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„Nachhaltigkeit“: Der merkwürdige Fall Kuba

28. Mai 2008

Der User Pfannenkoch hat im Schweizer Miniforum kommunismus.ch auf den Artikel „Der merkwürdige Fall Kuba“ eines an globaler Umweltpolitik interessierten Studenten hingewiesen. Der hat am 7. Juli 2007 zu dem mich sonst eigentlich nicht sonderlich interessierenden Umweltthema folgendes geschrieben:

Anlass dieses Beitrags ist ein gestern beim Environmental News Network (ENN) erschienener Bericht, nach dem Kuba in den vergangenen drei Jahren anscheinend eine ernsthafte Energiekrise lösen konnte – dank des Einsatzes erneuerbarer Energien wie Solar- oder Windenergie, kombiniert mit Energiesparmaßnahmen und einer lange überfälligen Erneuerung des Stromnetzes. UNEP-Direktor Achim Steiner begrüßte dem Bericht zufolge die Entscheidung der Regierung, auf eine umweltfreundliche und nachhaltige Energieerzeugung umzuschwenken.
Doch hinter der Geschichte steckt mehr. Kuba ist sozusagen ein Überbleibsel des hinter uns liegenden Systemgegensatzes zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Während des Kalten Krieges von der Sowjetunion mit billiger Energie und auch finanziell versorgt, fungierte die Insel vor der Küste der USA hauptsächlich als Exporteur von Agrarprodukten in den Ostblock. Die USA hatten bereits 1960, nur ein Jahr nach der Machtübernahme Fidel Castros, ein Wirtschaftsembargo über Kuba verhängt. Auch nach dem Zusammenbruch der UdSSR blieb das Embargo aufrecht, so dass sich die Insel bis heute relativ autonom versorgen muss (einem BIP von 44,5 Milliarden Dollar stehen Exporte über 2,4 Milliarden Dollar und Importe über 6,9 Milliarden Dollar gegenüber). In den letzten Jahren wurde Kuba zwar vermehrt mit billigem venezolanischen Öl versorgt, doch das US-Embargo garantiert weiterhin wirtschaftliche Isolation. Amnesty international (ai) zufolge, die regelmäßig Menschenrechtsverletzungen durch den sozialistischen Staat dokumentieren, ist das Embargo ein mitbestimmender Faktor für den geringen Lebensstandard der meisten KubanerInnen.
Zu Beginn der 1990er Jahre stand Kuba vor dramatischen Umstruktierungen. Der ineffiziente und energieverschlingende Handel mit der UdSSR war gewissermaßen über Nacht zusammengebrochen. Kuba drohte gleichzeitig eine schwere Nahrungs- und Energiekrise. Da sowohl Treibstoff als auch Dünger und Pestizide fehlten, entschied sich die Regierung den einzig möglichen Weg zu gehen – und weitete den Anbau biologisch erzeugter Nahrungsmittel drastisch aus. In den Medien wurde dieser Schritt bald als organic revolution bezeichnet. Im Jahr 2001 berichtete die BBC, dass die Produktion von Früchten und Gemüse jährlich um 250% zunehme. Der Schlüssel zu dieser Entwicklung war einerseits die auf der Insel vorhandene freie Arbeitskraft vieler KubanerInnen, welche ein Umschwenken zur arbeitsintensiveren ökologische Landwirtschaft begünstigte. Außerdem wurden in den Städten zahlreiche freie Plätze genutzt, um kleine Gärten anzulegen. Doch der eigentliche Clou sind die besonderen Vorteile der biologischen Landwirtschaft, welche es erlauben, auf den Einsatz von Pestiziden und chemischen Düngemitteln zu verzichten. Kuba hat also aus der Not eine Tugend gemacht.
Bis zum Ende der 1990er Jahre hatte Kuba mit diesen Maßnahmen seine unmittelbar drohende Nahrungskrise überwunden. Als nächstes machte der Bevölkerung die Energiekrise zu schaffen. Die Insel hatte immerhin ihr ganz eigenes Peak Oil erlebt – und letztlich überstanden. 16 Stunden am Tag Stromausfall waren keine Seltenheit. Da Geld fehlte, waren auch keine Investitionen in Großanlagen wie Windparks denkbar, geschweige denn in konventionelle Großkraftwerke. Die Lösung lag in reduziertem Verbrauch – Regierungsangestellte gingen stellenweise von Haus zu Haus und tauschten ineffiziente Glühbirnen durch Energiesparlampen aus – und in der Mikrogeneration von Strom durch kleine Erneuerbare Energie-Anlagen.
Das Global Footprint Network hat in Zusammenarbeit mit dem WWF noch etwas bemerkenswertes über Kuba herausgefunden. Im Living Planet Report 2006 wurden zwei verschiedene Indikatoren zusammengebracht, um einen Maßstab für nachhaltige Entwicklung zu erzeugen. Um die festgelegte Nachhaltigkeits-Latte nicht zu reißen, muss ein Land einerseits einen Human Development Index (HDI) über 0,8 aufweisen (das entspricht exakt dem für Bosnien-Herzegowina und Mauritius ermittelten Wert). Andererseits darf es die durchschnittlich pro Kopf verfügbare Biokapazität nicht überschreiten, darf also höchstens einen ökologischen Fußabdruck von 1,8 Hektar pro Kopf aufweisen. Während die meisten Entwicklungsländer keine Probleme mit der Biokapazität, aber um so mehr mit dem HDI haben, ist das Verhältnis bei den Industrieländern genau umgekehrt. Es gibt nur ein einziges Land, das beide Kriterien erfüllt und nach den Vorgaben des WWF als nachhaltig gelten kann: Kuba. Kubas HDI liegt bei 0,862, und die von seiner Bevölkerung in Anspruch genommene Biokapazität liegt bei 1,5 Hektar pro Person. Allerdings überstrapaziert Kuba trotz diesen Befundes die eigenen Ressourcen deutlich: Den in Anspruch genommenen 1,5 ha/Person stehen rechnerisch nur 0,9 ha an Inselfläche zur Verfügung.
All dies sollte deutlich machen, warum ich Kuba im Titel als “merkwürdigen Fall” beschrieben habe. Kuba ist keineswegs ein Paradies. Grundlegende Freiheitsrechte sind auf der Insel nicht verwirklicht, die Menschenrechtslage ist alles andere als vorbildlich. Mit einer Wirtschaftsleistung von nur 4.000 Dollar pro Kopf und Jahr gehört das Land fast zum ärmsten Drittel der Welt (Platz 146 von 229 laut CIA World Fact Book). Dem zugrunde liegt (auch) ein harsches wirtschaftliches Embargo durch die USA. Trotz dieser Bedingungen liegt die Lebenserwartung mit 77 Jahren in Kuba nur knapp unter den USA (78 Jahre), die Alphabetisierungsrate ist vergleichbar, und die Kindersterblichkeit ist sogar geringer (6,04 gegenüber 6,37 pro 1.000 Geburten). Kuba ist der einzige Staat, der nach den Kriterien des WWF als nachhaltig bezeichnet werden kann, wenn es auch immer noch über seine eigenen ökologischen Grenzen lebt. Und ambitionierte Programme haben die Nahrungsmittel- und Energieversorgung auf einen umweltfreundlichen Pfad gebracht. Kuba ist vor diesem Hintergrund ein nachdenkenswertes, ein im wahrsten Sinne des Wortes merk-würdiges Beispiel, bei dem Licht und Schatten nahe beeinander liegen.

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  1. Ramon Calderon
    29. Mai 2008, 19:20 | #1

    Eine bemerkenswerte Leistung der kubanischen Kommunisten, die hier in merkwürdiger Weise zusammengerechnet wird. Es kommt eben darauf an, worauf es in einem Land ankommt. Aus der Not wird in demokratisch regierten Ländern systematisch und gnadenlos ein Geschäft gemacht. Der Standpunkt Havannas, die Ressourcen von Land und Leuten dem Volk zugute kommen zu lassen – so gut es eben geht – und nicht von westlichem Kapital ausbeuten zu lassen, soll sich ausgerechnet an Freiheitsrechten blamieren? Warum am Ende das Hohelied auf die Freiheit? An welchem Paradies soll sich Kuba messen lassen? Dem freier Hungerleider? Dem von Hartz-IV-Empfängern? Zur Logik demokratischer Systemkritik äußerte sich im März 2007 der Artikel „Warum Kuba ins Reich der Freiheit gehört“, zu finden unter http://kapitalismuskritik.blogspot.com/

  2. Ramon Calderon
    29. Mai 2008, 19:20 | #2

    Eine bemerkenswerte Leistung der kubanischen Kommunisten, die hier in merkwürdiger Weise zusammengerechnet wird. Es kommt eben darauf an, worauf es in einem Land ankommt. Aus der Not wird in demokratisch regierten Ländern systematisch und gnadenlos ein Geschäft gemacht. Der Standpunkt Havannas, die Ressourcen von Land und Leuten dem Volk zugute kommen zu lassen – so gut es eben geht – und nicht von westlichem Kapital ausbeuten zu lassen, soll sich ausgerechnet an Freiheitsrechten blamieren? Warum am Ende das Hohelied auf die Freiheit? An welchem Paradies soll sich Kuba messen lassen? Dem freier Hungerleider? Dem von Hartz-IV-Empfängern? Zur Logik demokratischer Systemkritik äußerte sich im März 2007 der Artikel „Warum Kuba ins Reich der Freiheit gehört“, zu finden unter http://kapitalismuskritik.blogspot.com/

  3. 29. Mai 2008, 21:26 | #3

    Wegen dem Hohelied auf die Freiheit habe ich diese Kubabeschreibung auch nicht gespiegelt. Sondern als jedenfalls für mich überraschenden Beleg für deine Feststellung, daß es eben darauf ankommt, worauf es in einem Land ankommt.
    Wobei ich dann auch irgendwann mal über das doch wieder Vieles entschuldigende „so gut es eben geht“ reden könnte. Aber das wären jetzt extrem insiderische Weiterungen.

  4. 29. Mai 2008, 21:26 | #4

    Wegen dem Hohelied auf die Freiheit habe ich diese Kubabeschreibung auch nicht gespiegelt. Sondern als jedenfalls für mich überraschenden Beleg für deine Feststellung, daß es eben darauf ankommt, worauf es in einem Land ankommt.
    Wobei ich dann auch irgendwann mal über das doch wieder Vieles entschuldigende „so gut es eben geht“ reden könnte. Aber das wären jetzt extrem insiderische Weiterungen.

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