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Berlin 6.3.2011: Veranstaltung mit Christian Siefkes zu Peer-Produktion

5. März 2011

Christian Siefkes weist auf seiner Webseite keimform.de unter anderem auf eine Veranstaltung am 6.3.2011 in Berlin hin.

Zunächst halte ich am kommenden Sonntag, 6. März um 18 Uhr einen Vortrag mit Diskussion im Rahmen der Veranstaltungsreihe „etwas fehlt“ der Jour Fixe Initiative Berlin. Veranstaltungsort ist die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) (Oranienstraße 25) in Berlin-Kreuzberg. Wie schon mehrmals in letzter Zeit geht es um Selbstorganisierte Fülle, wobei ich diesmal etwas detaillierter auf die Rolle der Produktivkraftentwicklung und das Verhältnis von Utopie und Kritik eingehen werde.

Bei der jour fixe initiative Berlin heißt es dazu:

In den letzten Jahrzehnten ist eine neue Produktionsweise entstanden, die auf Kooperation und Teilen beruht. Auf dieser Produktionsweise – Peer-Produktion genannt – basieren Freie Software (wie Linux und Firefox), die Wikipedia und die Freie-Kultur-Bewegung; sie steckt hinter freien Funknetzen und Projekten wie SETI@home.
Wie und warum funktioniert Peer-Produktion? Wie schafft sie den Sprung von der immateriellen in die materielle Welt? Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, die im Wesentlichen auf Peer-Produktion beruht, so dass es kein Geld und keinen Markt mehr braucht? Wie verhalten sich alternative Praktiken und theoretische Kritik zueinander? Kann man den Kapitalismus überwinden, ohne ihn zu verstehen?

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  1. Seidenwurm
    5. März 2011, 11:52 | #1

    Klare Sache: „Du nimmst die CNC-Fräse und ich das Fließband.“
    Und damit man keinen Begriff aus der Mottenkiste („Kommunismus ist ein verbanntes Wort“) nehmen muss, nennt man das dann Commonismus.

  2. 5. März 2011, 13:43 | #2

    Wenn du schon das Label „Commonismus“ erwähnst, dann hättest du auch gleich den link zu Siefkes PROKLA-Artikel dazupacken können, den er im Heft 155 vom Juni 2009 unterbringen konnte:
    „Ist Commonismus Kommunismus?
    Commonsbasierte Peer-Produktion und der kommunistische Anspruch“
    Er ist auf keimform in diversen Formaten nachzulesen, z.B. als HTML

  3. 8. März 2011, 09:59 | #3

    Folgenden Kommentar habe ich auch schon bei keimform gepostet:
    Christian fängt seinen ND-Artikel gleich in schönster utopistischer Manier an (soll jetzt nicht gleich abwertend gelesen werden):

    “Stellen wir uns eine Welt vor, in der Produktion und Reproduktion bedürfnisorientiert zum Wohle aller stattfinden, organisiert von Menschen, die sich niemandem unterordnen müssen und sich freiwillig in die erforderlichen Tätigkeiten teilen.”

    Diese Welt kann ich mir auch vorstellen und strebe sie darüber hinaus sogar an, aber ich stimme da doch hm zu, daß das der zweite Schritt vor dem ersten ist, daß sowas nur dann wirklich Sinn macht, wenn es auf einer begründeten Kritik des bestehenden kapitalistischen Systems der Warenproduktion, des Eigentums und der Staatsgewalt aufsetzt.
    Selbst der zweiten These von Christian:

    “Der Commonismus bliebe allerdings eine abstrakte Idee, wenn er nicht das Zeug hätte, aus der heutigen Gesellschaft, dem Kapitalismus, heraus zu entstehen.”

    will ich grundlegend gar nicht widersprechen (auch wenn ich altmodisch immer noch von Kommunismus rede), was ich aber falsch finde, und dann natürlich auch schon bei Marx, ist die Verkürzung / Konkretisierung “dass „die materiellen Existenzbedingungen“ neuer Produktionsverhältnisse „im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet“ werden müssen”. Das braucht Christian aber, denn er bebildert dies mit den Behauptungen

    “(1) Menschliche Arbeit verschwindet aus dem Produktionsprozess, sie wird durch Automatisierung und Selbstentfaltung ersetzt. (2) Der Zugang zu Ressourcen und Produktionsmitteln steht allen gleichermaßen offen.”

    als Tendenzen, die, wenn auch nicht vollständig im Kapitalismus zu ihrem Endpunkt kommend, dennoch “schon” festzustellen seien.
    (1) ist nun wirklich nicht zu bestreiten, daß sieht ja nun jeder, insbesondere jeder Hartz-IVler. In einer Stellungnahme zum BGE hat der GegenStandpunkt dazu (in Auseinanderetzung mit Götz Werner, dem wohl bekanntesten Verfechter des Konzepts) geschrieben:

    “”Grandios gelungen” ist der Wirtschaft “in den letzten 50 Jahren” die Verbilligung der bezahlten Arbeit durch die Entlassung der Leute, die wegen der Erhöhung der Produktivität für den Profit nicht mehr benötigt werden, und damit die Streichung ihres Einkommens. Genau so werden die feinen Gebrauchsgüter immer massenhafter und immer billiger hergestellt – und die, die sie produzieren, immer ärmer, weil sie “von Arbeit befreit” wurden, wie Götz Werner dies umzudeuten beliebt. Die in Arbeit verbliebenen Leute unterliegen derweil derselben Kalkulation: Aus jeder bezahlten Arbeitsstunde holt ihr Arbeitgeber durch Einsatz produktiverer Maschinen mehr Produkt aus ihnen heraus, durch Intensivierung wird die Arbeit immer mehr verdichtet und durch Verlängerung der Arbeitszeit das für die Kapitalseite so lohnende Verhältnis ausgedehnt. Hier schiebt sich nichts mit “Befreiung” von Arbeit, obwohl doch die nützlichen Güter so flugs hergestellt werden können: Weil diese Güter ausschließlich für den Gewinn hergestellt werden, der mit ihnen erzielt werden soll, kommt im Kapitalismus aus einer Produktivitätssteigerung niemals heraus, dass die notwendige Arbeit für alle kürzer und leichter wird und das Leben angenehmer. Wenn es in der Ökonomie wirklich auf die Versorgung der Menschen mit nützlichen Gütern und möglichst bequeme Arbeits- und Lebensbedingungen ankäme, dann wäre der Kapitalismus die dümmste Tour, dies zu verwirklichen.”

    Was ich aber für, vielleicht berufsbedingtes Wunschdenken von Christian halte, ist seine Tendenz (2): Es kann meiner Einschätzung nach nicht im Geringsten davon die Rede sein, daß in den letzten Jahrzehnten “Der Zugang zu Ressourcen und Produktionsmitteln … allen [immer mehr] … offen” stünde. Der hier immer wieder, so auch von Christian angeführte “Bereich der digitalen Produktion von Software und anderen Informationsgütern” ist für mich eine Ausnahme, und kein Beleg einer Regel. Es fällt ja schon mal auf, daß die “Beweise” sich auf wenige bekannte Beispiele beschränken. Nur dort gilt “Konkurrenzangebote, die gemäß der üblichen kapitalistischen Logik nur käuflich erwerbbar sind, haben nahezu keine Chance mehr.” Denn auch weiterhin werden ja Unsummen mit kommerzieller Softwareproduktion verdient. Microsoft oder Adobe sitzen weiterhin Fest im Sattel ihrer Profite, daran hat weder Linux groß was geändert oder Gimp. Der Kampf um Datenbanksoftwareanbieter oder genauer Firmensoftwareanbieter geht auch nicht gerade in die Richtung, die Christian behauptet:

    “Indem sie Märkte zum Verschwinden bringt, weist diese Bewegung über den Kapitalismus hinaus.”

    Ein kleinerer Kritikpunkt zur Behandlung der menschlichen Arbeit:
    Ob es für ein Unternehmen besser ist, die Produktivität der angewandten Arbeit durch Maschineneinsatz zu steigern, oder durch pure Abpressung von Mehrarbeit, sei es durch Verlängerung der Gesamtarbeitszeit oder durch Lohnsenkung, das kann man nicht grundsätzlich beantworten. Christian verweist ja selber auf die Verlagerungen in Billiglohnländer, wo häufig mit mit viel unproduktiverer Technologie viel profitabler produziert werden kann, weil die Menschen einfach nichts bezahlt bekommen.
    Seine faktische Behauptung “Bis vor einigen Jahrzehnten ging der Einsatz von Maschinen und menschlicher Arbeit meist Hand in Hand, etwa bei der Fließbandarbeit” scheint mir zumindest ungenau zu sein:
    Schon immer wurde von kapitalistischen Firmen nur dann in neue oder mehr Maschinen investiert, wenn das bezahlte Lohnarbeit eingespart hat, wenn die vorabkalkulation das nicht hätte erwarten lassen, wäre das Zeugs ja gar nicht erst angeschafft worden. Damals wie heute ging das Maschinenkaufen natürlich grundsätzlich immer “Hand in Hand” mit der Beschäftigung von Menschen, die vollautomatische Fabrik gibt es ja selbst heute noch nicht (auch wenn man das immer wieder lesen kann), nur die organische Zusammensetzung des Kapitals ist im Laufe der Zeit immer mehr gestiegen und hat mittlerweile z.B. bei Chips-Fabriken rund 1 Million € pro Arbeitsplatz erreicht. Solange die Gesamtproduktion schneller stieg als die Produktivität der Arbeit, ist die Arbeiterklasse gewachsen, vor allem in den letzten Jahrzehnten, wo das in vielen Staaten nicht mehr gilt, ist die Massenarbeitslosigkeit angestiegen.
    Christian “braucht” aber den Wegfall der “menschlichen Arbeit bei Routinetätigkeiten”, weil er damit begründen will “diese Entwicklungen verändern zugleich den Charakter des Tuns”. Er behauptet nämlich,

    “durch die zunehmende Automatisierung werden langweilige Routinetätigkeiten, die man nur gegen (Schmerzens-)Geld erledigt, zunehmend durch kreativere und daher auch inhaltlich interessantere Tätigkeiten ersetzt.”

    Und das halte ich für völlig daneben. Ja, in einem modernen Stahlwerk stehen nicht mehr so viele Arbeiter um die heiße Hölle herum wie auf einem Bild von Menzel, statt dessen sitzen Prozeßkontrolleure vor ihren Dutzenden von Monitoren. Anstrengende, nervenverzehrende Arbeit ist das auch, nur eben anders, un häufig keine Bohne “kreativer” als früher die Hand- oder Maschinenarbeit.
    Es wundert mich nicht, daß Christian hier so argumentiert, daß das total anschlußfähig ist an die nicht sonderlich kommunistisch durchsetzte BGE-Szene. Daß Bezahlung fürderhin nur noch “ein netter Pluspunkt” sein werde, kann man da auch lesen, daß Lohnzahlung “keineswegs eine notwendige Bedingung” sind, wie jeder Ein-Euro-Jobber jetzt auch schon. Und schon ist Christian bei der geradezu schon um die kapitalistische Ecke liegenden Idylle:

    “Arbeit zum Zweck des Geldverdienens wird so ersetzt durch Tätigkeiten, die man gerne um ihrer selbst willen, aufgrund ihres Ergebnisses oder den anderen Beteiligten zuliebe übernimmt: Selbstentfaltung.”

    Schön wärs, es beißt sich nur daran, daß die Bedingung

    “Möglich ist das nur, weil die Beteiligten Zugang zu den benötigten Produktionsmitteln – wie Computern und Internetzugang – haben.”

    eben nur für ein enges Segment von nützlichen Sachen materieller und immaterieller Art gilt, denn es gibt ja selbst Christian zu, daß,

    “die Konzentration der meisten Produktionsmittel in den Händen weniger für den Kapitalismus charakteristisch ist.”

    Um seine Perspektive der Keimform des Neuen schon im Alten zu retten, stellt Christian deshalb die These auf:

    “Glücklicherweise treibt auch hier die Produktivkraftentwicklung den Kapitalismus in eine Richtung, die seine eigene Überwindung erleichtert. Ähnlich wie die heutigen Personalcomputer Nachfolger der Millionen kostenden und Räume füllenden Großrechner des letzten Jahrhunderts sind, werden auch andere Produktionstechniken immer günstiger und für Einzelne oder kleine Gruppen erschwinglicher.”

    Pech aber auch, daß das faktisch leider gar nicht gilt: Ja, ein PC kann heute für ein paar Hundert Euros in jedem Laden gekauft werden, mein Atom-PC ist nur noch so groß wie ein Taschenbuch und reicht für fast alles, was ich überhaupt mit einem Computer machen will. Damit der aber so klein sein kann, mußten Intel und AMD Chipfabriken hinstellen, die so ungefähr das Gigantischste sind, was es bisher gegeben hat, wer da nicht wenigstens 5 Milliarden Dollar verbraten kann, hat doch gar keine Chance mehr gegen den Rest der auch deshalb sehr klein gewordenen Welt. Ähnlich sieht das bei anderen Konsumgüterwerken aus: Ein moderner Fernseher braucht eine Fabrik, die auch so ungefähr 5 Mrd. kostet und mehrere Fußballfelder abdeckt, E10 kommt aus Raffinerien, die schon von Weitem eindrucksvoll sind, usw. Nein, zu denken, man könnte sich seine neue Waschmaschine mit einem 3D-Drucker zuhause selber machen, halte ich für abwegig (und aus Effizienzgründen übrigens auch unerwünscht, es wäreein Rückfall hinter die Integration der erreichten Arbeitsteilung (so problematisch die andererseits im Kapitalismus ist, denn es geht da ja nie um vernünftige Arbeitsteilung zur Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Produktivität der Arbeit, sondern immer nur um dieSteigerung der Einzefirmengewinne), wenn zukünftig jeder wieder zum supermodern ausgestattenen Handwerker vorkapitalistischer Zeiten werden soll,).
    Nicht

    “Damit werden die Grundlagen für eine bedürfnisorientierte, auf Gemeingütern basierende Produktionsweise gelegt.”

    Sondern damit, daß die Menschen insgesamt das Eigentum an den Produktionsmittlen abschaffen wollen, weil das nur für eine Wirtschaft taugt, die aus Geld mehr Geld machen soll. Die Rückeroberung der Produktionsmittel hat erst dann begonnen, wenn hinreichend viele Menschen das eingesehen haben. Und dann braucht es immer noch eine Revolution, um die Produktinsmittel wirklich zu erobern, aber das wäre dann schon die nächste Diskussion.

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