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Tibet: Besetzt oder befreit?

23. Mai 2008

contradictio hat am 21.05.08 kommentarlos auf einen Artikel in der „jungen Welt“vom 17.05.08 hingewiesen. Dort hat Nora Bartels, eine Sinologin und Japanologin, unter dem Titel „Besetzt oder befreit?“ eine ausführliche Darstellung der Minderheitenpolitik der Volksrepublik China in Tibet gegeben.
Das hatte was Rührendes, weil sie akribisch bemüht ist, der Antichinahetze Fakten entgegenzusetzen. Leider hat Frau Bartels aber bei all ihrer informierten Aufzählerei dessen, was die Regierung der VR China seit Anfang der 50er Jahre alles in Tibet an- und hingestellt hat, einen zentralen Punkt völlig außer Acht gelassen:
Es geht doch bei der Tibet-Kampagne der hiesigen Medien überhaupt nicht um die Fragen, die Frau Bartels umtreibt, um wieviel z.B. ist die Lebenserwartung der Menschen dort gestiegen, wieviel Krankenhäuser wurden dafür gebaut etc. So etwas interessiert die Journaille doch bei anderen Staaten auch nicht, solange sie für „uns“ sind. Nein, der für diese Kampagne entscheidende Grund ist die Aversion der BRD gegen die VR China als einer offensichtlich größere Ansprüche an Weltgeltung stellender Staat, was den bisherigen Weltmächten überhaupt nicht paßt. Da braucht es dann auch gar keiner Fakten, sonder nur eine mehr oder weniger passende Bebilderung der schon feststehenden Verurteilung eines potentiellen Feindes.
Mich hat dieser Artikel erinnert an ebenso am eigentlichen Thema vorbeigehende Artikel zu Afghanistan, wo Freunde der Sowjetunion auch darauf verwiesen haben, was die modernistische Reformbewegung der PVAP konkret an ja eh nur bescheidenen fortschrittlichen Edikten erlassen hat. Das war damals doch auch piepegal. Auch da haben z.B. stramme Feministen nichts dagegen gehabt, Arm in Arm mit frauenfeindlichen Mudjahedin zu stehen, hiesige Atheisten politische Blockpartner von Gotteskriegern zu sein.
Selbst in den Maßnahmen gleichen sich die Geschehnisse: Einer der Reformen, die die Mullahs in Afghanistan auf die Palme gebracht haben, war die Halbierung(!) des Brautpreises für Frauen/Mädchen. Mehr hatte sich die damalige Reformregierung nicht getraut. In Tibet hat die Regierung in den 50ern mit einer Reduzierung der Wucherzinsen der Klöster angefangen. Auch schrecklich revolutionär.

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. Kritiker
    23. Mai 2008, 13:48 | #1

    „der für diese Kampagne entscheidende Grund ist die Aversion der BRD gegen die VR China als einer offensichtlich größere Ansprüche an Weltgeltung stellender Staat“
    Einerseits. Andererseits ist deinen Ausführungen auch noch ein Schluss auf die Wahl des Mittels ‚Kampagne‘ zu ergänzen. Diskussionen über einen möglichen Boykott der Olympischen Spiele finden zwar auch statt, aber münden nicht zufällig in der harmloseren Form der Blamage von Fackelläufen und den herkömmlichen Mahnungen an Menschenrechte, während die Teilnahme an den Spielen mittlerweile außer Frage steht.
    Der öffentliche Protest gegen China fällt also so verhalten aus, weil zumindest der deutsche Einspruch nicht als prinzipieller Gegensatz zur „Diktatur“ ausgelegt werden soll, als die China nach wie vor gilt, sondern als Begleitmusik zum Hineinregieren benutzt wird. Betende Tibeter sind „nur“ ein kritischer Titel auf einem vergleichsweise niedrigen Level von Feindschaftserklärung. Die Benutzbarkeit der VR scheint im Unterschied zu vergangenen Jahrzehnten die öffentliche Anprangerung in D so zurückhaltend zu machen (z.B. scheint das ewige Zitieren vom Blutbad auf dem ‚Platz des himmlischen Friedens’ auch nicht mehr zeitgemäß).

  2. Kritiker
    23. Mai 2008, 13:48 | #2

    „der für diese Kampagne entscheidende Grund ist die Aversion der BRD gegen die VR China als einer offensichtlich größere Ansprüche an Weltgeltung stellender Staat“
    Einerseits. Andererseits ist deinen Ausführungen auch noch ein Schluss auf die Wahl des Mittels ‚Kampagne‘ zu ergänzen. Diskussionen über einen möglichen Boykott der Olympischen Spiele finden zwar auch statt, aber münden nicht zufällig in der harmloseren Form der Blamage von Fackelläufen und den herkömmlichen Mahnungen an Menschenrechte, während die Teilnahme an den Spielen mittlerweile außer Frage steht.
    Der öffentliche Protest gegen China fällt also so verhalten aus, weil zumindest der deutsche Einspruch nicht als prinzipieller Gegensatz zur „Diktatur“ ausgelegt werden soll, als die China nach wie vor gilt, sondern als Begleitmusik zum Hineinregieren benutzt wird. Betende Tibeter sind „nur“ ein kritischer Titel auf einem vergleichsweise niedrigen Level von Feindschaftserklärung. Die Benutzbarkeit der VR scheint im Unterschied zu vergangenen Jahrzehnten die öffentliche Anprangerung in D so zurückhaltend zu machen (z.B. scheint das ewige Zitieren vom Blutbad auf dem ‚Platz des himmlischen Friedens’ auch nicht mehr zeitgemäß).

  3. 23. Mai 2008, 20:46 | #3

    In der Tat, wegen der Einschätzung, daß die heutige VR China letztlich doch eher benutzbar einzuschätzen ist, ist auch die aktuelle Kampagne (und in gewissem Sinne auch deren Subkampagne zu Birma) nicht von der bedingungslosen Feindschaft geprägt, wie das in den 80er Jahren im Kalten Krieg der Afghanistanfeldzug war, der ja auch wirklich ein kriegerischer Akt gegen die Sowjetunion war und nicht „nur“ eine Medienkampagne und politische Fanfare für „Menschenrechte“. Selbst die Sowjetunion der letzten Jahre, ja schon lange kein Hort der Weltrevolution mehr, wurde damals von den imperialistischen NATO-Mächten offensichtlich nur ganz begrenzt als grundlegend benutzbar angesehen. Aber auch hier wird ja dem „neuen“ Rußland der Konterrevolution immer wieder auch mal deren Verbrechen der nationalen Unterdrückung reingerieben (Tschetschenien z.B.).

  4. 23. Mai 2008, 20:46 | #4

    In der Tat, wegen der Einschätzung, daß die heutige VR China letztlich doch eher benutzbar einzuschätzen ist, ist auch die aktuelle Kampagne (und in gewissem Sinne auch deren Subkampagne zu Birma) nicht von der bedingungslosen Feindschaft geprägt, wie das in den 80er Jahren im Kalten Krieg der Afghanistanfeldzug war, der ja auch wirklich ein kriegerischer Akt gegen die Sowjetunion war und nicht „nur“ eine Medienkampagne und politische Fanfare für „Menschenrechte“. Selbst die Sowjetunion der letzten Jahre, ja schon lange kein Hort der Weltrevolution mehr, wurde damals von den imperialistischen NATO-Mächten offensichtlich nur ganz begrenzt als grundlegend benutzbar angesehen. Aber auch hier wird ja dem „neuen“ Rußland der Konterrevolution immer wieder auch mal deren Verbrechen der nationalen Unterdrückung reingerieben (Tschetschenien z.B.).

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