Die unselige Sarrazin-Debatte – (Zentrale Argumente von Freerk Huisken)
Freerk Huisken vom GegenStandpunkt hat einen Text über die Diskussion über Sarrazins Thesen geschrieben. Der ganze Text (auch mit Belegstellen für die dort angeführten Zitate) ist hier als PDF zu lesen. Hier einige von mir als wesentlich erachtete Thesen daraus:
Das Buch von Th.Sarrazin befasst sich in eigenwilliger Ausdeutung mit nationalen Themen, die, da sind sich große Teile der Kommentatoren und Rezensenten einig, weder er entdeckt noch er allein in dieser Zuspitzung formuliert hat. Sie lauten: Akademikerinnen bekämen zu wenig und Sozialhilfeempfängerinnen mit minderen geistigen Anlagen zu viele Kinder; das führe, weil Intelligenz erblich sei, dazu, dass Deutschland immer dümmer wird; dazu würden besonders auch integrationsunwillige Migranten beitragen, die das Land überfluten, Parallelgesellschaften gründen und so dafür sorgten, dass autochtone Deutsche in ihrem Land zur Minderheit werden.Das mag ja alles sein, doch was soll dem geneigten Leser damit mitgeteilt werden?
Was er da zu Papier gebracht hat, sind seine Überzeugungen, die er schon seit längerem in eine Öffentlichkeit bringt, welche in nicht gerade geringen Teilen hinter ihm steht. Kritik an diesen Überzeugungen ist allerdings Mangelware.
Und erst recht fehlt es an einer kritischen Würdigung der zentralen Botschaft seines Werkes: „Deutschland schafft sich ab…“ Sie wird gar nicht erst ernst genommen. Komisch. Die ganze Debatte und ihre Themen – darf der Mensch das sagen, darf er es so sagen, darf er es als deutscher Bankvorstand sagen, hat er da etwas Neues zu sagen… – stehen dafür, dass landauf landab von oben bis unten und von rechts bis links niemand auf die Idee kommt, dass wegen der von Sarrazin inkriminierten Sachverhalte Deutschland den Bach runter gehen könnte.
Kanzlerin Merkel findet nur die Wortwahl in seiner Publikation einfach „völlig inakzeptabel“, „menschenverletzend“ und „wenig hilfreich“. Das war es schon und das zeugt davon, dass die politische Führung sich in einem sicher ist: ,Natürlich handelt es sich um nationale Probleme, die Sarrazin angesprochen hat. Die sehen wir und die gehen wir an! Dafür haben wir die Legitimation durch das deutsche Volk; und die Mittel zu ihrer Bewältigung sind in unserer Hand konzentriert. Das bekommen wir in den Griff mit dem Recht, das uns auf den Feldern der Familien- und Sozialpolitik, der Bildungs- und der Ausländerpolitik die Handhabe gibt, Ordnung zu schaffen, störende Elemente ruhig zu stellen und für einen ausgebildeten Nachwuchs zu sorgen, der unseren Ansprüchen genügt.‘
Diese Ignoranz auch der Politik gegenüber der Hauptthese des Buches kann nicht beruhigen, sondern muss beunruhigen. Sie zeugt von der Arroganz und Sicherheit politischer Macht, die mit derselben Optik auf nationales Menschenmaterial, wie sie Sarrazin vorführt, an die „Probleme“ herangeht.
Der schlimme und inzwischen zum geflügelten Wort gereifte Spruch Kennedys, der Bürger möge nicht fragen, was der Staat für ihn, sondern umgekehrt sich fragen, was er für den Staat tun könne, ist das praktisch wahr gemachte Motto solcher Politik. Andererseits sind die gleichen Sorgen, die Sarrazin dazu veranlassen, zwischen zwei Buchdeckeln den nationalen Notstand auszurufen, für deutsche Politiker nichts als politisches Alltagsgeschäft.
Nachweisbar ist dies an ihrer Politik, die sich um die funktionale Verfasstheit des Staatsvolks nach Größe, Nachwuchsproduktion, Altersaufbau, Bildungsstand und nationaler Identität kümmert. Da kann Sarrazin ganz beruhigt sein: Nie stellt sich der hiesigen Politik dabei die Frage, was denn eigentlich für arme Familien, Hartz-IV-Empfänger, Migranten oder schulisch produzierte Restschüler das Beste, wie deren Wohlfahrt zu fördern wäre. Es wird allein die Frage gewälzt, welchen Beitrag sie als als Teil der nationalen Ressource ‚Volk‘ zu leisten imstande sind bzw. welchen Beitrag man von ihnen erwarten kann.
Es ist der normale Gang politischer „Reformen“, mit dem Regierungen die Entwicklung oder das Auseinanderfallen ihres Volkskörpers, Brauchbarkeit und Unbrauchbarkeit, Wohlverhalten und Unordentlichkeit von Volksteilen immer erneut und immer mit der standortpolitisch gebotenen Rücksichtslosigkeit gegen ganze Volksteile in den Griff zu bekommen versuchen. Und im Umgang mit den „Problemfeldern“ sind sie um neue hübsche Einfälle nie verlegen.
Das unterscheidet die regierenden Politiker vom Warner Sarrazin: Die Herstellung eines in allen Teilen nützlich einsetzbaren Staatsvolk mag zwar ihr Ideal sein, ist aber für sie nicht das praktische Maß aller Dinge. Als Politiker sind sie Realisten, die wissen, dass es gerade die erfolgreiche Benutzung des eigenen Staatsvolks – angereichert um Teile fremder Völker – als Ressource ist, die immer wieder jene „Probleme“ hervorbringt, von denen aus Sarrazin seinen nationalen Untergang konstruiert. Sie verfallen deswegen erst recht nicht auf die Idee, prekäre Resultate gewissermaßen politikfrei in die Zukunft hochzurechnen. Sie verfahren umgekehrt: Sie bilanzieren die Leistungen, die mit dem Einsatz des Volkes und auf seine Kosten eingefahren werden, registrieren deren Auswirkungen auf das Volk, summieren etwa Arbeitslose, Verarmungsfolgen und demographische Konsequenzen und treten dann in die politische Debatte darüber ein, wie nationale Erfolge ausgebaut werden können, ohne dass völkische Kollateralschäden dabei stören.
Die Arroganz und Unerschütterlichkeit der Machthaber gegenüber der von Sarrazin bitterernst gemeinten Prognose vom Verfall Deutschlands hat also ein gutes Fundament: Das staatliche Gewaltmonopol, seine gesicherte Umsetzung in Politik und ein Volk, das sich nicht etwa anschickt Deutschland „abzuschaffen“, sondern sich, gut erzogen wie es mehrheitlich ist, geradezu im Geiste Sarrazins die Sorgen der Regierung zu eigen macht.
Nachtrag:
Was lernt man eigentlich über Meinungsfreiheit, wenn in TV-Sendungen, in der BILD, von der SPD-Basis und in zahllosen Lesenzuschriften die „unerträgliche Beschränkung der Meinungsfreiheit“ für Th. Sarrazin angeprangert wird? … Es geht also gar nicht um die Freiheit der Meinung, es geht allein um in den Inhalt seiner Meinung. Allein dem wünschen die Beschwerdeführer mehr Gehör. …
Nie würden dieselben – z.B. bei Anne Will, Beckmann oder Plaßberg versammelten – aufgebotenen Freunde der Meinungsfreiheit auf die Barrikaden steigen, wenn es um folgende Thesen ginge:
– Dass so viele arme Schweine aus dem Nahen Osten oder Afrika in falscher Vorstellung vom Leben in den kapitalistischen Metropolen ihr Heil in der Flucht suchen, geht auf das Konto all jener imperialistischen Mächte, die in diesen Regionen rücksichtslos gegenüber den dort lebenden Menschen ihre strategischen und ökonomischen Interessen durchsetzen.
– Dass es so viele Kinder aus den unteren Klassen der Gesellschaft in geistigen Verfassung und Qualifikation nicht mit Akademikerkindern aufnehmen können, ist das Werk des hiesigen Bildungssystems, das durch frühe Auslese dafür sorgt, dass eine Mehrheit des Nachwuchses von weiterführender Ausbildung ausgeschlossen wird. Die von Sarrazin angeprangerte „Dummheit“ ist schulisch hergestellt!
– Dass die zunehmende Zahl von Menschen, die von Sozialzuwendungen und von Verdienst nicht mehr leben können, ist das Werk der politisch betreuten Marktwirtschaft.
– Dass das Ideal eines „einig deutschen Volkes“, das in Harmonie und wechselseitiger Anerkennung lebt, nichts als die Wunschvorstellung politischer Herrschaft ist, die eine durch ökonomische, soziale und politische Gegensätze gekennzeichnete Gesellschaft so zusammenhalten will, dass kapitalistischen Wachstum und nationale Souveränität zunehmen und alle dabei notwendig anfallenden in- oder ausländischen Opfer den Gang dieser Geschäfte nicht groß stören.
– Dass das Recht der freien Meinungsäußerung selbst ein Herrschaftsinstrument ist, dass es schlichte Heuchelei ist, wenn seine Beschränkung im Falle Sarrazins angeklagt wird; ganz abgesehen davon, dass es hier gar nicht um Meinungen geht, sondern um die Aufforderung, die herrschende politische Praxis gegenüber kapitalistisch überflüssig und unbrauchbar gemachten Bevölkerungsteilen noch rücksichtsloser zur Anwendung zu bringen.
Lesen Sie am besten zuerst das Buch, dann erkennen Sie den Zusammenhang.
Herr Sarrazin hat Recht.
Den Satz:
ist irgendwie unglücklich formuliert.
Er tut nämlich so, als wären Feststellungen wie die, daß Intelligenz erblich ist, und Deutschland immer dümmer wird, richtig. Und mitgeteilt soll ihm doch genau das werden, es gibt kein Auseinanderfallen von Text und Absicht.
Überhaupt hat der Text den Mangel, daß Sarrazins Mist zwar aus dem Anspruchsdenken der Politik gegenüber dem lieben Staatsvolk zwar mehr oder weniger korrekt hergeleitet wird, aber die Differenz nicht richtig bestimmt und vor allem die Aufregung um Sarrazins Werk nicht erklärt. Es kommt ein bißl heraus: Wozu die Aufregung?! Im Grunde wollen sie eh alle das gleiche, die Macher, und der schriftstellernde Bundesbank-Fuzi.
In der Tat ist dem Text nicht gleich zu entnehmen, ob nur das Urteil über Sarrazin (kalter Kaffee a la H. Schmidt und Oskar Lafontaine oder noch weiter ausholend von Tacitus bis Spengler) gemeint ist oder eben die Behauptungen als solche. Zu denen kommt dann schon eine Zurückweisung, bzw. ein Verweis aus seine eigenen umfangreichen Widerlegungen. (Der neue Nachtrag hilft da auch.)
Mit deinem Satz „mitgeteilt soll ihm doch genau das werden, es gibt kein Auseinanderfallen von Text und Absicht.“ kann ich nun wiederum buchstäblich nichts anfangen: Ist der nur verstümmelt, bezieht der sich auf Sarrazin oder auf Huisken?
Wenn du den Hinweis auf eine „Differenz“ vermißt, was vermißst du dann, den Unterschied im Programm von Sarrazin und Merkel oder Wowereit? Welche Aufgeregtheiten von wem werden nicht erklärt? Die der Staatsparteien, der demokratischen Öffentlichkeit?
Wenn du zum Schluß schreibst, „Im Grunde wollen sie eh alle das gleiche, die Macher, und der schriftstellernde Bundesbank-Fuzi“ und dies wohl als die Quintessenz der Thesen von Freerk Huisken ansiehst, dann scheint dir das doch wohl falsch zu sein, den so wie das bei dir kommt, klingt Zustimmung nicht. Scheint es dir wirklich wichtiger und richtiger zu sein, die Differenzen von Merkel und Sarrazin zu betonen bzw. herauszuarbeiten als die grundlegenden Gemeinsamkeiten? Mit scheint es jededenfalls eher an der von Freerk eingeklagten Fundamentalkritik am Status Quo zu mangeln, den er so beschreibt:
“ Das staatliche Gewaltmonopol, seine gesicherte Umsetzung in Politik und eine Bevölkerung, die sich nicht etwa anschickt Deutschland „abzuschaffen“, sondern sich, gut erzogen wie sie mehrheitlich ist, geradezu im Geiste Sarrazins die Sorgen der Regierung zu eigen macht.“
„Lesen Sie am besten zuerst das Buch, dann erkennen Sie den Zusammenhang.Herr Sarrazin hat Recht.“
Erstens ist nun wirklich nicht nötig, nach all dem Trara über Sarrazin, seinem allgegenwärtigen Auftritten fast schon vom Frühstücksfernsehen bis zur Late-Night-Show auch noch sein Buch zu lesen, so blöd ist der Mann ja nun wirklich nicht, daß er seine zentralen Behauptungen und Forderungen nicht auch in einem vergleichsweise kurzen Redebeitrag unterbringen kann.
Zweitens, und das ist in der Tat viel eher des Nachdenkens wert, stimmt es in der Tat schon, daß Herr Sarrazin „Recht hat“. Nämlich in der Hinsicht, daß seine Programm recht genau paßt zu seinen deutschnationalen Zielvorstellungen. Und in diesem bitterbösen Programm ist er sich ja leider einig mit so gut wie allen Menschen unserer politischen Welt, seien es die Macher oder wie in Ihrem Fall eben das Fußvolk, das für Deutschlands Größe eingespannt wird und leider auch werden will.
Auch auch von den österreichischen Wertkritikerinnen gibt es einen Beitrag („Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung“). Dort hält man offenen Rassismus und auf die spitze getriebenes Verwerbarkeitsdenken und die Zustimmung dazu glatt für eine Möglichkeit den ganzen Kapitalismus in Frage zu stellen…
„Angesichts der breiten Angriffsfläche, die die Sarrazinsche Nützlichkeits-Erwägung der Kapitalismuskritik bietet, will es mir so vorkommen, als sei die rassistische Komponente in seinen Ausführungen – wer glaubt schon, dass für das Herbeten der einfältigen Formel vom „Wachstum“ ein Intelligenz-Gen vonnöten ist – für die liberalen Kritiker eine willkommene Ausrede, die es ihnen erlaubt, die zentrale Frage nach der kapitalistischen Rechtfertigungslehre zu umgehen.“
http://www.streifzuege.org/2010/sarrazin-und-seine-feinde
@ Nestor:
Die Differenz zwischen etablierter Politik finde ich durchaus auch richtig bestimmt:
@ groucho
Gerade die von dir zitierte Passage belegt mal wieder, dass es wenig Sinn macht, Klassenkampf in Kateogorien von Regierung und Volk zu behandeln. Andernfalls braucht man sich nämlich auch nicht wundern, weshalb die am meisten Drangsalierten stets nur nach einem ‚gerechten König’`rufen und gar nicht auf den Gedanken kommen, sie könnten ihre ‚Geschicke‘ selber in freier Übereinkunft regeln (wollen).