Mitschnitt der China-Veranstaltung der jungen Welt vom 17.12.2009
18. Dezember 2009
Bei www.archive.org ist ein Mitschnitt der China-Veranstaltung der jungen Welt vom 17.12.2009 mit Renate Dillmann vom GegenStandpunkt und den beiden früheren führenden DDR-China-Experten Rolf Berthold und Helmut Peters verfügbar.
Kategorien(1) MG + GSP
Vielend Dank für den Hinweis!
Wie war die Veranstaltung denn?
Dem Mitschnitt (s.o.) zufolge offenbar ebenso aufschlussreich wie ernüchternd: Man sollte sich das Elend wirklich im O-Ton antun, auch wenn’s reichlich lang ist. Danach ist man dafür aber garantiert um eine Illusion ärmer. Was sich da nämlich an Realsozialisten zu Wort gemeldet hat (Referenten und Publikum) hat buchstäblich nichts dazu gelernt!
Also, Klaus, eigentlich dachte ich ja, mit dem Hinweis auf den Mitschnitt um eine eigene Rezension herumgekommen zu sein. Aber sei es drum:
Vom Ende her: Eine Diskussion war es eigentlich nicht. Was auch nicht ganz überraschend war, jedenfalls für mich. Das Überraschende war doch gewesen, daß sich die junge Welt, bei der immerhin schon mal ab und zu auch Autoren des GegenStandpunkts Artikel unterbringen können, es überhaupt geschafft hat, Renate Dillmann an einen Tisch zu bringen mit Musterbeispielen für völlig unangeknackste buchstäblich alte DDR-Stalinisten.
Das Publikum schien mir dann auch in erster Linie gekommen zu sein, um sich seine alten SED-Überzeugungen noch mal durch bewährte standhaft gebliebene (also leider unverbesserliche) Genossen bestätigt zu bekommen und nicht, um irgendwelche dunklen Zweifel, warum das damals (und zwar eigentlich in erster Linie in ihrer DDR) schiefgegangen sein könnte, sachgerecht zu vertiefen. Es waren jedenfalls überwiegend ältere Menschen im komplett gefüllten Vortragsraum der Ladengalerie der jungen Welt zusammengekommen, von denen diejenigen,die Beiträge gehalten haben, entweder frühere Kader der SED/DDR waren oder zum Teil jahrzehntealte persönliche Verbindungen zur VR China hatten.
(Erstaunlicherweise haben nur eine Handvoll von am GegenStandpunkt Interessierten die Veranstaltung eines Besuchs wert befunden. Die Ortsgruppe hatte es noch nicht mal für angebracht empfunden, die Veranstaltung mitzuschneiden, das haben dann zwei andere gemacht.)
Die haben unerschütterlich ihren jahrzehntelang vorgetragenen Mist von der fortschrittlichen Rolle der Bourgeosie, von den berüchtigten Zwischenetappen zum Sozialismus, von den 100 Jahren, die das eventuell dauert (Ein Versprecher sprach versehentlich sogar von 1000!!) Diesen Verteidigern der DDR war die offensichtlich eher zu sehr sozialistisch als zu wenig, umso mehr können sich solche Kommunisten an den Erfolgen der VR Chinas erfreuen. Deshalb fehlte natürlich nicht der schon früh gebrachte Verweis auf die NÖP, als wenn das das Non-Plus-Ultra kommunistischer Strategie statt das zähneknirschende Eingeständnis des mit dem Rücken an der Wand Stehens gewesen wäre. Das Codewort war dann immer „realistisch“, „objektiv“, wenn es um die Rahmenbedingungen gegangen ist. Kritk daran war deshalb konsequenterweise auch „rein ideologisch“.
Zentrales Glaubensbekenntnis dieser Alt-SEDler war die Behauptung des fortschrittlichen Charakters des Kapitalismus, weil der doch immerhin die Produktivkräfte entwickelt habe. Und deshalb ist nun leider kein Sprung direkt in den „Kommunismus“ möglich. Schließlich spräche der Erfolg der Deng-Reformen doch nun wirklich für sich (Ein alter Metallurg hat sich doch tatsächlich nicht entblödet, es als politisches Argument vorzutragen, daß die VR China in den letzen Jahrzehnten es sage und schreibe auf 500 Mio Tonnen Stahlproduktion gebracht habe, wie will so einer eigentlich die BRD kritisieren?)
Daß deshalb bei denen dann auch die Kritik am Nationalismus der KP Chinas in Renates Beiträgen total gegen den Strich ging, versteht sich von selbst: Nein, es braucht gerade für den sozialistischen Aufbau ein gerütteltes Maß an (natürlich „fortschrittlichem“) Nationalbewußtsein. Dazu passend dann die Verteidigung der Politik der „friedlichen Koexistenz“ vor allem der letzen Jahre der VR China, die doch enorme Erfolge gezeitigt habe bei den diversen Staaten der dritten Welt. Daß es da in den 20ern mal eine Komintern gegeben hat, darauf wurde von denen jedenfalls nicht hingwiesen.
Natürlich wurde auch die Kritik der Übernahme all der schlimmen Dinge des Kapitalismus, also Ware, Geld, Lohn, Gewinn usw. zurückgewiesen, weil nur mittels deren segensreichem Einsatz dieser schöne Aufschwung möglich gewesen sei.
Ich habe bisher noch nie so richtige MLér live erlebt.
Als ich diesen Mittschnitt gehört habe, bin ich streckenweise fast vom Stuhl gefallen. Ein Zuhörer, der meinte, die Apologetik der beiden Referenten gegenüber den kapitalistischen Zuständen in China(Sachzwänge, unvermeidliche Zwischenetappe auf dem Wege zum Kommunismus usw.)unterscheide sich in nichts von der Apologetik bürgerlicher Politiker hat ganz recht.
Am „schönsten“ war ja die Rechtfertigung für die Einführung des Kapitalismus mit dem Argument, der treiben den Leute ihre Faulheit aus. Kapitalismus brauche es als Zwischenstadium zum Sozialismus, weil die sonst doch gar nicht die Disziplin, den Arbeitseifer usw. lernen würden, den es brauche für den Sozialismus.
Solche ML, wie man sie auf der Veranstaltung hören konnte, sind Gegner für jeden der eine Kritik an Lohnarbeit hat. Die ist mit denen zusammen einfach nicht zu machen.
Heinrich, das ist nun wirklich die Gnade deiner offensichtlich späteren Geburt: Meine Generation ist mit solchen MLern großgeworden, ich zuerst in der BRD, dann besonders kontrovers in Berlin in der Zeit des Untergangs der DDR. Einer der traurigen Höhepunkte war vor genau 20 Jahren der letzte Parteitag der SED, die von da an als PDS weitergmacht hat.
Von daher paßt es auch ganz gut, daß die damalige PDS-Führung um Modrow, Gysi (und Markus Wolf) die Partei und die ganze DDR ganz konsequent 1:1 in die kapitalistische BRD überführt hat („Wir sind ein Volk“).
Zu den erfreulichen Wirkungen der kapitalistischen „Leistungsanreize“ kann ich auch nur sagen, daß die Begeisterung dafür schon recht früh angefangen hat: Siehe den Artikel von Angelika Ebbinghaus: Taylor in Russland in Grundrisse, auf den ich vor einer Weile hingewiesen habe .
Und nirgendwo auf der Welt hat es je soviel Akkordarbeit gegeben wie im sozialistischen Arbeiterparadies unter Stalin Ende der 30er und in den 40er Jahren.
Ja, man kennt es von den DKPisten früher. Sie brauchten nicht groß zu argumentieren, weil sie ja lediglich auf das Vaterland der Werktätigen und die ihm verbundene DDR verweisen wollten. Das Fehlen der Moral eines aufrechten Standpunkts versuchten sie beim Kritiker zu entdecken und wurden leicht fündig.
So weit, so blöd. Im Falle des Themas China kommt noch eine Blödheit hinzu:
Als ich mal anläßlich eines Sightseeings-Besuchs in Leipzig mit einem Prof der dortigen Uni zusammentraf, das Staatsorgan Neues Deutschland gut sichtbar in der Tasche tragend, um jeden Eindruck der Ignoranz und des Vorbehalts gegenüber der DDR zu vermeiden, ergriff ich die Gelegenheit, mit jenem argumentativ ins Gespräch zu kommen. Ich kritisierte die Positionen, die die westliche SED-Schwesterpartei DKP vertrat. Da fragte er mich, ob ich Maoist sei. Und es war leicht herauszuhören, daß die Frage lautete, was ich eigentlich wolle. Dann blätterte er noch in den von mir ihm für die Uni überreichten Ausgaben der MSZ. Die Artikelüberschrift „Großbritannien – immer noch ein Pfunds-Staat“ hatte es ihm angetan.
Der langen Rede kurzer Sinn: Damals wollten die „drüben“ nicht viel von China in Sachen Sozialismus wissen & gesagt haben und heute interpretieren sie – das kapitalisierte! – China zum Hoffnungsträger ihres selber aufgegebenen Systems hoch. Auch mit solchen – hochanständigen – Leuten kann die kapitalistische BRD sehr gut leben…
Das ist in der Tat eine ironische Volte bei der DDR-Variante des Stalinismus: in den 60ern bis über die Kulturrevolution hinaus waren für die Moskauer die Chinesen eine 5. Kolonne des Imperialismus. Und das waren sie ja zum Teil auch, die bitteren Hinweise darauf, daß in der BRD zu Maoisten gewordene ehemalige KPDler ihre Moskau treu gebliebenen Genossen an den Verfassungschutz verpfiffen haben und umgekehrt der spätere erbitterte Kampf von DKPlern in den DGB-Gwerkschaften gegen jeden maoistischen KBWler oder KPD/Mler, den sie identifizieren konnten in trauter Eintracht und Zuarbeit zu den machthabenden SPDlern, sind traurige Beispiele für die tiefsietzende Feindschaft, die es da gab. Auch auf internationaler Ebene gab es da ja blutige Kämpfe, nicht nur direkt zwischen der sowjetunion und der VR China sondern auch im Fall der Sabotage der RGW-Waffenlieferungen an Nordkorea durch die VR Chinas.
Von daher war der junge Welt-Abend die kongeniale Fortsetzung: Da „erkannte“ ein alter DDR-Hase messerscharf in Renate Dillman die immernoch Maoistin, womit das politisch vernichtende jedenfalls jedes weitere Argument ersparende Verdikt über sie gefällt war (Renate hat es übrigens nicht für notwendig gehalten, darauf zu entgegnen, vielleicht weil das Vorurteil ja eh bei dieser Klientel feststand und der Vorwurf sozusagen nur die Spitze des ideologischen Eisbergs gewesen ist.)
Bittere Ironie ist, daß die kapitalistische BRD nach dem Anschluß der DDR mit solchen Leuten doch nicht gut leben wollte und die, wo sie nur konnte aus Amt umd Würden und häufig auch aus ganz normalen Arbeitsplätzen verjagt hat. Soviel zur friedlichen Koexistenz seitens der Bourgeosie.
Meine Güte…ich hör mir das Trauerspiel auch an. Wirklich höchst gruselig. So arrogante alte Typen, die mangels Argumente auf irgendwelche Erfahrungen o.ä. hinweisen…die gute Renate hat sich dafür aber noch halbwegs wacker geschlagen. Die (wieder einmal) schreckliche Erkenntnis: Diese ALT-SED-Kader sind keine politischen Freunde. :-S
Nachtrag: Hab mir nun alles angehört und muss dir, neoprene, ein klein wenig widersprechen. Die Dillmann-Freunde und Berthold-Kritiker waren doch z.T. gut zu hören und haben Renate flankiert, so dass zumindest für nicht-interessierte Denker die Möglichkeit bestand, das Vorgetragene aus verschiedenen Sichten zu prüfen. Ob das geschehen ist, wird man abwarten, aber eine Dame hat bei ihrem Beitrag beispielsweise schon erkennen lassen, dass die Politik der chin. KP vor dem blinden Vertrauen in diese auch mal überprüft gehört. Das war so gen Ende.
Jedenfalls fand ich es schon auch amüsant, wie sehr sich die alten Herren dann herauswinden wollten: „haarsträubend!“ „nicht die europäische Brille aufsetzen“ (sondern die chinesisch affirmative…!) „das führe ich jetzt nicht aus, das führt zu weit“ – alles als Antworten auf die Kritiken, dass die kapitalistische Ökonomie gar keine Notwendigkeit für China hat und obendrein eine „Sauerei“ für die Leute bedeutet. Es war, als wenn man den alten Herren ein Spielzeug weggenommen hat. So haben sie sich benommen.
Schön fand ich ja die Ehrlichkeit eines chinafreundlichen Referenten: „Ausbeutung ist nicht das Problem, es kommt auf das Maß an.“ 😀 So ehrlich habe ich einen Realsozialisten noch nie reden gehört.
Insgesamt jedenfalls eine für mich lehrreiche Debatte; sowohl wg. China als auch wg. der alten SED-Kader.
P.S. Im frischen GSP ist ein spannender Artikel zum Verhältnis der USA zu China.
Die Aufnahmen sind ein Lehrstück darüber, zu welchen Ergebnissen man kommt, wenn man sein Denken daran ausrichtet, Ereignisse im Lichte eingebildeter Gesetzmäßigkeiten des Geschichtsverlaufs einzuordnen und das als wissenschaftlichen Sozialismus zu nehmen.
Ein Veranstaltungsbericht von Manfred Lauermann: Würde und Maskerade
Fortschritt oder Konterrevolution? In der jW-Ladengalerie wurde die Volksrepublik China diskutiert (junge Welt, 21.12.2009)
Hab’s mir jetzt auch angehört. Ohje, ohje, die arme Renate. Auch wenn sie leider wieder Falsches über die Nation erzählt hat, tat sie mir so leid. Ist sehr lehrreich, dass sich die ML-Argumentation gegenüber Chinakritik kaum von der hiesigen Kapitalismusapologetik unterscheidet: man darf nicht einfach kritisieren, sondern muss „kritisch-solidarisch“ sein; das ganze chinesische Elend sind leider notwendige Opfer, methodisch ist die Kritik auch nicht ganz sauber (worin eigentlich?); man sit noch nicht soweit, irgendwann wird’s besser usw.
Bei den 1000 Jahren bis zum Kommunismus bin ich vor Lachen fast gestorben 🙂
Zitat aus dem Publikum: „‚Die Partei ruft lauthals‘ – was ist das für eine Formulierung?! Das finde ich sehr bürgerlich. Das ist eine bürgerliche und unwissenschaftliche Formulierung“
Wie geil 🙂
In den paar Sätzen davor hat dieselbe Frau noch die bürgerliche Auffassung vertreten, das Hauptmerklmal des Kapitalismus sei, wenn Sozialabbau stattfindet und der Staat sich aus Finanzierung des öffentlichen Bereichs zurückzieht. In China gäbe es deswegen keinen Kapitalismus, sondern eine richtige, sozialistische „Tendenz“, weil der Staat dort eine „gute Infrastruktur“ aufbaut.