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Nachtrag zur WM: Peter Decker in Nürnberg

5. August 2006

Peter Decker hat bei seinem Vortrag (am 13.07.06) in Nürnberg „Deutschland im WM-Fieber. Das Volk spielt schwarzrotgold verrückt. Politik und Presse sind begeistert: „Endlich werden die Deutschen normal!„“ (den man hier bei argudiss downloaden kann) mit folgenden Ausführungen sein Resümee gezogen:
Es ist noch lange nicht gegessen, und dieses quasi einige Volk, das ist noch lange nicht so, wie sie es gerne hätten. Vielleicht ist es doch eher umgekehrt: Wie groß war denn der Widerstand des Volkes meinetwegen gegen die Hartz-Vier-Gesetze, meinetwegen gegen die Steuererhöhungen? Wie groß ist eigentlich der Streit im Volk, der Widerstand? Wie groß wäre er auch ohne WM gewesen? Ziemlich mager, praktisch gleich Null. Es ist vielmehr so: für den Patriotismus, den das Volk an Werktagen zeigt, ist die Begeisterung zum Fest geradezu die Krone drauf. Und nicht andersherum, daß die Begeisterung zum Fest das Mittel sei, den Nationalismus, den es im Land gar nicht gäbe, zu installieren. So herum ist es wirklich Quatsch. Andersrum ist die Sache: es ist ein Volk, das sich durch und durch an das regiert werden gewöhnt hat, das durch und durch auf den Staat setzt, das deswegen auch für Deutschland ist. Und jetzt wird einmal gesagt: jetzt feiert einmal hemmungslos, ohne die alten Beklemmungen, ohne die alten Rücksichten, die es gegeben hat! Und das bereiten die Medien entsprechend auf. Und die Leute finden sich, die es tun, und je mehr sich finden, desto attraktiver wird es für den Rest. Und so schaukelte sich das einfach auf.
Und insgesamt ist es natürlich nicht die Entstehung des Nationalismus, das ist vielleicht ein wichtiger Punkt, dass dieser Ton nicht reinkommt, das würde den Nationalismus erst schaffen oder züchten. Sondern, es ist wie die Krone drauf, und wenn man über die eine wirkliche Veränderung reden will, dann ist die Veränderung ganz weit oben, im Überbau, nämlich: Wie drückte sich der Nationalismus in Deutschland aus? Und nicht, ist er da, oder ist er nicht da? Sondern, wie präsentiert er sich? Und da paßt Bundespräsident Köhlers Satz, und jetzt können wir auch unverkrampft wie andere Nationen, jetzt ist es vorbei, dass wir uns durch die Hitlerei von irgendwelcher nationaler Präpotenz abhalten lassen.
Ich sage jetzt noch etwas zu dem Thema Patriotismus und Nationalismus, und was der heute gefragte Patriotismus ist. Da passt das auch rein, andere Nationen muss man doch auch respektieren. Andere Nationen sind doch nicht einfach schlecht. Selbst die Nazi sagen nicht, andere Nationen sind schlecht, gehören sich nicht. Auch die sagen, man muss sie respektieren, aber sie sollen dableiben wo sie sind.
Patriotismus: fürs eigene Vaterland zu sein, es lieben, das soll gut sein. Und das soll etwas ganz anderes sein, als andere verachten. Die Trennung, die da gemacht wird, die geht nicht: Denn das Hochhalten des eigenen Gemeinwesens, das Hochhängen, das für etwas Hohes erklären, das ein Recht auf seinem Erfolg hat, das ist erst einmal von vornherein ausschließend für andere im Sinne von, die anderen sind die anderen. Und das zweite ist, die anderen, die nicht dazugehören, die dürfen unseren Erfolg nicht stören oder behindern. Deshalb ist der gute Patriot, der sagt, ich bin für mein Vaterland, für seinen Erfolg, seinen Fortschritt, und habe nichts gegen andere, der ist furchtbar schnell aufhetzbar, wenn ihm jemand sagt, aber die verhindern das, dass es bei uns klappt. Er kann ruhig jemand sein, der erst einmal sagt, ich habe doch nichts gegen andere, wenn Sie uns nicht in unserem Erfolg stören. Und genau dieselben guten Patrioten sind deswegen – von der Regierung leicht auhetzbar – wenn sie in ihrem internationalen Verkehr auf irgendwelche anderen Staaten und ihre Machenschaften trifft, die ihr im Weg sind, dann bekommt man gesagt, die bedrohen den Weltfrieden, die bedrohen unserer Verkehrswege, die Routen unseres Öls, die bedrohen überhaupt die Menschheit, sind Terroristen, die müssen also ausgeschaltet werden. Und da ist es ganz leicht, den guten Patrioten zum bösen Nationalisten umzubiegen. Wenn eben der Staat einen Feind hat. Wenn er gerade keinen hat, dann ist klar, dann will der Staat natürlich auch nur gute Patrioten. Und keine giftigen Nationalisten. Und zu einer modernen globalisierten Republik wie der bundesdeutschen, (globalisierten Republik soll heißen, ein Land das jede Menge Ausländer hat und haben will, einen Land das die eigenen Leute, Wissenschaftler, Ingenieure, Monteure in alle Welt verschickt, die ja auch überall in den anderen Ländern akzeptiert werden müssen, ein Land, das mit seinem deutschen Kapital aller Herren Länder sitzt und operiert), so ein Land kann natürlich hitlermäßige Patrioten gar nicht brauchen. Die passen gar nicht zu dieser Nation und ihrem internationalen Auftreten. So ein Land braucht die weltoffenen Patrioten, die eben sagen: Deutschland einig Vaterland, Deutschland ist eine gute Sache, für die es sich lohnt, sich zur Verfügung zustellen und andere Nationen verdienen Respekt, mit denen muss man einen friedlichen Verkehr pflegen, damit man sie benutzt.
Und erst, wenn man zu dem Schluss kommt, mit denen geht es nicht, dann kommt der Umschlag, aber eben auch erst dann. Deshalb ist es so billig, wenn die heute sagen, das ist doch guter Patriotismus und kein bösartiger Nationalismus, wo die Nation selber gar keinen Staat ausfindig macht, den sie als Staat, oder als Volk auslöschen oder entmachten will und meint, das zu müssen. Wo so etwas nicht vorliegt, da ist jeder Patriotismus gut und jeder Nationalismus nicht gefragt. Und übrigens, wenn die Situation eintritt, dann ist der gute Patriotismus automatisch der böse Nationalismus. Nur dann hält ihnen gar keiner dafür, denn das ist dann ja genau richtig. Schaut euch einmal an, wie in den USA die Araber betrachtet werden: Ja, das ist jetzt genau richtig, da sagt keiner, das ist jetzt aber böser Nationalismus. Soviel wollte ich sagen zu dieser Scheidelinie, was wir jetzt erleben, ist doch der harmlosen gute niemanden störende Patriotismus, und nicht der böse Nationalismus. Das ist so billig, denn der böse Nationalismus passt ja auch gar nicht zu dem Land, so wie es jetzt auftritt. Der gute Patriotismus ist aber jederzeit auf dem Sprung, zum Nationalismus zu werden, wenn dieses Land Feinde entdeckt, die fertig gemacht gehören.
Es gibt gerade bei Menschen die den Verhältnissen untergeordnet sind, die gegen die Konkurrenz gestellt sind, die keine andere Gemeinsamkeit untereinander haben, als dass sie im selben Staat gehorchen müssen, bei denen gibt es das Bedürfnis, sich diese erzwungene Gemeinschaft als eine positive, als eine echte, als eine, wo die Leute zueinander stehen, vorzustellen. Das gilt quasi für alle Klassen und Schichten, und dann gilt es für Hartz-Vier-Empfänger geradeso, wie für den, der in der Konkurrenz gegen die anderen kämpfen muss, und auch sich gerne einmal vorstellt, dass es eine positive Gemeinschaftlichkeit gäbe.
Zuhörer: Es ist doch funktional, innerhalb des Systems hat jedoch auch etwas von seinem Nationalismus, wenn er zum Beispiel für die EU-Abschottung eintritt, damit niemand eingelassen wird. Er weiß schon, dass er seinen Gürtel enger Schlag schnallen muss, und wenn noch mehr hierher kommen dann muss ich meinen Gürtel noch enger schnallen, das passt mir nicht. Und deshalb meint er, die Nation muss man pushen, denn dann kann ich er wieder etwas Speck ansetzen. Er profitiert doch auch davon.
Peter Decker: Das kann man nicht so sagen. Wenn der Erfolg für das Land und seine Leute zusammenfallen würde dann wäre es ja kein Opfer sondern eine Investitionen in den eigenen Erfolg. Dann bräuchten die Leute ja auch nicht immer um ihren Anteil zu kämpfen. Du sagst, (wenn auch mit dem Vorbehalt, innerhalb des Systems,) da sagst du dann doch, es sei rational für den Erfolg seines Staates Partei zu ergreifen. Dieser Zusammenhang ist halt ein rein negativer, kein positiver. Wenn der Staat keinen Erfolg hat in der internationalen Konkurrenz, dann kriegen es die Leute am ersten zu spüren. Wenn er einen Erfolg hat, ist es noch lange nicht ihr Erfolg. Damit er ihn hat, das haben wir jetzt schon fünf oder sieben Jahre in Deutschland, damit er mehr internationalen Erfolg hat, müssen die Leute in Deutschland ärmer werden. Deutschland hat im Moment nach seinem eigenen Urteil nach zu wenig internationalen Erfolg. Wir müssen mehr Kapital ins Land holen! Jetzt werden gerade wieder die Steuern fürs Kapital gesenkt, damit mehr Kapital ins Land kommt. Es gibt zu wenig Erfolg für Deutschland. Was kann man für ihn tun? Die Löhne senken, und das, was die Leute von der Wirtschaft haben, reduzieren. Nur so kann man Deutschland voranbringen. In dem Sinn möchte ich darauf hinweisen, das ist keine positive Relation, wenn es dem Staat gut geht, dann hätten die Leute auch etwas davon. So ist es doch gar nicht. Und selbst da muss man doch sagen: wer verspricht den Leuten denn heute überhaupt, dass der Lebensstandard irgendwann einmal wieder steigen wird? Niemand! Niemand sagt, schnallt einmal zwei Jahre die Gürtel enger, im dritten Jahr wird es dann schon wieder besser. So etwas macht niemand! Mit dieser demographischen Katastrophe und diesem ganzen anderen Bildern, der Globalisierung, steht das Urteil eigentlich: Es ist schon ein Riesenkampf, den Lebensstandard halbwegs zu halten, und eigentlich kann dies gar nicht gelingen! Aber das macht nichts, Deutschland muss sich trotzdem gut schlagen. Denn sonst geht es uns noch schlechter. Die Leute hängen davon ab: wenn die Nationen abschifft, dann schiffen sie erst recht ab, das stimmt, wenn die Nationen Erfolg hat hat sie erst auf ihre Kosten. Positiv stimmt er nicht, Negativ schon. Das ist die Abhängigkeit von unterworfenen Leuten. Und nicht, wie sie es selber alle denken: das ist ein Gemeinschaftswerk, für den habe ich einen Beitrag zu leisten, und bei dem sie ich dafür auch einen Nutzen aus.
Heute haben wir über eine andere Ecke geredet, heute haben wir ja über das Eck geredet, Fahnen schwenken, Volkseinheit feiern, Deutschlandfan sein. Eigentlich sind das alles geistige Leistungen, die lassen die Frage, wie schaut es den mit meiner Abhängigkeit aus, im Sinne von, ist es denn eine positive, bin ich ein echter Teilhaber, oder bin ich ein Negativ abhängiger? Ich leiste zwar etwas, bekomme aber keinen fairen Anteil, aber wenn die Ausbeute keinen Erfolg haben, dann lassen Sie es erst recht an ihr aus. Diese ganzen Gedanken lässt man hinter sich, wenn man Deutschland Fahnen schwenkt. Dann erklärt man nämlich seine Zugehörigkeit zu dem Land, seine Verantwortung für es, seine Parteinahme für seinen Erfolg als etwas so Selbstverständliches, das dies vor jeglicher Überlegung steht, wie man im Land materiell darstellt. Und Letzteres ist die sichere Basis, die feste Basis, auf der diese Gemeinwesen funktionieren. Die negative Abhängigkeit ist der Ausgangspunkt, aber wenn Völker wirklich sich für Negativ abhänge ich halten würden, dann wären sie auch schnell zu einer Revolution bereit. Erst, wenn sie sich in einer Gemeinschaft denken, und das ist das Absolute dabei, in der man nicht mehr nachrechnen darf, wie es um den eigenen Erfolg steht, weil man ja dem großen Ganzen angehört, was ja viel wichtiger ist als man selber, erst dann sind Sie richtig fertig, zuverlässige Volksbasis einer kapitalistischen Nation.
Das heißt nicht, dass so etwas morgen im Alltag nicht wiederkommt, das heißt nur, erst einmal schiebt man es weg. Man kann auch sagen, man lässt es 2,3 Wochen mal beiseite. Aber diese Erklärung zum gemeinen Wesen, das man für Deutschland ist, die lässt man nicht bei Seite. Dass man immer erst von Deutschland her denkt, bei den Angelegenheiten in der Welt, bei den Angelegenheiten im Land. Das Ganze Politisieren im Land geht doch auch so: Da wird dann gestritten, ob Steuererhöhungen gut sind oder nicht, aber der Zielpunkt heißt da doch auch immer, wie muss Deutschland gut gemanaged werden? Nicht nur bei der Fußballweltmeisterschaft ist das große Wir der geistige Leitfaden, mit dem man sich all den öffentlichen Problemen nähert. Ihr kennt die Diskussionen in der Öffentlichkeit, im Fernsehen, jeder redet, sagt, „wir“ brauchen höhere Steuern, „wir“ brauchen mehr Arbeitsplätze. Der nächste sagt, „wir“ brauchen den Sonntag als Feiertag. Keiner sagt, ich denke mir das so und so, jeder sagt „wir“, spricht also im Namen des Volkes, im Namen des großen Ganzen, und mischt sich im Namen des großen Ganzen bis in die Verwaltung der Tagesgeschäfte ein und sagt, die gehören sich so, damit das große Ganze gut dasteht. Und jeder der sagt, mir täte es nützen, wenn es anders wäre, der disqualifiziert sich als partikulares Interesse, das eigentlich kein Recht hat, sich zu äußern.
Das nationale Denken ist der politische Alltag des Menschen. Im Alltag ist es aber immer vermischt mit dem eigenen Interesse, und vermischt mit den Widrigkeiten des Regierens. Wenn jetzt eine Feier der Nation stattfindet, dann tritt man daneben, dann denkt man an gar nichts genaues mehr, bekennt sich aber zum Prinzip, dass man durchaus im Alltag beherzigt, dann natürlich aber nie so beherzigt, wie es sich jetzt ein quasi durchgedrehter Politiker wünscht, dass die Bevölkerung ab morgen die Berliner Politik so bejubeln möge, wie das Volk Klinsmann bejubelt hat. Ja, das wird schon nicht eintreten, das ist klar! Aber dass sie insgesamt das Prinzip, das sowieso herrscht, getrennt von dem Alltag des Prinzips rein betreiben, (und nur rein ist es wirklich schön), rein feiern, und damit in der Feier bekräftigen was das Prinzip des Alltags ist, soweit gilt es schon.

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