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Säkularisierung: R.I.P.

28. August 2007

Lysis hat auf seinem blog auf einen interessanten Artikel zur Säkularisierungsthese verwiesen (wonach die „Moderne“ zum Absterben der Religion geführt habe oder es wenigstens noch tun werde)

Führt die wissenschaftliche Moderne allmählich zum Ende der Religion? Drei Jahrhunderte lang wird diese Platte nun schon aufgelegt — von Aufklärern, Sozialwissenschaftlern und westlichen Intellektuellen. Doch im Herbst 1999 trug der Religionssoziologe Rodney Stark diese Behauptung endgültig zu Grabe.

Mittlerweile meine ich auch, daß religiöses Denken offensichtlich sehr gut zu kapitalistisch verfaßten Gesellschaften paßt. Es scheint mir jedenfalls nicht nur zufällig zu sein, daß in der fortgeschrittensten kapitalistischen Gesellschaft, der USA gerade in „modernen“ Kreisen, religiöses Denken (zum Teil in recht beliebiger, auswechselbarer Form) angesagt ist.

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  1. Fritz
    28. August 2007, 17:47 | #1

    Eine grundsätzlichere Rechtfertigung für jeden x-beliebigen Gegenstand als „alles gottgewollt“ kann es ja auch schwerlich geben. Von daher passt die Religion in jede Gesellschaft, die das Bedürfnis nach metaphyischer Rechtfertigung hervorbringt – auf welche Art auch immer.

  2. 28. August 2007, 18:06 | #2

    Das Religion und Klassengesellschaft gut zusammen gehen, das kann man ja schon beispielsweise im Alten Testament nachlesen. Das besondere an der Säkularisierungsthese, die ja auch von vielen Linken geteilt wurde, ist doch das die rein faktische Entwicklung dem gar nicht entsprach und entspricht. Hier ein Beispiel:
    „Nicht nur in den Bauernhäusern, sondern auch in den Wolkenkratzern der Städte lebt neben dem zwanzigsten Jahrhundert heute noch das zehnte oder dreizehnte. Hunderte Millionen Menschen benutzen den elektrischen Strom, ohne aufzuhören, an die magische Kraft von Gesten und Beschwörungen zu glauben. Der römische Papst predigt durchs Radio vom Wunder der Verwandlung des Wassers in Wein. Kinostars laufen zur Wahrsagerin. Flugzeugführer, die wunderbare vom Genie des Menschen erschaffene Mechanismen lenken, tragen unter dem Sweater Amulette. Was für unerschöpfliche Vorräte an Finsternis, Unwissenheit, Wildheit!“ schrieb Leo Trotzki im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus (Trotzki, Leo: Porträt des Nationalsozialismus. In: Trotzki, Leo: Wie wird der NS geschlagen?, S.297). Und auch wenn dies für seine Zeit ein relativ hellsichtiges Statement war – immerhin kommt hier das Bewusstsein von Menschen vor und nicht nur das Sein, dessen Widerspiegelung das Bewusstsein angeblich nur ist – so verkehrt ist die Theorie, die Trotzki damit nebenbei über Aberglauben macht. Er betrachtet magische Vorstellungen als ein Überbleibsel voraufklärerischer, also vorbürgerlicher Zeit. Eben als ein Überbleibsel aus der Zeit, als Menschen Naturzusammenhänge noch nicht verstanden.
    (Zitiert nach http://www.junge-linke.de/religion/eine_kritik_von_glauben_abergl.html)

  3. bilbo
    29. August 2007, 10:59 | #3

    Jungelinke kommt aber zu einem ganz anderen Schluß als Trotzki – von wegen Überbleibsel.
    „Wenn Massen von brasilianischen Slumbewohnern magische Rituale betreiben, dann ist das nicht das kindisch-abstrakte Verfahren eines aus dem Naturzusammenhang noch gar nicht herausgetretenen Geistes, sich dennoch als Meister des Naturzusammenhanges zu behaupten Sie praktizieren die Illusion freier Verfügung über die Bedingungen und Mittel ihrer Existenz, indem sie ihre Lebensumstände als eine selbständige fremde Macht, ihre Verfügung darüber als ein irrationales Setzen auf Verständigung mit dieser Macht vorstellen; und sie praktizieren das als besondere Sphäre neben und abgetrennt von ihrem normalen Alltag und dessen verzweifelten Künsten des Überlebens“. (6) Damit erweisen sich alle moderne Religionen als Produkt eben jener Gesellschaft, an deren Krippe die Reformation stand. Die war mit der Entdeckung des gewissensgeplagten Individuums, das auf sich wegen Erbsünde und weltlichem Erfolg aufpassen sollte, die passende Religion des Kapitalismus.“

  4. Neoprene
    29. August 2007, 11:29 | #4

    Rein technisch verstehe ich deinen Einwand nicht:
    Ich habe doch gerade die Kritik von junge Linke an diesem typischen Trotzki-Zitat zitiert: „verkehrt ist die Theorie, die Trotzki damit nebenbei über Aberglauben macht. Er betrachtet magische Vorstellungen als ein Überbleibsel voraufklärerischer, also vorbürgerlicher Zeit.“ Willst du das wiederum selber nochmals kritisieren, wenn du denen sozusagen vorwirfst „Jungelinke kommt aber zu einem ganz anderen Schluß als Trotzki“?

  5. bilbo
    29. August 2007, 13:22 | #5

    „so verkehrt ist die Theorie“ – hab ich schlicht überlesen.

  6. Paulemik
    29. August 2007, 15:25 | #6

    Max Weber versuchte in seinem Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, die religiöse bzw. protestantische Haltung mit dem westlichen Kapitalismus zu verbinden und zeichnete dabei also u.a. die positive Umdeutung der Arbeit als Form der Buße, das Anhäufen von Reichtum als weltl. Zeichen der Gottesgnade und so weiter und so fort als ethische und ideelle Grundlagen für die Entwicklung des modernen Kapitalismus mitverantwortlich…

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