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GSP: Zum Bildungsstreik 2009 — Argumente gegen Schule und Hochschule

18. November 2009

Anlässlich des Bildungsstreiks 2009 gibt es zahlreiche Demoaufrufe, Blogs und FlashMob-Aktionen, die darauf aufmerksam machen, dass, wer heute eine Schule oder Hochschule besucht, konfrontiert wird mit ständig steigendem Leistungsdruck, der Verschärfung der Konkurrenz, eben mit dem ganzen Stress, den Schule und Studium mittlerweile mit sich bringen. Über die Gründe dafür, warum es so zugeht, gibt es zwei besonders prominente Auffassungen: die, welche den Grund in mangelnden Mitbestimmungsrechten ausmacht und die, welche ihn darin sieht, dass die Bildungspolitik auf dem falschen, weil von ökonomischen Interessen geleiteten Weg sei.

Was das Bildungswesen mit wirtschaftlichen Interessen zu tun hat und warum wir es für einen Fehler halten, über dieses Bildungswesen mitbestimmen zu wollen – dazu im Folgenden einige Argumente:

Nachwuchs für die Nation

Das Schul- und Hochschulsystem haben einen ungemütlichen Auftrag: Sie sorgen über die Selektion mittels Noten dafür, dass die Masse des gesellschaftlichen Nachwuchses von den besseren Berufen ausgeschlossen wird! An den Noten entscheidet sich, wer welchen Bildungsweg einschlagen darf. Schul- und Hochschulabschlüsse sind Zugangsvoraussetzungen für die Konkurrenz um die besseren und schlechteren Arbeitsplätze. Weil die deutsche Wirtschaft davon lebt, dass die allermeisten Jobs viel Leistung abfordern und schlecht bezahlt sind, ist für die meisten Leute mehr als Fabrikarbeit oder eine „Karriere“ bei Lidl oder im Callcenter nicht vorgesehen.

Was es bedeutet, als Ressource für die Wirtschaft und ihre Verwaltung zu dienen, bekommt zu spüren, wer sich auf einer Schule oder Hochschule befindet: Das Bildungswesen ist für den Bedarf der nationalen Geschäftemacherei eingerichtet und wird entsprechend deren Gegebenheiten angepasst. So gibt es Bildungsoffensiven, wenn ein höherer Bedarf an (Hoch-) Schulabgängern ausgemacht wird und Zulassungsbeschränkungen, wenn es mehr als genug von ihnen gibt. Schule und Uni hat der Staat dafür eingerichtet, Voraussetzungen am gesellschaftlichen Nachwuchs für dessen künftige Benutzung durch Unternehmer und Staat herzustellen – seine Funktionalität ist also der ganze Zweck der Veranstaltung. Dass das so ist, kann man der Art und Weise, wie die Wissensvermittlung stattfindet, entnehmen:

Wie lernt man in der Schule?

Dem Zweck der Selektion entspricht die Art Lehrens und Lernens in der Schule. Der Lehrplan sieht vor, dass Wissensvermittlung in der Schule an einen vorgegebenen Zeitrahmen gekoppelt ist: Wer langsamer lernt, hat Pech gehabt. Es wird nicht so lange erklärt, bis alle den Stoff verstanden haben, sondern nur so lange, wie der Lehrer sich laut Rahmenplan Zeit dafür nehmen kann. Danach ist die Leistungskontrolle angesetzt und es entscheidet sich, wer welche Noten be- kommt. Wer ein „Ungenügend“ bekommt, den Stoff also noch nicht begriffen hat, erhält nicht etwa mehr Unterricht, sondern muss sich Sorgen um seine Versetzung machen. Häufen sich mit den Wissenslücken die schlechten Noten, dann wird die weitere Wissensvermittlung abgebrochen! So schafft es die Schule, massenhaft Schulabgänger hervorzubringen, die später kaum lesen können, aber ja auch nur Anweisungen und Lohnzettel lesen können müssen. Schüler, die zu Hause wenig bis keine Nachhilfe bekommen, die kaum die einheitliche Unterrichtssprache Deutsch verstehen, geschweige denn schreiben können, die länger brauchen, um sich die angebotenen Wissensbruchstücke anzueignen: diese Schüler fallen früher oder später dem zielgerichtet gesteigerten Bildungsstress zum Opfer. Gerade die Gleichbehandlung von Schülern, deren familiäre Voraussetzungen höchst unterschiedlich aussehen, bringt die erwünschten Ergebnisse: Misserfolge und Erfolge in der Schule, die das weitere Leben bestimmen!

Die Hochschule – Kosten und Konkurrenz sollen Beine Machen

Weil die Bildung abhängig ist von dem Bedarf, den der Staat ausgemacht hat, wird sie entsprechend hergerichtet. Hierbei dienen auch die Studiengebühren als ein Sortierungsinstrument: Sie sind dafür da, für viele den Besuch der Uni teurer, für manche nicht mehr bezahlbar zu machen, wodurch die Anzahl der Hochschulabgänger gesteuert und das gesamte Uniwesen verbilligt werden soll. Dem Gesichtspunkt, den Nachwuchs möglichst kostengünstig zu sortieren, dient auch die Umstellung auf Bachelor und Master. Weil die Uni dafür eingerichtet ist den Nachwuchs für dessen künftige Benutzung herzustellen, deshalb scheint eine Verkürzung der Studierdauer vielversprechend: Bachelorabsolventen, die ihren Abschluss künftig früher machen, stehen dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung. So steigt der Teil der Lebenszeit, der für die Arbeit verausgabt werden kann, bei gleichzeitig sinkenden Unikosten für die Haushalte der Länder. Der Gegensatz, dass, was vom Standpunkt der Bildungspolitik aus gut, vom Standpunkt der davon Betroffenen schlecht ist, findet sich auch bei den verschärften Studienanforderungen: Der benotete Test am Ende jeder Vorlesung schafft den Zwang, ständig den Beweis an sich herzustellen, dass man der Richtige ist für die elaborierten Ansprüche der anderen Seite.

Bildungspolitik und Mitbestimmung

Es ist also der Zweck der Bildungspolitik, den Nachwuchs in Gewinner und Verlierer zu sortieren. Der wird deshalb bei bildungspolitischen Reformen auch nicht gefragt. Der Staat macht seine Selektionskriterien weder von den Vorstellungen derer abhängig, von denen er einen Teil vom Zugang zu besser bezahlten Berufen ausschließen will, noch von seinen Eliteanwärtern. Was ist denn dann „Mitbestimmung“? Da darf der Nachwuchs Zeugnis ablegen, dass er in Schule und Hochschule nicht nur tut, was er muss, wenn er vorankommen will, sondern dass er das auch will; dass ihm das staatliche Bildungswesen so am Herzen liegt, dass er sich für dessen Gelingen engagiert. Dafür räumt die Politik glatt Mittel und Gremien ein – und überwacht die Grenzen des „Mandats“ der jungen Schul- und Hochschulmitverwalter.

Hier als PDF-Flugblatt

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. Max
    18. November 2009, 15:27 | #1

    Aufzeichnung der Diskussionsveranstaltung mit Freerk Huisken am 16. November in Wien: Zu den fragwürdigen Leistungen des Schulsystems.

    Ausserdem ein Interview auf Radio Corax zum

  2. 18. November 2009, 22:40 | #2

    Flugblatt, das auf den Bildungsdemos in Erlangen und Nürnberg verteilt wurde:

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