MPunkt hatte mit folgendem Hinweis angefangen
Die AG Politische Diskussion aus Leipzig hat nicht nur eine neue Homepage, sondern bietet diesen Donnerstag auch eine Diskussion zur Unterschichtendebatte an:
Armut als Ordnungsproblem: Die Diskussion über die „Unterschicht“
Der zynische Blick der Politik auf die Armut und was sie daran als Problem entdeckt.
Donnerstag, 2. November 2006, 18.30 Uhr, Raum 01-35/36 im Seminargebäude der Uni Leipzig
Damit ist sie freilich nicht die einzige Gruppe in Leipzig, welche diese Debatte als Aufhänger nimmt – die IG3O bietet sogar gleich eine ganze Veranstaltungsreihe rund um den Themenkomplex an. Viel zu erwarten ist m.E. jedoch von dieser nicht. Schließlich wird sich schon im Ankündigungstext dazu bekannt, dass es nicht um inhaltliche Klärung gehen soll, sondern um Chancen für “die Linke”, so z.B. wenn es in ihm heißt:
Wir wollen mit AkteurInnen aus verschiedenen Initiativen diskutieren, an welcher Stelle sie die größten Erfolgsaussichten für sozialen Widerstand sehen.
Was überhaupt der Inhalt des “sozialen Widerstands” ist, also z.B., ob die Protestler die richtigen Gründe für ihr Elend ausgemacht haben, kommt dabei gar nicht mehr vor. Vielmehr wird der “soziale Widerstand” – man ist ja bewegungslinks , da gehört sich das so, weil es ganz prinzipiell eine Chance für die Linke ist – ganz getrennt von dessen Inhalt für richtig und wichtig befunden. Folglich interessiert dann auch nur noch pur dessen Erfolg – ganz egal wobei, weshalb dann auch die “Erfolgsaussichten” und nicht etwa die inhaltliche Richtigkeit zum entscheidenden Kriterium werden. Diese Beliebigkeit zugunsten des Erfolgs pur setzt sich darin fort, dass an die Forderungen, welche in den Protestbewegungen erhoben werden, nicht etwa kritisiert, sondern als (mögliche) Chance für eine ominöse “politische Linke” gesehen werden:
Welche Stoßrichtung sollten die Forderungen der sozialen Bewegungen haben: stabilere Einkommen durch Mindestlöhne oder Alternativen zur aktuellen Arbeitsgesellschaft, zum Beispiel im bedingungslosen Grundeinkommen? Welche dieser Forderungen können der politischen Linken eine längerfristige Perspektive bieten – hin zu einer freien, solidarischen Gesellschaft?
Was die beiden Forderungen für eine “freie, solidarische Gesellschaft“1 taugen, vermag ich nicht zu sagen, weil eine solche schlicht nicht mein Sorgegegenstand ist; dass sie nicht das Geringste mit einer treffenden Kritik des Kapitalismus’ zu tun haben, dafür umso mehr. Beide kranken ja gerade daran, dass sie Geld und Lohnarbeit, also die Gründe für die Armut, fortbestehen lassen wollen. Dass es Mindestlöhne gibt, ändert ja nichts daran, dass es sich für einen Kapitalisten lohnen muss, einen Arbeiter für sich arbeiten zu lassen. Dieser wiederrum ist überhaupt nur darauf angewiesen, seine Arbeitskraft zu verkaufen, weil der bürgerliche Staat seiner Gesellschaft eine Eigentumsordnung aufherrscht und damit jeden anderen als den Eigentümer vom Zugriff auf das jeweilige Eigentum ganz prinzipiell ausschließt. Um diesen Ausschluss zu überwinden braucht es nun Geld und weil der größte Teil der Bevölkerung eben kein Eigentum aufweisen kann, mit dem er selbst Waren produzieren könnte, ist er dafür auf die Benutzung durch die Kapitaleigner angewiesen. Der bürgerliche Staat, welcher sich auf diese Weise eine kapitalistische Ökononomie hinstellt, betreut diese logischer Weise auch. Das kann auch einschließen, dass er in bestimmte kapitalistische Geschäfte beschränkend eingreift, um den Kapitalismus als ganzes zu schützen. So etwa mit dem Verordnen von Mindestlöhnen, mit denen sich der Staat auf den Standpunkt stellt, dass die Lohnarbeit wenigstens soviel abzuwerfen hat, dass sich die Lohnarbeiter sowohl individuell als auch als Klasse davon reproduzieren können. Und das bietet jetzt bitte eine “längerfristige Perspektive” wofür?
Auch bei der Forderung nach einem Existenzgeld wird der bürgerliche Staat vom Bock zum Gärtner gemacht. Aus einem staatsidealistischen Nationalismus heraus wird er sich als eine Instanz vorgestellt, welche doch für das Wohlergehen der Leute verantwortlich sei. Geflissentlich übersehen wird dabei schon ganz elementar, dass er (s.o.) die Leute durch das Aufherrschen der Eigentumsordnung erst in die Abhängigkeit vom Geld bringt. Auf diese Weise produziert er ja gerade deren Armut, welche für seinen Zweck, nämlich eine kapitalistische Ökonomie als seine Einkommensquelle zu haben, sehr funktional ist. Es stellt sich also schon die Frage, warum er ausgerechnet diese für ihn sehr funktionale Armut durch ein Existenzgeld ein gutes Stück weit einschränken sollte. Das dafür oft angeführte Argument, dass ihm das billiger als sein derzeitiges Sozialsystem käme, zieht daher auch nicht so richtig, weil es bei der Produktion und der Betreuung von Armut seitens des Staates eben nicht nur um möglichst geringe Kosten für ihn geht. Es gibt aber sehr schön Auskunft darüber, wo die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen logisch zwangsläufig landet: bei konstruktiven Verbesserungsvorschlägen an den bürgerlichen Staat. Weil dieser dafür zuständig wäre, das Existenzgeld einzuführen, soll ihm das durch einen Nutzen für ihn schmackhaft gemacht werden. Klar ist dann aber auch schon, dass z.B. die Höhe des Existenzgeldes realistisch sein muss, also dabei materiell auch nicht sonderlich viel für die Leute drin sein kann. Und ohne diesen Realismus wäre die Forderungen nach einem “bedingunglosen Grundeinkommen” auch noch weniger ernstzunehmen, als ohnehin schon. Schließlich liefe sie dann darauf hinaus, dass der Staat weiterhin den prinzipiellen Ausschluss durch das Eigentum aufherrschen soll (daran hat man ja nichts zu kritisieren), jedoch dann gleich selbst wieder dafür Sorge tragen soll, alle mit soviel Geld auszustatten, dass dieser gar nicht recht zum Tragen kommt.
Aber wie gesagt: um richtige Inhalte geht es der IG3O ja ohnehin nicht …
Fußnoten
1. In die Freiheitsdebatte möchte ich aus Zeitmangel jetzt nicht wieder einsteigen, zumal mit “Freiheit” ja immer was anderes gemeint sein soll, als wie sie hier real vorkommt. Aber auch schon am “solidarisch” als Ziel lässt sich eine Kritik an dieser Vorstellung festmachen. Wenn man noch auf Solidarität angewiesen ist, dann ist diese Gesellschaft nämlich garantiert keine, in der es um Bedürfnisbefriedigung geht.
darauf kam dann als Kommentar
hmm…, ist ja ähnlich wie bei der letzten (”Und deshalb müssen “wir” bei diesem Frieden auch gleich mit 1500 Mann Marine und “robustem Mandat” mitmachen”) und vor allem die vom 10.11.05 (hab nur kurz überflogen, was fürn schruz es sich angeblich zu diskutieren lohnt). wendet sich wohl auch diese einladung wieder mit unbewusster autoritätsautorisierung mit fragen an eine “linke”, um welche sich doch die parlamentarier und sozial- wie kriegsprotestler kümmern sollten. und solche fragen zu erörtern, ohne dennoch etwas verändern zu können und/oder wollen und sich der reaktion unbewusst zu sein, führt wohl selten zu ergebnissen (tja, welche ergebnisse könnt ich jetzt wohl meinen?).
alles in allem hab ich bei dir (nicht zum 1. mal) das gefühl: passivprotestler (demonstrativer kritiker) kritisiert aktivprotestler (kritisierende demonstrant/innen oder so).
“Wir wollen mit AkteurInnen aus verschiedenen Initiativen diskutieren, an welcher Stelle sie die größten Erfolgsaussichten für sozialen Widerstand sehen.” ja, und?
es geht ihnen doch scheinbar sehr um den anknüpfungspunkt. (denn um die richtung der linie des “sozialen widerstands” zu finden, muss diese auch mit der “richtigen linie für ihr elend” verbunden werden) nun, um einen solchen punkt zu finden, muss mensch auch die koordinaten der linien kennen. für mich impliziert das also auch eine analyse z.b. der “inhaltlichen richtigkeit” (schrecklicher ausdruck!), um eine stossrichtung bestimmen zu können. nun, wer “sozialen widerstand” als erstrebenswert, notwendig bzw. quasi zwangsläufige antwort auf “ungerechtigkeiten”erachtet (und ihn auch ausüben will!), kann/will sich auch nicht jahrzehnte mit kapitalismuskritik befassen, naja, auch egal…
aber warum bitte sehr hast du den punkt 2 (”Soll eine Veranstaltungsankündigung ja aussagen, worum es bei einer Veranstaltung gehen soll. Daher kann man an Hand dieser m.E. schon sagen, dass von deren Veranstaltungsreihe nicht viel zu erwarten ist.”) nicht schon bei den vorangegangenen veranstaltungen mal gebracht. bei mind. 2/3 hätte er genauso gut gepasst! denn fast alle diese “ankündigungen” sind so offen gefasst, dass wer weiss was dabei rauskommen kann.
bitte kritisiere doch wieder ernsthafter(es) als hier…
Worauf MPunkt folgendes geantwortet hat:
1.) Ich habe es halt jetzt bei der IG3O kritisiert, weil in deren Veranstaltungsankündigung die ganz prinzipiellen Fehler der Bewegungslinken sehr klar zum Ausdruck kommen. Die nimmt “soziale Bewegung” nämlich immer schon als zum Kommunismus führend und mischt daher an vorderster Front noch beim Protest (sic!) mit den schauerlichsten Forderungen mit: Verteidigt die demokratische Herrschaft gegen die Nazis! Bringt Deutschland gegen US-Kriege in Stellung!Gebt uns Lohnarbeit statt Hartz IV, damit wir unsere Arbeitswilligkeit beweisen können! Verteidigt die nationale Souveränität gegen transnationale Konzerne! Und so weiter. Statt also die Protestler für deren Fehler zu kritisieren, auf dass sie die bleiben lassen, werden deren Bewegungen ganz getrennt von ihrem Inhalt von der Bewegungslinken massiv gestützt. Dies, weil die Bewegungen in deren Augen auch für etwas ganz anderes stehen. Weil die Bewegungslinken Anhänger des Erfolgsarguments sind, steht die Existenz “realer Bewegung” (ganz egal wogegen oder wofür) eben für den Erfolg der sozialistischen Sache und damit(!) für diese. Das ist zum einen eine einzige Schummelei und zwar nicht nur, weil der Erfolg nie und nimmer für etwas spricht (beim Durchsetzen der Hartzgesetze waren die Politiker logischer Weise viel erfolgreicher als der Protest dagegen – ist man deswegen jetzt für diese?), sondern eben auch, weil so getan wird, als würden noch die borniertesten Nationalisten eigentlich – “objektiv” – für etwas ganz anderes eintreten. Und man selbst, als die Bewegungslinke, kann sich dann als Führung der Revolution imaginieren, die darüber entscheidet, welche Inhalte man a) der Bewegung gerade schon zumuten kann, ohne es sich mit ihr zu verscherzen (”Anknüpfungspunkt”, wie Du das nennst) und b) mit welchen Inhalten man die Bewegung vergrößern kann. Und durch diese Verdrehungen werden Forderungen nach anderen staatlichen Kapitalismusbetreuungsmaßnahmen (Mindestlohn und Existenzgeld) als den derzeitigen, dann auf einmal zu irgendwie kommunistischen umgelogen, weil sie ja irgendwie die Bewegung voranbringen und damit irgendwie zu einer “freien und solidarischen Gesellschaft” (etwas anderes, als die wirkliche Verwirklichung des bürgerlichen Wertehimmels fällt denen selbstverständlich auch nicht mehr ein) führen.
2.) Es stimmt ja, dass die IG3O weder die ersten noch die einzigen Linken sind, die diesen oder auch andere Fehler machen. Dass ich es nicht schaffe, jeden Unsinn, den Linke gerade mal wieder verzapfen, zu kritisieren (da bräuchte ich ja mindestens 50 Ghostwriter), nimmt doch aber nix von den Fehlern der IG3O weg.
3.) Gleiches gilt für Deine Kritik ad hominem gegen mich. Selbst wenn ich “passiv” sein sollte, ändert das überhaupt nichts daran, ob meine Argumente den Gegenstand treffen oder nicht.
4.) Du schmeißt bei Deiner Verteidigung der IG3O-Veranstaltungsankündigung zwei verschiedene Sachen durcheinander. Klar, dass man bei einer Veranstaltungsankündigung nicht die super ausgeführte Argumentation erwarten kann. Dass sie diese nicht liefert, war aber auch gar nicht mein Vorwurf. Das bewegungslinke Bekenntnis zum interessierten Denken, was ich kritisiert habe, ist hingegen ja gerade in ihr enthalten. Von daher zieht auch dieser Einwand von Dir überhaupt nicht.
5.) Auch ob Du das Thema wichtig findest oder nicht, hat keinen Einfluss darauf, ob das, was ich zu ihm zu sagen habe, stimmt oder nicht.