„Geld für Bildung statt für Banken“, das klingt anscheinend immer wieder gut, vor 30 Jahren haben wackere MSB Spartakus-Studenten oder Jusos auch schon skandiert „In der Rüstung sind sie fix, für die Bildung tun sie nix!“ oder noch simpler „Bildung rauf! Rüstung runter!“ Der Haken an dieser Forderung ist zum einen der, daß er von der Vorstellung ausgeht, der Staat verfüge über einen Haufen Geld, und dieser große Haufen Geld müsse jetzt bloß „vernünftig“ verteilt werden. Aber der Staat hört nicht auf die vernünftigen Studenten und gibt es bekanntermaßen glatt den Banken statt es in die Bildung zu stecken. Der Fehler daran ist ein mehrfacher: Ganz offensichtlich schon mal: Selbst wenn zukünftig mehr Geld für Bildung da sein sollte, hätten denn dann Studenten tatsächlich irgendein ein Mitspracherecht wofür das schöne Geld dann ausgegeben würde? Der Haupteinwand ist aber folgender: Haben die Studis und Schüler sich überhaupt Gedanken gemacht, für welche Sorte „Bildung“ mehr Geld aufgebracht werden soll? Mehr Geld für Bildung heißt doch erst mal nur, im Prinzip jedenfalls, für die Bildung, die es bisher gegeben hat. Was mir bei den ganzen Bildungsstreikaktivitäten und der dabei veröffentlichten Propaganda aufgefallen ist, daß es irgendeine ernsthafte Kritik an der Art und Weise, in der Bildung in Deutschland tatsächlich inhaltlich stattfindet, leider überhaupt nicht gegeben hat, jedenfalls ist mir da nichts großartig aufgefallen. Leider war es überall so, daß die ja schon massenhaft vorgetragene Kritik sich fast gar nicht mit den Inhalten der Bildung und dem Zweck des ganzen Bildungssystems beschäftigt hat, sondern sondern fast ausschließlich die Bedingungen, unter denen „Bildung“ vermittelt wird, skandalisiert hat.
Das Zweite wichtigere Argument ist: Die Vorstellung von dem Haufen Geld, der nur gerechter oder vernünftiger verteilt werden müßte, ist eine durch und durch idealistische Betrachtungsweise des Staatshaushalts dieses Staates: Denn die Studierenden tun so, als hätten ihre Vorstellungen von gerechter Verteilung irgendetwas mit den Kriterien zu tun, mit denen hierzulande der Nationalstaat seine politischen Optionen in Finanzkraft übersetzt . Studierende sehen doch gerade, was der Staat macht, wofür er Geld ausgibt: Offensichtlich ist ihm die Reparatur des Bankensektors wesentlich mehr Wert als noch mehr Geld in die Bildung zu stecken. Die Bildungsstreiker fragen nun aber gar nicht, warum das so ist, sondern wollen es einfach nur anders haben. Damit kommen sie bei den staatlichen Bildungspolitikern aber alles andere als gut an: Für das, was die vom Bildungsbereich haben wollen, braucht es gar nicht wesentlich mehr Geld. Der Staat will ja gerade mit der Verknappung der Mittel dafür sorgen, daß die Studierenden sich untereinander mehr Konkurrenz machen und deshalb schneller und damit kostengünstiger das Studium verlassen. Genau das ist doch gerade der erklärte Zweck der Bildungsreformen der letzten Jahre gewesen. Jetzt auf einmal für dieses in diesem Sinne weitgehend fertig reformierte Bildungssystem mehr Geld auszugeben, ist gar nicht dessen Absicht. Dahinter steckt eine Vorstellung vom Staat, wonach der, wo „wir“ doch alle der Staat sind, „berechtigte “ Forderungen, gerade der akademischen Elite, bedienen müsse. Der Staat sagt aber dazu: Stimmt, ihr seid die angehende akademische Elite, aber gerade deswegen, weil ihr später die Chance habt, in etwas besseren Positionen arbeiten zu können, verlange ich von euch, daß ihr euch in dem Studium, so wie ich es euch hinorganisiert habe, gefälligst bewährt.
Der Bildungsstreik ist vorüber, überall gab es nur eitel Erfolgsmeldungen. Worauf beziehen sich die Erfolgsmeldungen? Die naheliegendste Frage ist da ja immer, welche Forderungen sind denn durch die Aktionen überhaupt erfüllt worden? Und schon beim oberflächlichsten Nachschauen stellt man doch fest: Daß irgendwas Substanzielles tatsächlich durchgesetzt worden wäre, solche Erfolge können überhaupt nicht vermeldet werden, der Bildungsaparat steht wie eine Eins. Es steht in den Jubelberichten nicht mal drin: Wir haben jetzt unsere Demonstrationen durchgeführt, wir haben damit jetzt unsere Forderungen unterstrichen, die kennt jetzt jeder, jetzt müssen die reagieren, weil die befürchten müssen, daß wir noch mehr hinlegen, deshalb warten wir mal ab, was wir denen damit abpressen konnten. Nein, der Erfolg wird allein darin gesehen, daß die Protestaktionen viele Leute auf die Beine gekriegt haben, daß er also überhaupt stattgefunden hat. Man kann daran ablesen, daß es für die Protagonisten des Bildungsstreiks, die danach solche Erfolgsbilanzen in die Welt gesetzt haben, geradezu selbstverständlich war, daß das Maß für den Erfolg solcher Aktionen gerade nicht darin liegt, wie weit sie, auch nur ansatzweise Gehör für ihre Forderungen gefunden haben, oder sich herausgestellt hat, daß die eine oder andere Forderung durchgesetzt werden konnte, sondern daß der Erfolg das pure Gelingen der Streik- und Demonstrationsmaßnahmen selber gewesen sein soll. Damit geben sie implizit selbst zu, daß der Streik so etwas wie Selbstzweck gewesen ist, egal, was er bewirkt beim Gegner, Hauptsache, daß viele mitgemacht haben. Mit solch einem wahrlich bescheidenen Maßstab geben die Macher praktisch zu, daß sie sich ohnehin keine großen Chancen ausgerechnet hatten, das Gegenteil von Studium serviert zu bekommen, was sie während des Bildungsstreiks so einhellig beklagt haben.
Das ist ironischerweise ein Stück Realismus hinsichtlich der Möglichkeit, diese Forderungen tatsächlich durchzusetzen. Denn so ein Streik ist natürlich gar kein wirklicher Streik. Das war ein bewusst falsch gewähltes Etikett für die Aktionen, zu denen aufgerufen worden ist. Streik ist nämlich etwas ganz anderes: Streik heißt, durch die eigene massenhafte Unterlassung wird tatsächlicher Druck auf den Gegner ausgeübt und nicht nur ein harmloser massenhafter moralischer Appell gemacht. Die klassische Form des Streiks ist immer noch der Streik von Arbeitern, die ihre Arbeit niederlegen, und die damit ihren Arbeitgeber zwingen wollen, ihnen etwas zuzugestehen, sei es weniger Arbeitszeit, zumeist ein bisschen mehr Lohn. Das ist in der Tat eine Waffe. (Daß die zweischneidig ist, das ist die andere Seite: Wenn Arbeiter nicht arbeiten, dann verdienen sie auch nichts und sie können auch nur soweit Sachen durchsetzen, wie sie hinterher immer noch profitabel für ihren Betrieb sind, sonst schmeißt der sie nämlich gleich raus). Aber das ist eine Waffe, denn streikende Arbeiter entziehen dem Unternehmer das Mittel seines Profits, und das ist ihre Arbeit. Ein studentischer Streik kann das aber gar nicht, die können nur ihr Studium unterlassen. Studierende können sich nur selbst von ihrer eigenen Ausbildung ausschließen. Und da lehnt der Staat sich regelmäßig getrost zurück und wartet ab, der Prüfungsdruck, der bleibt ja bestehen, die Studiengebühren drücken. Deshalb konnte man aus Frankreich nach einem oder einem halben Jahr Streik über den die hiesigen Protagonisten ins Schwärmen geraten sind, hören, daß die Universität gnädigerweise den Studenten erlaubt hat, alle Prüfungen in den Semesterferien nachzuholen. Und das haben sie dann auch gemacht.
Wenn die Erfolgsbilanz heißt, so und so viel Leute haben wir tatsächlich auf die Straße gekriegt, soviel von unseren, soviel Studis haben wir hinter den Lehrbüchern hervorgezogen. dann schleicht sich in den Streik ein ganz anderer Zweck ein, nämlich Studierende, von denen man weiß, die haben eigentlich nichts im Sinn mit den eigenen Forderungen, was auch immer man davon halten mag, trotzdem auf die Straße zu kriegen. Eigentlich ginge sowas nur, wenn man diese Studierenden kritisiert und ihnen vorhält: Was macht ihr denn da eigentlich? Seht ihr nicht, daß ihr mit eurem Weiterstudieren wie bisher uns in den Rücken fallt, wo wir doch diese Universität verbessern wollen? Das würde doch auch euch zugute kommen! Und je nachdem, wie die Kritik der Studierenden an der Bildung selber aussieht, müßte die Kritik der Studierenden, die man für den Streik erst noch gewinnen will, auch härter ausfallen. Leider ist das Gegenteil passiert: Die Studenten, die man für die Aktion gewinnen wollte, wurden nämlich mit einem Argument beworben, daß höchst zwiespältig ist: Ihr findet die neuen verschärften Bedingungen der Konkurrenz im Studium doch auch ärgerlich und stressig. Also macht mit, kämpft mit für erträgliche Konkurrenzbedingungen. Dieses Argument eröffnet den Studierenden, den Fleissigen, nur die Alternative zwischen zwei Sorten, sich auf die eingerichtete Konkurrenz zu beziehen, statt an ihrer Kritik mitzuarbeiten. Die eine Alternative heißt, man nimmt teil am Kampf für Konkurrenzerleichterungen. Und die andere Alternative heißt, man versucht mit vermehrten Eigenanstrengungen mehr Erfolg in der Konkurrenz, der Lernkonkurrenz, zu erreichen. Und wer jetzt noch dazu sagt, der Kampf bringt ohnehin nichts, der bleibt, unter Berufung auf das Argument der Studenten selbst, hinter seinen Büchern und streikt bewusst nicht mit.
In großen Teilen war der Bildungsstreik gerade nicht die Kritik von Schülern und Studierenden (und auch nicht von Lehrkräften), die in diesem Bildungssystem alles mitmachen, die keinen Begriff davon haben von dem, was sie da eigentlich mitmachen, welchen Zwecken es dient, was hier veranstaltet wird.
(angeregt durch Freerk Huiskens Schlussbemerkungen bei der Veranstaltung am 30.06.2009 in Leipzig, Mitschnitt hier )