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Fülberth in konkret: Nach der Neuen Marx-Lektüre

26. September 2011

Georg Fülberth, den man grob gesprochen sicher dem von Michael Heinrich als „Arbeiterbewegungs- und Weltanschauungsmarxismus“ gescholtenen Milieu zuordnen kann, hat in der Nummer 10-2011 der Zeitschrift konkret einen Artikel zur „Neuen Marx-Lektüre“ veröffentlicht und fragt sich und uns Leser: „Der Weltlauf bringt mit sich, daß wieder vermehrt Karl Marx gelesen wird. Doch wie? Und zu welchem Ende?“ Er gibt dabei aber erstaunlich wenig Antworten auf die ja sehr wohl wichtigen Fragen.

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  1. Samson
    26. September 2011, 21:48 | #1

    Wieso lässt sich der Fülberth „grob gesprochen sicher dem als „Arbeiterbewegungs- und Weltanschauungsmarxismus“ gescholtenen Milieu zuordnen“? Weil der schon in der DKP war, als die noch nicht dermaßen von Trotzkisten dominiert war wie jetzt oder weil der nebenbei den historischen Materialismus erwähnt?
    Die Frage, die er aufwirft, beantwortet er ja auch. Ob es die Frage ist, die dir oder mir oder weiß-der-Geier-wem wichtig erscheint, stellt sich im Rahmen eines Konkret-Artikels womöglich gar nicht.

  2. 27. September 2011, 07:10 | #2

    Dazu die Diskussion, die es bei Facebook gegeben hat (ja, sowas kommt da auch ab und zu vor):
    Es fing an mit einem Verriß von Ingo Stützle:
    „Mit derartigem Blödsinn über die neue #Marx-Lektüre tut sich das @konkretmagazin keinen Gefallen“
    Ich hab dann gefragt: „Könntest du für die geneigte Leserschaft deinem „Blödsinn!!“ noch ein paar inhaltliche Ausführungen anhängen?“
    Daraufhin gab es dann einige Antworten (erstmal nicht von Ingo):
    B.R.:““Es begann mit Louis Althusser, der in Marx’ Kritik der politischen Ökonomie keinen Bezug zu einer gesellschaftlichen Praxis mehr sah, sondern die Beschreibung einer kaum veränderbaren Struktur.“
    Bei all meinen wohlgepflegten Vorbehalten gegenüber der Neuen Marx-Lektüre, aber nach diesem Satz habe ich eigentlich keine Lust mehr, weiterzulesen.“
    A.D.:“Es ist eben die Frage, ob Facebook für Derartiges überhaupt ein geeignetes Medium ist. Aber einen kleinen Versuch mag ich doch machen und weise zumindest auf diese fragwürdige Stelle hin: „Sinnvoller wäre es wohl, das Kapital würde immer mehr von Menschen gelesen, die ihren Lebensunterhalt mit praktischen, auf jeden Fall nicht gesellschaftswissenschaftlichen Tätigkeiten verdienen müssen und herausfinden wollen, woher das, was ihnen dabei passiert, kommt.“ —- Jetzt ist man also schon dort angekommen, bestimmten gesellschaftlichen Gruppen von einer Auseinandersetzung mit dem Kapital abzuraten, weil sie ja (und der Autor des Textes scheint es ganz genau zu wissen) das Kapital nicht im Sinne des Autors rezipieren. Dabei unterstellt der Autor eine Homogenität dieser Gruppe und ebenso ein homogenes Verhalten der Gruppe gegenüber der Materie. Zudem unterstellt er, dass die von ihm kritisierte Lesart gar kein Interesse daran hat, herauszufinden, woher irgendwas kommt und warum etwas so und nicht anders ist. Ziemlich viele Unterstellungen, wenn man mit dem Anspruch rangeht, etwas herauszufinden bzw. festzustellen.“
    Neoprene:“Ich persönlich würde nicht so weit gehen wollen wie du und sogar eher Fülberth verteidigen: Auch wenn es wahrlich kein Verbrechen ist, wenn „Gesellschatswissenschaftler“ gegen den ihnen vorgegebenen Strich wirklich herausfinden wollen, warum das Alles passiert, letzlich wird es vor allem die anderen erfassen müssen, denen es passiert, denn nur die haben wirklich die (im übertragenenen wie zum Teil noch tatsächlichen Sinn) die Schraubenschlüssel in den Händen, die sie ins Getriebe schmeissen könnten.“
    B.R.:“Oh, da bin ich aber froh, dass „es“ (der Kapitalismus?) mir als „Gesellschaftswissenschaftler“ nicht „passiert“. Muss mich nun aber entschuldigen, lasse mich wieder von meinen Sänftenträgern die Wendeltreppe des Elfenbeinturms rauftragen, lege den Hermelin ab, warte auf den wöchentlichen Goldbeutel des Markgrafen und starre die nächsten paar Stunden auf den Tisch um herauszufinden, was er ist.“
    Neoprene:“Das ist ein Mißverständnis Bop: Zumindest ich halte das Leben eines durchschnittlichen „Gesellschaftswissenschaftlers“ beileibe nicht für außerweltlich, oder über die Massen priviligiert. Zum Teil gehören die ja eher zu den Working Poor. Ich wollte nur betonen, daß es letztlich die Menschen erreichen muß, die für die Reichtumsproduktion zentral sind: Fabrikarbeiter, Transportarbeiter, Infrastrukturarbeiter, so in der Art. Ein Fluglotsenstreik z.B. bewegt mehr als ein Seminarboykott von Studies der Altphilologie.“
    L.:“und die arbeitslosen? finde ich schräg, dass du dich da so auf die in beschäftigung stehenden proletarier konzentierst – zumal: in ordentlichen arbeiterjobs beschäftigten.“
    Neoprene:“Daß man auch die Arbeitslosen einbeziehen muß in Klassenkämpfe ergibt sich schon aus der Notwendigkeit Streikbrechereien zu verhindern. Aber zentral ist eben, erst mal die Streiks hinzukriegen. Und dafür braucht man die, die jeweils für die Reichtumsproduktion zentral sind. In den USA haben vor ein paar Jahren bei GM die Arbeiter eines einzigen Werkes richtig Druck machen können, weil von ihren Zuliferungen (ich glaube, es waren Achsen) der ganze Konzern abhing. In den USA haben deshalb z.B. die U-Bahnarbeiter in New York so eine strategische Stellung, weil die Manhattan als Finanzzentrum Nr. 1 der Welt lahmlegen könnten. Ob das dann Vollzeitler, Subunternehmler oder sonstwas sind, das ist dann wirklich egal.“
    Zum Schluß hat sich auch Ingo gemeldet:“ Ich hatte ja geschrieben, dass sie die konkret keinen Gefallen tut. Das habe ich im Hinblick auf das jüngere Publikum der konkret formuliert, die bei Fülberths Text den Kopf schütteln werden. In aller Kürze und ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
    – Wer die neue Literatur kennt, merkt dem Text an, dass er sie nicht ersthaft zur Kenntnis nimmt
    – Dann ist der Text in sich widersrüchlich: Einerseits wird auf denjenigen rumgehakt, die den Status der „Wertformanalyse“ hervorgehoben haben, gleichzeitig findet er, dass der Fetisch etwas ist, was für heute wichtig ist. Zweites Bsp.: Einerseits wäre die Kritik an der Geschichtsphilosophie richtig, gleichzeitig scheint er daran festzuhalten, um die Zentralität des Proletariats zu begründen.
    – Dann (das hat mich auch bei seiner Einführung etwas geärgert): ProletarierInnen sollen das Kapital lesen können. Gleichzeitig legt er den Text so an, dass es schwer fällt nachzuvollziehen, auf welche Debatten und Argumente ers ich bezieht. Er setzt viel voraus (Stichwort: Transformationsproblem!)
    – Völlig unklares Verhältnis von Empirie und Theorie, wobei die scheinbare handfeste Praxis und Realität und die „Anschauung“ als Verständnishilfe für Theorie herhalten muss
    – Ungenau ist der Text: Arbeiterbewegungsmarxismus ist ein Begriff von Robert Kurz, den Heinrich nicht verwendet. Er verwendet Weltanschauungsmarxismus, aber nicht, um zu polemisieren, wie Fülberth nahelegt, sondern im Anschluss an Lenins Selbstcharakterisierung des Marxismus als „einheitliche Weltanschauung“ – was er kritisiert und das mit gutem Grund.“

  3. Nestor
    27. September 2011, 09:26 | #3

    Verreißen wir doch den Fülberth-Text einmal an seinen eigenen Zitaten:

    „Wolfgang Fritz Haug warf Michael Heinrich vor, er habe Das Kapital gleichsam entkernt, indem er es von der Geschichte der Kämpfe trennte.“

    Spricht nicht für Haug. Es sind ja nicht „Kämpfe“ der „Kern“ des Kapitals, sie sind auch nicht das Thema. Es war von vornherein verkehrt, das „Kapital“ als „Kampfschrift“ zu begreifen, aus einem verkehrten Bedürfnis nach Praxis! Wo ist die Praxis?!
    Das „Kapital“ ist die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise, nicht mehr, aber vor allem nicht weniger.

    „In der Bundesrepublik begriff Hans-Georg Backhaus die Wertformanalyse der ersten drei Kapitel des ersten Bandes des Kapital als die Essenz des ganzen Werks, die aber … im folgenden vernachlässigt worden sei.“

    Man würde gern wissen, was an der Wertformanalyse denn so „essentiell“ sein soll, erfährt es aber in diesem Artikel nicht.

    „Gemeinsam ist diesen Bemühungen die Trennung von Kapital und Arbeiterbewegung.“

    Da wird sich um die „Trennung“ von etwas bemüht, was gar nicht zusammengehört. Siehe erstes Zitat. Gegenüber den herkömmlichen Marx-Anhängern, die das „Kapital“ zu einer Art Bibel der Arbeiterbewegung verfabeln, wäre einzuwenden, daß die meisten der Arbeiterführer wie Bebel, W. Liebknecht, Adler usw. es wahrscheinlich gar nicht gelesen haben.

    „Bereits ein Jahr vorher war ein Buch erschienen, das … als Durchbruch begriffen wurde: Laws of Chaos von Emmanuel Farjoun und Moshe Machover. Sie stellten fest, daß der Ansatz des ersten Bandes des Kapital empirisch wie theoretisch tragfähig ist.“

    Das ist jetzt ein besonderer Schmarrn. Die beiden Figuren stellen offenbar fest, daß die Wirklichkeit auch vorkommt in der Theorie! Während Marx sich den Hintern wundgesessen hat im British Library, um an die Empirie heranzukommen, an der er seine Theorie entwickelt, tun die beiden hochgelobten Autoren anscheinend so, als hätt er sich seine Theorie aus den Fingern gesogen und bescheinigen ihm gönnerhaft, daß Wirklichkeit auch in Spurenelementen in dem Buch vorzufinden ist.
    Dieses verkehrte – Kant’sche – Trennung zwischen Theorie und Empirie bzw. Praxis zieht sich durch den gesamten Fülberth-Aufsatz und wird sozusagen als Grundvoraussetzung des Denkens eingeführt, die es zu „überwinden“ gilt.

    „All dies bedeutet keine platte Apologie, eine Kritik bleibt: Marx hätte den Umweg über die Durchschnittsprofitrate im dritten Band des Kapital nicht nehmen müssen, die reine Arbeitswertlehre des ersten reicht aus. Eine Beschränkung auf die Wertformanalyse des ersten hätte allerdings nicht genügt.“

    Man fragt sich, wofür?

    „Wer Marx’ ökonomisches Werk weiterhin als Angebot nutzen will, Struktur und Bewegungsgesetze des Kapitalismus zu begreifen, wird dabei ohne einen Blick in die Zeitung nicht auskommen.“

    Nein, wirklich? Wer hätte das gedacht!
    Die Aufforderung, sich mit der Wirklichkeit zu beschäftigen, die jedem denkenden Menschen ein Anliegen sein sollte, wird hier mit großer Umständlichkeit als echte Herausforderung für wahre Marxisten präsentiert. Auf, Leute, springt über euren Schatten und schaut einmal nach, was in der Welt los ist, damit ihr das „Kapital“ – ja, was eigentlich? so richtig würdigen oder genießen könnt?

    „Haben wir sie (die Wirklichkeit) zur Kenntnis genommen, ist auch Das Kapital verändert“

    Verändert gegenüber was?
    Und das ist jetzt wirklich Blödsinn der Sonderklasse:

    „Einige Stellen erscheinen stumpf und tot, andere scharf und aktuell. Es ist ein plastischer Text, der je nach Tagesform und Generation Höhen und Tiefen hat.“

    Aber es kommt noch besser:

    „Unter diesem Aspekt (der Umwelt) ist der Kapitalismus die Steigerung eines Zivilisationstyps, der älter ist als er selbst.“

    Es ist ja gar nicht der Kapitalismus, sondern offenbar die Natur des Menschen, wo der Fehler liegt!
    Und da muß natürlich auch Marx neu erfunden werden:

    „Ein geschichtsphilosophischer Entwurf brachte Marx aufs Proletariat. Um dessen historische Funktion zu bestimmen, kam er zur Kritik der politischen Ökonomie.“

    Das Kapital – ein Spin-Off-Produkt des Histomat und der Arbeiterbewegung, das jetzt von Fülberth und Co. sozusagen vom Misthaufen der Geschichte oder zumindest aus der Rumpelkammer gerettet und dem erstaunten Publikum vorgelegt werden kann: Wenn man etwas Empirie dazutut, ein ganz gutes Buch!
    Wie heißt es doch: Der Herr möge mich vor meinen Freunden bewahren, um meine Feinde will ich mich selbst bekümmern!

  4. 27. September 2011, 09:57 | #4

    Zum Verhältnis von „Das Kapital“ und der Arbeiterbewegung gibt es als Beleg das schöne ironische Zitat von Isaac Deutscher:

    „’Das Kapital’ sei eine zu harte Nuss, meinte Ignacy Daszynski, einer der bekanntesten sozialistischen ’Volkstribune’ um die Jahrhundertwende, er habe es deshalb nicht gelesen. Aber Karl Kautsky habe es gelesen und vom ersten Band eine populäre Zusammenfassung geschrieben. Diese habe er zwar ebenfalls nicht rezipiert, aber Kelles-Krausz, der Partei-Theoretiker, habe Kautskys Buch gelesen und es zusammengefasst. Kelles-Krausz Schrift habe er zwar auch nicht gelesen, aber der Finanzexperte der Partei, Hermann Diamand, habe sie gelesen und ihm, Daszynski, alles darüber erzählt.“

    Das wird wohl auch über manche andere Arbeiterpartei der damaligen Zeit zu sagen sein.

  5. 27. September 2011, 11:31 | #5

    Nestor, so sehr ich deinen Belegen für ein Negativ-Urteil über den Artikel von Fülberth auch zustimme, ein Punkt scheint mir aber übers Ziel hinaus geschossen zu sein:

    „Es war von vornherein verkehrt, das „Kapital“ als „Kampfschrift“ zu begreifen, aus einem verkehrten Bedürfnis nach Praxis! Wo ist die Praxis?!“

    Von hinten angefangen: Daß es keine „Praxis“ (im Sinne einer revolutionären Massenbewegung) gibt, daß weiß jeder. Das wird wohl auch was damit zu tun haben, daß die Massen auch keine Kapitalleser bzw. Versteher sind. Wenn das Kapital aber keine Kampfschrift ist, was denn dann? Oder anders formuliert: Wenn man dort beigebracht bekommt, warum diese unsere Welt so schaurig „funktioniert“ wie sie funktioniert, wenn man sich z.B. einen korrekten Begriff von Ausbeutung, vom Zweck der Akkumulation gemacht hat aufgrund der Kapitallektüre, dann sollte man doch wirklich zum Kampf gegen diese verrückten Verhältnisse aufgerufen sein. Ich zitiere hier Heinrich, der das zutreffend so gesagt hat:

    „Marx beabsichtigte mit dem „Kapital“ aber nicht nur eine Kritik bürgerlicher Wissenschaft und bürgerlichen Bewusstseins, sondern auch eine Kritik der bürgerlichen Gesellschaftsverhältnisse. In einem Brief bezeichnete er – nicht gerade bescheiden – sein Werk als „das furchtbarste Missile [Geschoss, M.H.], das den Bürgern (Grundeigentümer eingeschlossen) noch an den Kopf geschleudert worden ist“ (MEW 31, S. 541).“

    Was am Bedürfnis an revolutionärer Praxis war/ist denn nun „verkehrt“? Verkehrt ist jetzt nur die nichtrevolutionäre Praxis von attac bis Linkspartei, verkehrt sind nur die dazu gebastelten theoretischen Begründungen bzw. Rechtfertigungen.

  6. Samson
    27. September 2011, 13:17 | #6

    Verkehrt ist jetzt nur die nichtrevolutionäre Praxis von attac bis Linkspartei, verkehrt sind nur die dazu gebastelten theoretischen Begründungen bzw. Rechtfertigungen.

    Ohne jeden Zweifel, jaaaaaaaa! Aber sollen wir paar Hanseln jetzt versuchen, die Blogger-, Facebook-, etc-Gemeinde zu revolutionärer Praxis aufzuwiegeln, oder uns darüber echauffieren, was ein emeritierter Prof in einer Zeitschrift publiziert, die alles mögliche sein mag, nur eins mit Sicherheit nicht, nämlich marxistisch?
    Btw, das Kapital war keineswegs eine Kampfschrift, gleichgültig ob die damaligen Arbeiterparteiführer es gelesen hatten oder nicht. Es war viel mehr, es war die wissenschaftliche Begründung der Notwendigkeit, die Revolution zu machen. Blöd nur, dass noch niemals eine Revolution stattgefunden hat, weil deren Notwendigkeit wissenschaftlich begründet worden ist. Dazu brauchts halt ein Subjekt, also jemanden, der sich mit den vorgefundenen Verhältnissen nicht abfinden mag und daher den Willen entwickelt, diese zu ändern. Dem kann man dann begreiflich machen, was zu ändern wäre. Offenbar hatte das Proletariat des 19. Jahrhunderts wenigstens potentiell noch diesen Willen. Von Leuten, die gut bezahlte Jobs und/oder ‚gerechte‘ Tarifverträge haben wollen, wird man derlei nicht behaupten können. Folglich kann man denen mit Kapital-Lektüre, -Seminaren etc. auch nichts erklären, was sie nicht schon wüssten.
    Ganz anders verhält es sich dagegen an den Akademien, weswegen Marx dort auch eine Renaissance nach der anderen erlebt, bloß um am Ende doch wieder in den Bibliotheken zu verstauben. Der Grund, weswegen Leute in die Akademien streben, ist der, dass sie den ‚höheren‘ Schulabschluss als Billet für die ‚besseren Kreise‘ der Gesellschaft verstehen. Diese haben aber zu allen Zeiten stets von anderer Leute Arbeit gelebt, der Begriff ‚Arbeitsteilung‘ ist diesbezüglich nur eine Emphase, der den Blick auf die Realität verstellen soll. Weil das jedes Kind weis, hielt Marx eine wirkliche Revolution für notwendig, und bestreiten alle Akademiker, die Marx zusammen mit dem potentiell revolutionären Proletariat ad acta legen, dass eine tatsächlich arbeitsteilige Gesellschaft machbar wäre. Und wenn letztere auf diesen Gedanken ihre akademische Karriere oder die in der ‚freien Wirtschaft‘ gründen, halten sie i.d.R. das wirkliche Billet für die ‚Elite‘ in der Hand.

  7. 27. September 2011, 14:35 | #7

    Auch bei dir, Samson, sehe ich kein überzeugendes Argument gegen die Sichtweise aufs Kapital als Kampfschrift: Wenn du schreibst,

    „Es war viel mehr, es war die wissenschaftliche Begründung der Notwendigkeit, die Revolution zu machen.“

    dann ist das doch gar kein Gegensatz. Was sonst, außer der Mobilisierung derer, für die die Revolution in der Tat notwendig wäre, soll denn sonst der Sinn dieser Mammutarbeit gewesen sein? Und ja, der Adressat damals wie heute ist das Subjekt, das sich mit den vorgefundenen Verhältnissen nicht abfinden mag und daher den Willen entwickelt, diese zu ändern. Dieser Wille, die Verhältnisse umzustoßen ist natürlich und letzlich nur bei denen stark, die wissen (deshalb ja auch das Kapital), daß die „vorgefundenen Verhältnisse“ notwendig und systematisch so beschissen für sie sind, wie sie es sind.
    Die Leute, die das bestreiten, die ernsthaft daran glauben, es müsse doch auch so irgendwie anständigen Lohn für anständige Arbeit geben etc, die wissen gerade nicht, in welcher Lage sie objektiv sind. Denen muß man weiß gott ne Menge wirklich erst erklären. Und andersrum, weil die sich in ihrer Weltsicht nichts erklären müssen, sowas haben sie als moralisten ja schon in der Tasche, kommen die auch nicht im Traum drauf, sich der Mühe eines Kapital-Lese-und-Schulungs-Programms zu unterziehen.
    An welchen „Akademien“ erlebt denn Marx wirklich „eine Renaissance nach der anderen“? Auf welch hohem Roß sitzt denn z.B. Michael Heinrich, der einzige Renaissance-Fürst heutzutage weit und breit?

  8. Samson
    27. September 2011, 15:28 | #8

    Ich wollte gar kein Gegenargument gegen die Behauptung stricken, das Kapital sei eine Kampfschrift, sondern nur darlegen, warum es zuweilen als solche angesehen wird. Blöd ist halt nur, der Aufforderung zum Kampf kommt i.d.R. nur nach, wer nicht nach der ersten auch noch weitere Ohrfeigen haben sondern sich dagegen wehren will.
    Im Übrigen stellt sich mir wirklich die Frage, ob man die Konkret derartig aufwerten soll, indem man sich darüber aufregt, dass einer, der mit Sicherheit seinen Marx ‚intus‘ hat, darin die vermeintlich verkehrten Fragen stellt und die dann auch noch verkehrt beantwortet. Als ‚Erfinder der Kapitalistik‘ weiß der Fülberth nämlich ziemlich genau, dass das Kapital außerhalb interessierter Kreise weder als Kampfschrift noch als wissenschaftliche Begründung des Kampfes eine Bedeutung hat:
    Genau die Rücksichtslosigkeit hätte Fülberth bspw. in der Konkret aber gar nicht an den Tag legen dürfen, denn dann hätte er deren politische Ausrichtung zumindest in Frage stellen müssen, und das ausdrücklich nicht, weil dort das Proletariat als revolutionäres Subjekt sowenig eine Rolle spielt wie bei beinahe allen, die als Akademiker (inkl. des von dir geadelten Renaissance-Fürst) irgandwann mal Marx in die Finger bekommen. Strenggenommen taugt aber das Kapital aber nur als wissenschaftliche Begründung einer proletarischen Revolution. Fällt das Subjekt flach, dann wird die Wissenschaft ggf. Gegenstand mal wohlwollender, mal ablehnender Reflexionen. Die Frage ist halt ob man es sich nicht besser verkneift, die Reflexionen darauf zu überprüfen, wie wissenschaftlich die selber daherkommen, wenn man andererseits die Revolution nicht preisgeben will.

  9. Nestor
    27. September 2011, 16:51 | #9

    Das Kapital taugt halt nicht als Kampfschrift. Dafür ist es zu dick und schwierig zu verstehen.
    Die Männer der Praxis haben sich daher stets bemüht, es auf ein paar griffige Phrasen herunterzubringen, und dafür waren auch andere Schriften viel besser geeignet, wie die „Kritik des Gothaer Programms“, der „Bürgerkrieg in Frankreich“, oder das „Manifest“, das ja auch von den Autoren selber als Aufruf zur Revolution konzipiert war.
    Das Kapital zu lesen, setzt einmal ein wissenschaftliches Interesse voraus, das sich so ein Arbeiter oder Gewerkschaftsführer oft gar nicht leisten kann. Deswegen hat Most auch versucht, es in kurzen Auszügen wiederzugeben, wobei natürlich alles mögliche unter den Tisch gefallen ist.
    Also bitte, nicht glauben, wenn wer das Kapital von vorn bis hinten gelesen hat, dann brüllt man sofort: Aufstand!
    Michael Heinrich, soweit ich das mitgekriegt habe, zieht doch den genau umgekehrten Schluß aus dem Buch, das er zweifelsohne gründlich gelesen hat: Er sagt doch, daß für die im Kapitalverhältnis gefangenen Akteure das System undurchschaubar und Revolution gar nicht möglich ist.

  10. 27. September 2011, 18:44 | #10

    Soweit ich das mitgekriegt habe, argumentiert Michael Heinrich so:

    „Marx beabsichtigte mit dem „Kapital“ …nicht nur eine Kritik bürgerlicher Wissenschaft und bürgerlichen Bewusstseins, sondern auch eine Kritik der bürgerlichen Gesellschaftsverhältnisse. In einem Brief bezeichnete er – nicht gerade bescheiden – sein Werk als „das furchtbarste Missile [Geschoss, M.H.], das den Bürgern (Grundeigentümer eingeschlossen) noch an den Kopf geschleudert worden ist“ (MEW 31, S. 541).
    Dazu will Marx die mit der kapitalistischen Entwicklung notwendigerweise verbundenen menschlichen und sozialen Kosten aufzeigen. Er versucht nachzuweisen: „innerhalb des kapitalistischen Systems vollziehen sich alle Methoden zur Steigerung der Produktivkraft der Arbeit auf Kosten des individuellen Arbeiters; alle Mittel zur Entwicklung der Produktion schlagen um in Beherrschungs- und Exploitationsmittel des Produzenten.“ (MEW 23, S. 674). Oder wie er es an einer anderen Stelle formulierte:
    Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kommunikation des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (MEW 23, S. 529 f.)
    Mit diesen Aussagen ist keine moralische Kritik beabsichtigt. Marx wirft dem Kapitalismus (oder gar dem einzelnen Kapitalisten) nicht vor, irgendwelche ewigen Normen der Gerechtigkeit zu verletzen. Er will vielmehr auf die Konstatierung eines Sachverhaltes hinaus: Dem Kapitalismus immanent ist ein zutiefst destruktives Potenzial, das immer wieder von neuem aktiviert wird (vgl. unten Kapitel 5 und 9). Aufgrund seiner Funktionsweise muss der Kapitalismus immer wieder die elementaren Lebensinteressen der Arbeiter und Arbeiterinnen verletzen. Innerhalb des Kapitalismus lassen sich diese elementaren Lebensinteressen nur begrenzt und temporär schützen, grundsätzlich verändern lässt sich die Lage daher nur, wenn der Kapitalismus abgeschafft wird.
    Gegen die Zumutungen des Kapitalismus führt Marx nicht ein moralisches „Recht“ auf ein unversehrtes Leben oder etwas Ähnliches ins Feld. Stattdessen hat er die Hoffnung, dass mit der wachsenden Einsicht in die destruktive Natur des kapitalistischen Systems (die ohne jede Anrufung einer Moral konstatiert werden kann) die Arbeiterklasse den Kampf gegen dieses System aufnimmt – nicht aus Gründen der Moral, sondern des eigenen Interesses, allerdings nicht eines Interesses, das innerhalb des Kapitalismus nach einer besseren Position sucht, sondern des Interesses an einem guten und sicheren Leben, das nur jenseits des Kapitalismus zu realisieren ist.“

    auf S. 33 in „Kritik der politischen Ökonomie“

  11. 27. September 2011, 19:05 | #11

    Nochmal Michael Heinrich, diesmal zum berühmt/berüchtigten „revolutionärem Subjekt“:

    „Die Suche nach dem “revolutionären Subjekt” gibt es auch schon bei Marx, und in der Arbeiterbewegung, insofern ist dieses Thema nicht ganz neu. Mir kommen viele Debatten darüber ein wenig so vor, wie die Suche der Alchemisten nach dem “Stein der Weisen”. Dieser Stein sollte die phantastische Fähigkeit haben, die Elemente in einander umzuwandeln, letzten Endes Gold zu machen. So etwas Ähnliches scheint mir das “revolutionäre Subjekt” zu sein: man muss es nur finden und von seinen Aufgaben überzeugen, und schon sind wir auf dem Weg zur Umwandlung der Gesellschaft. Das revolutionäre Subjekt soll einerseits die Möglichkeit besitzen, die Revolution zu machen, andererseits soll dies auch seine Bestimmung sein, es soll zur Verbesserung seiner Lage gar keine andere Möglichkeit haben. Mir scheint die ganze Konstruktion ziemlich schief zu sein. Im Nachhinein kann man bei einer Revolution zwar darüber sprechen, wer das “revolutionäre Subjekt” war, von wem der Kampf um Veränderung tatsächlich ausgegangen ist, das heißt aber nicht, dass dieses Subjekt auch schon über Jahre hinweg vor der Revolution existiert hätte oder dass es eine Niederlage überdauert. Ein “revolutionäres Subjekt” ist nicht etwas bereits Konstituiertes, es konstituiert sich erst in einer revolutionären oder vorrevolutionären Situation, wer alles dazu gehört hängt von der jeweiligen Situation ab. Und nach der Revolution (egal ob sie mit einem Sieg oder einer Niederlage endet) zerfällt dieses revolutionäre Subjekt auch wieder oder transformiert sich ganz erheblich. Die Suche nach dem revolutionären Subjekt scheint mir ziemlich aussichtslos zu sein: Egal welche Gruppe man dafür im Blick hat – meistens eine, die einerseits unter dem Kapitalismus besonders leidet, andererseits aber auch noch über ein paar Handlungsmöglichkeiten verfügt – diese Gruppe hat in der Regel immer auch noch eine Alternative zur Revolution: eine wenn auch beschränkte Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Lage innerhalb des Systems. Gerade wenn es dieser Gruppe besonders schlecht geht, können bereits kleine Maßnahmen eine große Wirkung haben, so dass der Kampf für Verbesserungen keineswegs unrealistisch sein muss. Das soll nicht etwa heißen, dass es niemals einen Kampf für mehr als nur immanente Verbesserungen geben würde. Aber dass es eine gesellschaftliche Gruppe oder Klasse gibt, die quasi automatisch zur Revolution tendiert – das halte ich für eine Fiktion. „

    aus http://www.all4all.org/2006/11/2846.shtml

  12. Samson
    27. September 2011, 20:52 | #12

    Also bitte, nicht glauben, wenn wer das Kapital von vorn bis hinten gelesen hat, dann brüllt man sofort: Aufstand!

    Vermutlich ist es in der Praxis doch eher umgekehrt. Man brüllt zuerst: Aufstand!, stellt hernach fest, dass die Regierung zwar beseitigt, aber nur durch eine andere ersetzt wurde, und diese auf einer meinetwegen bestimmten historischen Entwicklungsstufe womöglich eine bloß um Nunancen von der vorangegangen verschiedene Konfiguration von Herrschaft darstellt und entwickelt daraus das wissenschaftliche Interesse daran zu klären, weshalb es sich so und nicht anders verhält.
    Wenn die Arbeiter sich aber derlei Interesse eigentlich gar nicht leisten können, braucht man sich auch nicht zu wundern, weshalb bürgerliche Intelektuelle meinten, sich zu deren ‚Vorhut‘ o.s.ä. aufschwingen zu können/müssen/sollen um nach einem Umsturz als Stellvertretung einer Arbeiterherrschaft zu fungieren, in welcher die Verwirklichung der Interessen der Arbeiter ebenso unter dem Vorbehalt der diesen übergeordneten Herrschaft stehen, wie in bislang allen Epochen.
    Andererseits, schreibt man die Arbeiter als potentielle Träger der Revolution ab, braucht man sich um Marx‘ Theorie auch nicht mehr zu kümmern.

  13. Nestor
    27. September 2011, 21:30 | #13

    Es ist allerdings ein bedeutender Unterschied, die Arbeiter nicht als potentielle Träger der Revolution abzuschreiben – also es ihnen durchaus zuzutrauen, etwas solches einmal wollen zu können – oder sie zum „revolutionären Subjekt“ zu erheben, die sozusagen eine historische Aufgabe haben.
    Weder ist es ausgeschlossen, noch ist es notwendig, daß die Arbeiterschaft mehrheitlich das Bewußtsein entwickelt, dieses System wegräumen zu wollen.
    Die Kritik am „revolutionären Subjekt“ führt leider oft zu Position I, es wird da das Kind mit dem Bad ausgeschüttet.
    Aus dem Kapital geht beides nicht hervor.

  14. 29. September 2011, 00:48 | #14

    Zwei Dinge kann man zum Proletariat schon noch sagen. 1. Haben sie das Mittel das Kapital aus den Angeln zu heben, weil sie es sind, die es produzieren und reproduzieren. Machen Sie das nicht mehr ist es aus mit dem Kapitalismus. d.h. Eine Revolution muss sich auf jeden Fall auf große Teile der Lohnabhängigen stützen. Neo würde jetzt ergänzen, es müssten Lohnabhängige in strategisch wichtigen Betrieben sein. So gesehen ist die Suche nach einem revolutionären Subjekt auch schon zu Ende. Zu wissen, wer das sein muss, der eine Revolution macht, heißt nicht, dass dieses Subjekt schon revolutionär ist oder irgendwie automatisch revolutionär wird mit der Zeit. Von den Mitteln her betrachtet, müssen es wesentliche Teile des Proletariats sein. Ansonsten ist es jeder, der der einen kommunistischen Willen entwickelt und den Kapitalismus abschaffen will. 2. Das zweite Argument ist, dass das Proletariat objektiv auch einen Grund hat, seine Ausbeutung zu beenden. Selbst sehen sie das leider ganz anders.

  15. 29. September 2011, 12:33 | #15

    Welche Klasse die Mittel hätte gegen das Kapital vorzugehen, ist im Moment aber sowieso nicht von Belang. Solche Überlegungen sind dann wichtig, wenn eine gesellschaftliche Umwälzung ansteht, aber nicht in einer Situation, in der Kommunisten eine bedrohte Spezies darstellen. Ohne revolutionären Willen gibt es auch kein revolutionäres Subjekt und dieser Wille entsteht nicht von selbst historisch notwendig, sondern durch Überzeugungsarbeit.

    „Ein “revolutionäres Subjekt” ist nicht etwas bereits Konstituiertes, es konstituiert sich erst in einer revolutionären oder vorrevolutionären Situation, wer alles dazu gehört hängt von der jeweiligen Situation ab. Und nach der Revolution (egal ob sie mit einem Sieg oder einer Niederlage endet) zerfällt dieses revolutionäre Subjekt auch wieder oder transformiert sich ganz erheblich.“

    Das kann alles oder nichts bedeuten. Wodurch kommt es denn zu einer „revolutionären oder vorrevolutionären Situation“, in der sich das revolutionionäre Subjekt konstituiert? Doch wohl durch das revolutionäre Subjekt selbst, also durch alle, die eine Revolution herbeiführen wollen. Gleichzeitig soll sich das revolutionäre Subjekt aber in dieser Situation, die es selbst herbeigeführt hat, erst konstituieren. Heinrich drückt es selbst so aus, als sei Revolution sowas wie ein historisches Phänomen. Als sei eine vorrevolutionäre Situation sowas wie ein Tiefdruckgebiet, in dem es zu Wolkenbildung und Gewitter kommt und wenn dann alles vorbei ist löst es sich wieder auf und der Himmel strahlt wieder in tiefer Bläue.
    Nach der Revolution löst sich das revolutionäre Subjekt auch nicht einfach auf. Klar, wenn der revolutionäre Wille verwirklicht ist, gibt es ihn natürlich nicht mehr als einen der Revolution will. Aber es gibt ihn noch als einen der Kommunismus will. Dieser gesellschaftliche Wille und dieses sozusagen kommunistische Subjekt gibt es natürlich immer noch.

  16. 29. September 2011, 14:29 | #16

    Ich halte es schon für wichtig, auch jetzt, wo Kommunisten nun wirklich überall kleine Häufchen sind, sich schon Gedanken darüber zu machen, wer sich gute Gründe zulegen sollte um dann zu überlegen, mit welchen Mitteln er, sie und die anderen Mitstreiter „gegen das Kapital vorgehen“ könnten. Zudem das ja eh nicht eine Alles-oder-Nichts-Sache wäre/ist, sondern ein längerer widersprüchlicher Prozeß. Insofern finde ich auch die Behauptung falsch, „Solche Überlegungen sind dann wichtig, wenn eine gesellschaftliche Umwälzung ansteht“, denn was heißt denn in diesem Zusammenhang „anstehen“? Ganz nüchtern steht eine Revolution dann an, wenn es Revolutionäre gibt, die sie machen wollen und es hinreichend viele sind, daß sie sich auch Chancen auf einen Sieg ihres Kampfes „ausrechnen“ können. Da halte ich deinen Folgesatz für wichtiger:
    „Ohne revolutionären Willen gibt es auch kein revolutionäres Subjekt…“ Und die Schlußfolgerung, daß es darum gehen muß, die dafür notwendige Überzeugungsarbeit zu leisten.
    Der Begriff „revolutionäres Subjekt“ scheint mir eh eine Nummer zu groß zu sein: Anders als den Zusammenschluß der Menschen in inhaltlicher und mehr oder weniger enger organisatorischer Art und Weise, die sich in einem recht eng umrissenen politischen Programm einig sind, gibt es sowas doch gar nicht. Als überindividuelle Entität ist das doch eine soziologische Schimäre. Insbesondere natürlich als „Subjekt“ mit einem historischen Auftrag, den es selbst dann schon hat, wenn es (also die Menschen, die es konstituieren sollen) noch was ganz anderes macht, als auf eine Revolution hin zu arbeiten.

  17. 29. September 2011, 19:20 | #17

    „Ich halte es schon für wichtig, auch jetzt, wo Kommunisten nun wirklich überall kleine Häufchen sind, sich schon Gedanken darüber zu machen, wer sich gute Gründe zulegen sollte um dann zu überlegen, mit welchen Mitteln er, sie und die anderen Mitstreiter „gegen das Kapital vorgehen“ könnten.“

    Als Häufchen kann man nicht gegen das Kapital vorgehen. Und Gründe gegen das Kapital zu sein, gibt es nun wirklich für jeden mehr als genug. Deshalb ist die Entdeckung, dass das Proletariat, sprich die Lohnabhängigen das revolutionäre Subjekt sind, d.h. diejenigen, die wenn sie genug sind, von den Mitteln her das Kapital stürzen könnten, eine Entdeckung die nicht sehr weiterhilft. Lohnabhängig ist doch sowieso fast jeder. Man hat doch gar nicht die Auswahl zwischen 5 oder 10 Klassen zwischen denen man sich die eine oder andere als revolutionäres Subjekt aussuchen müsste. Es gibt ja sowieso bloß zwei davon und von der einen weiß man, dass für sie die Eigentumsverhältnisse eingerichtet sind und dieser Klasse nützen sie auch. Bleibt also sowieso bloß eine potentiell revolutionäre Klasse übrig, diejenige nämlich die den Schaden davon trägt.

    Der Begriff „revolutionäres Subjekt“ scheint mir eh eine Nummer zu groß zu sein:

    Sag falsch oder richtig, aber nicht „eine Nummer zu groß“. Ein Revolution halte ich schon für eine große Sache.

    Anders als den Zusammenschluß der Menschen in inhaltlicher und mehr oder weniger enger organisatorischer Art und Weise, die sich in einem recht eng umrissenen politischen Programm einig sind, gibt es sowas doch gar nicht. Als überindividuelle Entität ist das doch eine soziologische Schimäre.

    Wenn sie sich zusammenschließen und sich einig sind, dann haben sie einen Willen. Also sind sie durchaus ein Subjekt und durchaus eine überindividuelle Entität. Was denn sonst?

  18. 29. September 2011, 19:36 | #18

    Ja, „Als Häufchen kann man nicht gegen das Kapital vorgehen“. Das hat hier auch bisher niemand behauptet, ich auch nicht. Und es stimmt leider auch, wenn du traurig feststellst, daß die „Entdeckung“ (na ja, zumeist ja eher eine Art Hoffnung, denn es ist ja nur die Beschreibung einer Möglichkeit und gerade keine Feststellung von faktisch schon vorgefundenem Massenbewußtsein) „nicht sehr weiterhilft“. Und ich gebe dir auch recht, daß objektiv von einer groß ins Gewicht fallenden Mittelklasse nicht mehr die Rede sein kann und man deshalb angesichts der einen „potentiell revolutionären Klasse“ der Lohnabhängigen wirklich nicht mit der soziologischen Wünschelrute Suchen gehen muß.
    Also kurz und knapp: Der Begriff „revolutionäres Subjekt“ taugt nichts ist falsch, weil es, jetzt und hier (und überall sonst wohl auch), keine Revolutionäre gibt. Wenn es sie erstmal in Massen geben sollte, dann braucht es solche Begriffe auch nicht mehr, dann braucht es eine Revolution. Vorher, ohne daß Leute sowas gewußt Wollen und dann gemeinsam machen, ist ein hohler Begriff der Schimärenwelt.

  19. 29. September 2011, 23:37 | #19

    „Ja, „Als Häufchen kann man nicht gegen das Kapital vorgehen“. Das hat hier auch bisher niemand behauptet, ich auch nicht.“ Doch hast du. – „Ich halte es schon für wichtig, auch jetzt, wo Kommunisten nun wirklich überall kleine Häufchen sind, sich schon Gedanken darüber zu machen, wer sich gute Gründe zulegen sollte um dann zu überlegen, mit welchen Mitteln er, sie und die anderen Mitstreiter „gegen das Kapital vorgehen“ könnten.“ Wenn die Worte die hier stehen was anderes bedeuten sollen, müsstest du das erklären, sonst verstehe ich das nicht.
    „daß objektiv von einer groß ins Gewicht fallenden Mittelklasse nicht mehr die Rede sein kann“ Sind das denn keine Lohnabhängigen in der Mittelklasse – wie groß sie auch immer ist?
    „Wenn es sie erstmal in Massen geben sollte, dann braucht es solche Begriffe auch nicht mehr“ Einen Begriff braucht man zum begreifen. Wieso sollte man diesen Begriff nicht verwenden, wenn er etwas richtiges bezeichnet d.h. wenn es mal ein revolutionäres Subjekt geben sollte? Der Begriff ist bloß dann falsch, wenn man damit meint, dass es irgendwo in der Gesellschaft eine Gruppe geben müsste, die gar nicht anders kann als mit der Zeit immer näher auf eine Revolution zuzusteuern und sie schließlich durchzuführen. Solch eine Revolutionsautomatismus in einer Klasse zu suchen, das ist ein Fehler. Wenn man „jetzt und hier“ von einem revolutionären Subjekt spricht, obwohl es nirgends Revolutionäre gibt, dann ist das falsch bzw. ein interessiertes Urteil, das einer Klasse den Auftrag Revolution erteilt. Das eigene Interesse an einer Revolution wird als Eigenschaft einer Klasse behauptet.
    Kein Fehler ist es festzustellen, dass die Lohnabhängigen die Mittel und die objektiven Gründe haben den Kapitalismus aus den Angeln zu heben. Da wollte ich bloß noch ergänzen, dass es keine Riesenerkenntnis ist festzustellen, wer das sein muss, da wenn man das Kapital als Nutznießer rausstreicht eh bloß das Proletariat als potentielles revolutionäres Subjekt übrig bleibt.

  20. 30. September 2011, 07:03 | #20

    Mit dem „dann“ meine ich nicht nur den logischen Zusammenhang sondern vor allem, daß es eben einen relativ großen Haufen von Leuten, die eine kommunistische Revolution machen wollen, erst mal geben muß, ehe die dann alle und nicht nur wir paar Hanseln jetzt sich ernsthaft Gedanken darüber machen können und müssen, wie sie es machen und umsetzen. Natürlich kann man auch das „gegen das Kapital vorgehen“ so ausweiten, daß auch schon ein nur seminarraumgroßer Zirkel in Bielefeld sowas macht, aber genau so eine Sichtweise hielte ich für aufgeblasen.
    Die ewige Mittelklassen-Diskussion: Für mich zählen alle lohnabhängigen Menschen, selbst in der Rechtsform der Scheinselbstständigen, zur grob gesprochen Arbeiterklasse.Also auch die berühmt/berüchtige „neue“ Mittelklasse, die im wesentlichen nur die Eigeneinschätzung kennzeichnet, daß sie aber nicht mehr dazu gehöre.

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