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Stichwort: Lügenpresse

21. Januar 2015

Mit einiger Genugtuung melden die Sender, Zeitungen und Magazine des Landes, dass das Wort „Lügenpresse“ von einer Jury zum „Unwort des Jahres 2014“ gewählt wurde. Die Formulierung gilt damit ab sofort als geächtet. Sie sei ein Un-Wort, ein Wort also, das am besten gar nicht mehr benutzt werden soll. Wer künftig – aus welchen Gründen und mit welchen Argumenten auch immer – die Meinungsbildner im öffentlich-rechtlichen Auftrag oder im privaten Gewinninteresse von Medien-Mogulen der Lüge, also der absichtsvollen Verfälschung der Wirklichkeit bezichtigt, stellt sich damit selbst ins Abseits. Und zwar, ob er will oder nicht, in’s rechtsextreme, denn „das Schlagwort habe schon den Nationalsozialisten zur Diffamierung unabhängiger Medien gedient“ (aus der Begründung). Erlaubt ist folglich nur „differenzierte“ Kritik, die in Auswahl, Darstellung und Deutung der Medieninhalte im schlimmsten Fall Versäumnisse, Einseitigkeiten und unbeabsichtigte Fehler entdecken kann. Germanistische Sprachpolizei und Pressezunft konstruieren damit Hand in Hand einen neuen Maulkorb für grundsätzlichere Kritik.
Sie werden es wohl nötig finden am Ende des Jahres 2014. Beispiele? Putin als „Brandstifter“, Völkermord in Gaza als „Verteidigung Israels“, Putsch und Krieg in der Ukraine als „Regierungswechsel“ und „russische Expansion“, drei Millionen Arbeitslose und ein immer weiter ausufernden Niedriglohnsektor als „deutsches Jobwunder“, der GdL-Streik als „Erpressung“, „Machtgier“ und „Größenwahn“ usw. usf. – von der ganz banalen Desinformation über die beflissen staatskonstruktive Deutung der Welt bis hin zur offenen Kriegshetze nach außen und innen haben die Leitmedien alles im Programm.
Pressefreiheit – das ist offenbar die Freiheit der Presse, zu schreiben, was sie im Interesse der deutschen Regierungs- und Wirtschaftselite für nötig hält. Nun hat das im Jahr 2014 nicht so reibungslos geklappt wie bisher. Das Unwort „Lügenpresse“ gibt es ja gerade deshalb, weil eine gewisse Entzweiung zwischen den professionellen Meinungsmachern und einem Teil ihrer Adressaten nicht zu übersehen ist – siehe allein die Flut von Leserkommentaren und Blog-Debatten zu den oben zitierten Fällen. Die Reaktion der Presse darauf ist allerdings bemerkenswert. Die Unzufriedenheit mit ihrer Berichterstattung löst weder eine Untersuchung aus, die Druckerzeugnisse und Sendungen auf ihren Wahrheitsgehalt, ihre Richtigkeit bzw. ihre Intention und Parteilichkeit prüft. Noch kommt offenbar eine Auseinandersetzung mit Inhalt und Gründen der (meist nationalistisch motivierten) Unzufriedenheit, die auf der Straße und vor den Bildschirmen geäußert wird, in Frage. Stattdessen werden die Kritiker bezichtigt, einen Anschlag auf die Pressefreiheit zu verüben, und in die Nazi-Ecke gestellt – damit will man dem Volk seine groben Sprüche abgewöhnen.
So bestehen Tagesschau, Bild und FAZ nicht nur auf ihrem Recht, über Inhalt, Auswahl und Darstellung von „relevanten“ Nachrichten und vor allem über deren Beurteilung zu entscheiden. Vielmehr verlangt die Lügenpresse dafür auch noch die aufrichtige Anerkennung des deutschen Publikums.
[Artikel von Renate Dillmann, zuerst erschienen in trend -onlinezeitung]

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. earendil
    22. Januar 2015, 18:14 | #1

    Die „Lügenpresse“-Schreier kommen aber nunmal zum allergrößten Teil aus der Nazi- oder wenigstens rechtskonservativen Ecke, und das Wort hat tatsächlich eine im Wesentlichen „rechte“ Geschichte. Klar ist es für Medienvertreter einfach zu naheliegend, nun Medienkritik jeglicher Art, insbesondere grundsätzliche, über einen Kamm zu scheren und damit eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Kritik bequem zu vermeiden. Gleichzeitig sollte man sich aber klarmachen, dass es weit verbreitete Anfeindungen gegen die Medien gibt, die mit vernünftiger Kritik absolut nichts zu tun haben und die ihren Ausdruck neuerdings im Kampfruf „Lügenpresse“ gefunden haben. Was diese „Kritiker“ an den Medien bemängeln, ist letztlich nur, dass sie ihre eigenen Ressentiments dort nicht genügend verbreitet sehen. Ansonsten greifen sie dankbar jede echte Presselüge auf, wenn sie nur ihre Vorurteile bestätigt (Beispiel 1, Beispiel 2).
    Und gerade wenn es um Medienkritik geht, sollte man vielleicht nicht mit Bullshit wie „Völkermord in Gaza“ um sich werfen und damit „absichtsvolle Verfälschung der Wirklichkeit“ betreiben…

  2. Paco
  3. Karl
    25. Januar 2015, 15:27 | #3

    @earendil

    „Was diese „Kritiker“ an den Medien bemängeln, ist letztlich nur, dass sie ihre eigenen Ressentiments dort nicht genügend verbreitet sehen.“

    Naja, dass die Pegida-Leute entgegen ihrem Ansinnen in der Presse schlecht wegkommen, ist für die der Hinweis, dass ein falsches Bild von ihnen gezeichnet wird. Die wollen auf ihre nationalen Missstände aufmerksam machen und dann wird ihnen mitgeteilt, dass sie einem unerwünschten Nationalismus zusortiert werden. Das halten die für einen gezielten Irrtum, weil sie ja mit ihrem Titel „Islamisierung“ eine alternative Stimme ohne den bösen Nazi-Stempel sein wollen. Deswegen ist der idealistische Vorwurf „Lügenpresse“ auch mehr als bloß ein Beleidigtsein über mangelnde Würdigung …

  4. stankovic
    27. Januar 2015, 22:07 | #4

    Man höre nur auf das, was die Kritiker der Lügenpresse der Lüge entgegenzuhalten haben: vom autoritätsgeilen Putinverehrer über verschwörungstheoretische Spinner, die sich von der Luft aus gesprühten Gift ausgesetzt wähnen, bis hin zum beinharten Nazi hat jeder seine Sprüchlein. Das Fräulein Dillmann macht sich lächerlich, wenn sie lediglich grobe Sprüche des Volkes in die Nazi-Ecke gestellt sieht. Einen Nazi wird man ja noch Nazi nennen dürfen?! Oder? Letztendlich ist es immer noch so, dass aus Volkes Maul nichts grob genug sein kann, als das Politik und Lügenpresse nicht doch noch die Worte eines besorgten Bürgers zu vernehmen glauben. Es müssen schon Hakenkreuze zu sehen sein, um einen Nazi zu identifizieren. Bei allem knapp drunter wird die Dillmann nicht in Streit treten müssen mit denjenigen, die sie zu kritisieren glaubt.

  5. stankovic
    27. Januar 2015, 22:15 | #5

    Die Zeiten scheinen vorbei zu sein, wo ein polemischer Verriss dessen, was das Volk zum Besten gibt, zu erwarten gewesen wäre von Leuten, die in der MG zur Schule gingen. Stattdessen stellt sich eine Trulla hin und sieht die Nazikeule ausgepackt. Alles für’n Arsch! 🙁

  6. streitpjoter
    27. Januar 2015, 23:51 | #6

    Es ist eine Sache die Urteile der Pegida über die Presse und was diese famose Bewegung sonst noch zu vermelden hat zu beurteilen. Da wäre zum Beispiel zu vermelden, dass diese Bewegung eine Auffasung eint und auf die Straße bringt: Nämlich jedes geschädigte Interesse in diesem Land, von der Rentnerin, der die Rente nicht reicht, zu den Studienräten, die ihre genderisierte Berufsbezeichnung nicht aushalten. hat einen Grund, dem Volk wird sein Recht auf eine Regierung vorenthalten, die ausschließlich ihm dient, und das zeigt sich in der für Pegidabewegte unerträglichen Privilegierung von Ausländern. Da wären die die Übergänge zu kritisieren, die diese enttäuschten Nationalisten vollziehen, um von ihrem geschädigten Interesse weg zu dem Anspruch auf eine exklusive Herrschaft zu gelangen, die der gute Patriot an der Drangsalierung von Ausländern erkennt und damit bedient sieht.
    Und es ist eine andere Sache als Einheitsfront der deutschen Meinungsbildner einen unerwünschtes Urteil über die eigenen Leistungen zu stigmatisieren. Zu Mehr an Kritik an der Pegida hat es die deutsche Öffentlichekeit nicht gebracht. Eine Äußerung verbieten wird sich wohl noch von ihrer Kritik unterscheiden lassen.
    Wieso macht man sich mit Faschisten gemein, die ihre sicher verkehrten Gründe haben, warum sie der Presse nicht glauben wollen, wenn man darauf hinweist, dass Lügen = gewusste Unwahrheiten über alle aktuellen Affären, das tägliche Informationsangebot und den täglichen Reim, der den Bürgern dazu als Meinung geboten wird, ausmachen?
    Womöglich hat die Abstinenz in Sachen Kritik an dem Äußerungen der Pegida – deren Ersatz durch Ausgrenzung und Verbot bestimmter Vokabeln – ja auch mit der weitgehenden Übereinstimmung der Auffassungen von Politik und Öffentlichkeit mit den Maßstäben der Pegida zu tun? Oder warum findet ausgerechnet der Pegidaprotestler ein Verständnis seiner Sorgen und Ängste, die er angeblich jeden Montag auf die Straße trägt? (Lokführer sind schon für viel weniger Verkehrschaos zu Terroristen erklärt worden, ihr Anführer zum Abschuss frei gegeben worden.) Haben die Omas, die Ausländer raus denken und brüllen Angst oder müssen sich vielleicht Ausländer vor diesem Mob, in dem diese Omos mitbrüllen, fürchten? Politiker haben jedenfalls viel Verständnis mit diesem Mob, wenn er sich wieder von ihnen und der ihm geneigten Öffentlichkeit einseifen lässt und nicht von Pegida, Legida oder AFD-Führern. Und zuletzt aus wessen Zettelkasten hat die demokratische Presse eigentlich das Verbot von Begriffen geklaut?
    PS: Was ist das eigentlich für ein Bedarf: Polemischer Verriss, der Äußerungen des Volks? – Wenn erklärt wird, welchen verkehrten Interessen auf den Leim gegangen werden soll, wie schädlich solche Interessen für das eigene Interesse sind, dann ist das Aufklärung und nicht sich Verächtlichmachen über das Volk. Solchen elitären Quatsch sollte man Intellektuellen überlassen, die sich so ihren Elitestatus selbstgefälligst bestätigen.
    streitpjoter

  7. stankovic
    27. Januar 2015, 23:59 | #7

    Ach, lass das mal lieber, mehr als billige Polemik kommt doch eh nicht raus. Ja, früher hat man die Deppen nicht in Schutz nehmen wollen davor, in die vermeintlich falsche Ecke gestellt zu werden – schon gar nicht, wenn’s noch nicht einmal getan wurde. Mehr als die ewig gleichen Sätze aus dem Baukasten für angehende Vulgär-GSP-Flachzangen ist doch von dir nicht zu hören.

  8. Paco
    28. Januar 2015, 06:24 | #8

    „Es ist eine Sache, die Urteile der Pegida über die Presse und was diese famose Bewegung sonst noch zu vermelden hat, zu beurteilen. (…)
    Und es ist eine andere Sache als Einheitsfront der deutschen Meinungsbildner einen unerwünschtes Urteil über die eigenen Leistungen zu stigmatisieren.“ (streitpjoter)
    Danke für die – nüchterne – Differenzierung!
    (Mein ‚Prost‘ bezog sich gar nicht auf Streitpjoter,
    der ist nämlich wohl erst heute Morgen freigeschaltet worden.)

  9. Alfonsito
    14. Februar 2015, 13:20 | #9

    „Die Kritik an der Berichterstattung von ARD bis FAZ ist zumeist nationalistisch und falsch. Allerdings sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ächtung des Begriffs “Lügenpresse” keine Kritik falscher Vorwürfe ist, sondern eine miese Tour, jede Kritik an den professionellen Meinungsmachern dieses Landes als faschistisch zu diskreditieren. (…) So kommt die die Kritik am Un-Wort der “Lügenpresse” aus, ohne zu Behaupten, die Presse würde nicht lügen. Das Wort alleine soll Tabu sein, weil man sich zur Presse zu bekennen hat oder als Faschist zu zählen ist.“
    aus: KEINOrt. #3 Lügenpresse (13.02.2015) http://keinort.de/?p=740

  10. Paquito
    30. November 2015, 10:05 | #10

    Übrigens – schade, dass Karl und mattis anscheinend nicht mehr hier schreiben.
    Zur „Lügenpresse“ gab es diesen Nachschlag:
    http://www.nachdenkseiten.de/?p=28997

  11. 30. November 2015, 10:27 | #11

    Da kann ich nur hinzufügen, daß mittlerweile nicht nur hier sondern „überall“ keiner mehr was postet. Höchstens noch bei Facebook in der Rubrik „Liebhaber aus dem Kontext gerissener Zitate“ und die gleichen paar Leute wie hier findet man auch noch bei Nestor. Selbst die zum Teil heftigen Streitereien bei lower class magazin sind verebbt.

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