auf diesem Weg – sowie vermittels wechselseitig eingeräumter Kreditlinien wie bei der Bewältigung der Finanzkrise vor zwölf Jahren – garantiert sie die Weltgeldqualität der Währung ihrer Partner, die umgekehrt mit ihrer Dollar-Nachfrage der US-Währung ihre einzigartige Weltgeltung bestätigen und sichern. So deckt die Kooperation der Weltgeldnationen die krisenbedingte Kreditschöpfung aller; der weltweite partielle Shutdown der Wirtschaft und die ungeheure politische Schuldenwirtschaft, mit der dessen ruinöse Folgen überbrückt werden, stärken die kapitalistischen Zentren, die sich die neuen Schuldenberge leisten, und befestigen die Abhängigkeit der anderen Nationen von ihnen.
Die Krankheit des »globalen Südens«
Die vielen notorisch »armen Länder« sind die Kehrseite der Sache. Von denen weiß alle Welt jetzt schon, dass das Virus sie noch ärmer machen und sich die Schere zu den reichen Ländern noch weiter öffnen wird. Mit großer Sicherheit erwartet man die wahren Horrorzahlen an Coronatoten aus Afrika und Staaten auf der Südhalbkugel und rechnet auch schon fest damit, dass der Hunger, den der krankheitsbedingte Produktionsausfall dort verursachen wird, noch einmal viel mehr Leben fordern wird als das Virus. Man weiß von Regierungen, die die Ausbreitung der Seuche, jedenfalls ihre Gefährlichkeit, leugnen, weil sie meinen, sich ihre Bekämpfung nicht leisten zu können, und ist über deren Zynismus empört. Dabei liegt es weder am Virus noch an schlechter Regierung, dass diese Länder von der Pandemie so anders als die Metropolen getroffen werden. Es liegt schlicht daran, dass Nationen, die im globalen Kreditgeschäft nicht Heimat, sondern bloß Gegenstand finanzkapitalistischer Spekulation sind, keinen Kredit haben, den sie für sich nutzen könnten. Was sie an Finanzmitteln brauchen, müssen sie mit hohen Zinsen – und können sie in der Regel überhaupt nicht – bezahlen; ihre autonom geschaffene Währung ist entweder lokales Hilfsmittel für die Verwertung »guten« Weltgeldes oder gar nichts wert. Ihnen fehlt jedes Mittel zur Kompensation des Stillstands, den sie dem bisschen Gelderwerb ihrer armen Bürger verordnen, erst recht der Schäden, die ihrer dem Weltgeschäft einverleibten Ökonomie aus dessen Rezession erwachsen: aus dem Rückgang der Nachfrage nach ihren Exportartikeln, aus dem Abzug von Krediten, die auswärtige Investoren daheim brauchen, aus einer »Kapitalflucht« in die Sicherheit guten Weltgelds, die den Wert der heimischen Währung dezimiert und dadurch den Verlust verstärkt.
Die Heimatländer des Weltfinanzgeschäfts beweisen in der Not die Solidarität mit dem »globalen Süden«, die sich für diese Partner gehört: Sie verzichten befristet auf Verzinsung und Tilgung der Schulden der armen Länder, die diese erstens meistens nicht und zweitens in der gegebenen Lage schon gleich gar nicht leisten können. Sie verzichten auf nichts, was sie haben könnten, tun aber etwas dafür, um offene Staatsbankrotte und deren Auswirkungen aufs internationale Finanzsystem zu vermeiden. In einem weiteren Akt der »Solidarität« weisen sie ihre für die Finanzierung zahlungsunfähiger Staaten geschaffene Gemeinschaftsinstitution, den Internationalen Währungsfond (IWF), an, in der Notlage vermehrt und ohne die sonst üblichen knebelnden Haushaltsauflagen Kredite an die entsprechenden Kandidaten zu vergeben. Sie sollen zahlungsfähig gehalten werden, brauchen neues Geld – schon um die laufende Kapitalflucht zu finanzieren, also um den internationalen Investoren die Rettung ihrer Vermögen vor den absehbaren, aber damit in keiner Weise abgewendeten Katastrophen dieser Länder zu ermöglichen.
Europäische »Solidarität«
Ein Sonderfall, für Konkurrenz und Kooperation in Europa aber das Hauptkampffeld, sind die Nöte der von der Epidemie besonders betroffenen, mit besonders langem Shutdown und entsprechend tiefen Wirtschaftseinbrüchen geschlagenen, ärmeren Staaten der Euro-Zone. Sie sind Mitbesitzer der harten europäischen Weltwährung, die – Deutschland macht es vor – eine staatliche Notfallverwendung und darauf bezogene maßlose Verschuldung verträgt, ohne gleich als Geld Schaden zu nehmen. Aber sie haben nur eine eingeschränkte Lizenz, sich dieser Währung zur nationalen Verschuldung zu bedienen. Die Mitbenutzung der bisher unerschütterlichen Währung ist an die Bedingung gebunden, dass sie im Verhältnis zu Größe und Wachstum ihres nationalen Kapitalismus sich übermäßige Staatsschulden versagen, durch solche Schulden die Bonität des Euro nicht beschädigen. Das Maß für einen angemessenen Schuldenstand wie für die jährliche Neuverschuldung wird ihnen vom erfolgreichen deutschen Kapitalismus vorgegeben; ein Maß, an dem Italien, Spanien etc. auch ohne die Pandemie zuverlässig scheitern. Sie können die internationale Qualität des guten Geldes, das auch ihres ist, national nicht garantieren. Sie können die Staatsschulden, die sie für die Bewirtschaftung ihres Landes machen müssen, nicht im gleichen Maß wie Deutschland durch Wachstum rechtfertigen und haben also für den Euro danach, was nach seinen Nutzungsbedingungen – den Maastricht-Kriterien und ihren Fortentwicklungen – erlaubt ist, immer zuviel Schulden, für die sie national haften müssen und immer schlechter können. Und dieser Unterschied zum »Musterschüler« mit der »schwarzen Null« schwindet keineswegs dadurch, dass Deutschland in der »Coronakrise« eine nach oben offene, durch keinerlei Produktivitätsgewinn zu rechtfertigende Neuverschuldung ansagt, im Gegenteil: Der deutsche Staatshaushalt profitiert von der Nachfrage nach seinen Schulden, die ihm Zinsen erspart und zugleich den Wert des gewaltig vermehrten Kreditgelds, des Euro, nicht nur nicht gefährdet, sondern stabilisiert. Die Partner mit dem schwächeren nationalen Kapitalismus profitieren zwar auch in ihrer Haushaltsführung von der Stabilität des Geldes, das sie benutzen und in Grenzen schöpfen dürfen. Eben deswegen wird aber, sobald sie mit ihrem Kreditbedarf an den Finanzmärkten vorstellig werden, ihre nationale »Schuldentragfähigkeit« durch die notorischen drei Ratingagenturen mit durchaus praktischen Konsequenzen kritisch überprüft, zu dem Standard, den Deutschland vorgibt, ins Verhältnis gesetzt und mit Zinsen – im »Spread« (Differenz) gemessen als Abstand zum deutschen Nullzins – belastet.
Kein Kollektiv
Es nützt ihnen also nicht viel, dass die reichen Länder der Euro-Zone in einem ersten Akt der Solidarität den besonders geschlagenen armen erlauben, was sie sich selbst herausnehmen: Für das Coronajahr 2020 setzen sie die vertraglichen Haushalts- und Verschuldungsbeschränkungen generell außer Kraft; auch Italien, Spanien und andere dürfen, was sie müssen und in ihrer Finanznot ohnehin tun, nämlich ihr Haushaltsdefizit vergrößern. Damit handeln sie sich aber eine zusätzliche Schulden- und Zinslast ein, die es ihnen praktisch und unter den weiter geltenden Regeln des Euro-Kredits auch rechtlich und politisch unmöglich macht, aus der Krise – auch wenn sie die fürs erste überstehen – und aus den bleibenden Schäden für ihre Wirtschaft mit einem Wiederaufbauprogramm herauszukommen; einem Programm, das ihnen wenigstens ihren bisherigen Status bedingter kapitalistischer Leistungsfähigkeit und Haushaltsautonomie wieder beschaffen und sichern könnte.
Italien und Co. beantragen daher bei den bessergestellten Partnern und den zuständigen Gemeinschaftsinstanzen substantielle Finanzhilfen, die ihren Schuldnerstatus nicht verschlechtern; vorzugsweise durch »Coronabonds« zur Finanzierung der Überwindung der Krise und vor allem der Krisenfolgen: Anleihen, die die Finanzmacht der Schwächeren und besonders geschädigten Partner dadurch stärken würden, dass die Staaten der Euro-Zone als Kollektiv an den Finanzmärkten auftreten, also per Vergemeinschaftung der besonderen Kreditwürdigkeit der ökonomischen Führungsmächte. Damit reaktivieren sie alte Frontlinien des Prinzipienstreits um das Verhältnis zwischen europäischer Solidarität und fiskalischer Solidität, die, wieder einmal und wieder einmal verschärft, vom grundsätzlichen Widerspruch der Euro-Konstruktion zeugen.
Dass es Finanzhilfen für die »überschuldeten« Partner im Süden braucht, akzeptieren die finanzstarken Mächte um Berlin herum durchaus. Noch viel weniger als vor zehn Jahren Griechenland dürfen heute Italien und Spanien in eine Staatspleite hineinlaufen. Da stehen unverzichtbare Teile des Binnenmarkts auf dem Spiel, an denen die erfolgreichen Kapitalstandorte so gut verdienen, dass sie ihren ganzen Klub ökonomisch dominieren. Gefährdet wären Euro-Schulden im Billionen-Umfang, die in den starken Ländern als Guthaben zu Buche schlagen. Den Willen, diesen »gemeinsamen« Nutzen zu retten, nennen die finanzkräftigen Partner Solidarität und lassen ihm Taten folgen. Sie dulden Programme der EZB zum Ankauf von Finanztiteln auch aus notorisch schwachen Euro-Ländern, die der Spekulation gegen diese Partner vorbeugen und den »Spread« bei den Zinsen in Grenzen halten. Für die Zahlung von Kurzarbeitergeld wird ein gemeinsamer Fonds aufgelegt, der vor allem den finanzschwachen Ländern mit drohender besonders hoher Arbeitslosigkeit zugute kommt. Sie stocken die Finanzmasse des für Wiederaufbauprogramme verfügbaren »Europäischen Stabilitätsmechanismus« auf, lockern oder streichen sogar restriktive Bedingungen für die Vergabe von Krediten aus diesem Fonds. Konsequent verweigern sie jedoch die beantragten Gemeinschaftskredite, die den Südländern ohne Erhöhung ihrer nationalen Schuldenlast zu vermehrter Finanzmacht verhelfen würden. Am Prinzip der nationalen Verantwortung für die nationalen Schulden wollen sie nichts ändern, auch angesichts einer Krise, die ihnen den heillosen Widerspruch zwischen diesem Grundsatz und dem gemeinschaftlichen Geld, das den Kredit der gesamten Euro-Zone repräsentiert, drastisch vor Augen führt. Und im Grundsatz treffen sie sich da auch mit den bedürftigen Partnern, die bei aller Finanznot das Prinzip der nationalen Hoheit über den eigenen Haushalt auf keinen Fall aufgeben wollen.
Ökonomisch steht also, einmal mehr, die Sicherheit des supranationalen Kreditgelds gegen dessen nationale Verwendung. Politisch kollidiert der in einer Lebensfrage schon realisierte Supranationalismus der Union mit der nationalen Souveränität der Beteiligten – aller Beteiligten; denn den Widerspruch will kein Unionsmitglied einer Lösung zuführen, schon gar nicht im Sinne einer Übertragung des heiligen Haushaltsrechts auf die Institutionen der Gemeinschaft. Einstweilen beweist der Klub einmal mehr seine erprobte Findigkeit in der Umgehung der Grundwidersprüche seines Kollektivismus gerade da, wo die sich unauflöslich zuspitzen. Nach wochenlangem Streit, für den bei allem akuten Zeitdruck dann schon Zeit war, willigen die Verweigerer gemeinsamer Haftung für Schulden anderer Mitgliedsländer in eine virtuelle, knappe Verdopplung des Brüsseler EU-Haushalts ein, für die sie nationale Beiträge gar nicht wirklich einzahlen müssen. Sie geben im Maß ihrer nationalen Haushaltsbeiträge nur Kreditgarantien für Schulden, die die EU-Kommission aufnehmen soll, haften in dieser Form also doch gemeinsam für die neuen Schulden. Die Kommission wird die vermehrten Haushaltsmittel »hebeln«, d. h. nicht direkt verwenden, sondern wiederum als Garantiemittel einsetzen, mit denen sie privaten Geldgebern das Risiko von Investitionen in der Euro-Zone abkauft, sie damit profitabel macht – auch wenn es die jeweiligen Unternehmungen von sich aus nicht sind. Mit diesem, von EU-Recht vorerst nicht gedeckten Schachzug will die Kommission das für die Periode 2021 bis 2027 knapp verdoppelte Haushaltsvolumen in seiner investiven Wirkung vervielfachen und dem ganzen Verein zur Wiederauferstehung aus der gemeinsamen Rezession verhelfen.
Alles weitere, ob andere Teile der mobilisierten Summen als Ausgaben des EU-Haushalts, also als Zuschüsse für die begünstigten Länder vergeben werden, oder als Kredit, dessen Tilgung die Empfänger dann nur der Brüsseler Kasse, der aber schon, schulden, ob sie nach Bedürfnissen des nationalen Wiederaufbaus, also auch nach nationalen Konkurrenzgesichtspunkten oder im Interesse einer europäischen Bewirtschaftung des ganzen Wirtschaftsraumes zum Einsatz kommen sollen – das alles bleibt dem weiteren Streit der Euro-Finanzminister überlassen.
Das Coronavirus, das ja sonst nichts lässt, wie es war, ändert am Widerspruch der Euro-Zone kein Jota: Sie bleibt ein Bündnis von Nationalstaaten, die mit nationalen Schulden um nationales Kapitalwachstum in einem gemeinsamen Geld konkurrieren, das seinerseits den Gesamterfolg der Währungszone in seiner Qualität als international gefragtes und verlässliches Geld reflektiert; das also den Gesamterfolg braucht, den die konkurrierenden Partner einander streitig machen.
https://www.jungewelt.de/artikel/378253.internationales-finanzsystem-weltgeld-gegen-virus.html
Pandemie X: Die „Öffnungsdiskussionsorgie“
Geschäft, Leben, Freiheit, Würde – schweres Geschütz gegen seuchenpolitische Vorsicht
Eins kann man der Merkel-Regierung nicht vorwerfen: Sie würde ihren Shutdown und ihre Vorsicht bei seiner Lockerung nicht rechtfertigen. Damit eröffnet die Regierung selbst – wie das bei Rechtfertigungen nun einmal so ist – die Diskussion über die Berechtigung der Fortdauer ihrer seuchenmedizinisch begründeten Einschränkungen. Die Regierung kriegt die Debatte, die sie lieber vermieden hätte; und zwar exakt an ihren Vorgaben entlang…
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/oeffnungsdiskussionsorgie
Lesetipp: Theo Wentzke: Pandemie und Ökonomie
„Hauptsache zahlungsfähig“
Wer oder was ist systemrelevant? Bleibende Lehren aus der Coronakrise (jw, 31.07.20)
Auf einmal waren gar nicht, wie vor zwölf Jahren, die großen Banken »systemrelevant« – »too big to fail«, so dass sie mit Milliardenhilfen vom Staat gerettet werden mussten –, sondern die vielen kleinen Leute, die in der Sondersituation der Pandemie und des staatlich verfügten Shutdown als unentbehrliche Dienstkräfte entdeckt wurden: Krankenschwestern und Supermarktkassiererinnen, Müllmänner und Postboten bekamen das Etikett »systemrelevant« angeheftet wie einen Orden, so als wäre dies das denkbar größte Kompliment. Sie bekamen Applaus vom in Quarantäne verbannten Publikum; Politiker verstiegen sich zu der Idee einer ein paar Hunderter schweren Anerkennungsprämie für überlastete Pflegekräfte: ein Anfall von Dankbarkeit quer durch die von Infektionsgefahr und staatlicher Seuchenbekämpfung irritierte Gesellschaft.
Von Dauer war der nicht. Und in ihren praktischen Maßnahmen hat die Staatsgewalt sich sowieso nicht auf moralische Abwege begeben. Mit einem Billionenprogramm zur Sicherung der marktwirtschaftlich unbedingt erforderlichen Liquidität hat sie sich nach der Notwendigkeit gerichtet, die ihr freiheitliches System tatsächlich beherrscht. Und im einzelnen hat sie das Kriterium der Systemrelevanz sehr sachgerecht ausbuchstabiert… (Forts.)
https://www.jungewelt.de/artikel/383269.pandemie-und-%C3%B6konomie-hauptsache-zahlungsf%C3%A4hig.html
GSP-Serie Pandemie XIII
Der Fleischskandal
Die seuchenbedingte Neuauflage eines alten Skandals …
… und was aus ihm wird [Gliederung des Artikels]:
1. Eine Herausforderung für die Sachwalter der Volksgesundheit
2. Eine Glanzstunde für die Betreuer des gesunden Volksempfindens
3. Eine Lerneinheit über die Logik von Sozialpolitik
4. Eine Runde Muh im Kuhstall
5. Klassengesellschaftlicher Alltag eben
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/fleischskandal
Gerade erschienen ist ein neuer Artikel des GSP, der die „Sehnsucht“ nach „Normalität“ aufspießt – quasi als die heite angesagte aktuelle Form von Affirmation – der Ausbeutungsverhältnisse …
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/sehnsucht-normalitaet
Gerade erschienen ist ein neuer Artikel des GSP, der die „Sehnsucht“ nach „Normalität“ aufspießt – quasi als die heute angesagte aktuelle Form von Affirmation – der Ausbeutungsverhältnisse …
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/sehnsucht-normalitaet