Home > (1) MG + GSP, (2) Trotzkismus, (3) Fundstellen > Lenins Völkergefängnis oder: die nationalistische Kritik des sowjetischen “Nationalismus” (rhizom)

Lenins Völkergefängnis oder: die nationalistische Kritik des sowjetischen “Nationalismus” (rhizom)

20. März 2014

Antinationalistische Stimmen sind dieser Tage nicht nur in der Ukraine Mangelware. Antinationalistische Stimmen sind dieser Tage nicht nur in der Ukraine Mangelware. Linker Nationalismus hier und rechter Nationalismus dort sind allgegenwärtig (und antirussischer Nationalismus in Deutschland natürlich sowieso). Da freut es mich immer, wenn ich das eine oder andere Gegenwort finden kann. Hier die Replik vom blogger rhizom gegen die Softtrotzkisten/Linksparteiler von marx21:

Liebe Jenossen von marx21, man kann nicht, wie ihr, einerseits vorgeben, den Nationalismus überwinden zu wollen, und andererseits die transnationalen Gebilde früherer Zeit, einschließlich der poststalinistischen Sowjetunion, mit Lenin als “Völker-Gefängnisse” denunzieren.
Heißt ja nicht, dass es in der SU, und zwar auch und gerade unter Lenin, keine kolonialen Praktiken seitens des russischen und ukrainischen Zentrums gegenüber den (vor allem wegen ihrer “homosexuellen” Praktiken) als “unzivilisiert” konstruierten muslimischen Sowjetrepubliken gab (während der Islam aber zunächst besser und nicht schlechter behandelt wurde als die russisch-orthodoxe Kirche). Trotzdem ist die Naturalisierung der im 19. Jahrhundert entstandenen Konstrukte von Volk und Nation, die ihr mit eurer Kritik am “stalinistischen Völkergefängnis” betreibt, eben genau der Ausdruck des Nationalismus, den ihr in eurem Teaser gleichzeitig zu kritisieren beansprucht. Eine ukrainische Identität etwa, wie sie sich heute im Bandera-Faschismus Bahn bricht, hat es vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überhaupt nicht gegeben.
Und es ist auch überhaupt kein Fortschritt, wenn sich transnationale Reiche mit der Idee der bürgerlichen Demokratie in ethnische Nationalzoos verwandeln. Nein, es ist eine unaufhörliche Schlächterei, weil man mit dem Auseinanderdividieren der einzelnen Völkerschaften nie zum Ende, nie zu jenem von den Nationalismen erstrebten Zustand kultureller Reinheit kommt. Die Auflösung der Sowjetunion ist deshalb ein Desaster und nicht die Befreiung aus dem “Völkergefängnis”, für die ihr sie haltet.

Netterweise hat Felix dort gleich auf einen alten MSZ-Artikel zum Thema hingewiesen:
„Realer Sozialismus und Nationalismus:
UNTERDRÜCKTE ODER WAHRE, MISSBRAUCHTE ODER EDELSTE VATERLANDSLIEBE“

  1. Felix
    20. März 2014, 12:46 | #1

    Wer sich angesichts der jüngsten Entwicklungen der Weltpolitik für die Geschichte und die Verlausformen der Selbstauflösung des Realen Sozialismus in seinem Systemgegensatz zum westlichen Imperialismus, sowie zeitgenössischer kommunistischer Kritik daran interessiert, der wird im MSZ-Onlinearchiv sicherlich fündig, z.B. hier: Realer Sozialismus.

  2. Jacko
    25. November 2015, 07:55 | #2

    Noch aktueller als bei Felix erwähnt,
    ist dieser Mitschnitt vom Sommer 2015 zum Thema
    http://www.contradictio.de/blog/archives/7089

Kommentare sind geschlossen