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Peter Decker zum Wunsch nach Rückkehr zur „Normalität“

27. Oktober 2011

Peter Decker hat bei der Nürnberger Veranstaltung des GegenStandpunkt zur Finanzkrise am 20.10.2011 zum Schluß hin auch ein paar kritische Ausführungen gemacht zur Sehnsucht so vieler Antikrisenaktivisten, daß doch die Normalität wieder einkehren möge, wieder hergestellt werden möge:

„Menschen demonstrieren, in allen Hauptstädten Europas, beklagen sich, empören sich, drücken ihre Enttäuschung aus – ernstlich genommen, ernst gesprochen, ohne Kritik, ohne Häme – drücken ihr Entsetzen darüber aus, dass es bei ihnen so zugeht. Das hätten sie ihrem Gemeinwesen nicht zugetraut. Das hätten sie sich nicht gedacht, dass es hier so zugeht.
Die Leute denken, manche sagen ja auch ausdrücklich: „Wir hatten eine Chance und jetzt wird sie uns genommen!“ Sie denken also an die Normalität des Kapitalismus und beklagen die Krise im Namen der Normalität. Und das ist ein Jammer, dass die Leute immer bloß in der schlimmsten Krise das Meckern anfangen und dann nichts anderes dagegen zu setzen wissen, als daß doch gestern Alles ganz normal gelaufen ist. Sie wollen einfach nicht zur Kenntnis nehmen, oder nicht ernst nehmen, oder nicht gelten lassen, dass es genau die Normalität von gestern war, die all die Gründe und Mechanismen enthält, die periodisch halt zu Krisen, schlimmeren und nicht so schlimmen, jetzt ganz schlimmen führt.
Wenn man nichts anderes im Kopf hat als den Wunsch, „Kann man denn nicht zur Normalität zurückkehren? Warum kann man es eigentlich nicht haben sie gestern?“ Dann muss man eigentlich den Leuten zweierlei sagen: Erstens, um genau das bemühen sich die Regierungen. Und es zeigt sich, so leicht ist das gar nicht mehr zu haben. Wenn erst einmal diese Symbiose von Finanzkapital und Staatsmacht zerbrochen ist, dann gibt es für den Staat keinen Königsweg, keine zuverlässige Schrittfolge, wie das wiederherzustellen ist.
Es gäbe eine Wiederherstellung, das wäre die Streichung all der Titel, die sich als Kapital nicht bewähren. Aber das wäre eben die Enteignung des Volkes, die Enteignung des Staates, die Enteignung der Wirtschaft, dann wäre alles im Arsch. Dann irgendwann würden die Geldbesitzer schon wieder sagen, jetzt traue ich mich wieder auf etwas zu setzen. Jetzt gebe ich wieder Kredit. Aber mit der großen Kreditlast, die jetzt auf allem liegt, mit der Pflicht, zu verwerten und zu verzinsen, wo die Quellen nicht zu sehen sind, aus denen das kommen soll, ist die Rückkehr zur Normalität zur normalen Kooperation und zur wechselseitigen Befruchtung von Staatsmacht und Finanzkapital, ist die nicht zu haben.
Also: wer nichts anderes will als die Rückkehr zur Normalität, muss einfach Geduld haben. Genug Verarmung, genug Schrumpfung des Staates, der sich – das ist ein anderer Ausdruck für die Überschuldung von Staaten – als zu teuer für den Kapitalismus erweist, den er verwaltet (wenn die Staatsschulden im Verhältnis zum Nationalprodukt immer mehr steigen, ist ein anderer Ausdruck zu sagen, der Staat ist zu teuer für den Kapitalismus). Also: Weg damit! Weniger davon! Soziale Abteilungen einschränken, Innovationsabteilungen einschränken, usw. usw. Wenn genug geschrumpft ist, dann geht es schon wieder los.
Aber das drückt ja auch den Wahnsinn aus: die Sehnsucht, zur Normalität zurückzukehren, (was soll ich da jetzt bloß sagen,) da muss man abwarten können. Man muss für einen Teil seiner Lebenszeit sich auf zunehmende Verelendung einrichten, und dann, irgendwann, ganz weit unten, dann geht es schon wieder von vorn los mit dem Zirkus.
Wann übrigens, das ist vielleicht auch noch wichtig zu sehen, das wieder von vorne losgeht, das ist einzig und allein eine Entscheidung der Finanzinvestoren. Wenn die sagen, da kann man drauf setzen, wenn die sagen, da stecke ich mein Geld rein, die Schulden kaufe ich, denen traue ich etwas zu. Das kann schnell gehen, das kann aber auch Jahrzehnte dauern. Es ist wirklich nur deren Entscheidung, ob sie das ganze Leben der Nation als für sich lohnend finden. Dann investieren sie wieder. Vorläufig versuchen sie Ihr Vermögen herauszuziehen aus all den Finanzanlagen, die sie für bedenklich halten.
Mit dieser Perspektive sollte klar sein, dass die Vorstellung, „wir leiden daran, dass der Profit überbetont wird“, meilenweit hinter dem zurückbleibt, was man sagen muss. Die Leute leiden nicht an einem zu hohen Gewicht des Profits, sondern daran, dass er Alles bestimmt, Alles. „

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. 29. Oktober 2011, 18:26 | #1

    Beim Surfen zum Thema Rückkehr zur Normalität bin ich auf einen Artikel der trotzkistischen IBT gestoßen, der vor einem Jahr unter dem Titel „Capitalist Meltdown“ erschienen ist.
    der gleich so anfängt:

    „Global capitalism is currently in the grip of the most severe economic contraction since the Great Depression of the 1930s. The ultimate depth and duration of the downturn remain to be seen, but there are many indicators that point to a lengthy period of massive unemployment in the imperialist camp and a steep fall in living standards in the so-called developing countries.
    The bourgeois press is relentless in seizing on even the smallest signs of possible “recovery” to reassure consumers and investors that better days are just around the corner. This paternalistic “optimism” recalls similar prognostications following the 1929 Wall Street crash: “Depression has reached or passed its bottom, [Assistant Secretary of Commerce Julius] Klein told the Detroit Board of Commerce, although ‘we may bump along’ for a while in returning to higher trade levels” (New York Times, 19 March 1931). The next month, in a major speech approved by President Herbert Hoover, Klein’s boss, Secretary of Commerce Robert P. Lamont, reiterated this upbeat projection:
    “Declaring that after such industrial cataclysm, time and the slow working of economic readjustments were necessary before the world could return to economic health and vigor, Mr. Lamont said that there could be no doubt that many of these necessary readjustments had been and are being made and that business even now was responding sluggishly to the stimulus of these needed changes. He added that whatever were the causes of our present difficulties, the corrective influences now had been at work for many months.”
    —New York Times, 30 April 1931
    But Hoover’s stimulus failed to produce the anticipated “corrective influences” and the depression dragged on for years, turning the 1930s into a lost decade of unthinkable hardship for tens of millions of ordinary working people.
    Today, parallels with the 1930s are becoming increasingly obvious“

  2. dazu
    30. Dezember 2014, 07:24 | #2

    Den neuen Europa-Artikel des GSP gibt es auch online
    http://www.gegenstandpunkt.com/gs/2014/4/gs20144047h1.html

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