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Wie absurd sind die Sparprogramme?

4. Juli 2010

Hier der Anfang und der“letzte Punkt“ aus Peter Deckers 2. Vortrag zur Finanzkrise in Nürnberg:

Das ist ja mal ein richtig schöner Sommerabend… um sich mit Finanzkrise und Staatswirtschaft zu befassen. Ich schicke mal was vorweg:
Vor vier Wochen war das von dem heutigen gar nicht so weit entfernte Thema „Staatsbankrott Griechenlands, Eurokrise“. Was ich im zweiten Teil des Abends vor vier Wochen abgehandelt habe, was damals unter der Überschrift stand, „Die Harmonie von Staat und Finanzkapital ist dahin“, das ist jetzt heute der Hauptgegenstand für sich.
Ich habe erzählt bekommen gekriegt, daß der Vortrag, wie es manchmal ja so ist, „schwer“ gewesen sein soll. Schwer zum Verfolgen und schwer für den einen oder anderen Zuhörer im nachträglichen Zusammenfassen und Sagen zu können, was soll man denn jetzt daraus als „Weisheit“ nach Hause tragen.Wenn dem so ist, wenn es Verständnisprobleme gibt, .. .meldet euch. Vielleicht taucht man sich ja auch in die theoretischen Gegenstände mit denen man sich jetzt nun seit zwei Jahren sehr intensiv befaßt, ein bißchen arg ein und ist dann unaufmerksam bezüglich dessen, was andere selbstverständlicherweise verstehen können und was anderen erst mal Schwierigkeiten macht …
Das andere ist eine Geschichte, das will ich schon auch noch dazu sagen: Daß das schwer ist, das ist kein Wunder, alle neuen Gedanken sind schwer. Leicht sind immer nur die Gedanken, die man selber schon kennt. Und bei dem Thema ist es insgesamt so, daß auch der unterrichtete Zeitgenosse mehr oder weniger ein weißes Blatt ist, oder im Kopf hat.
Zum Thema Finanzwesen staatliches Geld usw., da sind auch Leute, die gebildet sind und sich auskennen, bereit, ein großes Element dessen, was falsches Bewußtsein der bürgerlichen Gesellschaft ist, mitzumachen. Sie sind nämlich bereit, sich für unzuständig zu erklären. Jetzt kriegen sie seit zwei Jahren, wenigstens jetzt, in übergroßer Deutlichkeit gesagt, wie sehr die Überlebensbedingungen in dieser Gesellschaft vom Finanzwesen abhängen. Das ändert aber nichts, die Leute anerkennen, daß ist eine Sache für Spezialisten, ich hänge da von etwas ab, da kenne ich mich nicht aus, und so lange der Strom aus der Steckdose kommt und die Straßenbahn fährt, meint man, es reicht, wenn man sich ums eigene Geldverdienen kümmert. Wenn das dann irgendwann einmal nicht mehr geht, oder wohlmöglich noch Schlimmeres durcheinander gerät, dann setzt das große Wundern ein. Das soll jetzt mal bekämpft werden, und es ist klar, anders als bei Sexualität und Herrschaft, Familie und Lebenssinn, wohlmöglich auch Wahlen und Lohn, ist dies ein Thema, da ist nicht eine allgemeine Bekanntheit mit der Sache vorhanden und es geht um den Streit um die richtige Meinung darüber, sondern da ist der Streit um die richtige Auffassung zum Teil auch eine Aufklärung, wie es da einfach zugeht, ein Bekanntmachen. Ganz ohne sowas geht es einfach nicht ab. …

Und hier der Punkt über den ich noch grübele:

Letzter Punkt: Sparprogramm als Mittel, das Vertrauen der Finanzmärkte in den Euro zu stärken.
Es sind ja elend viele Zwischenstufen von der Armut der Hartz-iVler zur Solidität des Euro. Weder hat Hartz IV die Krise herbeigeführt, noch kann der Wegfall von Hartz IV dieses Nichtgelingen der Verwertung, dieses Nichtgelingen von Kapitalgeschäften heilen. Dennoch, die Regierung ist sich ganz sicher, das muß man machen und das bringt es! Sie sagt, wir sparen (einen großen Brocken, 80 Milliarden in vier Jahren), und jeder sagt, ja, ja, das geht hauptsächlich über die Sozialsachen. Und es ist gar nicht so, daß irgendeines der Problame zu bewältigen wäre, dadurch, daß man an den Hartz-IVlern oder an den Rentnern oder sonstwas spart. Das ist gar nicht so! Aber eines stimmt: Die Welt der Geldbesitzer, die ihr Recht auf Rendite beanspruchen und die Staaten auf einmal als schlechte Erfüller dieses Anspruchs mißtrauisch beäugen, diesen Geldbsitzern zeigen, demonstieren: Wir können unseren armen Leuten einiges zumuten, ohne daß wir Widerstand fürchten müßten, das ist wirklich vertrauensstiftend! Keines der Probleme ist geheilt, aber einen Grund, in solch eine Regierung Vertrauen zu investieren, kriegen die Geldbesitzer schon geboten.
Das ist wirklich absurd: Ökonomisch gesehen ist das völlig witzlos, vollkommen ungeeignet, die Dimension des Problems und die Milliarden, die sie bei den Arbeitslosen wegzwacken, das ist so gnadenlos unverhältnismäßig, aber dennoch ist sich die Regierung sicher, das ist das Mittel der Wahl.

Sind wirklich die tatsächlich auch die großen Finanzer selber mit soviel falschem Bewußtsein erfüllt, daß Peters Absurdität doch den Charakter einer kapitalistischen Wahrheit bekommt?

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. 5. Juli 2010, 11:40 | #1

    Decker: „Das soll jetzt mal bekämpft werden, und es ist klar, anders als bei Sexualität und Herrschaft, Familie und Lebenssinn, wohlmöglich auch Wahlen und Lohn, ist dies ein Thema, da ist nicht eine allgemeine Bekanntheit mit der Sache vorhanden und es geht um den Streit um die richtige Meinung darüber, sondern da ist der Streit um die richtige Auffassung zum Teil auch eine Aufklärung, wie es da einfach zugeht, ein Bekanntmachen. Ganz ohne sowas geht es einfach nicht ab.“
    Aber Decker hat natürlich „Bekanntheit mit der Sache“, ist per heldscher Eingebung „aufgeklärt“ über „die Sache“ und hat nicht eine Meinung, sondern die ewige Wahrheit. Untersuchen braucht er nichts, darf er nichts. Er zaubert einfach immer zu jeder neuen Entwicklung im Kapitalismus die altbekannten MG-Wahrheiten aus dem Hut. Wie blöd oder gläubig muss man sein, um auf solche empiriefreie, positivistische, Scharlatanerie hereinzufallen? (Man höre dazu auch Lars Quadfasels Vortrag zur MG.)

  2. 5. Juli 2010, 17:52 | #2

    Du bist wirklich nur ein trauriger Ignorant antikap: Wenn sich irgendeine ernsthaftere linke Strömung schwer getan hat mit der Finanzkrise, dann die Leute um den GegenStandpunkt, das haben sie ja auch weidlich eingestanden, selbst diese Bemerkungen belegen das ja offenhörlich. Das könntest selbst du an deren Artikeln oder Vorträgen ablesen, selbst an dem beschränkten Abklatsch all der Thesenpapiere, Leserbriefe usw., die da hin und her gegangen sind. Die haben sogar ein Heft verschoben, nur um noch Sachen ausdiskutieren zu können. Und dagegen kommst du mit deiner bornierten Scheuklappe der ewigen Wahrheit, den angeblichen „altbekannten MG-Wahrheiten“. Wie blöd muß man eigentlich sein, um auf solch empiriefreie (von dir ein nun wirklich besonders affiger Vorwurf) Scharlatanerie wie hier von dir hereinzufallen?
    Kein Wunder, daß dir als Gegenmodell nur ein nun wirklich nicht sonderlich gut aufgelegter Lars Quadfasel einfällt („überzeugte im Februar wieder in einem brillanten Vortrag, in dem er schonungslos einige der Widersprüche aufdeckt, in die sich MGler regelmäßig verheddern.“). Wenn du wenigstens ein kleines, klitzekleines Argument aus deiner ja nun auch schon in die Jahre gekommenen Mottenkiste herausgekramt hättest, dann würde das vielleicht sogar wieder mal jemand jucken, dagegen was zu sagen. So wohl eher wieder nicht.

  3. Nestor
    5. Juli 2010, 18:37 | #3

    Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was deine Frage ist:

    Sind wirklich die tatsächlich auch die großen Finanzer selber mit so viel fal­schem Bewußtsein erfüllt, …

    ???
    Ich verstehe auch nicht, auf wen Peter sich bezieht, wer sich auskennen und gleichzeitig für unzuständig erklären soll.

  4. 5. Juli 2010, 20:52 | #4

    Schon beim ersten Mal, wo jemand vom GSP, entweder Theo oder Peter, das Argument gebracht hat, daß die ganzen Sparprogramme doch angesichts des aufgehäuften Schuldenbergs recht witzlos sind, habe ich mir im Ernst obige Frage gestellt. Denn man muß doch kein linker Kritiker des Finanzwesens sein, sondern einfach „nur“ halbwegs „realistischer“ Analyst dieser Szene, um auf diese, wie auch ich meine, offensichtliche Unangemessenheit zu kommen.
    Ist das ganze also nur eine zynische Verzweiflungstat, die andere Zyniker beeindrucken soll? Oder werden diese Supersparer über kurz oder lang doch auch als Kaiser ohne Kleider dastehen?
    Den bitteren Verweis auf die Auskenner, die trotzdem sich mit ihrer Unzuständigkeit herausreden, den verstehe ich nun wirklich gut. Schließlich geht es gegen Leute wie mich, von denen es sicherlich eine ganze Menge im von den GSP-Ausführungen zur Finanzkrise angesprochenen Milieu gibt: Linke mit oder ohne bürgerliche ökonomische Ausbildung oder Profession, kleinbürgerliche „Intelligenz“ im weitesten Sinne, Linke, die bisher auch ohne Ökonomie dafür mit viel Moral unterwegs waren usw..

  5. Nur mal so
    5. Juli 2010, 23:01 | #5

    „Untersuchen braucht er nichts, darf er nichts. “
    Das macht man normalerweise, BEVOR man zu einem Vortrag einläd.

  6. Samson
    12. Juli 2010, 09:30 | #6

    Was heißt denn, die Geldbesitzer seien mit ‚falschem‘ Bewußtsein erfüllt? Die denken erstens in anderen Kategorien, denen nämlich, in der Konkurrenz Erfolg zu haben, und zwar bilanzierbar in Geld. Zweitens ist es schon so, dass die Kapitalistenklasse sich genau zu diesem Zweck das entsprechende Personal hält. Dazu zählen eben nicht bloß die paar (auswechselbaren) Pappnasen, die als Regierungschefs, Minister etc figurieren, sondern vor allem der ‚Wissenschaftsbetrieb‘, welcher haarklein ausrechnet, mit wieviel klarkommen muss, wer irgendwie ’staatlich alimentiert‘ wird.
    Die wirkliche Frage ist doch eher, warum jemand, der sich als Kritiker dieses Ladens versteht, ganz offensichtlich Analyse mit Prognose verwechselt. Wieso muss jemand, der seinen Marx intus hat, sich auf die Argumentation der Regierung einlasssen, bloß um hernach analytisch fundiert sagen zu können, dass deren Rechnung Schwurbel ist. Das ist denen doch vollkommen schnuppe. In deren Kategorien geht es doch nicht darum, ob was aufgeht, sondern darum einen ‚Schuldigen‘ zu bestimmen, falls es schief geht. Das ist wie Bundesliga oder Worldcup etc. Wer verliert, wechselt das Personal aus und hofft beim nächsten Mal mehr Glück zu haben. Das ist deren ‚Bewußtsein‘.
    Anders gesagt, deren Frage ist nicht, wer eine Rechnung ‚erstellt‘ sondern wer die Zeche bezahlen soll. Und die Antwort darauf ist stets die selbe. Ob und wie das wiederum ‚funktioniert‘, hängt nun so viel oder wenig von ökonomischen Kriterien ab wie der ganze ‚Sozialklimbim‘ überhaupt. Entscheidend fürs Gürtel-enger-schnallen ist nämlich nicht die Länge des Gürtels sondern dessen ideologische Begründung, d.h. inwieweit es der ‚Agitprop‘-Abteilung gelingt, den wirklichen, analytisch nachweisbaren Zweck der Veranstaltung (also den, der ‚hinterm Rücken‘ gilt) zu tabuisieren. Im äußersten Fall von ‚Unbotmäßigkeit‘ beruft sich das ‚Vaterland‘ halt aufs ‚Gewaltmonopol‘.
    Die eigentliche Frage für mich ist daher eher, wie man Leuten, die in Kategorien wie Nation, Volk, Regierung etc denken, vermittelt, dass es sich immer schon um Klassenkampf handelt. Wer sich mit ’seiner‘ Firma ‚identifiziert‘ resp. sich ’seinen Arbeitplatz‘ als ‚rechtmäßige‘ Einkommensquelle sorgt, versteht diesbezüglich nämlich immerzu bloß Bahnhof.

  7. 12. Juli 2010, 12:35 | #7

    Samson, jetzt stutze ich doch etwas über deinen Einstieg. Dein Hinweis „Was heißt denn, die Geldbesitzer seien mit ‚falschem‘ Bewußtsein erfüllt? Die denken erstens in anderen Kategorien, denen nämlich, in der Konkurrenz Erfolg zu haben, und zwar bilanzierbar in Geld. “ stimmt ja offensichtlich, ist aber nun wirklich nichts Bestimmtes der großen Geldbesitzer. Banken können doch erfolgreich an dieses auch beim Normalo vorhandene Bewußtsein anknüpfen, wenn sie um Einlagen werben mit dem Argument, „Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten!“.
    Es stimmt zwar auch, daß sich der bürgerliche Staat eine ganze Armada von „Wissenschaftlern“ hält, die bitteschön genau das als gesetzesmäßig unvermeidbar zu bestätigen haben, was ihnen die jeweiligen Regierungen als von ihnen für nötig erachtet vorsetzen. Jedenfalls, wenn es wie jetzt um die „wissenschaftliche“ weitere Verarmung der Masse der Bevölkerung geht. Siehe die geradezu aberwitzige Diskussion um die „objektive“ Festlegung eines „Existenzminimums“ für Hartz-IVler.
    Was anderes ist aber schon die Sphäre, wo es nicht nur um Ideologie, sondern auch um nüchterne Alternativenbeurteilung geht. Da soll das schon stimmen, soweit das dann überhaupt geht und ist nicht mit der Nachplapperei der Regierungserklärungen getan. Da wird dann auf Teufel komm raus modelliert, evaluiert, hochgerechnet usw. Schließlich wollen auch Regierungen nicht einfach auf Lottozahlen setzen und sich dann überraschen lassen, ob sie gewonnen haben oder nicht. Auch das ist sicherlich in einem ganz großen Maß falsches Bewußtsein.
    Das Argument, daß Analyse keine Prognose impliziere, das kenne ich schon auch. Ich habe das schon immer auch für eine Abschottung vor Kritik an der Analyse gehalten. Wenn meine Erkenntnisse, wie was läuft, was die grundlegenden Einflußfaktoren sind, stimmt, dann kann ich als Wissenschaftler regelmäßig Prognosen machen. Bei Naturwissenschaft und Technik wird das ja völlig zu Recht auch verlangt und kodifizert. Ehe nicht ein Statiker seine Berufsehre verpfändet hat und einer Turnhallenkonstruktion sein Plazet gegeben hat, darf sowas nicht gebaut werden. Sowas ist Prognose. Wenn die Meteorologen meinen, sie wüßten genug über das Chaos des Wetters, dann prognostizieren sie eben für übermorgen Regen im Ruhrgebiet.
    Der berühmteste und immer noch reichlich umstrittenste Fall für eine marxistische Prognose ist sicherlich dessen Behauptung, daß die Profitrate im Laufe der kapitalistischen Entwicklung tendentiell sinkt. Ich will jetzt gar keine Stellung dazu nehmen, ob und wie man das überhaupt feststellen könnte und ob er damit Recht behalten hat oder nicht. Aber das Marx sich da mit einer echten Prognse recht weit aus dem Fenster gelehnt hat, das kannst du doch auch nicht bestreiten.
    Ganz konkret jetzt zu deiner Behauptung „In deren Kategorien geht es doch nicht darum, ob was aufgeht, sondern darum einen ‚Schuldigen‘ zu bestimmen, falls es schief geht.“ Nein so einfach ist das eben nicht. Denn selbst mit der Schuldzuweisung auf das Finanzkapital, daß es irgendwie den eigenen Staatsbankrott unnötigerweise hervorgerufen hätte, wäre ja einem Schäuble nicht gedient. Er braucht ja Kredite mehr als Schuldige für eine Zahlungsunfähigkeit wegen seiner immer schwieriger werdenden Refinanzierung, bei der er auf Gedeih und Verderb auf die Finanzer angewiesen ist.
    Wenn du sagst, „deren Frage ist nicht, wer eine Rechnung ‚erstellt‘ sondern wer die Zeche bezahlen soll.“ Dann will ich dem ja einerseits gar nicht widersprechen, das liest man ja täglich in der Zeitung und merkt es selber, sondern ich schließe daran die Frage an, ob dieses Sollen überhaupt Wirklichkeit werden kann. Und das ist eine Frage, die nun wirklich nicht auf der gleichen zufälligen Ebene liegt wie die Frage nach dem nächsten Fußballweltmeister.
    Deinem Schlußwort hingegen stimme ich dann wieder weitgehend zu.

  8. Samson
    12. Juli 2010, 16:43 | #8

    Ich hab ja nicht geschrieben, dass die Denke der großen Geldbesitzer deren bestimmende Eigenschaft ist, sondern nur angemerkt, dass umgekehrt in anderen Kategorien denkt, wer ihnen deswegen ‚falsches Bewußtsein‘ unterstellt. Konkurrenz ist nunmal Hauen und Stechen auf Teufel komm raus und ggf. sind die Subjekte zuweilen mit diesem selber im Bunde. Zwangsläufiges gesellschaftliches Resultat dieser Veranstaltung ist aber von vornherein, dass es dabei Gewinner und Verlierer gibt.
    Und eben weil Regierungen dabei nicht einfach wie auf Lottozahlen etc. setzten wollen, gibts als ‚Rückversicherung‘ ebenso wie als Drohung das Gewaltmonopol, welches auch regelmäßig ‚angewendet‘ wird, um die eigenen Ansprüche durchzusetzen, falls das nicht anders geht. Oder glaubst du ernsthaft, es gäbe ‚objektivere‘, d.h. durch ‚Ratingagenturen‘ bestimmbare Kriterien, nach denen ‚modellierbar‘ wäre, weshalb meinetwegen Griechenland oder Spanien der ‚Staatsbankrott‘ droht, während über dieselben Finanzmärkte, auf denen jene als nicht mehr ‚kreditwürdig‘ gelten, noch jeder als ‚friedensstiftend‘ deklariete Waffengang der Nato ‚kreditbasiert‘ finanziert wird?
    Gleiches gilt mit ziemlicher Sicherheit ebenso fürs US-Defizit wie für den Umstand, dass die BRD jahrelang von der EU bestenfalls dafür ‚gerügt‘ wurde, dass sie gegen jene ‚Maastricht-Auflagen‘ bezügl. ‚Neuverschuldung‘ verstieß, die sie den anderen EU-‚Partnern‘ erst aufhalste. Hat sich darum auch nur ein einziger ‚Finanzkapitalist‘ geschweige denn eine ‚Ratingagentur‘ geschert?
    Im Übrigen ist der leidige Banker-Slogan, sein Geld ‚für sich arbeiten‘ zu lassen nur die Vorderseite jener Medaille, auf deren Rückseite die ‚Berechtigung‘ steht, dem säumigen Schuldner ggf. das letze Hemd o.s.ä. zu nehmen. Warum das bei ’säumigen‘ Staaten nicht ohne weiteres resp. nur ‚partiell‘ möglich ist, hängt eben mit dem Gewaltmonopol zusammen.
    Was den Profitratenfall betrifft, lässt der sich gesellschaftlich m.E. schon nachweisen, was freilich nicht bedeutet, dass die Kapitalisten weniger Geld o.s.ä. machen würden. Denen ging und gehts ohnehin nie um die Rate, noch nicht mal die ums BIP besorgten Statistiker scheren sich darum, für solche Bilanzen ist stets nur die Masse von Belang. Und dass das durchaus nichts ungewöhliches ist, also steigende Masse bei sinkender Rate, hat Marx nicht nur gewusst, sondern mit der ‚organischen Zusammensetzung‘ sogar eine überaus elegante Begründung geliefert.
    Ob die These vom Profitratenfall stimmt oder nicht ist aber für die Kritik der ganzen Veranstaltung gar nicht so entscheidend (dann würde sich solche ‚Kritik‘ selber disqualifizieren, falls die These nicht stimmt). Wichtiger ist m.E., dass der Profitratenfall sowenig wie die Profite selber ohne die ‚entgegenwirkenden Ursachen‘ undenkbar wären. Diese aber sind allesamt ‚politisch inszeniert‘ resp. ‚gewaltgesetzt‘. Und vermutlich deshalb wollte der Rauschebart keine wissenschaftliche sondern eine proletarische Revolution. Die aber setzt ein Subjekt voraus, und wenigstens daran haperts halt …

  9. 13. Juli 2010, 08:30 | #9

    Hm: Ist die „Denke“ der großen Geldbesitzer deren „bestimmende Eigenschaft“ oder nicht? Ich tendiere eher dazu, das zu bejahen. Die sind doch im wesentlichen wirklich „nur“ Charaktermasken der Akkumulation von Kapital. Andererseits stehen solche Funktionäre des Kapitals doch nicht außerhalb dieser kapitalistischen Ideologiewelt und von daher sicherlich genauso Beispiele für notwendig falsches Bewußtsein wie bei irgendeinem ganz normalen Gehaltsempfänger. Wenigstens dein „Konkurrenz ist nunmal Hauen und Stechen auf Teufel komm raus“, das wissen die schon auch, schließlich sind sie die Macher dieser Konkurrenz.
    Du springst gleich auf die Regierungen und deren Weltsicht und Weltbeeinflussung. Darum ging es mir aber nicht in erster Linie. sondern „nur“ darum, welchen Reim sich die Finanzer auf das machen, was die Regierungen machen. Das Problem ist doch, und das ist ein objektives, keines der Wahrnehmung oder der Ideologie, daß die Regierungen zwar irgeneinen konkreten Sparhaushalt durchsetzen können, ein bestimmtes Resultat ihrer Wachstumsförderung erzwingen können sie aber nicht. Und das wissen die Finanzer doch auch. Das ganze Gerangel um die Rating-Agenturen ist doch Beleg dieses Dilemmas. Die Regierungen beharren darauf, daß all ihre schönen Verschuldungsprogramme schon ok sind, weil das Ergebnis so gut wie sicher garantiert ist und es deshalb ein handfestes politisches Ärgernis ist, wenn mal eine Einschätzung von Moodys lautet, so sicher scheint uns das aber nicht. Denn wirklich sicher ist es ja wirklich nicht und kaum hat Moodys ein Länderrating herabgesetzt, fällt es all den Banken wie Schuppen von den Augen, daß nun endlich „bewiesen“ ist, daß da doch irgendwie wieder mal ein Risiko mit dabei war bzw. jetzt ist.
    Du stellst fest, das ist ja offensichtlich und wird allenthalben angeführt, daß es ein „objektives“ Kriterium für den Zweifel an der Realisierbarkeit der schuldenfinanzierten Wachstumshoffungen gar nicht gibt und von daher man mit gleichen „Recht“ auch US-Schatzanleihen herabstufen könnte oder sich angesichts von 1700 Mrd. Euro Staatsverschuldung von Deutschland (oder Frankreich) grundlegend die gleichen Sorgen machen könnte, die gleichen Finanzwetten eingehen könnte, wie jetzt bei Griechenland & Co.
    Und weil dem tatsächlich so ist, legen doch jetzt fast alle großen kapitalistischen also auch Schuldenstaaten diese demonstrativen Sparhaushalte vor. Denn das wissen doch alle Schatzkanzler und Finanzminister, daß ihre jeweilige Bedienungsfähigkeit auf dem gleichen Sand gebaut ist wie bei den „Problemstaaten“.
    Wenn du auf den gerade der Finanzwelt bekannten Fakt hinweist, daß es zwar ein Vollstreckungsrecht gegen Firmen und Privatpersonen gibt es aber bei Staaten ein Insolvenzrecht nicht gibt und höchstens im Falle von kriegerischen oder semikriegerischen Auseinandersetzungen wie in den letzten Jahren gegen den Iran manche Staaten sowas Ahnliches machen, dann ist das doch umso mehr ein Argument für deren nervöse Frage, ob das wohl alles gut geht. Denn schon bei normalen Krediten hilft einem das Recht notfalls einen Gerichtsvollzieher, also die Staatsgewalt, vorbeischicken zu können nichts, wenn dann nichts abzuholen ist bei dem Schuldner.
    Auf den Stellenwert und die Frage, ob das „Gesetz“ vom tendentiellen Fall der Profitrate nun stimmt oder nicht, will ich mangels Kenntnis (Ich bin kein Marxist) nicht näher eingehen. Ich hatte dies (blöderweise) nur angeführt, um deinem prinzipiellen Agnostizismus etwas entgegenzusetzen. Denn meine ursprüngliche Frage, warum es offensichtlich bei den Finanzern einschlägt und einleuchtet, wenn die Regierungen etwa machen, was in den Augen des GegenStandpunkt absurd ist (und in meinen auch), also im wahrsten Sinne einfach nicht zielführend, darauf erwarte ich immer noch eine einleuchtende Antwort.

  10. 13. Juli 2010, 11:12 | #10

    In ihrem Artikel „Staatliches Sparen als Antwort auf die Staatsschuldenkrise (Teil 2)“ schreiben die Genossen von der GSP-NRW-Webseite vonmarxlernen zum hiesigen Thema (in einem übrigens insgesamt sehr lesbaren Text:

    Staaten `kämpfen´ mit den Finanzmärkten um ihre Kreditwürdigkeit
    Die Staaten, die sich der Bewertung durch die Finanzmärkte bewusst aussetzen, weil sie anders ihre Schuldenwirtschaft nicht fortführen können und weil sie mit ihren Wirtschaftserfolgen eine gute Bewertung herbeiregieren wollen, sind schockiert über den Entzug des Vertrauens, von dem sie leben. Erst helfen die Stärkeren unter ihnen den Schwächeren mit nochmaligen Krediten und Garantien aus der akuten Zahlungsnot heraus, weil sie sonst selbst – mit ihren eigenen Banken, ihrem Geld, ihrer eigenen Kreditwürdigkeit – mit hineingerissen würden in die Krise anderer (Griechenland-/Eurorettungspakete). Dann aber verdonnern sie sich schweren Herzens selbst dazu, „ihre Finanzen in Ordnung zu bringen“, um das Vertrauen der Märkte, sprich: deren schöne Funktionalität von gestern, wiederzugewinnen. Sie akzeptieren nämlich das – praktisch wahr gemachte – Urteil der Märkte, dass viel zu viele Staatsschulden aufgehäuft worden sind, um glaubwürdig bedient zu werden. Sie versuchen durch Einsatz ihrer Macht über die Gesellschaft, der sie vorstehen und jetzt ein „Sparregime“ oktroyieren, zu beweisen, dass sie ab sofort ein besseres Urteil verdienen. Sie verbieten sich zumindest ein Stück weit selbst die altgewohnte Freiheit, im Interesse künftigen Wachstums schuldenfinanzierte Staatsausgaben zu beschließen, weil die zuvor aufgehäuften Schulden prekär geworden sind und damit ihre weitere Verschuldungsfähigkeit in Frage steht. Diesen Widerspruch erkennen und reflektieren sie selbst, ohne ihn allerdings aus der Welt schaffen zu können: Sie verordnen sich „drastische Sparhaushalte“ und verkünden gleichzeitig, dass ein „Kaputtsparen“ der Wirtschaft unbedingt vermieden werden muss.
    Worauf die Sparpakete spekulieren
    „Der Staat muss endlich wirklich sparen“, heißt es. Das ist natürlich nicht so mißzuverstehen, als wolle die Regierung ab jetzt auf ihre Schuldenwirtschaft gänzlich verzichten. So, als sollten ab sofort die aktuell 1,7 Billionen Euro deutsche Staatsschulden durch Sparen abgetragen werden! Oder wenigstens die in der Krise dazugekommenen Hunderten Milliarden! Auf lediglich 80 Milliarden Euro beläuft sich das von der Merkel-Regierung für die nächsten Jahre auf Basis von frohgemuten Hochrechnungen einkalkulierte Einsparvolumen bei den Ausgaben, das wachsende Neuverschuldung ersparen helfen soll…
    Schon die ziemlich unterschiedliche Dimension der Zahlen ist ein Hinweis darauf, worum es wirklich geht. Es geht um eine Demonstration für die Märkte. Demonstriert wird die Bereitschaft und Fähigkeit der Sparstaaten, sich dem Schuldenproblem `endlich´ in einer radikalen Ernsthaftigkeit, die alle Tabus beiseite schiebt, zu widmen und damit wieder das zu ermöglichen, auf was es allein ankommt: das Wachstum aller Geldrechnungen.
    Nehmen wir Deutschlands Sparpaket: Einerseits wird Wert darauf gelegt, dass der Staat alle Ausgabenposten kritisch auf Streichmöglichkeiten hin überprüft, also vieles infragestellt, was bisher für nötig befunden wurde, als ob es sich um überflüssigen Luxus handelte. Andererseits wird herausgekehrt, dass die Implikationen der Sparbeschlüsse für künftiges Wachstum auf dem Standort entscheidend sind für die Frage, wo gespart werden kann und muss: Das ergibt dann eine schöne klassenspezifische Rangordnung, wobei die Härten für die „sozial Schwachen“ die Seriosität der „intelligenten“ Sparpolitik unterstreichen sollen – auch wenn kein Schwein sagen kann, ob die eine Streichung (etwa bei Hartz-IV) wirklich keine Umsätze der Wirtschaft kostet, die andere Nichtkürzung (etwa im Bildungsbereich) wirklich Wachstumsimpulse freisetzt…
    Dieses zwar widersprüchliche, aber machtvolle Signal ergeht also momentan an die Märkte. Es soll selber schon dafür sorgen, dass diese ihre Negativeinstellung zu den umlaufenden Schuldpapieren überdenken. Noch bevor absehbar ist, welche Einsparungen tatsächlich zustande kommen und wie sie sich auf das deutsche BIP auswirken werden, soll die Botschaft für Fakten sorgen – so erhofft es sich jedenfalls die Regierung in Berlin. Die Kreditwürdigkeit Deutschlands, die auch nicht mehr sakrosankt ist, soll gestärkt werden (und darüber indirekt auch diejenige der unterstützten Partner).
    Jedenfalls dann, wenn das Signal von den Adressaten richtig verstanden wird…
    Die aber nehmen es auf ihre bornierte Weise zur Kenntnis. Sie fragen – wie stets – nach Gewinnausssicht und Sicherheitsrisiko ihrer Investments, und reagieren deshalb widersprüchlich. Sie bejahen den Sparwillen und bezweifeln seine Wachstumswirkung, schwanken also in ihrem Urteil, was sie von dieser praktizierten staatlichen Selbstkritik, die sie selbst herausgefordert haben, jetzt halten sollen. „Die Unsicherheit an den Märkten nimmt zu“, heißt es dann in den Medienberichten. Die Kreditwürdigkeit der Staaten bleibt eine offene Frage.“

    Es fällt mir auf, daß hier Peter Deckers Verdikt, mit dem ich hier angefangen hatte

    „Das ist wirklich absurd: Ökonomisch gesehen ist das völlig witzlos, vollkommen ungeeignet, die Dimension des Problems und die Milliarden, die sie bei den Arbeitslosen wegzwacken, das ist so gnadenlos unverhältnismäßig, aber dennoch ist sich die Regierung sicher, das ist das Mittel der Wahl“

    nicht vorkommt.

  11. Samson
    13. Juli 2010, 23:17 | #11

    Na ja Neoprene, womöglich würde der Marxist an der Stelle, wo du dir einen Reim zu machen versuchst, auf sowas wie ‚dialektische Einheit von Widersprüchen‘ verweisen. Wenn nämlich die eine Figur analytisch betrachtet bloße Charaktermaske einer x-beliebigen Funktion innerhalb eines Spiels ist, dessen Regel sie als solche Charaktermaske entweder gar nicht kapieren kann oder, was wahrscheinlicher ist, nicht für fragwürdig hält, stellt sich wenigstens die Frage, wieso erstens dieser Befund für konkurrierende und/oder kooperierende Charaktermasken nicht gleichermaßen gelten soll(te). Woraus wiederum zweitens folgt, mit welcher Begründung sollte man sagen können, die seien die „Macher dieser Konkurrenz“? Das ist nämlich etwas vollkommen anderes als zu sagen, sie seien als apriori konkurrierende Subjekte meinetwegen ‚Macher‘ von irgendwas innerhalb dieser Konkurrenz.
    Die wirkliche Frage, um die sich der ganze Zoff zwischen Marxisten und Nichtmarxisten immerzu dreht, ist im Grunde die, ob dieser Zustand, also Gesellschaft ausdrücklich als solche konkurrierender ‚Subjekte‘ ’naturdeterminiert‘ oder ‚historisch determiniert‘ sei. Wenigstens die ML-Marxisten gehen von letzterem aus. Und es spricht selbst dann mehr dafür als dagegen, wenn man die von Marx als ‚treibendes Motiv‘ unterstellten ‚Produktivkräfte‘ für empirisch nicht nachweisbar hält. Dazu muß man noch nicht als sowas wie ‚Urkommunismus‘ (den ich bspw. für zweifelhaft halte) annehmen. Es reicht schon hin, womöglich weil man mit viel Moral unterwegs ist, auf sowas wie ‚Empathie‘ zu verweisen, ohne die selbst der gnadenloseste Henker auf die Dauer verkümmert.
    Jedenfalls ergeben sich m.E. aus den jeweils verschiedenen Perspektiven, die solcher Bestimmung vorausgesetzt sind, schon sehr unterschiedliche inhaltliche Bestimmungen des Begriffs von Gesellschaft. Man müsste folglich erst den Beweis liefern, dass die eine oder andere Definition richtig ist, um daraus folgern zu können, dass sich ein falsches Bild von der Angelegenheit macht resp. ein ‚falsches Bewußtsein‘ seiner selbst innerhalb derselben hat, wer von anderer Perspektive aus andere Schlüsse zieht.
    Anders gesagt, das Problem, das du ond/oder der GSP ausmacht, existiert vermutlich für die Regierungen sowenig wie für die Finanzer in ihrer jeweiligen Funktion als Charaktermasken. Es ist halt pures ‚Agitprop‘, dass ‚die Wirtschaft‘ wachsen müsse, denn ‚die Wirtschaft‘ kann als ausdrücklich kapitalistische laut Marxscher Analyse, auf die sich gerade der GSP immerzu beruft, überhaupt nur als „Konkurrenz vieler Kapitale“ (auch hier wieder ‚dialektische Einheit von Widersprüchen‘) existieren. Und wie das geht, dass die (diesbezüglich stets als gesamtgesellschaftlich unterstellte) Profitmasse absolut wie relativ steigt und gleichzeitig die Profitrate der Tendenz nach sinkt, hat Marx m.E. mit der sich ändernden, d.h. ‚wachsenden organischen Zusammensetzung‘ ausreichend, wenngleich ziemlich umständlich und nervtötend beschrieben. Vermittelt über diese Konkurrenz stellt sich folglich eine spezifische Form von Gesellschaft dar, deren Charakteristikum oder deren ‚Wesen‘ darin besteht, dass der Vorteil des Einen den Nachteil des Anderen impliziert. Dass dabei sowohl winner wie loser rauskommen steht von vornherein fest.
    Streng genommen stellt sich doch schon die Frage, wie unter solchen Voraussetzungen ‚Äquivalententausch‘ gehen soll. Der Begriff selber ist doch genauso streng genommen für sich tautologisch. Was anderes als ‚Äquivalente‘ lassen sich doch gar nicht tauschen. Jeglicher anders geartete Besitzerwechsel von irgendwas gilt folglich als Geschenk, Raub, Diebstahl, Nötigung etc. nur halt nicht als Tausch.
    Freilich haben die GSPler recht, wenn sie in dem von dir verlinkten Wert-Aufsatz darauf rumhacken, dass die erste Voraussetzung des ganzen Schwurbels nicht Geld sondern Privateigentum ist. Nur ist das nun wirklich keine neue Erkenntnis. Für den Rauschebart war dieser Gedanke offenbar so selbstverständlich, dass er den erst, und dann auch eher beiläufig erwähnt, als er darauf zu sprechen kommt, dass das fertige Produkt ‚rechtmäßig‘ dem Kapitalisten ganz alleine gehört und sich aus dem Umstand, dass die Arbeiter schließlich die Arbeit verrichtet hätten, überhaupt keine Anspruch darauf herleiten ließe. Anders ist nämlich gar nicht zu erklären, dass er statt meinetwegen die ‚Subjektkonstitution‘ und daher die dieser zugrundeliegenden Herrschaftsverhältnisse auseinander zu nehmen seine Analyse mit dem scheinbar Abgeleiteten, der Ware, beginnt und dieser dann auch noch einen quasi metaphysischen ‚Doppelcharakter‘ unterstellt.
    Die GSPler hätten vielleicht noch erwähnen können, dass privat sich ‚etymologisch‘ von privatare herleitet. Und davon weiß das allwissende Internet zu berichten, dass damit in heute längst vergessenen Zeiten mal der Raub von Gemeineigentum umschrieben wurde o.s.ä.
    In irgendeinem längst nicht mehr existierenden Forum, in dem sich vorwiegend ‚besorgte Staatsbürger‘ Gedanken machten ums Für und Wider der allgemeinen Anstrengungen beim Geldverdienen und die Bemühungen der ‚Staatsdiener‘ wegen des selben Zwecks, habe ich vor Jahren mal neben paar Haßtiraden hauptsächlich ziemliches Unverständnis geerntet, als ich ‚lang und breit‘ zu erklären versuchte, dass Geld im Grunde nichts als inhaltsloses Privateigentum ist. Die Bestimmung ist nämlich in mehrfacher Hinsicht widersprüchlich, und die Widersprüche erscheinen i.d.R. selbst den borniertesten Trotteln so absurd, dass sie es dann gar nicht mehr so genau wissen wollen. Konsequenterweise fragte in jenem ’staatstragenden‘ Forum ein ziemlich rigoroser FDP-Anhänger recht verwundert, was um alles in der Welt denn seine Freunde und Bekannten mit der Marktwirtschaft zu tun hätten.
    Der erste Widerspruch ergibt sich nämlich schon daraus, dass Privateigentum per se ein gesellschaftliches Konstrukt ist, in welchem die diesem quasi vorausgesetzte Gesellschaft umgehend exkludiert wird (wenigstens dem Anspruch nach). Stellt sich, wenn man explizit gesellschaftliche Wesen als Subjekte unterstellt, doch sofort die Frage nach dem Grund. Materielle scheiden eigentlich insofern aus, als die ‚historisch‘, was immer auch zufällig heißt, und 2. vermittels ‚Stoffwechsel mit Natur‘ überwindbar sind (andernfalls verschwände ebenso ‚historisch‘ die Gesellschaft).
    Der zweite, fürs Kapital als Verhältnis bedeutendere Widerspruch liegt aber im Prädikat, welches auf den spezifischen Zweck verweist. Hat es keinen konkreten Inhalt, ist es als Konstrukt so sinnlos wie eine zur ‚Weide‘ deklariete Wiese, auf der nie irgendein ‚Nutztier‘ steht. Futter ist das Gras halt erst, wenn die Kuh es frisst. Der Zweck von kapitalistischem Privateigentum ist eben gerade nicht, seinem Besitzer per Titel einen Anteil am irgendwie ‚gesellschaftlichen Reichtrum‘ zu verschaffen und ist daher schon gar nicht dessen ‚abstrakte Form‘ o.s.ä. Der Haken an der ganzen Sache ist nämlich, dass es nur deswegen, weil es als inhaltsloses daher kommt, oder wie Peter Decker mal irgendwo gesagt hat, als Geld kein Maß hat, dazu taugt, zwischen formal gleichen Subjekten zu vermitteln, deren Gesellschaftlichkeit sich als Konkurrenz ums exklusive Benutzungsrecht an irgendwelchen Sachen darstellt, für deren Herstellung sie aber aufeinander angewiesen sind (und darin liegt wirklich der Hund begraben). Nur als solch inhaltsloses Privateigentum ist es zugleich spekulative Anweisung auf irgendeinen konkreten Inhalt. In dieser spekulativen Anweisung steckt aber auch seine ‚Schranke‘. Geht die Spekulation nicht auf und es kommt kein ‚Äquivalententausch‘ zustande, dann ist die Anweisung witzlos.
    Für Privateigentum als Kapital gilt nun aber als quasi funktionale Bedingung, dass beim ‚Äquivalententausch‘ gefälligst ein Profit rausspringen soll. Basiert der nun aber gemäß Marxscher Analyse auf unbezahlter ‚Mehrarbeit‘, welche sich als ‚Mehrwert‘ darstellt, dann ist mir ehrlich gesagt schleierhaft, wie die GSPler behaupten können, die Banken machten Gewinne, die nicht aus Mehrwert stammten. Resp. ist dann überaus fraglich, weshalb sie immer noch mit Marx ‚hausieren‘ gehen. Wie schon mal gesagt, entscheidend ist nicht der Profitratenfall sondern die ‚entgegenwirkenden Ursachen‘. Und darunter lässt sich eben nicht bloß alle staatlich arangierte Drangsal gegenüber dem ‚Arbeitsvolk‘ subsumieren sondern gleichermaßen jegliche ‚Finanzpolitik‘ incl. ‚Konjunkturspritzen‘ innerhalb oder ‚friedenstiftende‘ Maßnahmen außerhalb des jeweiligen Machtbereichs.
    Im Übrigen, und das ist womöglich dein wirklicher Trugschluss, treibt weder die Regierung(en) noch die Finanzer die Sorge um, Kredite irgendwann tatsächlich nicht bedienen zu können. Deren tatsächliche Befürchtung ist eher (deswegen gründen sie ‚Bad Banks‘, um den gröbsten Finanzmüll unter staatliche Kuratell zu stellen), dass es nicht mehr genügend profitable Anlagemöglichkeiten für inhaltslose Privateigentumstitel geben könnte (weswegen die Zahl der Anlage-, Unternehmens- oder Regierungsberater auch im umgekehrten Verhältnis zur Profitrate steht). Und deswegen legen sie Sparprogramme auf und kürzen bei allem was unter ‚Sozialklimbim‘ fällt, während die absurdesten Projekte finanziert werden, solange auch nur der winzigste Anschein erweckt wird, es könnte sich als ‚gewinnträchtig‘ erweisen. Und genau deswegen auch die Privatisierung auf Teufel komm‘ raus. Die würden in Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser sofort ‚Unsummen‘ investieren, und zwar geade nicht aus Empathie etc. sondern wenn die bloß profitabel zu sein versprächen …

  12. 14. Juli 2010, 09:49 | #12

    Ich nehme mal an, Samson, daß du die „dialektische Einheit“ für einen ironischen Scherz hältst. Ich zumindest tue das. (Vor kurzem hat jemand ganz empört reagiert, als ich ihm zur Vermeidung weiterer Auseinandersetzung nur gesagt habe, daß ich bei solchen klassischen marxistischen Schmankerln immer als ersten Reflex meine Geldbörse in die Hand nehme, um auf Nummer sicher zugehen, denn bei solchen Sprüchen muß man bekanntlich mit allem Möglichen rechnen.)
    Konkret zu den Charaktermasken denke ich auch, daß man da immer davon ausgehen sollte, daß die das, was sie da in den verschiedenen Rollen tun, in der Tat nicht für fragwürdig halten. Und daß das Label natürlich auch „für konkurrierende und/oder kooperierende Charaktermasken“ gilt. Sonst gälte es ja gar nicht. Interessant ist jetzt dein Bezweifeln, daß es in der Konkurrenz „Macher“ gibt (krude Täter versus Opfer, herrschende Klasse versus Proletariat). Oder eigentlich, daß alle Menschen Macher sind, weil ja alle ganz bewußt in der Konkurrenz mitmachen? Wie „apriori“ der Wille zur Konkurrenz ist, das ist übrigens wirklich eine schöne Frage.
    Nun zu deinem „Die wirkliche Frage, um die sich der ganze Zoff zwischen Marxisten und Nichtmarxisten immerzu dreht, ist im Grunde die, ob dieser Zustand, also Gesellschaft ausdrücklich als solche konkurrierender ‚Subjekte‘ ‚naturdeterminiert‘ oder ‚historisch determiniert‘ sei.“:
    Du schränkst ja immerhin schon ein, daß die historische Determination ein zentrales Glaubensbekenntnis der MLer gewesen ist. Es gibt ja daneben oder besser danach auch noch die MG-These, daß da überhaupt nichts determiniert ist. Peter Decker hatte mir dazu z.B. vor einer Weile mal geschrieben:
    „Es gibt keinen höheren absoluten Grund, warum sich die Getreidebauern des alten Ägypten oder die Bauern und Handwerker des ausgehenden Mittelal­ters die Herrschaft gefallen lassen mussten, die sie sich gefallen ließen. Ob ein Aufstand Erfolg hat oder nicht, hängt an der Masse der Aufständischen, die immer mehr sind als ihre Herren, ihren Waffen, die immer schwächer sind als die ihrer Herren, und der Angewiesenheit der anderen Seite auf ihre Dienste, die sie ausreizen können. Das ist eine Frage von Kampf, Sieg und Niederlage incl. der Rolle des Zufalls; all gemeine historische Gesetze, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten sind da nicht zu sehen.“
    aus http://neoprene.blogsport.de/2007/12/17/histomat-recycling-slight-return/
    So symphatisch mir diese Sichtweise ist, zudem in unseren Zeiten, wo es offensichtlich stimmt, so problematisch erscheint es mir, daß bis an den Beginn der uns bekannten Geschichte von modernen Gesellschaften zurückzuprojezieren. Ist aber eh egal, denn die Zeit der Agypter ist vorbei, nur die Pyramiden stehen noch.
    Wenn du sagst, „Es ist halt pures ‚Agitprop‘, dass ‚die Wirtschaft‘ wachsen müsse, denn ‚die Wirtschaft‘ kann als ausdrücklich kapitalistische laut Marxscher Analyse, auf die sich gerade der GSP immerzu beruft, überhaupt nur als „Konkurrenz vieler Kapitale“ (auch hier wieder ‚dialektische Einheit von Widersprüchen‘) existieren. “ dann klingt das für mich so, als wenn das irgenwie eine Einschränkung ja gar eine Verharmlosung wäre, als eigentlich schon unnötiges Getue über oder neben den wirklich wichtigen Sachen. Das sehe ich anders.
    Des Nachdenkens wert halte ich deine Ausführungen zum Begriff des Privateigentums, des Kapitals. des Werts:
    „Der Zweck von kapitalistischem Privateigentum ist eben gerade nicht, seinem Besitzer per Titel einen Anteil am irgendwie ‚gesellschaftlichen Reichtrum‘ zu verschaffen und ist daher schon gar nicht dessen ‚abstrakte Form‘ o.s.ä. Der Haken an der ganzen Sache ist nämlich, dass es nur deswegen, weil es als inhaltsloses daher kommt, oder wie Peter Decker mal irgendwo gesagt hat, als Geld kein Maß hat, dazu taugt, zwischen formal gleichen Subjekten zu vermitteln, deren Gesellschaftlichkeit sich als Konkurrenz ums exklusive Benutzungsrecht an irgendwelchen Sachen darstellt, für deren Herstellung sie aber aufeinander angewiesen sind (und darin liegt wirklich der Hund begraben). Nur als solch inhaltsloses Privateigentum ist es zugleich spekulative Anweisung auf irgendeinen konkreten Inhalt. In dieser spekulativen Anweisung steckt aber auch seine ‚Schranke‘. Geht die Spekulation nicht auf und es kommt kein ‚Äquivalententausch‘ zustande, dann ist die Anweisung witzlos.“
    Ein ganz zentraler Punkt der Diskussionen um die Finanzkrise ist zudem deine GSP-Kritik:
    „Basiert der nun aber gemäß Marxscher Analyse auf unbezahlter ‚Mehrarbeit‘, welche sich als ‚Mehrwert‘ darstellt, dann ist mir ehrlich gesagt schleierhaft, wie die GSPler behaupten können, die Banken machten Gewinne, die nicht aus Mehrwert stammten.“ Genau darum ging ja deren Wert-Nachtrag aus dem aktuellen Heft 2-10. Wenn du schon gesagt haben, daß sie sich schwer getan haben, dann wird es dich nicht überraschen, wenn ich hinzufüge, daß mir das noch schwerer gefallen ist, bzw. immer noch fällt.
    Was deinen letzten Punkt angeht:
    „Im Übrigen, und das ist womöglich dein wirklicher Trugschluss, treibt weder die Regierung(en) noch die Finanzer die Sorge um, Kredite irgendwann tatsächlich nicht bedienen zu können.“ glaube ich, daß deine „Widerlegung“ den gleichen Sachverhalt beschreibt, also beide Sorgen die gleiche sind. Der springende Punkt ist doch, daß sich immer erst hinterher erweist, was profitabel zu sein verspricht und was ex post auch tatsächlich Profit eingebracht hat. Und das zunehmend bei vielen Sachen allerseits (zu Recht in vielen Fällen, möchte ich mal vermuten) Zweifel aufkommt, ob das wirklich so schön deckungsgleich bleiben wird, wie es das im Schnitt „früher“ gewesen ist.

  13. Samson
    15. Juli 2010, 23:44 | #13

    Deine Annahme, Neoprene, ist nicht ganz falsch, allerdings nehme ich weniger die ‚Dialektik‘ als Scherz. Die könnte man auch als ‚deskriptiven Ansatz‘ o.s.ä. bezeichnen. ‚Dialektik‘ bedeutet bei Marx , grob verkürzt, eben nichts anderes, als qualitative Sprünge als aus den Beziehungen zwischen widersprechenden Elementen innerhalb bestimmter Verhältnisse hervorgehend zu beschreiben. Damit ist über den Verlauf von Geschichte absolut nichts gesagt, sondern bloß, wie sich Verhältnisse ggf. bestimmen lassen. Auf das, was die verschiedenen ‚Marxismen‘ sich daraus so zusammen bastelten, kann man daher wohl wirklich nur noch sarkastisch reagieren (Resultat war ja stets, dass im Erfolgsfall bloß die eine Herrschaft durch eine andere ersetzt wurde, hingegen ‚ökonomisch‚ alles beim Alten blieb). Vielleicht trifft Vernunft und Geschichte bei Marx die Angelegenheit noch am ehesten. Immerhin findet sich da eine plausible Erklärung, warum Leute, die sich für irgendwie links halten, um Marx nicht drumrum kommen, obwohl der als Wissenschaftler offenbar gescheitert ist. Unverständlich bleibt (wenigstens für mich) trotzdem, wie bspw. der ML aus der Marxschen These vom ‚historischen Behuf‘ des Kapitals, die Produktivkräfte zu entwickeln, tatsächlich sowas wie einen ‚höheren Zweck‘ stricken konnte. Der diesbezüglich faulste Zauber war halt, was bspw. in der DDR ’sozialistische Mehrwertproduktion‘ hieß.
    Um die Angelegenheit nicht endlos auszuwalzen, würde ich in der Beziehung libelle zustimmen: „‚Historische Gesetze‘ sind eine Kritik an der Menschheit, eine Beschimpfung, dass sie völlig geistlos herumwurstelt.“ Im Grunde hob ja auch Peter Decker darauf ab, als er das Beispiel mit dem Bauernkrieg anführte und darauf verwies, dass die Bauern vermutlich keinen Kommunismus gemacht hätten, sondern irgendwas, das ihrer ‚Weltsicht‘ entsprochen hätte. Nichts anderes bedeutet m.E. das Marxsche Verdikt, Individuen seien als „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ o.s.ä. zu begreifen. Dass da offenbar irgendwas dran ist, zeigt im Grunde auch dein Reflex. Nichts fürchtet das Individuum in der bürgerlichen Gesellschaft mehr, als den Verlust der so genannten bürgerlichen Freiheiten, die sich im Geld symbolisieren und demselben damit einen Zweck unterstellen, den es gerade in der bürgerlichen Gesellschaft nicht hat. Nicht mal mehr die ‚Schatzfunktion‘ früherer Epochen taugt etwas, was eben keineswegs am ‚Goldpreis‘ liegt sondern am Selbstzweck des Geldes, sich zu ‚vermehren‘. Streng genommen sind die bürgerlichen Freiheiten oder auch der so genannte ‚Lebensstandard‘ abhängige Variablen des Funktionierens von ‚Geldvermehrung‘. Folglich misst das bürgerliche Individuum dem Geld eine größere Bedeutung bei als jeder Gläubige seinem Gott. (womöglich wärest du in früheren Epochen reflexhaft exorzistischen Gedanken verfallen)
    Unter dem Aspekt greift eben auch deine Bestimmung der Funktion des Statikers zu kurz. Ob die Turnhalle kapitalistisch gebaut wird, entscheidet sich nicht an dessen Berufsehre, sondern daran ob das Bauen profitabel ist oder nicht. Die Ehre des Statikers taugt dazu, Konstruktionsfehler als Ursache auszuschließen, falls die Turnhalle irgendwann einstürzt. Ggf. wird halt entgegen den Vorgaben des Statikers ‚am Material gespart‘, weil der Auftraggeber nur das billigste Gebot akzeptiert. Aus vergleichbaren Gründen verbreite die Agitprop-Abteilung bspw. im Frühjahr die message, die Schlaglöcher auf den Straßen könnten nur bischen zugeschmiert werden, man wisse zwar, dass das auf Dauer kontraproduktiv sei o.s.ä., nur die ‚öffentlichen Kassen‘ seien halt leer. Erinnert sich noch wer, wie die Westler sich über die beschissenen Straßen im Osten mokierten, auf denen sie sich Federn und Stoßdämpfer ruinierten? Im Gegensatz zu heute, wo es weder an Material noch an Leuten mangelt, fehlte den ’staatstragenden MLern‘ beides resp. wurde für andere Zwecke gebraucht. (Nicht zuletzt daran blamierte sich die ’sozialistische Mehrwertproduktion‘ und zwar gerade nicht wegen der geringeren Produktivität)
    Was die Propaganda vom ‚Wachstum‘ betrifft, so war dass keineswegs als Einschränkung oder Verharmlosung gemeint. Dass sie es überhaupt propagieren, zeigt doch gerade, dass sie es nicht wirklich beeinflussen können. Könnten sie es, gäbe es zwar keinen ‚höheren Lebensstandard‘ beim ‚Arbeitsvolk‘, aber keine Krise in der Akkumulation resp. keine Notwendigkeit von ‚Staatssubventionen‘, die den wirklichen Grund der ‚Staatsverschuldung‘ ausmachen und eben keineswegs das bischen ‚Sozialklimbim‘. Das war immer schon ökonomisch betrachtet ‚Abfallprodukt‘ und hatte einen politischen Grund, der prinzipiell entfiel, als der Osten verschwand. Deswegen trifft auch dein Einwand nicht, wenn ich den gleichen Sachverhalt beschriebe, erlaube das den Rückschluss auf die gleichen Sorgen. Beim ‚Sozialklimbim‘ weiß man eben vorher, dass es bloßes Geldausgeben ist, weil die Empfänger das Geld halt ‚verfuttern‘. Damit sich Geld dagegen ‚rentiert‘, bedarf es bestimmter Voraussetzungen und diese schafft die Regierung halt, in dem sie das Kapital ’subventioniert‘ und das ‚Arbeitsvolk‘ drangsaliert. Prinzipiell ginge das auch noch, dass man als ‚Exportweltmeister‘ ein ‚Wachstum‘ hat und derweil die ‚eigenen Hungerleider‘ tatsächlich vor die Hunde gehen. Ob man das als Regierung dem ‚Staatsvolk‘ politisch vertickern kann, hängt dann eben qualitativ von agitprop ab.
    Wirklich absurd ist eher, dass ‚Steuerzahlerbund‘ und sonstige Lobbyisten zwar über ‚Staatsverschuldung‘ meckern, sich aber noch viel mehr mockieren, wenn der Staat irgendwo Geld ‚hortet‘, statt es da auszugeben, wo die ‚Privatwirtschaft‘ Rendite vermutet. Man macht sich aber selber was vor, wenn man sich als Kritiker des Ladens den Kopf darüber zerbricht, ob denn das mit dem ‚Schuldenabbau‘ oder auch bloß ‚Schuldendienst‘ gelingen könnte. Was die spekulative Seite der Angelegenheit betrifft, selbst eine irgendwie vernünftig planende Gesellschaft wüßte nicht im Voraus zu sagen, ob sie alle Wetterkapriolen unbeschadet übersteht und Missernten vermeiden kann. Und bei den ‚Großkopferten‘ dieses Ladens zählt, gerade unter Finanzern, seit die Behauptung mit der ‚invisible hand‘ sich als nicht haltbar erwiesen hat, eben die Devise ’no risk no fun‘.

  14. 16. Juli 2010, 09:19 | #14

    Samson, wenn du ausgerechnet auf Wolfgang Pohrt verweist, um auf Erhellendes zum Thema Vernunft und Geschichte bei Marx hinzuweisen, dann halte ich schon mal (jedenfalls jetzt, damals, als er solche Sachen geschrieben hat, meiner Erinnerung nach übrigens eher nicht) dagegen, das ich solche Zentralsätze von ihm, „Dass kein Weg am Kapitalverhältnis vorbeigeführt hat, ist zwar zum Verzweifeln idiotisch und in letzter Konsequenz so unbegreiflich wie die Geschichte insgesamt, aber es ist eben so.“ für grundlegenden Unfug halte, jedenfalls, wenn es mehr aussagen soll, als das die Geschichte eben so abgelaufen ist, wie wir sie kennen, denn das wäre eine Binsenwahrheit ohne irgendeinen Erklärungsinhalt. Mir ist im historischen Zusammenhang auch nicht klar, was du meinst, wenn du anmerkst „(Resultat war ja stets, dass im Erfolgsfall bloß die eine Herrschaft durch eine andere ersetzt wurde, hingegen ‚ökonomisch‘ alles beim Alten blieb)“. Für die gesamte Geschichte der Menschheit gilt dir dies doch sicherlich nicht und selbst ganz eng bezogen auf den Realsozialismus würde ich dann schon wissen wollen, was auch nur ökonomisch alles beim Alten geblieben ist.
    Immerhin nimmt Pohrt sein „So ist es!“ ja wieder zurück wenn er schreibt, „Ich würde deshalb nicht von weltgeschichtlich unvermeidbaren Dingen sprechen, denn diese Redeweise setzt eine in der Geschichte waltende Vernunft voraus, die fast an Vorsehung grenzt.“ Dem gebe ich recht und schließe mich deshalb auch deinem Lob auf libelle an, denn seine Feststellung „‚Historische Gesetze‘ sind eine Kritik an der Menschheit, eine Beschimpfung, dass sie völlig geistlos herumwurstelt.“ war so ungefähr das Klügste, was ich von ihm gelesen habe. Und in diese Richtung hat ja auch Peter Decker argumentiert, den du hier anführst.
    Auch gut, wenn du zum Geld(glauben) schreibst:
    “ Nichts fürchtet das Individuum in der bürgerlichen Gesellschaft mehr, als den Verlust der so genannten bürgerlichen Freiheiten, die sich im Geld symbolisieren und demselben damit einen Zweck unterstellen, den es gerade in der bürgerlichen Gesellschaft nicht hat. Nicht mal mehr die ‚Schatzfunktion‘ früherer Epochen taugt etwas, was eben keineswegs am ‚Goldpreis‘ liegt sondern am Selbstzweck des Geldes, sich zu ‚vermehren‘. Streng genommen sind die bürgerlichen Freiheiten oder auch der so genannte ‚Lebensstandard‘ abhängige Variablen des Funktionierens von ‚Geldvermehrung‘. Folglich misst das bürgerliche Individuum dem Geld eine größere Bedeutung bei als jeder Gläubige seinem Gott.“
    Denn offensichtlich ist es ja genauso schwer Leute von ihrem Glauben an den Gott Geld und Geldverdienen abzubringen wie sie wieder aus einem Kloster zu holen.
    Deiner Relativierung der Sicherheit bzw. Wahrheit der wissenschaftlichen Erkennntnisse im Kapitalismus möchte ich energisch wiedersprechen, ausnahmsweise mal mit der jungen Linken: „Handeln, das nicht auf Wissen beruht, führt bestenfalls zu nichts. Wenn eine größere Brücke gebaut werden soll und kein Wissen von den Gesetzen der Statik vorhan den ist, dann setzen sich die Naturgesetze gegen die Brückenbauer durch – die Brücke bricht zu sammen“ (aus http://neoprene.blogsport.de/2007/05/29/wahrheit-gibts-nicht-das-kann-doch-wohl-nicht-wahr-sein-2/)
    Über dein „Damit sich Geld dagegen ‚rentiert‘, bedarf es bestimmter Voraussetzungen und diese schafft die Regierung halt, in dem sie das Kapital ’subventioniert‘ und das ‚Arbeitsvolk‘ drangsaliert.“ grübele ich noch. Erstens stimmt ja dein Hinweis, „Was die Propaganda vom ‚Wachstum‘ betrifft, so war dass keineswegs als Einschränkung oder Verharmlosung gemeint. Dass sie es überhaupt propagieren, zeigt doch gerade, dass sie es nicht wirklich beeinflussen können.“, aber offensichtlich ist es doch gar keine Geschichtskonstante, was diese „bestimmten Voraussetzungen“. Da hat sich doch mächtig was getan in den letzten paar Jahrzehnten, sowohl faktisch als auch in der Sichtweise der Staaten

  15. Samson
    16. Juli 2010, 15:35 | #15

    Nu ma langsam, Neoprene. Nur weil jemandes Larve dir nicht passt, muss dessen Befund nicht gleich kompletter Blödsinn sein, zudem, den als „Zentralsatz“ zu interpretieren, gleicht eher Hermeneutik, die ggf. rein liest, was nicht drin steht (weswegen das, was du als Rücknahme ansiehst, auch keine solche ist). Wenn schon zentral, dann erstens die Aussage, dass wer Geschichte unter subjektiv vernünftige Bestimmungen stellen will, sich darüber klar sein muss, dass weder die Geschichte selber noch ihr „Ausgangspunkt“ vernünftig waren. Und als quasi ‚empirischen Beweis‘ folgt halt der Hinweis darauf, dass die Erkenntnis der Menschen immer eine spezifisch historische ist. Und das alles dient eben nur als Erklärung dafür, warum Marx das Kapital „logisch aus seinen Gesetzen“ und gerade nicht, wie nahezu alle anderen, historisch aus seinen Entstehungsbedingungen entwickelte. Andernfalls hätte Gott nämlich die Menschen besser gefragt, wie er sie denn hätte ‚erschaffen‘ sollen (was nur materiell logisch unmöglich wäre, nicht aber wenn der Geist eine ‚Kontinuität‘ o.s.ä. außerhalb alles Materiellen ist).
    Die zweite ‚zentrale‘ Aussage bezieht sich auf den meinetwegen ‚historischen‘ Rahmen, innerhalb dessen eine wirklich proletarische Revolution das Kapital als Verhältnis gesprengt hätte. Und nur unter der Voraussetzung, dass eine solch proletarische Revolution auch wirklich stattfindet, kann man hinterher sagen, das Kapital sei wiederum die ‚historische Voraussetzung‘ eben der proletarischen Revolution gewesen. Und proletarische Revolution bedeutet in Marxschen Kategorien eben keineswegs ‚Staatseigentum‘ an den Produktionmitteln und Beibehaltung der Lohnarbeit unter ‚Führung der Avantgarde Arbeiterklasse‘ o.s.ä. als ‚Mittel‘ um die ‚Produktivkräfte‘ bis zum Sanktnimmerleinstag zu entwickeln. Und schon gar nicht bedeutet es, ‚Sozialklimbim‘ (welcher Qualität auch immer) vom ’sozialistischen Mehrwert‘ quasi abzuzwacken oder, noch idiotischer, den deswegen produzieren zu wollen.
    Was dir im historischen Zusammenhang nicht ganz klar ist, hat Marx mit dem Satz beschrieben, wonach alle bisherige Geschichte eine von Klassenkämpfen sei. Das ist halt die ökonomische Erklärung, wonach sich auf bestimmter ‚historischer Entwicklungsstufe‘ der Produktion eben als Ausdruck der Verhältnisse ein ebenso bestimmbarer ‚gesellschaftlicher Überbau‘ bilde. (und das ist eben auch keine absolute Aussage über ‚Geschichtsverlauf‘, sondern ist, wie libelle so schön anmerkt, eine „Beschimfung der Menschheit“, und hat zu Voraussetzung, den Willen des revolutionären Subjekts, daran was zu ändern) Man kann die Angelegenheit auch aus anderer Perspektive beleuchten und kommt dann womöglich dahin zu sagen, die Kontinuität in der einigermaßen bekannten Geschichte besteht darin, dass es sich um Herrschaftsverhältnisse handelt, die ihre ‚Legitimation‘ von den Religionen bekamen. Das ändert aber nichts am ökonomischen Befund. Allerdings könnte es sich als Erklärung anbieten (was eben nicht zu verwechseln ist mit Begründung), wenn man sich bspw. fragt, woher einerseits der Geld-Okkultismus selbst bei selbsterklärten ‚Linken‘ kommt und andererseits weshalb ausgerechnet der Nationalschwurbel bis heute vor allem bei den Habenichtsen derart ausgeprägt ist, dass er offenkundig verhindern kann, dass sich die ‚Verdammten dieser Erde‘ als Klasse organisieren und zur Wehr setzen.
    Im übrigen habe ich nicht das Geringste gegen die Wahrheit wissenschaftlicher Erkenntnisse gesagt, sondern nur, dass die Frage, ob was kapitalistisch gebaut werden darf nach andere Kriterien entschieden wird. Und selbst der Statiker wird sich primär deswegen als wissenschaftliche Erkenntnisse halten, weil er Fan wissenschaftlicher Wahrheit ist, sondern weil er andernfalls seinen Job und damit seine ‚Einkommensquelle‘ los ist, falls sich die Naturgesetze gegen die Brückenbauer durchsetzen. Deswegen hält er nämlich auch erstmal die Klappe, wenn aus ‚Kostengründen‘ irgendwo ‚gespart‘ wird … 😉

  16. Nebenbei
    16. Juli 2010, 17:40 | #16

    Das ist wirk­lich ab­surd: Öko­no­misch ge­se­hen ist das völ­lig witz­los, voll­kom­men un­ge­eig­net

    Wieso? Mehr Verarmung, mehr Druck auf die Arbeitlosen, sinkende Löhne (man begnügt sich in der Not mit weniger) –> Firmen werden neu begründet, siedeln sich hier an bzw. „kehren zurück“ = Geschäft. Der Staat entsorgt sich der „faulen Schmarotzer“, indem er es ihnen so ungemütlich macht wie nur möglich, auf dass sie sich dem Kapital ordentlich andienen. Armut macht den Leuten Beine!
    Wieso soll das „witzlos“ sein? Dass das funktioniert, sieht man doch in China in den Sweatshops oder in Taiwan.
    Standort zurichten lautet das Motto.

  17. 17. Juli 2010, 06:39 | #17

    Also gut, Samson, nicht mal das kleinste bißchen schlampige, vorschnelle Hermeneutik läßt du mir durchgehen. Und ja, ich gestehe dir zu, „dass weder die Geschichte selber noch ihr „Ausgangspunkt“ vernünftig waren“, daß wir uns im Marxschen Sinne also eigentlich noch in der Phase der Vorgeschichte der Menschheit befinden. Dann natürlich auch „nur unter der Voraussetzung, dass eine solch proletarische Revolution auch wirklich stattfindet, kann man hinterher sagen, das Kapital sei wiederum die ‚historische Voraussetzung‘ eben der proletarischen Revolution gewesen.“ Also nicht post hoc ergo propter hoc, wovon die Geschichts“wissenschaft“ so prächtig lebt.
    Das mit der Geschichte als einer Geschichte der Klassenkämpfen habe ich immer einerseits recht tautologisch verstanden/mißverstanden, denn da die bisherigen Gesellschaften immer Klassengesellschaften waren, schien mir das immer evident zu sein, daß das gesellschaftlich/politische Handeln dieser Klassen dann eben die Geschichte von ihnen ergibt. Mit den angeblichen „Entwicklungsstufen“ habe ich mittlerweile mein Problem, denn schon der Begriff ist hochgradig teleologisch, was ab Engels ja in der Arbeiterbewegung weidlich bis semireligiös ausgenutzt wurde.
    Wenn du vermutest, „die Kontinuität in der einigermaßen bekannten Geschichte besteht darin, dass es sich um Herrschaftsverhältnisse handelt, die ihre ‚Legitimation‘ von den Religionen bekamen.“ dann bin ich mir nicht ganz sicher, was du damit eigentlich behauptet haben willst. Daß es faktsich so war, ist offensichtlich, einen Grund willst du doch wohl damit aber noch behauptet haben wollen, oder (Erklarung versus Begründung)?
    Erstaunlich finde ich dein „weshalb ausgerechnet der Nationalschwurbel bis heute vor allem bei den Habenichtsen derart ausgeprägt ist, dass er offenkundig verhindern kann, dass sich die ‚Verdammten dieser Erde‘ als Klasse organisieren und zur Wehr setzen“, denn der einhellige Nationalsimus scheint mir doch nur die recht notwendige Kehrseite des Eigentümerwillens der Leute zu sein. Das gehört dann zu den Notwendigkeiten des falschen Bewußtseins von Leuten, die sich entschlossen haben hier, mit Geld, ihres Glückes Schmied zu werden.
    Zum Schluß noch die Sache mit der Warenproduktion: Was du beschreibst sind die offensichtlichen Gegensätze von Wert und Gebrauchswert. Als z.B. ICE- und S-Bahnfahrer in Berlin kann ich dir nur bestätigen, daß ich die buchstäblich am eigenen Leib erfahren darf. Das ändert aber nichts daran, daß man heutzutage recht genau wissenschaftlich bestimmern kann, was technologisch notwendig ist, um einen bestimmten Gebrauchswert hinzustellen. Bei Brücken muß man dann eben unter anderen Statiker fragen, um einen Benzimmotor mit 10 % weniger Spritverbrauch zu bekommen, beschäftigt jeder Konzern ganze Heerscharen von wissenschaftlich gut ausgebildeten Leuten. Dann kann der Vostand hinterher immer noch sagen, daß jetzt aber ein neuer GTI her muß, weil der eine bessere Gewinnmarge verspricht. Das ist dann im eigentlichen Sinne nicht mehr wissenschaftlich.

  18. Samson
    17. Juli 2010, 23:27 | #18

    Na ja, Neoprene, das mit der Hermeneutik – geschenkt. Irgendwer (d.h., Name hab ich vergessen), der als quasi ‚Erfinder‘ irgend einer neueren ‚Spielart‘ davon gilt, und sich einbildet, irgendwie ‚links‘ zu sein, verstieg sich vor paar Jahren gegenüber einer Zeitung, die irgendwas mit ‚Sozialismus‘ im Titel führt, zu der eher herablassenden Bemerkung, nicht alles, was der Marx sich ausgedacht habe, sei Humbug gewesen. Allerdings (sagte der Typ paar Sätze weiter allen Ernstes) käme die Armut der Nachfahren der Erbauer der Pariser Metro (womit eben die wirklichen Arbeiter gemeint waren) daher, dass ihre Vorfahren den Lohn halt versoffen hätten statt ihn ‚anzulegen‘.
    Zur Geschichts“wissenschaft“ fällt mir immer wieder folgendes ‚Bonmot‘ ein: Ein (womöglich gibt es mehrere) ‚Institut für Zeitgeschichte‘ o.s.ä. gibt alle Jahre so eine Art Almanach zu irgendeinem ‚Generalthema‘ raus. Vor paar Jahren hieß dieses ungfähr ‚Flucht und Vertreibung in Europa‘, also etwas woraus man (mit oder ohne ’sophistische‘ Methodik) irgendwie ‚aktuelle Bezüge‘ herleiten könnte. Schon im Editoral äußerten die Herausgeber aber die Befürchtung, ihre Zunft könnte die „Deutungsmacht“ über das Themengebiet etc. verlieren. Warum wohl erinnerte mich das an Marxens These, alle Ideologie sei stets Ideologie der herrschenden Klasse gewesen (worunter m.E. eben auch die der ‚Avantgarde der Arbeiterklasse‘ insofern zu subsumieren wäre)?
    Die Evidenz bezügl. Geschichte als solche von Klassenkämpfen würde ich so pauschal nicht unterschreiben. In einer Fußnote irgendwo im Kapital verweist Marx auf Spinoza, der als Gläubiger und Wissenschaftler zu der Erkenntnis (d.h. nach ewig langem Forschen) gekommen sei, dass die Macht der Pfaffen sich in letzter Instanz darauf gründe, dass die Nichtexistenz Gottes noch niemals bewiesen worde sei. Anders gesagt, solange Wissenschaft nicht mehr kann, wird kein Atheist einen Gläubigen vom Gegenteil überzeugen können, schon weil er dessen Fragen nach ‚Schöpfung‘ oder ‚Ewigkeit‘ nicht beantworten und damit dessen Vertrauen in seinen Gott kaum erschüttern kann. Es war doch gerade die Herrschaftsmethode, mit Verweis auf ‚jenseitige Glückseligkeit‘ die Drangsalierten dazu zu bringen, ihr ‚irdisches Schicksal‘ o.s.ä. demütig zu ertragen oder gar als vor-ihrem-Herrn-zu bestehende-Prüfung zu betrachten. Und die Kehrseite der Angelegenheit war und ist halt irgend eine Form von ‚ewiger Verdammnis‘ oder ‚Reinkarnation‘ als ’niederes Wesen‘ etc. Formal manifestiert sich m.E. Herrschaft stets materiell, und zwar gleichgültig ob vermittels ‚Belohnung‘ resp. ‚Bestechung‘, Kontinuität gewinnt sie indes nur durch ‚Gehorsam‘ resp. Unterwerfung seitens der Beherrschten. Derlei Unterwefung folgt aber m.E. nicht zwingend aus irgendwie gewaltbasierter Alternativlosigkeit o.s.ä.
    Dass dagegen der Nationalismus gerade der Habenichtse „doch nur die recht notwendige Kehrseite des Eigentümerwillens der Leute“ sein soll, leuchtet mir nun nicht recht ein. Denn gerade die Habenichtse werden doch durch den staatlich sanktionierten Eigentumszwang, welcher der Benutzung aller ‚Gebrauchswerte‘ vorausgeht erst zu Habenichtsen gemacht. Die Hartz-IV-ler schimpfen doch nicht auf den Staat; im Gegenteil, noch jeder ‚Historienschwurbel‘ dient neben plattestem Rassismus als Begründung, über die ‚auswärtige‘ Konkurrenz auf dem ‚Arbeitsmarkt‘ zu meckern und deren Vertreibung zu fordern. Man darf m.E. an der Stelle die Unterscheidung nicht vergessen zwischen prinzipiell quasi ‚universellem‘ Herrschaftsanspruch und der ‚modernen‘ Nation, die als Konkurrenzgebilde immer zugleich auf ‚Abgrenzung‘ aus und daher von vornherein sich erstmal darüber definiert, wer nicht dazu gehört. (Praktisch hat das seine Ursache in den begrenzten Gewaltmitteln der Herrschaft selber, die stets auf konkurrierende Ansprüche stoßen und zudem auch ‚endlich‘ sind) Wenn bspw. der I. Weltkrieg ein imperialistischer war, stellt sich doch schon die Frage, warum die Proletarier den mitgemacht haben, und zwar ausdrücklich als Angehörige ‚ihrer‘ Nation. Vermutlich genau deswegen meinte Pohrt wohl, dass die Entwicklung seit ca 1870 kaum noch als ’notwendig historische Vorstufe‘ einer befreiten Menschheit zu bezeichnen wäre. Politisch war es die Zeit nach der Pariser Kommune, ökonomisch die der beginnenden Kapitalkonzentration, d.h. Monopolbildung, Staatseinmischung (Aktiengesellschaften resp. -gesetze resp. -beteiligung) etc.
    Zum Gegensatz zwischen Wert und Gebrauchswert lässt sich m.E. nur sagen, dass der einer zwischen Grund und Begründetem ist. Daran ändert auch keine wissenschaftlich fundierte Technologie etwas. Im Gegenteil, die kommt überhaupt nur zum Einsatz, wo vermittels ‚Realisierung‘ von (Tausch)Wert ein profitables Geschäft gemacht werden kann. Sind chinesische Näherinnen billiger als die modernsten Nähautomaten, dann werden die Automaten gar nicht erst gebaut und auf die Technologie ist geschissen. Irgendwo hab ich mal gelesen, dass irgend ein Autoproduzent irgendwo im Osten Autoteile wieder per Hand verschweißen lässt …

  19. 21. Juli 2010, 08:22 | #19

    Deine Behauptung
    „Marxens These, alle Ideologie sei stets Ideologie der herrschenden Klasse gewesen (worunter m.E. eben auch die der ‚Avantgarde der Arbeiterklasse‘ insofern zu subsumieren wäre)“
    ist mir zu umfassend. Jedenfalls dann, wenn du unter Ideologie alle halbwegs systematisierten Sichtweisen auf bzw. Erklärungen von dieser Gesellschaft meinst. Dann stimmt zwar, daß alles, was daran „falsch“ ist, letztlich der jeweiligen herrschenden Klasse nützt, jedenfalls dann, wenn man unterstellt, daß eine „richtige“ wissenschaftliche Sichtweise die Menschen dazu bringen müßte, diese Klassengesellschaft wegzuräumen. Aber was ist dann damit schon gesagt?
    Die Macht der Pfaffen, oder dieser Tage wenigstens oder leider doch noch der Religion, beruht die tatsächlich auf dem für Gläubige wie Nichtgläubige zumeist unbefriedigenden Gottesbeweis? Ich bin als an Religion nicht sonderlich interessierter Atheist da eher der Auffassung, daß es gerade dieser Tage wohl aus den Zielen, die sich die Menschen (blöderweise) setzen, begründen läßt, warum dafür so vielen immer noch mehr oder weniger religiös sein (meist übrigens weniger) ein Herzensanliegen ist.
    Dein „Es war doch gerade die Herrschaftsmethode, mit Verweis auf ‚jenseitige Glückseligkeit‘ die Drangsalierten dazu zu bringen, ihr ‚irdisches Schicksal‘ o.s.ä. demütig zu ertragen oder gar als vor-ihrem-Herrn-zu bestehende-Prüfung zu betrachten“ kann man doch auch umdrehen und erkennt dann das religiöse Denken als den Inbegriff des Gedankens, sich partout in diese lausigen Verhältnisse einbringen und einhausen zu wollen. Sowas ist auch erstaunlich stabil geblieben über die Jahre.
    Zu deinem „Dass dagegen der Nationalismus gerade der Habenichtse „doch nur die recht notwendige Kehrseite des Eigentümerwillens der Leute“ sein soll, leuchtet mir nun nicht recht ein. Denn gerade die Habenichtse werden doch durch den staatlich sanktionierten Eigentumszwang, welcher der Benutzung aller ‚Gebrauchswerte‘ vorausgeht erst zu Habenichtsen gemacht.“ will ich hier nichts (mehr) sagen. Wenn du halbwegs die dementsprechenden Mäanderthreads auf den paar Blogs, auf denen das auch nur eine Handvoll Poster soweit interessiert hat, das überhaupt öffentlich zu diskutieren, verfolgt hast, dann wirst du ja den erreichten (Un)Stand kennen.
    Auf deine Frage „Wenn bspw. der I. Weltkrieg ein imperialistischer war, stellt sich doch schon die Frage, warum die Proletarier den mitgemacht haben, und zwar ausdrücklich als Angehörige ‚ihrer‘ Nation.“ hat es ja bekanntlich alle möglichen Antworten gegeben, von Lenins Sozialimperialismustheorie bis hin zu z.B. Hecker/Deckers Buch „Das Proletariat“. Mit Sicherheit ist jedenfalls Pohrt zuzustimmen, „dass die Entwicklung seit ca 1870 kaum noch als ‚notwendig historische Vorstufe‘ einer befreiten Menschheit zu bezeichnen wäre“. Sonst würde ich wahrscheinlich nur jeweils auf den nächsten Sommerurlaub hinarbeiten.

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