Home > (1) MG + GSP > Renate Dillmann zu „Aufbau des Sozialismus“

Renate Dillmann zu „Aufbau des Sozialismus“

1. September 2017

Auch lesenswert folgende Ausführungen von Renate Dillmann auf ihrer Webseite:
Ist ein Aufbau des Sozialismus auch in Ländern ohne entwickelte Produktivkräfte möglich?
(und wäre er im Fall der Volksrepublik China möglich gewesen?)
Die skeptische Überlegung dazu lautet:
”Solange ein gesellschaftlicher Mangel herrscht, gäbe es zwar mit staatlicher Gewalt die Möglichkeit, diesen Mangel zu verallgemeinern (alle haben wenig), eine ökonomische Entwicklung kommt so allerdings nicht zustande.
Dazu braucht es schon erst ´mal die Konzentration des spärlichen Reichtums in relativ wenigen Händen (z.B. Männer und Frauen, die von der anstrengenden Feldarbeit befreit sind, um sich z.B. einem wissenschaftlichen Studium widmen zu können und insgesamt bessere Lebensbedingungen haben).
Das heißt letztlich nichts anderes als eine Klassengesellschaft mit Privilegierten einerseits und ärmeren Menschen andererseits. Um dieses gesellschaftliche Verhältnis der sich in einer auf materiellen Mangel begründeten Gesellschaft mehr oder weniger zwangsläufig herausbildenden Klassen tatsächlich aufheben zu können, braucht es nunmal entwickelte Produktivkräfte, die es ermöglichen, genügend Wohlstand für alle Menschen zu schaffen.”
Zu dieser Passage einige kritische Anmerkungen:
Zunächst sollte man m.E. unterscheiden.
• Wenn eine sozialistische Gesellschaft Lehrer und Wissenschaftler, die am technischen Fortschritt tüfteln sollen, von der normalen Arbeit freistellt und mit Lebensmitteln versorgt, mag das ein vergleichsweiser Vorteil gegenüber dem hart körperlich arbeitenden Rest der Bevölkerung sein. Das aber ist nicht gleichzusetzen mit der Einrichtung von Privilegien – im Gegenteil: die Bevorzugung ist nicht auf dauerhafte Besserstellung angelegt; sie dient ja umgekehrt gerade der Überwindung dieser als mangelhaft begriffenen Situation.
Privilegien wiederum sind nicht identisch mit dem, was der Begriff „Klassengesellschaft” sagen will, sondern sind sozusagen die bürgerliche Fassung davon: Sonderrechte, Bevorzugung gegen ein allgemeines Gleichheitsideal. Der Begriff Klassengesellschaft dagegen behauptet, dass es sich um eine Gesellschaft handelt, in der der Nutzen der einen Klasse der Ausbeutung der anderen entspringt und die Interessen der Klassen in einem unüberwindbaren Gegensatz stehen (was man von den Interessen der für einen sozialistischen Aufbau forschenden Wissenschaftler nicht sagen kann).
Insofern finde ich es auch falsch, jede Besserstellung von Funktionären, jeden Vorteil, den sich irgendwer in den realsozialistischen Gesellschaften verschaffen konnte, gleich als „Wiederauferstehung der Klassengesellschaft” zu titulieren. Das trifft den Zweck dieser sozialistischen Projekte als Ganzes nicht: Die realsozialistischen Ökonomien bestanden nicht darin, einer neuen, anderen Klasse zu Reichtum zu verhelfen, sondern einen unter staatlicher Leitung planmäßig produzierten Reichtum volksfreundlich zu verwenden. Dieser Zweck führt mit all den Implikationen, die ihn ihm stecken (Stichworte: geplante Wertproduktion mit ihren Widersprüchen, Ansprüche der sozialistischen Staatsführung an den Aufbau der Ökonomie im Wettbewerb mit anderen Nationen) zu den bekannten Resultaten einer sozialistischen Mangelwirtschaft mit viel Arbeit und wenig Ertrag für die Produzenten und ist darin kritikabel. Es trifft aber auch nicht die in diesen Gesellschaften aufkommende „kleine Korruption”, bei der die Machtstellung innerhalb der Partei/des Staats zur Aneignung von Reichtum ausgenutzt wird – was verglichen mit den demokratischen Marktwirtschaften, deren Zweck im privaten Reichtum besteht, eine ziemlich poplige und zudem immer skandalträchtige Angelegenheit ist und bleibt.
Einmal anders überlegt: Jede kommunistische Bewegung/Partei mit dem Programm „genügend Wohlstand für alle Menschen zu schaffen” hätte in der mangelhaften Industrialisierung Chinas oder eines anderen ähnlichen Landes extrem schwierige Bedingungen vorgefunden. Ein Teil ihrer Maßnahmen hätte also in der Tat zwangsläufig zunächst darin bestehen müssen, den vorgefundenen Mangel zu verwalten – damit auch: den Menschen Funktionen in der Arbeitsorganisation und Zugangsberechtigung zum Konsum zuzuweisen. Allgemein gesagt: Eine solche nicht industrialisierte Gesellschaft zu entwickeln, ist ohne staatliche Gewalt, ohne Herrschaft nicht denkbar, und zwar auch dann nicht, wenn diese das Ziel verfolgt, allen Mitgliedern der Gesellschaft möglichst schnell zu einem annehmlichen Leben zu verhelfen, und dieses Ziel planmäßig angegangen wird.
Eine Bewegung, die dieses Ziel in einem nicht-industrialisierten Land verfolgen will, wäre insofern eine Art „Entwicklungsdiktatur”. Was wären deren Aufgaben? Sie müsste den Menschen klar machen, dass ihre Kooperation selbst eine Produktivkraft ist, so dass – zumal auf dem Land – bereits das Zusammenlegen der Kräfte und vorhandenen bescheidenen Mittel die Ergebnisse für alle verbessert. Sie müsste Wert darauf legen, dass die Abgaben, die die Bauern weiterhin zu leisten haben, für sie selbst erkennbar nützlich sind, weil mit ihnen der Aufbau von Gesundheitswesen, Schulen, Hochschulen finanziert wird. Mittelfristig müssten sich die Früchte dieser Zeit, die von viel Arbeit und langsamem Fortschritt gekennzeichnet ist, zeigen in einem deutlichen Zuwachs an materiellen Mitteln, die den ländlichen Produzenten ihre Arbeit erleichtern und ihre Resultate vervielfachen (dadurch, dass es Staudämme, Straßen und Maschinen für die Landarbeit gibt, wissenschaftlich verbessertes Saatgut, die Anleitung der neu ausgebildeten Agraringenieure, Lehrer, Mediziner usw.) Für die kommunistische Herrschaft wäre das eine keinesfalls einfache Gratwanderung von praktischem Zwang (gegenüber denen, die diesem Programm feindselig gegenüberstehen, weil sie am bäuerlichen Klein- oder Großeigentum festhalten) und gedanklicher Überzeugungsarbeit.
So wäre in etwa die Politik einer kommunistischen Partei in einem nicht-industrialisierten Land, das keine nennenswerte Hilfe von außen zu erwarten hat, angelegt. Dabei spielen selbstverständlich weitere Bedingungen des Landes – seine Größe, seine natürlichen Voraussetzungen, der körperliche und geistige Zustand der Bevölkerung usw. – eine Rolle, weshalb diese Überlegungen notwendigerweise grob und abstrakt sind.
Insgesamt kommt es ganz und gar darauf an, ob die kommunistische Führung ihrerseits klar vor Augen hat und im Laufe der ersten nachrevolutionären Phase auch daran festhält, dass diese Organisation einer Übergangsgesellschaft mit der Beseitigung des materiellen Mangels den Zweck hat, diese Herrschaftsfunktionen, sprich: sich selbst als hervorgehobenen und damit auch privilegierten Teil der Gesellschaft überflüssig zu machen. Daran zeigt sich, ob das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung wirklich darin aufgeht, die Menschen mit möglichst wenig anstrengender Arbeit materiell zu versorgen, so dass sie ein angenehmes Leben führen können. Oder ob es sich – von Beginn an oder inzwischen – bei der Entwicklung der Gesellschaft um die In-Wert-Setzung der Bevölkerung für ein übergeordnetes Ziel handelt, etwa den Aufstieg der eigenen im Wettstreit der Nationen. Wenn das zum Zweck der kommunistischen Entwicklungsdiktatur wird, hat die Partei irgendwann auch kein Problem mehr mit ihrer Rolle als immerfort nötiger „Vorhut”; stattdessen verlangt sie von ihren Massen Dankbarkeit und Einsatzfreude und sieht es als ganz und gar gerechtfertigt an, wenn sich die eigenen Kader ihren anstrengenden Dienst mit kleinen Sonderrechten vergelten.
In dem angesprochenen Streitgespräch ging es mir vor allem darum, die sog. „Etappentheorie” zurückzuweisen. Darin wird behauptet, dass es die historische Phase des Kapitalismus braucht, um die Produktivkräfte eines Landes zu entwickeln, auf deren Basis der Sozialismus dann seine paradiesische Wirkung entfalten kann. Diesem Argument liegt eine Verwechslung zugrunde: Aus der Tatsache, dass die kapitalistischen Unternehmen für ihre Konkurrenz um Vermehrung ihres Eigentums die technische Entwicklung in einer bis dahin unbekannten Art und Weise vorangetrieben und eingesetzt haben, folgt nämlich nicht, dass es ohne kapitalistisches Verwertungsinteresse keine schnelle Industrialisierung geben könnte. Wieso sollte das so sein? Wieso sollte ein sozialistisches Land keine nützlichen Maschinen konstruieren und bauen können? Wieso sollte es dabei nicht die aus der kapitalistischen Verwendung der Technik folgenden negativen Wirkungen auf Arbeiter und Natur vermeiden? Und wieso sollten ausgerechnet Leute, die sich klar gemacht haben, was die Härten der „ursprünglichen Akkumulation” bei der Entstehung kapitalistischer Gesellschaften beinhalten – systematische Verarmung einer Landbevölkerung, die darüber in den elenden Status eines Industrieproletariats gezwungen wird bei gleichzeitiger Bildung großer Geldvermögen, die auf Vermehrung sinnen –, der Meinung sein, dass nur das Erleiden eines solchen „Prozesses” am Ende die Maschinen hervorbringen könnte, die ein sozialistischer Planer gerne einsetzen will? Die Behauptung, die notwendige Vorbedingung einer sozialistischen Gesellschaft sei ihre technische Entwicklung durch eine kapitalistische Phase halte ich insofern nicht für stimmig.
Vorgebracht wird dieses Argument übrigens meistens da, wo bestimmte strategische/taktische Entscheidungen kommunistischer Parteien legitimiert werden sollen: Angesichts dieser und jener Ausgangsbedingungen sei nichts anderes möglich (gewesen) als …
Allein im Falle Chinas gibt es mehrere Beispiele für die Verwendung dieses Arguments:
• Die Hilferufe der chinesischen Kommunistischen Partei an die Führung der jungen Sowjetunion wurden mit dem Argument, im feudalen China stehe jetzt keine sozialistische, sondern eine bürgerliche Revolution auf der Tagesordnung der Weltgeschichte, abschlägig beschieden und die chinesischen Kommunisten wurden zur Bildung einer Volksfront mit der Guomindang-Partei aufgefordert (vgl. S. 49 ff).
• Deng Xiaoping hat mit dem Argument, zunächst müssten die Produktivkräfte der Volksrepublik entwickelt werden, die Einführung kapitalistischer Produktionsmethoden begründet (vgl. S. 145 ff) und bis heute legitimiert die chinesische KP so die sozialen Härten ihrer Politik: Als leider unvermeidliche Kollateralschäden bei der Entwicklung der Vorbedingungen für eine wahrhaft sozialistische Nation, die es aber erst in ferner Zukunft geben könne (vgl. S. 327 ff).
In diesen Beispielen wird deutlich, dass die vorgefundenen Bedingungen ins Feld geführt werden, um Entscheidungen zu rechtfertigen und gegen jede kritische Nachfrage zu immunisieren. Erstens werden die Bedingungen dafür im Blick auf die spätere Entscheidung entsprechend gedeutet. Zweitens lässt sich aus einer Summe von Bedingungen logisch niemals zwingend der Inhalt des Umgangs mit ihnen erschließen, schließlich sind es nur die Bedingungen für etwas (anderes).
In unseren Beispielen sind es praktisch eben Zwecke der KP-Führungen (die außenpolitischen Interessen der jungen Sowjetunion, der Anspruch der chinesischen KP an die Entwicklung ihres Sozialismus als Mittel eines nationalen Wiederaufstiegs), die die Bedingungen des Landes auf sich bezogen und daraus ihre Entscheidungen abgeleitet haben. Vorgetragen aber haben diese die Entscheidungen als innere Sachnotwendigkeiten, die kein anderes Vorgehen erlaubt hätten.

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. Krim
    3. September 2017, 12:24 | #1

    “ Allgemein gesagt: Eine solche nicht industrialisierte Gesellschaft zu entwickeln, ist ohne staatliche Gewalt, ohne Herrschaft nicht denkbar, und zwar auch dann nicht, wenn diese das Ziel verfolgt, allen Mitgliedern der Gesellschaft möglichst schnell zu einem annehmlichen Leben zu verhelfen, und dieses Ziel planmäßig angegangen wird.“

    Das ist natürlich falsch. Für die Entwicklung einer nicht industrialisierten Gesellschaft ist nur dann Gewalt erforderlich, wenn sie gegen den Willen der Gesellschaft durchgesetzt werden soll. Es ist durchaus denkbar, eine Entwicklung in einem Maß vorwärts zu treiben der die Gesellschaftsmitglieder nicht durch zu große Opfer überfordert. Bloß wenn die Gesellschaft auf Teufel komm raus entwickelt werden soll. um z.B. in der Nationenkonkurrenz zu bestehen bzw. sich Vorteile zu verschaffen, dann geht das notwendig irgendwann gegen den Willen der Bevölkerung und zwar dann, wenn diese in die Armut gedrückt wird und nicht mehr genug zum Leben hat.

  2. Michael Hübner
    3. September 2017, 13:12 | #2

    Hallo Krim,
    wirklich gefällt mir die Vorstellung von Renate Dillmann, daß es selbst nach einem Umsturz erstmal weiterhin eine Staatsgewalt braucht, auch nicht.
    (Zumal Sie auf Ihrer – sowieso weitgehend „toten“ – Webseite eine bereits seit Jahren gestellte Frage eines Lesers bzw. Leserin, daß sie mit der von ihr als solche bezeichneten „Entwicklungs-Diktatur“, in der die Leute erstmal mit einer Mischung aus Gewalt bzw. Zwang und Agitation auf den „richtigen Weg“ gebracht werden müssen, anscheinend davon ausgeht, daß eine Minderheit gegen den Willen einer Mehrheit die Macht ergreift, bis heute nicht beantwortet hat.)
    Allerdings halte ich es für unwahrscheinlich, daß gleich alle SozialistInnen bzw. KommunistInnen sein wollen und das am Besten noch im Rahmen einer Weltrevolution.
    (Dann bräuchte es tatsächlich keinen Staat mehr.)
    Zumindest bislang war es so (siehe z.B. das damalige Russland), daß vereinzelt Parteien an die Macht kamen, die relativ schnell sowohl mit einer inneren und vor allem auch äußeren Gegner- bzw. Feindschaft konfrontiert waren.
    Deshalb denke ich, daß es ganz ohne einen Staat die erste Zeit wahrscheinlich kaum geht.
    Die Frage ist allerdings, wie dieser Staat beschaffen sein soll.
    Eine erneute Diktatur (egal, wie diese sich nicht nennt), in der „die Partei – die zugleich auch noch der Staat ist – immer Recht hat“, braucht es jedenfalls nicht noch einmal.
    Grüße
    Michael Hübner
    PS: Ich habe übrigens den Begriff „Diktatur des Proletariats“ absichtlich nicht verwendet, da ich diesen für einen Unsinn und auch Widerspruch in sich selbst halte.
    Falls tatsächlich das „Proletariat“ (d.h. die meisten Lohnabhängigen und weitgehend Eigentumslosen, die zumindest in einer kapitalistisch entwickelten Gesellschaft die absolute Mehrheit sind) die Macht ergriffen hätte – wie sich das damals z.B. Marx und Engels vorstellten – zu was braucht es dann noch eine Diktatur?
    Eine Diktatur braucht es nur dann, wenn eine Minderheit der Mehrheit ihren Willen aufzwingen möchte.

  3. 17. September 2017, 16:42 | #3

    Ein Kommentar von Facebook:
    Dass Renate Dillmann die bürgerliche Formel vom Mangel verwendet, überrascht mich doch um einiges. Einen Mangel kann man sich gegenüber theoretisch Möglichem immer als Differenz denken. Eine bäuerliche Produktion ergibt halt das Niveau an Lebensqualität, das sie eben leisten kann, beim jeweiligen Stand der Produktivkräfte. Wesentliches Defizit dieser Produktivkräfte ist aber immer das Maß an Sicherheit rsp.Unsicherheit der Lebensqualität, d.h. die Abhängigkeit von wechselnden Naturumständen und persönlicher Gesundheit. Diese Sorte „Mangel“ wird für alle Zeiten Anlass für Bemühungen zu deren Behebung geben.
    Die Verwechslung von Arbeitsteilung mit Privileg ist ein sehr platter Fehler. Ich vermute, da spukt noch die frühe Marx-Formel zur Trennung von Kopf- und Handarbeit herum, die am Verständnis von Ausbeutung glatt vorbei geht. Die sollte man weglegen.
    Eine auf Ausbeutung beruhende „Gesellschaft“ beinhaltet immer schon eine Struktur der Akkumulation von Reichtum für die Zwecke der praktischen Ausbeutung. Das sind einerseits die Herrschaftsintrumente, andererseits des materielle Privileg, also z.B. Waffentechnik, Tempel und Prunkschlösser. Die dafür nötige Abschöpfung von Ergebnissen menschlicher Arbeit ist zunächst purer Abzug und erreicht i.d.R. die Grenze der reproduktiven Belastbarkeit der Ausgebeuteten. Diese Struktur der Akkumulation muss man natürlich beim Übergang zur ausbeutungsfreien Gesellschaft grundsätzlich beibehalten und den Einsatz der akkumulierten Mittel umlenken für Zwecke des schönen und sicheren Lebens für alle und dessen schrittweise Verbesserung.
    Und genau das muss man den Leuten schon erklären. Man muss ihnen auch erklären, dass wenn z.B. die Bauern keine Abgaben mehr abführen, alle Menschen in den Städten in Monatsfrist verhungern. Ohne das Verständnis dieser Erklärung geht es nicht. So ein Übergang ist eben kein automatisch ablaufender Prozess, sondern ein gewollter, zielgerichtet betriebener. Dass diese nun gemeinnützige Zwecksetzung tatsächlich stattfindet, muss man transparent und prüfbar machen. Die gedankliche Teilnahme ist bei einem willentlichen Akt der Startpunkt einer Subjektwerdung und daher essenziell. Das ist dann keine ökonomische Frage, sondern eine der Entwicklung einer, ich nenn’s mal kollektiven Intelligenz. Die muss man als Struktur installieren. Nur damit ist die schrittweise Auflösung der Übergangsdiktatur zu leisten.
    Aber zurück zur Armut. Ich erinnere mich an Berichte aus Vietnam nach dem Ende des Krieges. Westliche Ökonomieanalytiker bestaunten ungläubig den Weltarmutsbericht, in dem Vietnam als dollarmäßig ärmstes Land der Welt, zugleich aber als einziges Drittweltland ohne nennenswertes Hungerproblem ausgewiesen war, obwohl viele Strukturen zertört und die neue Ehren-Administration aus Generälen organisatorisch ziemlich überfordert war. Allein der andere Umgang mit Privateigentum aber, in dem Fall Grund und Boden, hat offenbar den Leuten die Möglichkeit gegeben, ihre basale Subsistenz zu organisieren, wenn auch sicher marktmäßig. Man denke an das Elend in Slums von Megastädten, in denen ja nicht einfach „die Armen“ wohnen, sondern ehemals vom Land (oft durch Verschuldung) Vertriebene, wo sie vorher ein bescheidenes Auskommen hatten.
    Es ist also gar nicht so, dass man aus einer minderproduktiven Ökonomie in eine Zwangsverwaltung von „Mangel“ übergeht, sondern nur den Zweck der Akkumulation ändert. Allein schon der Wegfall der zweckfremden Willkür beim Umgang mit den Lebensressourcen beschert vielen Menschen fundamentale Existenzsicherheit.
    Es mag kitschig klingen, aber zusätzlich ist es auch erst mal notwendig, diese Zweckänderung glaubhaft zu machen und augenscheinlich, dass man nicht mehr für den Luxus Weniger und die Mittel der eigenen Repression arbeitet. Das ist nur emotional gestisch, aber die nötige Einladung in die gedankliche Beteiligung.
    Die mindere Produktivität ist das kleinere Problem gegenüber fehlender Bereitschaft und Fähigkeit zu subjekthafter gedanklicher Teilhabe.

  4. Krim
    17. September 2017, 19:53 | #4

    „Diese Struktur der Akkumulation muss man natürlich beim Übergang zur ausbeutungsfreien Gesellschaft grundsätzlich beibehalten und den Einsatz der akkumulierten Mittel umlenken für Zwecke des schönen und sicheren Lebens für alle und dessen schrittweise Verbesserung.“ Ja genau. Wie die Sozialisten. Erst ausbeuten, dann wieder verteilen, denn ohne Ausbeutung könnte man ja nichts verteilen, dann hätten die Leute ihr Produkt ja gleich. Das geht natürlich nicht.
    „die Bauern keine Abgaben mehr abführen, alle Menschen in den Städten in Monatsfrist verhungern.“ Genau. Weil die Leute auch Abgaben fressen. Als würden die Bauern ihr Produkt im Kapitalismus nicht abgeben.
    „Das ist dann keine ökonomische Frage, sondern eine der Entwicklung einer, ich nenn’s mal kollektiven Intelligenz.“ Und mit der ist es gemessen am Facebookler nicht allzuweit her. Da zahlen die Bauern noch Abgaben in Geld, die dann offenbar an die notleidende Stadtbevölkerung verteilt werden (von unter 2% der Beschäftigten) damit diese sich ihr Brot und ihre Nudeln kaufen können.
    „sondern nur den Zweck der Akkumulation ändert.“ Was soll denn da auf gut kommunistisch Akkumulieren, angehäuft werden. Konsumtionmittel die niemand konsumieren darf, weil sie dann ja weg und nicht akkumuliert sind?
    „Allein schon der Wegfall der zweckfremden Willkür beim Umgang mit den Lebensressourcen beschert vielen Menschen fundamentale Existenzsicherheit.“ Ein bisschen mehr sollte eben schon raus springen im Kommunismus als fundamentale Existenzsicherheit.
    „Die mindere Produktivität ist das kleinere Problem gegenüber fehlender Bereitschaft und Fähigkeit zu subjekthafter gedanklicher Teilhabe.“ Wie großzügig. Wenn man selbst nicht mit der fundamentalen Existenzsicherheit leben muss, dann ist die mindere Produktivität natürlich das geringere Problem und man darf sich dafür geistig subjekthaft mit der basalen Subsistenz rumschlagen.

  5. 17. September 2017, 21:01 | #5

    Renate Dillmann schreibt zum Thema Arbeitsteilung/Privilegien/Klassenstrukturen:
    „• Wenn eine sozialistische Gesellschaft Lehrer und Wissenschaftler, die am technischen Fortschritt tüfteln sollen, von der normalen Arbeit freistellt und mit Lebensmitteln versorgt, mag das ein vergleichsweiser Vorteil gegenüber dem hart körperlich arbeitenden Rest der Bevölkerung sein. Das aber ist nicht gleichzusetzen mit der Einrichtung von Privilegien – im Gegenteil: die Bevorzugung ist nicht auf dauerhafte Besserstellung angelegt; sie dient ja umgekehrt gerade der Überwindung dieser als mangelhaft begriffenen Situation.
    • Privilegien wiederum sind nicht identisch mit dem, was der Begriff „Klassengesellschaft” sagen will, sondern sind sozusagen die bürgerliche Fassung davon: Sonderrechte, Bevorzugung gegen ein allgemeines Gleichheitsideal. Der Begriff Klassengesellschaft dagegen behauptet, dass es sich um eine Gesellschaft handelt, in der der Nutzen der einen Klasse der Ausbeutung der anderen entspringt und die Interessen der Klassen in einem unüberwindbaren Gegensatz stehen (was man von den Interessen der für einen sozialistischen Aufbau forschenden Wissenschaftler nicht sagen kann).“
    Schon bei ihr kann man sehen, daß das eine unschuldige provisorisch Vorläufige natürlich sich auch verfestigen kann und sich dann und dadurch sein Charakter verändert: Wenn es eben dauerhaft wird, wenn es immer nur die einen sind, die hart arbeiten (müssen) und die paar Wenigen, die sich davon befreien können. Wenn nur noch die Ideologie der „Überwindung“ übrig bleibt, die Strukturen aber in Wirklichkeit perpetuiert werden.
    Ob die „Sonderrechte“ wirklich nicht der Ausbeutung der Massen entspringen, kann man auch so ohne Weiteres nicht sagen, denn natürlich leben all die Bürokraten, Lehrer und Soldaten faktisch immer von dem, was die Bauern und Arbeiter herstellen. Wann sind solche Interessengegensätze nun „unüberwindbar“?
    auf jeden Fall kann ich in den zitierten Ausführungen erst mal keine „Verwechslung von Arbeitsteilung mit Privileg“ erkennen, diesen „Fehler“ sehe ich zumindest hier nicht.
    Auch dein zweiter Punkt ist erst mal These:
    „Eine auf Ausbeutung beruhende „Gesellschaft“ beinhaltet immer schon eine Struktur der Akkumulation von Reichtum für die Zwecke der praktischen Ausbeutung. Das sind einerseits die Herrschaftsintrumente, andererseits des materielle Privileg, also z.B. Waffentechnik, Tempel und Prunkschlösser.“
    Daß es „Herrschaftsinstrumente“, also z.B. ein stehendes Heer und eine Polizei gibt, einen dazu gehörigen Haufen von Waffen ist erst mal „nur“ Ausdruck massiver Interessengegensätze in der beherrschten Gesellschaft bzw. massiver Gegnerschaft im Ausland. Daraus gleich auf eine KLassengesellschaft zu schließen, halte ich für verfrüht. Bei den „Tempeln“ und Prunkschlössern“ ist es schon schwieriger: Sind die neuen Kultur“paläste“ oder Sportstadien Ausdruck, daß nun endlich normale Menschen Kultur- und Sportveranstaltungen besuchen können oder gleich Zeichen der Herrschaft einer neuen Elite?

  6. Krim
    17. September 2017, 22:21 | #6

    „Ob die „Sonderrechte“ wirklich nicht der Ausbeutung der Massen entspringen, kann man auch so ohne Weiteres nicht sagen, denn natürlich leben all die Bürokraten, Lehrer und Soldaten faktisch immer von dem, was die Bauern und Arbeiter herstellen.“ Und die Arbeiter leben auch von dem was die Bauern herstellen und Bauern schicken ihre Kids in die Schule und haben auch Autos, Tabletts, Smartphones, TV, Pc’s leben in Häusern usw.
    „auf jeden Fall kann ich in den zitierten Ausführungen erst mal keine „Verwechslung von Arbeitsteilung mit Privileg“ erkennen, diesen „Fehler“ sehe ich zumindest hier nicht.“ Ich auch nicht.
    „Bei den „Tempeln“ und Prunkschlössern“ ist es schon schwieriger:“ Der Typ spinnt. Wer will denn Prunkschlösser für wen bauen? Dem geht es doch nur darum zu rechtfertigen, dass weiter Ausbeutung sein soll. Das ist ein Troll, der so tut als wär er irgendwie links, um die Linken schlecht zu machen.

  7. 18. September 2017, 01:52 | #7

    Von Facebook:
    Ach, Krim. Aus der gestischen Haltung Deiner Kommentare ist ziemlich genau abzulesen, warum Du keine Silbe verstanden hast. Damit wirst Du nicht gut vorankommen.
    Mal ganz simpel ein Baustein:
    Arbeiter in der Stadt müssen essen. Sie stellen aber kein Gramm Futter her. Also muss das Essen vom Bauern zum Arbeiter. Es muss – sonst Arbeiter tot.
    Gleiches gilt für Ingenieure, Logistiker, Künstler, Eisenbahner, Wasserwerker, Ärzte etc. pp..
    Das muss man den Bauern so sagen und wenn sie’s verstehen, geben sie Futter.
    Alternativ kann man sie auch dazu zwingen oder sie zu Eigentümern machen und es ihnen abkaufen.
    Ersteres ist nicht unbedingt das Vorhaben, zweites braucht Sachen, die sie sich dann kaufen können.
    War aber eigentlich auch nicht der Plan.
    Also verstehen. Einzige Möglichkeit. Die arbeitsteilige Produktion als ganzes verstehen.
    Man kann aber nur verstehen, was auch vorhanden ist. Im Übergangsmoment ists eben nur teilweise oder gar nicht vorhanden.
    Das – Problem. Verständnis noch nicht da. Das zu Verstehende noch nicht da.
    Vielleicht liest Du besser noch mal und siehst, worüber ich rede.

  8. Krim
    18. September 2017, 10:04 | #8

    Ach der Herr Hübner – kein Wunder.
    „Arbeiter in der Stadt müssen essen. Sie stellen aber kein Gramm Futter her. Also muss das Essen vom Bauern zum Arbeiter.“ Und was hat das mit Akkumulation zu tun? Oder mit Abgaben (Steuern)? Oder sind die produzierten Lebensmittel gemeint? Die geben doch auch im Kapitalismus 100% oder 99% ihres Produkts ab. Wo ist das Problem? Ja, ja sie kriegen kein Geld. Dafür kriegen sie andere Konsumtionsmittel. Der Bauer ist heutzutage entweder Kapitalist oder er ist Lohnarbeiter, Mischformen gibt es auch. Aber er sortiert sich in beide Klassen. Und man soll sich mal nicht täuschen, einem Kapitalisten wird man selten davon überzeugen, dass der Kapitalismus nicht gut für ihn ist.
    „Im Übergangsmoment ists eben nur teilweise oder gar nicht vorhanden.“ Woher Weißt du das denn? Deutschland heute ist nicht Russland vor 100 Jahren! Sogar Deutschland vor hundert Jahren war nicht Russland vor hundert Jahren!
    Und was soll der Käse mit der Ausbeutung, die man beibehalten muss?
    „Vielleicht liest Du besser noch mal und siehst, worüber ich rede.“ Du weißt doch selbst nicht worüber du redest. Weniger reden und mehr studieren, würde dir ganz gut tun.

  9. 18. September 2017, 10:10 | #9

    Nein Krim, das kam nicht von „Michael Hübner“. Der spamt jetzt nur noch Contradictio voll.
    Ich denke eher, daß dahinter entweder die bei vielen Linken verbreitete Auffassung steht, daß es in der Sowjetunion auch eine Klassengesellschaft gegeben hat, oder der Vorwurf an die Bolschewiki, die Nöte des Aufbaus nicht hinreichend an die Bauern rangetragen zu haben.

  10. Krim
    18. September 2017, 10:44 | #10

    Der Autor scheint mich zu kennen „ach Krim“ [Neo: Weil ich deinen Kommentar hier mit Namen bei Facebook gespiegelt hatte] und auch sonst passt es ganz gut. Ist auch egal, die Argumente habe ich gesagt.
    „Die dafür nötige Abschöpfung von Ergebnissen menschlicher Arbeit ist zunächst purer Abzug und erreicht i.d.R. die Grenze der reproduktiven Belastbarkeit der Ausgebeuteten. Diese Struktur der Akkumulation muss man natürlich beim Übergang zur ausbeutungsfreien Gesellschaft grundsätzlich beibehalten“
    Bei solchen Auffassungen frage ich mich halt, was das für ein „Kommunist“ oder „Sozialist“ sein will.
    Auch die Angeberei mit dem „frühen Marx“ kann ich nicht leiden. „Ich bin ein Kenner des Marxschen Werkes, weil den frühen Marx vom Spätwerk des Denkers unterscheiden kann“.

  11. Mattis
    18. September 2017, 16:09 | #11

    „Das muss man den Bauern so sagen und wenn sie’s verstehen, geben sie Futter.“

    Das ist natürlich billig zu behaupten. Als wenn die Bauern diesen Zusammenhang nicht gewusst hätten.
    Da hätte auch noch so viel Wiederholung dieser Binsenwahrheit durch die Bolschewiki nichts geändert (haben sie übrigens zig-mal gemacht ohne Erfolg).
    Wenn jemand auf eigener Scholle besteht und auf Marktbeziehungen nach eigenen Vorstellungen, dann hilft das eben nicht.
    Das macht eine Lösung aus dem Dilemma ja so schwer.
    Nicht nur damals.

Kommentare sind geschlossen