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Die Ignoranz des Spartakist zu Sarrazins Hetze gegen die Unterschicht

28. Oktober 2010

Was den Artikel im Spartakist zu Sarrazin inhaltlich so schwach macht, um es wohlwollend zu beschreiben, ist dessen komplette Ignoranz gegenüber Sarrazins massiver Hetze gegen die „undeutschen“ Deutschen der Unterschicht. Als wenn der „nur“ gegen Immigranten hetzen würde. Die zynische Verachtung, mit der Sarrazin ausgerechnet die Opfer der kapitalistischen Konkurrenz für ihre elende Lage verantwortlich macht, kommt im Spartakist überhaupt nicht vor.
Sarrazin stellt ja ohne weiteres fest, daß die Erfolge des deutschen Kapitals bei seiner dazu notwendigen Steigerung der Produktivität millionenfach frühere Arbeiter ins Heer der Arbeitslosen ausgestoßen hat, weil die nach dessen Kriterien für weitere Gewinne nicht mehr nötig oder gar unnütz sind. Sarrazin steht zwar nicht allein da, wenn er aus diesem Resultat der Profitmacherei, also etwas, was die zu verantworten haben, die sie überhaupt erst veranstalten und davon profitieren, einen Tatbestand macht, der den Opfern in die Schuhe geschoben wird: Aus der Feststellung des Kapitals, diese Millionen brauche ich nicht mehr, wird bei Sarrazin (et al.) die Behauptung, die sind nicht mehr brauch*bar*. Es wird also zu einer individuellen Eigenschaft der ins Prekariat Hinuntergestoßenen, daß sie ganz unten und nicht in der Mitte der Gesellschaft sind, wie sonst gerne beschönigend gesagt wird.
Und warum sind die Hartz-IVler unbrauchbar? Weil es ihnen an den Tugenden fehlt, die man zum Erfolg braucht. Den islamischen Immigranten spricht er, rassistischer Demokrat der er ist, gleich ganz ab, sich sowas überhaupt zu eigen machen zu können. Die gehören deshalb sowieso eigentlich rausgeschmissen/rausgeekelt. Dazu schlägt er sachgerecht vor, diesen Menschen, solange sie leider noch hier leben, ihr Leben so madig zu machen, wie es gerade noch geht. Seine zynische Kalkulation dabei ist: Wenn die Immigranten erst mal am eigenen Leib spüren, daß das Leben in „leistungslosem Wohlstand“ (man beachte, er redet hier von Hartz-IV-Geldern) genauso lausig ist wie in den Herkunftsländern, dann werden die schon „freiwillig“ wieder zurückgehen.
Bei den deutschen Armen ist er gnädiger, da meint er, mit etwas nachhelfen, könne man die, jedenfalls so viele, daß man diese Unterschicht hinreichend austrocknen kann wieder zu echten Deutschen machen. Denn was kennzeichnet die aus? All die schönen Sekundärtugenden, die schon immer deutsche Herrscher an ihrem Arbeitsvolk geschätzt haben: Fleiß, Strebsamkeit etc. Und was hat dazu geführt, daß diese eigentlich allen deutschen Menschen eigenen Tugenden bei der deutschen Unterschicht so verkümmert ist? Natürlich der Sozialstaat! Nur weil denen die Kohlsche Hängematte ermöglicht wurde, das Leben in „leistungslosem Wohlstand“ mit Hartz IV, hält es diese moralisch leider schwachen Subjekte davon ab, sich auch weiterhin zu allen Bedingungen dem Kapital anzudienen.
Deshalb ist Sarrazin ja auch ein Vertreter massivster „Förderung“ des Leistungswillens schon von klein an. Denn wenn man die Kinder von Arbeitslosen denen überläßt, dann werden aus denen ja wieder unnütze Esser, weil die eben leider grundsätzlich so „sind“. Dem kann man aber abhelfen, wenn man gleich von Anfang an gegensteuert: Zwangskasernierung aller Kinder, und damit eben auch und gerade der Unterschichtskinder in eine Ganztagesschule, wo man ihnen dann schon Mores beibringen wird (TV der Computerspiele können die dann vergessen, es soll wahrscheinlich dann dort eher so zugehen wie in einem amerikanischen Boot Camp). Und wehe, es gibt noch Eltern, die da nicht mitziehen. Denen muß rigoros zur Strafe auch noch das Harz IV-Almosen weggekürzt werden, auch unter das „Existenzminimum“. Nur als Erziehungsdiktatur kann Deutschland „deutsch“ bleiben, sonst nimmt die berüchtigte „spätrömische Dekadenz“ überhand und Deutschland geht, zudem zunehmend „überfremdet“ dem nationonalen Untergang entgegen! Und für die Erwachsenen ergänzt man das dann durch einen Arbeitsdienst, denn das diese Unterschicht für die richtige Recihtumsproduktion vom Kapital überflüssig gemacht und als überflüssig erachtet wurde, das ist ja gerade der Ausgangspunkt der „Reformvorschläge“ von Sarrazin.
Es sollte auffallen, daß ein Demokrat wie Sarrazin mit seiner Sicht aus deutsche Volk und seinen Vorschlägen, wie dem „Untergang Deutschlands“ Einhalt geboten werden könnte, so fürchterlich weit von dem, was Faschisten im Sinne haben, nicht weg ist. Schon Heinrich Himmler soll ja gesagt haben

“ Es gibt einen Weg zur Freiheit. Seine Meilensteine heißen: Gehorsam, Fleiß, Ehrlichkeit, Ordnung, Sauberkeit, Nüchternheit, Wahrhaftigkeit, Opfersinn und Liebe zum Vaterland!“

(wobei recht unmißverständlich war, „frei“ in diesem Sinne ist jemand nur, wenn er ein durch und durch opferbereiter nationalsozialistischer Deutscher ist.) Jedenfalls war an manchem Konzentrationslager die Kurzform dieser Einschätzung zu finden: „Arbeit macht frei“. Diese geistige Nähe ist ja selbst selber eingefleischten anderen deutschen Nationalisten geläufig, am berühmtesten wurde da sicherlich Oskar Lafontaine:

„Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. […] Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“

– 15. Juli 1982 im STERN zur Diskussion um den NATO-Doppelbeschluss (hier: gekürztes BILD-Zitat) (zitiert nach wikipedia)

Kategorien(2) Trotzkismus Tags:
  1. 28. Oktober 2010, 12:52 | #1

    Zunehmend wird ein (Neo- oder Kultur-)Rassismus gegen Muslime geschürt. Anders als im modernen Rassismus seit dem 14. und 15. Jahrhundert, bei dem z.B. auch Muslime in Spanien aufgrund ihres „Blutes“ diskriminiert wurden (die „Estatutos de limpieza de sangre“, also Statuten von der „Reinheit des Blutes“, die erstmalig 1449 für den Rat der Stadt Toledo niedergelegt wurden, gelten einigen Autoren als Vorwegnahme der Nürnberger Rassegesetze), ist der biologische Rassenbegriff nach dem Holocaust in Verruf geraten, so dass heutzutage kaum mehr jemand als Rassist gelten will. Diskriminierung gibt es aber natürlich nach wie vor.
    Es ist auch die Rede von einem „Neo-Rassismus“ ohne Rassen, der sich dadurch auszeichnet, nun statt Biologie eine angeblich unveränderbare kulturelle Differenz in Stellung zu bringen, auch differentialistische oder kulturalistische Rassismen genannt.
    Gerade die Äußerungen von Thilo Sarrazin, der behauptet, Muslime seien weniger intelligent und Intelligenz sei vererbbar, so dass es die muslimischen Einwanderer nie „zu etwas bringen“ könnten, oder ein „jüdisches Gen“ annimmt, zeigen, dass der Neo-Rassimus auch immer wieder auf die Biologie rekurrieren kann. Tatsächlich handelt es sich bei den Positionen Sarrazins um eugenische Vorstellungen – die Eugeniker plädierten ja ebenfalls für eine Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik, die den Anteil positiv bewerteter Erbanlagen vergrößern und den negativ bewerteter Erbanlagen verringern sollte. Sigmar Gabriel wunderte sich vor Kurzem, dass ein solcher Rückgriff auf die Eugenik in Deutschland gar nicht mehr auffalle. Sarrazin hielte das Entstehen von „oben“ und „unten“ in unserer Gesellschaft für das Ergebnis natürlicher Auslese durch Vererbung und greife dabei auf bevölkerungspolitische Theorien zurück, „die Ende des 19. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grundlage für die schrecklichsten Verirrungen politischer Bewegungen wurden“. Wundern kann man sich allerdings auch darüber, dass Gabriel nicht aufzufallen scheint, dass die Sozialgesetzgebung der BRD längst eugenischen Charakter hat – der kürzlich beschlossene zukünftige Wegfall des Elterngeldes für Langzeitarbeitslose ist nur ein Beispiel für Maßnahmen sozialer Auslese.
    Rassismus muss in all seinen Wandlungen bekämpft, die Wurzeln jeder ideologischen Legitimation für Unterdrückungsverhältnisse aufgedeckt und alles, was die Klassenherrschaft und andere Herrschaftsverhältnisse befestigt, aus dem gesellschaftlichen Denken entfernt werden, bevor die Gesellschaft frei werden kann!
    Mehr:
    http://asatue.blogsport.de/2010/09/28/zu-pro-sarrazin-aufklebern-in-tuebingen/

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