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Warum der Bahnkonflikt zum Lehrstück wird — Wirklich?

25. November 2007

Der folgende Artikel von Robert Kurz ist erschienen in der Wochenzeitung „Freitag“
am 23.11.2007, hier zitiert nach seiner Organisations-Webseite exit-online

DIE MACHT DER OHNMÄCHTIGEN
Warum der Bahnkonflikt zum Lehrstück wird
Das hat es in der sozialpazifistischen Kompromisskultur der BRD seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben: Die Tarifauseinandersetzung zwischen Bahn AG und Lokführergewerkschaft GDL beschäftigt das Land schon etliche Monate und will einfach nicht zur erwünschten Friedhofsruhe kommen. Zwar ist der soziale Konsens längst aufgekündigt worden, aber höchst einseitig von oben. Was im Verhältnis von „Wirtschaft“ und Gewerkschaften immer noch unter dem rituellen Label „Kompromiss“ firmiert, lief in der Regel auf kompromisslose Einschnitte zu Lasten der Beschäftigten hinaus. Stellenabbau, Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzungen gehörten zu den großen „Erfolgen“ der letzten Jahre, gerade auch bei der Bahn. Ausgerechnet in diesen Zeiten der sozialen Krise und der verschärften Konkurrenz auf den Arbeitsmärkten macht sich nun plötzlich der Hauch einer Konfliktfähigkeit geltend, mit der kaum jemand mehr gerechnet hätte. Und ausgerechnet bei der kleinen und bislang ziemlich unbekannten GDL, obwohl es sich um eine der ältesten deutschen Gewerkschaften handelt, die allerdings noch nie als kämpferisch aufgefallen war.
Schwelende Wut über den allgemeinen sozialen Abwärtstrend gibt es überall. Aber die individualisierte Ohnmacht und die gesellschaftspolitische Perspektivlosigkeit lassen den Gedanken an Gegenwehr verpuffen. Wenn die GDL unverhofft zum Symbol für die mögliche Macht der Ohnmächtigen geworden ist, dann hat dies nicht allein mit der Schlüsselposition der Lokführer zu tun. Es zeigt sich auch, dass relativ kleine und auf begrenzte Bereiche bezogene Organisationen, in denen sich die Diskussionsfähigkeit nicht auf den Apparat beschränkt, unter den Bedingungen einer globalisierten Just-in-time-Produktion schlagkräftiger sind als die leblos gewordenen, selber längst konzern-ähnlichen Großgewerkschaften. Die Individualisierung kann in gewisser Weise mit ihren eigenen Mitteln durch Rückbau der Anonymität geschlagen werden. Das gilt auch für die Vertragslandschaft. Es ist kein Zufall, dass jetzt gerade diejenigen in Politik und Management nach dem Einheitstarif schreien, die ihn durch Aufweichklauseln, Umschalten auf Betriebsvereinbarungen und kalkuliertes Outsourcing systematisch ausgehöhlt haben, weil dies eine größere Willfährigkeit der Beschäftigten gegenüber Zumutungen zu fördern schien. Jetzt sind sie geschockt, weil sie sehen, dass der Spieß auch umgedreht werden kann. Eine Summe von Konflikten um nachdrücklich eingeforderte Teiltarife á la GDL kann gefährlicher werden als das zahme Vereinbarungsritual von Einheitstarifen, sobald auch andere Beschäftigtengruppen auf den Geschmack kommen.
Auch in ideologischer Hinsicht scheint es, als wäre das neoliberale Kartell beim Bahnkonflikt auf dem falschen Fuß erwischt worden. Die gewohnheitsmäßige Beschwörung des ausgeleierten „Allgemeinwohls“ zieht offenbar nicht mehr so gut wie erhofft. Der inszenierte mediale Aufschrei, dass einige tausend ungezogene Lokführer „ein ganzes Land lahm legen“, könnte nach hinten losgehen. Zumindest klammheimlich sind vielleicht nicht alle zwangs-flexibilisierten Individuen so tief traurig darüber, wenn die Mobilität für den Billig-Job ein wenig still gestellt wird. Wo die Normalität nachgerade unerträglich wird, wünscht man sich gelegentlich eine Art Erdbeben. Auch die Anklage, dass womöglich der „Aufschwung“ kaputt gestreikt werde, reißt kaum jemanden vom Hocker. Welcher Aufschwung? Bei den allermeisten ist da nichts angekommen. Und wenn die Finanzmärkte krachen, wird man kaum die GDL verantwortlich machen können. Jedenfalls hält sich trotz der Behinderungen des Bahnverkehrs in den Umfragen hartnäckig eine Mehrheit, die für die GDL und gegen den Bahnvorstand Stellung nimmt.
Den biederen Lokführern ist sichtlich nicht ganz wohl in ihrer Haut, seitdem sich ihr „Standing“ zum Politikum und Medien-Hype ausgewachsen hat. Das haben sie so nicht gewollt. Aber was sie gewollt haben, ist ohne ihr Zutun unter der Hand zum Lehrstück geworden. Die Streikführung war bis jetzt sehr zögerlich, aus Angst vor der eigenen Courage und aus Angst vor der Öffentlichkeit. Das Spannende an diesem Konflikt ist aber gerade, dass er einen Pseudo-Kompromiss wie bei der Telekom, der in Wirklichkeit eine Kapitulation von Verdi war, praktisch ausschließt. Denn sollte die GDL schließlich doch noch im Namen eines aufgeschwatzten „höheren Verantwortungsbewusstseins“ einknicken, dürfte sie damit nicht nur eine schwere Niederlage erleiden, sondern auch ihr Ende als Organisation besiegelt haben. Wie lautet doch gleich der Spruch, mit dem eine auf den Kapitalismus vergatterte Menschheit seit Jahr und Tag berieselt wird? Mut zum Risiko!

Es fällt auf, wie argumentlos Kurz gegen die GDB-Gewerkschaften zu Felde zieht: „leblos gewordenen, selber längst konzern-ähnlichen Großgewerkschaften.“ Was deren „Leben“ ausmacht, worum es denen dabei geht, dazu fällt ihm gar nichts ein. Welche Profite eigentlich seine „konzern-ähnlichen“ Gewerkschaften für wen einfahren sollen, wäre auch ein paar Sätze wert gewesen.
Auch wenn er schreibt, „Auch in ideologischer Hinsicht scheint es, als wäre das neoliberale Kartell beim Bahnkonflikt auf dem falschen Fuß erwischt worden“, dann frage ich mich gleich, was denn eine nicht-neoliberale Regierung/Konzernspitze(DGB immer dabei) denn anders gemacht hätte?
Zum zentralen Argument für die Akzeptanz des Abbaus des Lebensstandards sagt er: „Auch die Anklage, dass womöglich der „Aufschwung“ kaputt gestreikt werde, reißt kaum jemanden vom Hocker. Welcher Aufschwung? Bei den allermeisten ist da nichts angekommen.“ Es stimmt, daß da Nichts ankommt. Das schlagende, immer wieder leider überzeugende Argument ist aber doch die Drohung, daß ohne Gewinne, ohne „Aufschwung“ die Arbeiter erst recht Nichts zu lachen haben werden und die allgemeine Krise oder auch nur die Krise ihrer Branche oder ihres Betriebs mit ihrem Arbeitsplatz bezahlen dürfen, der dann schnell ganz weg ist. Hier bei der DB beruht die bisher recht militante Haltung der Lokführer doch auch auf der Tatsache, daß der Lohnraub der letzten Jahre ja richtig Erfolg hatte, jedenfalls für Mehdorns Bilanzen. Die DB steht doch jetzt toll da und träumt vom grandiosen Welterfolg als AG auf der Basis der jetzigen riesigen Bilanzgewinne.

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