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Die Massen halten es nicht aus in Eurafrika

1. Februar 2011

Revolten in Algerien, Tunesien und Ägypten

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Angesichts des Aufstands in Nordafrika lernen wir täglich, dass Demokratie eine komplizierte Sache ist. Die Rede von der Herrschaft des Volkes heben sich europäische Politiker lieber für die heimischen Nationalfeiertage auf. Wenn die Massen, wie in Tunesien und Ägypten auf die Straße gehen, um ihre Regierungschefs zum Teufel zu jagen, hüten sich Merkel, Sarkozy und Obama vor falscher Parteilichkeit: Niemals würden sie den zornigen Massen einfach Recht geben und Ben Ali oder Mubarak ihrerseits auffordern, das Land zu verlassen. Denn diese Figuren sind ihre Kreaturen und Europas schöne demokratische Ordnung ist untrennbar verbunden mit dieser Herrschaft. Auch wenn sie das gar nicht so wahrnehmen, rennen die Aufständischen dort unten deshalb auch gegen europäische Interessen an. Deshalb steht für Europa und den Westen viel auf dem Spiel, wenn ein „Diktator“ wie in Tunesien die Staatsmacht einfach aus der Hand gibt – denn die ökonomischen und sozialen Verhältnisse in diesen Ländern sind in Absprache mit und unter Anleitung der EU zustande gekommen.

Deshalb bemühen sie sich jetzt auch krampfhaft um den richtigen Ton: Den Aufstand haben sie ganz und gar nicht bestellt, Demokratie gepredigt dagegen sehr wohl: Also rufen sie jetzt beide Seiten dazu auf, Gewalt zu unterlassen. Das sollten sich die Demonstranten überall auf der Welt merken – von der Durchsetzung des Volkes gegen eine verhasste Staatsmacht halten die westlichen Ordnungspolitiker gar nichts. Außer sie haben den Aufstand selber bestellt, mit viel Geld, CIA und Konrad-Adenauer-Stiftung aus der Taufe gehoben wie damals im Fall der ukrainischen „orangenen Volksrevolution“ gegen den Einfluss Russlands. Oder wenn es gegen das zum Abschuss freigegebene Regime im Iran geht, wo Obama und Merkel nichts lieber sähen als einen Volksaufstand nach ägyptischem Vorbild.
In diesem Fall würden sie den Massen bedingungslos Recht geben – in den aktuellen Fällen lieber nicht.
Jetzt überschlagen sich die westlichen Journalisten dabei, in Ägypten und Tunesien die Kandidaten für eine alternative Machtübernahme zu finden und vor die Mikrofone zu bekommen, denn sie wissen, nichts ist gefährlicher als ein „Machtvakuum“. Die Einführung von demokratischen Verfahrensweisen in Arabien braucht nämlich als Voraussetzung die Fortführung der „stabilen Herrschaft“. Alle, die glauben, der künftige Souverän sei das Volk, täuschen sich und müssen lernen, dass die Staatsmacht sich niemals von den Massen abhängig machen darf. Denn diese haben jetzt einen Anspruch darauf, von kompetenten, unbelastetem politischem Personal – die Faz vermisst „einen natürlichen Anwärter auf eine Führungsrolle“ (Faz 14.1.) – und unterstützt von vielen europäischen Ratgebern wieder zur Ruhe, von der Straße weg gebracht und ordentlich regiert zu werden. Dass die Kämpfe und Plünderungen auf der Straße weitergehen, zeigt ja jetzt, wie wichtig es ist, dass wieder „Stabilität“ einkehrt.

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Die EU-Politiker haben Ben Ali, Mubarak und seinen Kollegen jahrelang das europäisch zertifizierte Attest ausgestellt, ökonomisch alles richtig gemacht zu haben. Genau die Verhältnisse, die die Massen in Algerien und Tunesien, Marokko, Jordanien und Ägypten nicht ausgehalten haben, sind Zustände, die in engster Absprache mit unseren EU-Politikern und in Verträgen hergestellt und herbei regiert wurden. Mit ihren Verträgen hat die EU durchgesetzt, dass Agrar- und Industrie-Subventionen in Algerien, Ägypten und Tunesien, die zum nationalen Aufbau beitragen sollten, beendet wurden. Auch dort sollte mit aller Konsequenz der Kapitalismus, wie er in Europa und im Rest der Welt herrscht, freigesetzt werden.

Diese Anpassung Nordafrikas an den EU-kontrollierten Weltmarkt war erfolgreich, davon zeugen die Stellungnahmen der Investoren. Die Hungeraufstände haben diesmal nicht in den notorisch dafür in Frage kommenden Staaten des Kontinents stattgefunden, sondern in den nordafrikanischen Musterländern der EU. Und man kann sie auch nicht als Krisensymptome abtun, denn sie fallen ausgerechnet in die Zeit des „größten Wachstumsschubes“ den die Region je gesehen hat.

„Viele Firmen, die sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs aus Kostengründen in Osteuropa niedergelassen haben, setzen jetzt auf das nordwestliche Afrika. Die Karawane hat Tunesien, Algerien und Marokko entdeckt….Der früher kaum beachtete Markt von 80 Millionen Menschen gilt als interessanter Standort: Seit 2003 sind 50 Milliarden Euro an ausländischen Direktinvestitionen in die drei Länder geflossen, wobei Marokko die Nase vorne hat….Tunesien holt auf …Im vergangenen Jahr ging es rund: Ausländische Bankinstitute wie BNP Paribas stockten lokale Beteiligungen auf. Handelsgiganten wie Carrefour eilten scharenweise nach Nordafrika. Energieriesen wie Gazprom unterzeichneten lukrative Explorationsdeals. Immobilienprofis aus aller Welt standen Schlange, um beim Bau von Hotelresorts, Shopping-Palästen und Bürokomplexen mitzumischen. Telekom-Firmen wie die französische Orange kämpften erfolgreich um Lizenzen. Schließlich sicherten sich Baukonzerne wie die österreichische Strabag fette Aufträge. Am laufenden Band siedeln sich internationale Industriekonzerne im neuen Dorado der Niedriglöhne an: Die französische Lafarge etwa investierte in ein Zementwerk in Algerien. Der indische Stahlkonzern ArcelorMittal erweiterte ebendort seine Produktion. Renault baut eine nagelneue Fabrik im marokkanischen Tanger. Die Modefirma Benetton weitet ihre Fertigung in Tunesien zügig aus. Erst Anfang Oktober eröffnete der Hutchinson-Konzern aus Hongkong in Sousse eine Niederlassung. Und wo regelmäßige Öleinnahmen sprudeln, sind nicht nur Verträge mit hiesigen Energieunternehmen interessant, sondern auch die Verwendung der Einnahmen verspricht gute Geschäfte. Bis 2014 will Algerien gemäß einem Fünf-Jahres-Plan 286 Milliarden Dollar in die Infrastruktur stecken – in Eisenbahnen, die Metro in Algier, Autobahnen, Spitäler, Wasseraufbereitung und -speicher, aber auch in den Bau von einer Million Wohnungen sowie in den Agrar- und Bildungsbereich. Die ehrgeizigen Vorhaben sollen laut Präsident Abdelaziz Bouteflika, der auf soziale Marktwirtschaft schwört, ohne Auslandskredite, sondern aus eigenen Mitteln finanziert werden.“ (Wienerzeitung 27.10. 2010)
Die guten Geschäftsaussichten in der Region und die Entwicklung der Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung scheinen sich in entgegen gesetzte Richtungen zu bewegen. Dabei beziehen die zufriedenen Investorenstimmen explizit die Landwirtschaft in ihre positive Bilanz ein, denn in diesem Bereich lassen sich in Algerien und Tunesien glänzende Geschäfte machen, ist es doch der ideale Erweiterungsmarkt der EU-Agrarunion, die sich selbst in den letzten Jahren aufgemacht hat, zum global Player im Weltagrargeschäft zu werden. „Positiv ist, dass sich der Bruttoproduktionswert in der Landwirtschaft von 2000 bis 2007 (in Algerien) auf etwa zehn Milliarden US-Dollar verdoppelt hat und die jährlichen Wachstumsraten im Agrarsektor im Durchschnitt auf 6,5 Prozent gestiegen sind.“ (www.backnetz-eu, 16.2.2009)

Die europäischen Journalisten wissen durchaus, dass es die für und mit der EU „liberalisierte“ Landwirtschaft ist, die den Leuten das Überleben schwer macht. Die absehbaren Folgen sind seit Jahren bekannt: „Auswirkungen der Liberalisierung (in Tunesien) bedrohen den einheimischen Agrarsektor, verursachen Preisänderungen und erhöhen den Importbedarf an Nahrungsmitteln. Mehrere Faktoren machen gerade den Agrarsektor der Maghrebländer für die Folgen der Wirtschaftsliberalisierung besonders sensibel: Die Rolle der Landwirtschaft für die Sicherung der Beschäftigung, der Anteil der Agrarerzeugnisse an den Exportprodukten und die soziopolitischen Implikationen der Preise von Grundnahrungsmitteln. Die Liberalisierung wirkt sich in verschiedener Hinsicht auf den Agrarsektor aus: In der Verminderung bzw. Abschaffung der Subventionen der landwirtschaftlichen Produktion… und der Öffnung der Märkte für auswärtige Produkte (Reduzierung bzw. Verminderung der Einfuhrzölle etc.). Innerhalb der unterzeichneten Vereinbarungen haben Marokko und Tunesien wie auch die EU Sonderabkommen abgeschlossen, die spezielle Konditionen für den landwirtschaftlichen Sektor vorsehen. Vor allem die Getreide-, aber auch die Zuckerproduktion werden von der erhöhten Konkurrenz betroffen sein….“ (http://inef.uni-due.de/page/documents/Houdret_Maghreb.pdf Uni Duisburg Gtz Juni 2008)

„Die Landwirtschaft zeigte 2007 eine wenig zufriedenstellende Entwicklung. Die Konzentration auf bestimmte landwirtschaftliche Produkte für den Export, wie Olivenöl und Datteln, hat dazu geführt, dass der tunesische Agrarsektor gegenüber internationalen Preisschwankungen empfindlich geworden ist. Getreide, Fleisch und Milch müssen inzwischen in relativ hohen Mengen importiert werden und gerade bei diesen Produkten wurden 2007 starke Preissteigerungen registriert. Die Handelsbilanz für den Bereich Grundnahrungsmittel, die in den drei Jahren von 2004 bis 2006 einen Überschuss ausgewiesen hatte, ist 2007 ins Minus geraten.“ (Germany Trade & Invest 2008)

Jeder Versuch, die „heimische“ Landwirtschaft durch hohe Einfuhrzölle (üblich waren bis zu 30%) vor der Konkurrenz aus dem Ausland zu schützen, ist ein Angriff auf das wesentliche Geschäftsmittel von Agrarunternehmen, nämlich durch die freie Kalkulation von Einkaufs- und Verkaufspreisen den Absatz der eigenen Waren zu sichern. Wenn sich die Ländereien in Nordafrika für Spekulation auf Rendite eignen, dann als Hinterland der EU: Schon wegen der Nähe zum potentiellen Absatzmarkt. Und genau so, als Nutzung eines benachbarten Marktes mit zahlungskräftigen Kunden, haben sich die Reformprogramme die Entwicklung ihrer heimischen Landwirtschaft ins Visier genommen.

Um den interessierten, kapitalkräftigen landwirtschaftlichen Unternehmen Perspektiven zu eröffnen, galt es, ihnen einen lukrativen Absatzmarkt zu schaffen, denn Export heißt die Devise, mit der das moderne Agrargeschäft voran kommt – und dieser Weg eröffnet sich nur auf Gegenseitigkeit: Erst, wenn Tunesien, Ägypten und Algerien ihrerseits die Zölle auf industrielle und agrarische Produkte fallen lassen, öffnet die EU ihre Grenzen – diese „Anpassung“ und „Öffnung“ ist mittlerweile in allen drei Ländern weit fortgeschritten. Und mit dieser Öffnung haben die nordafrikanischen Staaten es geschafft, eine gänzlich freie Sortierung durch die geschäftstüchtigen Unternehmen einzuleiten, was zu produzieren sich in ihren Ländern lohnt und was nicht. Wein und Olivenöl lassen sich auf den neuen EU-Märkten am besten absetzen – und hier finden sich auch am besten europäische Partnerunternehmen, die Kapital und Kredit hereinbringen, um das nötige Land zu erwerben und die Produktion zu sichern. Weizen war ein Produkt, das man in Algerien, Tunesien und Ägypten gut anbauen konnte – in früheren Jahren sogar ein Exportartikel. Mittlerweile schrumpfen die Flächen, auf denen Getreide angebaut wird, die Weizenproduktion braucht riesige Äcker, die nordafrikanischen Böden lassen sich rentabler für den Anbau von Wintergemüse für Europa nutzen.

Ernährung der Bevölkerung mit Lebensmittelanbau auf den vorhandenen Böden – das ist jetzt kein selbstständiger Zweck des Staates mehr – der geht davon aus, dass dies in einer modernen Marktwirtschaft Abfallprodukt des internationalen Geschäfts mit dem Abbau sowie dem Ex- und Import von Lebensmitteln zu sein hat – abhängige Variable des Weltagrarmarktes eben. So ist es sehr modern und systemgerecht, wenn in Tunesien, Algerien und Ägypten die Leute mitten in einem Wirtschaftsboom hungern. Nicht weil es keine Produkte gibt im Lande – das ist nur eine Frage des lohnenden Im- und Exports und der sachgerechten Spekulation mit den und auf die zu erwartenden Preise – sondern weil sie sie nicht bezahlen können.

Die Befolgung des Gebotes, alle Schranken des Privateigentums nieder zu reißen, hat auch in den Bereichen Industrie und Dienstleistungen gewaltige Gegensätze hervor gebracht: denn Algerien verfügte über eine relativ weit entwickelte Grundstoffindustrie (Stahl- und Zementproduktion), die in den 60er Jahren aufgebaut wurde. Tunesien glänzte mit einem hoch entwickelten Gesundheitssystem aus realsozialistischen Zeiten, das nun zur Privatisierung frei gegeben wird und vielen Medizinunternehmen zu neuen Geschäften verhelfen wird (schon jetzt gibt es einen Medizintourismus, der die günstigen Operationspreise in diesem Land ausnutzt).

„Die Privatisierung staatlicher Unternehmen (in Tunesien) hat darüber hinaus in vielen Fällen zur Entlassung oder Frühpensionierung von Angestellten geführt; in Algerien hat so bereits eine knappe Million Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlassen müssen. ….überall laufen Privatisierungen der Betriebe an….“ (ebd)
Gerade weil die Musterschüler Europas ganze Arbeit geleistet haben und die kapitalistische Devise einlösten – nur lohnende Arbeitsplätze sollen überleben! – gibt es einerseits für die internationalen Investoren so viel zu jubeln: Nur wenn die „Unsitte“ aufhört, „marode Staatsunternehmen zu subventionieren“ und „künstlich am Leben zu halten“, eröffnet sich ein freies Geschäftsfeld für Anleger aller Art. Das andere Resultat – der Aufbau einer neuen Reservearmee aus teilweise gut ausgebildeten Menschen ohne Arbeit – wird dann allseits bejammert.

Die europäischen Journalisten wissen um den Zusammenhang zwischen der Zurichtung der Wirtschaft in den nordafrikanischen Ländern für die EU und der Verarmung der Bevölkerung, also dem Anwachsen von „Protestpotential“. „In Ägypten lebt die Hälfte der Menschen an der Armutsgrenze. …Es fehlen (immer) mehr Jobs, die Preise steigen immer weiter…als Folge von Mubaraks Wirtschafsliberalisierung“ (Avenarius, SZ, 27.1.2011)
Und „Das tunesische Wirtschaftswunder …beruhte auf Ansiedlung von Zulieferindustrie für Europa, Billigtourismus und Assoziierung mit der EU. Wie sich jetzt zeigt, war dieses Modell nicht die Lösung des Problems sondern langfristig eine ihrer Ursachen..“ (Chimelli, SZ 13.1.2011)
Und was ist da zu tun? Wie der letzte Rettungsvorschlag des scheidenden Präsidenten Ben Ali zu beurteilen ist, dazu mussten sich die internationalen Kommentatoren ja nicht mehr äußern: 300 000 Arbeitsplätze zu schaffen, wäre das nicht gerade die Rücknahme des Reformprogramms gewesen, unerlaubte Subventionen zu streichen? Nur wegen den Hungeraufständen genau das wieder einzuführen, was als Todsünde eingesehen wurde: Arbeitsplätze schaffen, die nach dem Maßstab des marktwirtschaflichen Geschäfts gar keine sind – dazu darf es ja nach den Prinzipien von IWF und EU nie wieder kommen. So hat der zuständige Mann von der SZ denn auch die eigentliche Ursache der Krise gefunden:

Sie liegt in einem Prozess namens „Bevölkerungsdruck“, der für ein unlösbares Dilemma sorgt: „Als Tunesien 1956 unabhängig wurde, hatte es 5 Mio Einwohner, jetzt sind es gegen 11 Mio. So viele Jobs gibt es nicht.“ (SZ, Chimelli, 13.1.2011)

3
Dass die Presse den Institutionen der EU und den Regierungen in Berlin und Paris jetzt vorwirft, sich „nicht genügend um die Entwicklung im Maghreb und in Ägypten gekümmert“ zu haben, ist also ein Hohn. Was dort in Sachen „Wirtschaftsentwicklung“ passiert, ist ihr Projekt. Die Anpassung von Landwirtschaft und Industrie an den in Europa herrschenden Status politökonomischer Verwaltung ist eingebettet in eine Reihe von Verträgen. Da gibt es die Union für das Mittelmeer, die den Barcelona-Prozess ersetzt, das Europäische Partnerschaftsabkommen, (das für ganz Afrika vorgesehen ist) und bilaterale Verträge von Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten mit der EU: die Assoziationsabkommen, sowie die Festlegung von Freihandelszonen.

Einfach die Erpressbarkeit der nordafrikanischen Staaten nutzen und ihnen Bedingungen abzuhandeln, die dem europäischen Kapital Freiheit in der Region verschaffen und sie ansonsten in Ruhe zu lassen, kommt für EU-Politiker nicht in Frage. Sie arbeiten an einem Ordnungsprogramm, das die ganze Region unter politische Vorgaben stellt. Sarkozy hat die Parole „ Europas Zukunft liegt im Süden“ ausgegeben und gleich den großen Wurf einer Union für das Mittelmeer hingelegt. Europa lässt alle Anrainerstaaten in Paris zur Unterschrift antreten. Jetzt gilt ein Vertrag, der beides schafft: Den südlichen Staaten des Mittelmeeres mit ihren nationalen Ambitionen ein Angebot zu machen, das diese nicht ausschlagen können und die Staaten mit der Erfüllung eines Aufgabenkatalogs zu beglücken, der zeigt, wie moderne politökonomische Subsumtion Nordafrikas unter die Ordnungsmacht EU voranzubringen ist, die den Kolonialismus wirklich hinter sich lässt.

„Europa und die Mittelmeeranrainer sind durch ein gemeinsames Ziel verbunden: gemeinsam eine Zukunft des Friedens, der Demokratie, des Wohlstands und des sozialen und kulturellen Verständnisses zu bilden.“ (Präambel UfMM) Nur Gaddafi weigert sich, zu unterschreiben, weil er, obwohl von Wohlstand die Rede ist, alte, imperialistische Pläne am Werk sieht.

Alt sind die Pläne sicher nicht, denn die verlangen nie Dagewesenes von den Anrainerstaaten, die Staaten im Norden müssen sich nicht ändern, sie sind bestimmende Elemente der Ordnung, die die südlichen erst noch heraus bilden müssen.

Nicht von ungefähr heißt der Obertitel der UfMM und auch der Assoziationsverträge „Demokratisierung“. Und diesem Maßstab kann man angesichts der laufenden Unruhen entnehmen, was die EU an „Umbau“ der Gesellschaften bestellt hat und was nicht:
Mit dieser Festlegung auf Einführung von Demokratie, von den Anrainerstaaten unterschrieben, verschafft sich die EU einen bleibenden Einspruchtitel und eine politmethodische Verpflichtung jedes einzelnen Landes gegenüber den europäischen Institutionen.

Es sollen keine anderen Ziele für die Politik gelten, als die abstrakten, im Aquis Communitaire, festgelegten. Das heißt durchaus etwas Materielles und da überlässt der unterschriebene Assoziationsvertrag nichts mehr dem Zufall:
„Das vorliegende Länderstrategiepapier (LSP) legt einen strategischen Rahmen für die Zusammenarbeit der EU mit Tunesien im Rahmen des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (ENPI) für den Zeitraum 2007-2013 fest (nationale Zuweisung). Im Nationalen Richtprogramm (NRP) wird die operationelle Antwort der Kommission für den Zeitraum 2007-2010 dargelegt, wobei insbesondere die Ziele, die erwarteten Ergebnisse und die in den wichtigsten Bereichen der Zusammenarbeiteinzuhaltenden Bedingungen behandelt werden.“
„Tunesien verzeichnet seit 15 Jahren ein jährliches Wirtschaftswachstum von 4 bis 5%und führt unter Wahrung des sozialen Zusammenhalts Wirtschaftsreformen durch. Die wirtschaftlichen und sozialen Erfolge haben zur Herausbildung einer bedeutenden Mittelschicht geführt, die eine größere Beteiligung an den Entscheidungsprozessen sowie eine höhere Transparenz und politische Verantwortlichkeit wünscht (wachsende Bedeutung von Zivilgesellschaft und Privatsektor). Diese Entwicklung wird für eine dynamischere Staatsführung in einem offeneren Umfeld von entscheidender Bedeutung sein. Des Weiteren setzt eine Steigerung der privaten Investitionen, die unabdingbar ist für die Aufrechterhaltung des raschen Wirtschaftswachstums, eine Verbesserung des Geschäftsklimas und des Justizapparates voraus. …Tunesien hat im politischen Bereich Nachholbedarf, auf manchen Gebieten erheblichen– etwa auf dem der Meinungs- und Versammlungsfreiheit.“ (EU Assvertrag Tunesien, 2007)

Wohlgemerkt: Das ist keine Aufforderung an die Massen, auf die Straße zu gehen. Hier bekommen die amtierenden Regierungen eine Road-Map vorgelegt, wie sie für „Stabilität“ zu sorgen haben – und zwar angeleitet durch und kontrolliert von den Institutionen der EU. Das ist die politische Absicherung des in Gang gesetzten ökonomischen Umbaus – Europa ist darauf bedacht, eine „Bürgergesellschaft“ zu schaffen, die sich als stabile Stütze der Herrschaft erweist.

Die Elemente dieses Aquis sind Vorgaben in Sachen Good Governance, die die Herrschaftsmethode betreffen: Die „größere Beteiligung der Menschen an den Entscheidungsprozessen“ ist dann freilich so vorgesehen, dass die Bürger ihre Regierung wählen dürfen. Damit diese dann ermächtigt ist und einige Jahre freie Hand hat, das Notwendige durchzusetzen. Statt auf der Straße Unruhe zu stiften, können die Bürger derweil ihre Sorgen einer im Parlament vertretenen Oppositionspartei überantworten – und ihre Entscheidungsmacht an das schöne System des Ausgleichs der Interessen abgeben. So ist gewährleistet, dass regelmäßig eine legitime Ermächtigung der Regierung herauskommt und sie ihre Gesetzgebung ohne Beeinträchtigung durch Widerstand fortsetzen kann. Was die EU an demokratischen Verfahren vorsieht und wo sie Reformbedarf einklagt, verrät sehr schön, dass sie gegen den Herrschaftszweck der amtierenden Diktaturen keinen Einwand hatte. Sie machen ihre Sache sehr gut, nur sollen sie die Bürger besser einbeziehen, um potentiell reibungsloser, weil besser legitimiert ihren Geschäften nachgehen zu können. Anders gesagt: Demokratie ist einfach langfristig stabiler – das loben die hiesigen Regierungen an ihr, und sie müssen es ja wissen!

Dabei hat die EU freilich gleich mit daran gedacht, dass in Zukunft Staats- und Privateigentum besser getrennt werden muss. Denn das Problem der Korruption ist ihr ja nicht unbekannt. Die angesagten Reformen betreffen hier ein weites Feld, nämlich das der Investitionsschutzabkommen, das Banken- und Gesellschaftsrecht, Steuerrecht, Konkursrecht.. usw. Das alles fällt unter das Stichwort: „wirtschaftspolitische Steuerung, Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz mit der EU“

„Artikel 8 der tunesischen Verfassung gewährleistet Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Trotz dieser verfassungsmäßigen Garantie stellen Beobachter in der Praxis gravierende Behinderungen dieser Freiheiten fest. Internationale Beobachter und internationale Organisationen haben regelmäßig die Praxis der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten verurteilt und machen auf die Notwendigkeit aufmerksam, 13 dass auch im Kampf gegen den Terrorismus die Meinungsfreiheit gewahrt bleiben muss.“ (Assozvertrag 2007)

Angesichts der Ereignisse bekommen die hier niedergelegten Gebote einen schönen Klang: Ben Ali hätte sich Demonstrationen, Protestversammlungen und böse Kundgaben abweichender Meinungen ersparen können, wenn er sie erlaubt hätte. Denn der einzig aus den Assoziationsverträgen herauslesbare Grund für Opposition ist ja, dass man den Bürgern eine solche nicht als Recht gewährt. Die oben abgehandelten materiellen Reformen haben Ben Ali und Konsorten ja aufs genaueste erledigt – so dass die EU als vorstellbaren Grund für Instabilität nur vermeidbare, der Sache nach und gemessen an den eigentlich grundguten Absichten der Regierung gar nicht nötige Einsprüche kennt. Hätte man die wachsende „Zivilgesellschaft“ also eingebunden, würde auch die gewünschte Stabilität einkehren – so sieht die EU die nordafrikanischen Völker.
Allerdings nicht ganz: Denn mitten in die Forderungen nach Einführung von Demokratie verweist die EU auf Leistungen der amtierenden Diktaturen, die einen Aufschub der Bürgerbeteiligung rechtfertigen können: Terrorismusbekämpfung kann wichtiger sein als unkluges Beharren auf Einführung von freien Wahlen zur Unzeit. In Algerien hat die EU schon einmal vorgeführt, dass sie im Prinzip das Ausrotten einer islamistischen Partei (FIS) befürworten muss, wenn die bei den Wahlen doch glatt eine unerwünschte Mehrheit erhält. Einen zweiten Iran wollte die EU natürlich nicht bekommen. Deshalb betrachtet sie die laufenden Ereignisse mit großer Skepsis.

In Tunesien konnte sich die EU zu allem noch auf einen Verfassungsparagrafen berufen, wenn sie dem mittlerweile per Haftbefehl gesuchten Ben Ali jedes Jahr aufs neue bescheinigte, Fortschritte auf dem Weg zur Demokratie gemacht zu heben:
„In Artikel 8 untersagt die tunesische Verfassung, dass sich eine politische Partei in ihren Grundsätzen, Zielen, Aktivitäten oder Programmen grundlegend auf eine Religion, eine Sprache, eine Rasse, ein Geschlecht oder eine Region stützt.“

Schön, wenn in der Freiheitsgewährung der Islamismus gleich mitbekämpft wird. Im Fall Ägypten hat den EU-Politikern und den Kommentatoren immer schon eingeleuchtet, dass man Mubarak ein paar Zugeständnisse machen muss, weil Demokratie ja eine Form der Herrschaft ist und niemals Selbstzweck. Schon Ende 2010, angesichts des schönen Wahlergebnisses, schrieb der SZ-Reporter:
„Das Land ist ein unverzichtbarer militärischer und politischer Verbündeter in der notorisch instabilen Nahost-Region. Dafür, dass Ägypten selbst ruhig bleibt,…bekommt das Land Militär- und Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe aus den USA. Deshalb schweigen europäische Regierungen höflich, wenn Wahlen erwartungsgemäß gefälscht und jede Art von Opposition geschurigelt wird. Diese realpolitische Doppelmoral ist in Teilen nachvollziehbar.“ (Avenarius, SZ, 3.12.2010)

In einer der wichtigsten Menschenrechtsfragen gab es schon seit Jahren keinen Millimeter Differenz zur Regierung Ben Ali (und zu den anderen Staatschfes).
„Tunesien ist ein Land der Auswanderung und des Transits in Richtung Europa (Anhang 3 – Migrationsprofil). Die tunesische Rechtslage weist ein rechtliches Vakuum hinsichtlich der Feststellung des Flüchtlingsstatus auf, was Staatsangehörige aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara daran hindert, sich in Tunesien niederzulassen. Obwohl Tunesien die Konvention von 1951 unterzeichnet hat, gibt es nur wenige Flüchtlinge im Land. Das Flüchtlingshochkommissariat führt ca. 100 Akten im Zusammenhang mit Asylbewerbern und Flüchtlingen. Die Landesgrenzen werden von der Polizei überwacht. Die tunesischen Behörden arbeiten eng mit den italienischen Behörden zusammen und führen immer effizientere Patrouillen an der Küste durch.“ (Assvertrag 2007)
In dieser Frage ist Tunesien, wie Marokko und Algerien, eine Dependance europäischer Innenpolitik geworden. Einen schöneren Ausweis gelungener Demokratisierung gibt es wohl nicht.

Zusammen genommen sind diese Selbstverpflichtungen, auf die sich der tunesische und die anderen nordafrikanischen Staaten in Assoziationsverträgen festgelegt haben, allerdings nicht nur Maßstäbe, an denen die amtierende Regierung sich zu bewähren hat und in regelmäßigen Überprüfungsverfahren messen lassen muss.
Es sind Verpflichtungen der ganzen Gesellschaft gegenüber, also auch an die politische Klasse gerichtet, die möglicherweise Ideen hervorbringt, die mit diesen Geboten nicht unter einen Hut zu bringen sind – wie der politische Islamismus oder Bestrebungen, einen arabischen Nationalismus und Volksstaat voran zu bringen.

Trotz ihres Drängens auf Demokratie hat die EU bisher auch eine gewisse Rücksicht darauf genommen, was überhaupt mögich war. Und da konnten Ben Ali und Mubarak bis gestern immer noch auf anerkannte Hindernisse verweisen, die für deren Administratoren auch einen Notstandsfall rechtfertigen: Wenn und solange Islamisten, arabische Nationalisten oder Kommunisten eine gewichtige Rolle in der Gesellschaft spielen, bestätigte die EU dem Diktator alle Gewaltmassnahmen als Wege zur Demokratie, die solche Tendenzen mit Strafen, Gefängnis, Folter und Schikane verhindert.

So wird ja gerade praktisch sichtbar, ob Ben Ali und Mubarak es in den vergangenen Jahren geschafft haben, genug Kommunisten und Islamisten aus dem Weg zu räumen und dem Volk klarzumachen, dass es sich nicht lohnt, in jenen eine erfolgreiche Alternative zu sehen. Denn das ist der von der EU nicht bestellte und und eben deshalb auch „gefährliche“ Erfolgstest auf die Reife zur Demokratie, die Tunesien gerade durchläuft. Er wird in hundertfachen Bemerkungen der „Realisten“ sichtbar, die sich nicht vom Feiern des ein paar Wochen alten Sieges davon ablenken lassen, die beglückwünschten Tunesier auf ihre demokratietauglichen Qualitäten zu befragen:

Ist die Lage und die Konkurrenz der neu antretenden Parteien Gewähr für Stabilität, also dafür, dass der Umsturz als Revolution ein Witz bleibt, weil
• alle vorher eingerichteten Fragen von Eigentum, von EU-Recht in Sachen Bewegungsfreiheit fürs Kapital unangetastet bleiben,
• der Umsturz an der ökonomischen Lage der Massen, die Ben Ali ja gerade erst für den Kapitalismus von staatlicher, sozialistischer Gängelei befreit hat, nichts ändern,
• die Lebenslage der Massen weiter nichts als eine abhängige Variable der Spekulation von freien Investoren bleibt,
dann wird der Aufstand von der EU gleich gebilligt werden. Sonst aber sicher nicht.

gespiegelt von vonmarxlernen.de

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. bla
    1. Februar 2011, 12:50 | #1

    schreib mal was eigenes, sinnvolles anstatt immer nur copypasta zu posten. original content wanted

  2. 1. Februar 2011, 13:12 | #2

    Mal abgesehen davon, daß ich sowas schon auch mache, will mir deine Gleichsetzung eigen=sinnvoll, bzw. kopiert=sinnlos nicht einleuchten: Entweder, politische Statements, Analysen, programmatische Sachen sind „richtig“, dann werden sie nicht schon deshalb falsch, weil man das auch schon anderswo lesen konnte. Oder sie sind falsch, dann hilft es gar nichts, zu ihrer Verteidigung anzuführen, daß jemand ganz eigenständig drauf gekommen ist. Zudem finde ich es schon komisch, daß du von all den politischen linken Seiten, die nun mal, das liegt in der Natur der Sache und am Stand der „Bewegung“, eben nicht alle eigenes neues Zeugs anbieten (können), ausgerechnet mir den Vorwurf machst.
    Seis drum, ich fand jedenfalls diesen Artikel so wichtig, daß ich mir den sozusagen ganz bewußt zu „eigen“ gemacht habe. Vielleicht kommt ja hier eine Diskussion darüber auf, die die Genossen von vommarxlernen ja ganz offensichtlich nicht haben wollen, jedenfalls nicht öffentlich im Internet, (Das ist übrigens der nicht nur technische Grund, warum ich den Artikel hier gespiegelt habe.) jedenfalls nicht auf ihrer Seite.

  3. Nestor
    1. Februar 2011, 13:12 | #3

    EINIGE EINWÄNDE:
    Erstens, woher die Gewißheit, daß diese Aufstände „nicht bestellt“ waren, auch nicht von den USA?
    Aus der Art und Weise, wie jetzt damit umgegangen wird, läßt sich das nicht ablesen. Es mag sein, daß manche europäische Regierungen oder überhaupt die ganze EU eher unangenehm berührt sind/ist von dem Aufruhr in ihrem erweiterten Hinterhof.
    Aber deshalb zu meinen, da seien ganz spontan Völker gegen ihre böse Herrschaft aufgestanden, klingt eher nach modernem Volksmärchen, mit dem schon eine Besprechung zukünftiger Ereignisse dort eingeleitet wird.
    Es stimmt zwar, daß die Regierungen Ägyptens, Algeriens, Tunesiens sich als sehr willfährig gegenüber ihrer ökonomischen Benutzung gezeigt haben, Haupt-Profiteur davon war aber Europa. Man sollte den imperialistischen Gegensatz hier nicht ganz unter den Tisch kehren.
    Darüberhinaus gibt es aber auch noch eine außenpolitische Komponente. In ihrer Politik gegen den den Iran steht die USA ziemlich allein da. Zwar haben sich alle maßgeblichen Staaten den Sanktionen angeschlossen, aber zu einem gemeinsamen Krieg gegen den Iran ist niemand bereit, weder in den arabischen Staaten, noch in Europa; und manche Anrainerstaaten unterlaufen auch die Sanktionen, so gut es geht.
    Ich würde daher die Möglichkeit nicht ausschließen, daß eine größere Rochade in der ganzen arabischen Welt ansteht.
    Mubarak, Ben Ali, mehr noch Ghadaffi und Assad sind Erbstücke aus dem Kalten Krieg. Damals war es wichtig, diesen Ländern eine Herrschaft zu verpassen, die nicht sowjetfreundlich ist, und diejenigen Herrschaften zu bekämpfen und niederzuhalten, die sowjetfreundlich waren. Diese Problematik fällt heute weg, und die USA rechnen sich offenbar aus, daß jeder, der dort in Zukunft Politik machen will, erst einmal ihren Segen erlangen muß.
    Ob diese Rechnung aufgeht, ist eine andere Frage.
    Aber die zögerliche Reaktion auf die Ereignisse muß nicht Zeichen dessen sein, daß die USA-Regierung überrascht worden wäre. In Tunesien werkt schon ein Experte von ihnen daran, eine neue Regierung hinzukriegen, und das ägyptische Heer hat sicherlich auch gesteckt bekommen, daß ein „Blutvergießen“ zugunsten der Regierung Mubarak nicht toleriert würde.
    Schließlich, letzter Punkt, handelt es sich nicht um „Hungeraufstände“. Wenn unzufriedene Jugendliche und Anwälte auf die Straße gehen, um eine andere Regierung, mehr Demokratie und Wahlen zu fordern, ist das nicht mit einem „Hungeraufstand“ zu verwechseln, wo sich irgendwelche Verzewifelten auf den Standpunkt stellen: Entweder ich verhunger, oder ich wehr mich und geh plündern!

  4. absolut egal
    1. Februar 2011, 13:25 | #4
  5. 1. Februar 2011, 15:54 | #5

    nestor, glaubst du wirklich, die USA hätten das israel nicht vorher gesteckt, wenn die was geplant hätten? datrauf deuten die recht kalt erwischt wirkenden israel. einwürfe aber nicht hin. und meinst du nicht, es wäre sinnvoller, auf belege zu warten, statt mit so einer hermeneutik des verdachts auf die welt loszugehen?

  6. star wars
    1. Februar 2011, 16:02 | #6

    @Nestor
    Ich glaube nicht dass die USA dazu in der Lage sind überall (Ägypten, Syrien, Jordanien) einen Umsturz herbeizuführen.

  7. 1. Februar 2011, 16:18 | #7

    wie genau muss man sich das eigtl vorstellen, dass die USA eien aufstand fabrizieren? für die ukraine gibt es da doch diverse gedlströme an parteien und think tanks – wo is n das in ägypten oder tunesien der fall?

  8. star wars
    1. Februar 2011, 16:54 | #8

    @Big mouth
    Mubarak ist ein Verbündeter der USA, ein Umsturz dürfte die USA sowie Israel in eine neuerlich ungewisse, prekäre Situation hineinmanövrieren. Ob die Friedensbemühungen mit Israel intakt bleiben hängt deswegen auch davon ab welche Machtkonstellation in Ägypten, vielleicht nach Mubarak, das Ruder übernimmt. Warum sollten die USA das Risiko einer ungewissen Machtübernahme in Kairo, vielleicht durch (gemäßigte) Islamisten, auf sich nehmen? Ähnlich sieht es in Jordanien aus. Ein mit dem USA verbündeter König Abdullah II. (den sie mit eigener Unterstützung an die Macht gebracht haben) entläßt seine Regierung von Ministerpräsident Samir Rifai, Nachfolger wird Marouf Bakhit. Warum sollten die Amis solche Risiken, mit ungewissen Ausgang zugleich in Jordanien wie in Ägypten, auf sich nehmen? Massenrückhalt durch die Bevölkerungen der Staaten verfügen die Amerikaner jedenfalls nicht. Warum auch, gerade diese Regierungen, gegen die sich jetzt der Protest richtet, arbeiten hervorragend mit den Amerikanern zusammen.

  9. 1. Februar 2011, 18:44 | #9

    denke, die frage richtet sich eher an Nestor

  10. Nestor
    1. Februar 2011, 23:42 | #10

    @bigmouth
    Natürlich ist es einfacher und vielleicht auch schlauer, sich einmal zurückzulehnen und abzuwarten, aber „Von Marx lernen“ haben Thesen in die Welt gesetzt, die ich nicht unwidersprochen lassen wollte.
    Und dieser ganze Hype – Demokratie für die arabische Welt, hurra! – , das muß ich gestehen, geht mir auch auf den Geist, sodaß ich dagegen ein wenig anstinken möchte.
    Mein Beitrag hat also durchaus eine emotionelle Komponente, das will ich nicht leugnen.
    @star wars
    Ich sehe das eben so, daß für die USA der Ausgang dieser Revolten nicht „unvorhersehbar“ ist. Denn es gibt keine andere Macht mehr, so wie die SU seinerzeit, an die sich etwaige neue Herrschaften anlehnen könnten, und bei den Demonstranten ist auch keine Neigung vorhanden, andere Wirtschaftsformen anzustreben. Nein, sie wollen sich ihre Herren selber wählen dürfen, und dann sind sie auch zufrieden.
    Schließlich zu den Islamisten: Die USA haben lange, die ganzen 80-er Jahre hindurch, die Karte „guter Islam – böser Islam“ gespielt. Gegen die Mullahs im Iran – volles Rohr, gleichzeitig „unsere“ Freiheitskämpfer in Afghanistan, die kriegen Stinger-Raketen und jede Menge sonstige Unterstützung!
    Es ist doch denkbar, daß es einen Deal mit den Moslembrüdern gibt: Ihr schwört dem Terrorismus ab, und wir arbeiten mit euch zusammen! Das ist doch für diese Typen, die ja nichts gegen Kapitalismus haben, sondern nur der Bevölkerung ihre Moral und ihr Gesetz aufnötigen wollen, ein echtes Angebot. Und läßt sich vielleicht auf lange Sicht in ein Programm gegen den Iran einbinden …
    Was Israel betrifft: Israel war lange und ist immer noch der wichtigste Verbündete der USA im Nahen Osten. Aber warum? Um die Nachbarstaaten zu disziplinieren. Wenn jetzt amifreundliche islamische Regierungen (so wie Saudi-Arabien, das funktioniert bisher ja auch gut) entstehen, wofür brauchts dann Israel? Das wird dann zurückgestuft unter ferner liefen, und ich meine, die israelische Regierung kriegt das auch mit.
    Man muß vielleicht auf eines hinweisen: Die Anti-Islam-Hetze, die bei uns läuft, läßt die Gegensätze innerhalb des Islam völlig außer Acht: Al-Kaida ist dem muslimischem Klerus ein Dorn im Auge: Da maßen sich ein Bauunternehmer und ein Arzt an, den Koran zu interpretieren, den Selbstmord zu rechtfertigen, und Fatwas auszusprechen, stellen also das muslimische Establishment in Frage! Wenn die Weltmacht den sogenannten „gemäßigten“, d.h. etablierten Klerikern die Hand reicht, so sagen die doch nicht nein!

  11. umwerfend, was sonst?
    2. Februar 2011, 00:02 | #11

    wieso hätten die USA vor ausbruch der proteste einen deal mit den muslimbrüdern machen sollen? – versteh ich nicht. die interessen der USA waren mit der aktuellen herrschaft bestens bedient und es war bis vor kurzem nicht absehbar, dass es einen protest geben wird.

    Egypt is the second largest recipient of US military and economic aid (after Israel) in the world, to the tune of some $1.5bn annually. It is the standard-bearer of the „moderate“ Middle East camp, as defined by the US. It is only one of two (Jordan being the other) major Arab countries to have signed a peace deal with Israel. It is enforcing the isolation of the Palestinian Hamas movement in the Gaza Strip. It is vehemently opposed to Iran. It does not tolerate Islamic movements and the regime is seen as a bulwark against „Islamism,“ notably by suppressing the Muslim Brotherhood. It is a haven for foreign investment and liberal economic policies. All in all, Egypt’s authoritarian leadership is befitting of US policy in the region and therefore Egypt’s interests are the US‘ interests.
    […]
    As for the Egyptian people, time will tell whether they will break the shackles of despotism. One thing that is becoming clear to them, however, is this: The US government is proving to be no friend of theirs.

    http://english.aljazeera.net/indepth/opinion/2011/02/20112171917741164.html
    was anderes ist ja, was die USA jetzt dann machen (werden müssen).

  12. Nestor
    2. Februar 2011, 00:13 | #12

    Für UNS wars nicht „absehbar“, das heißt nicht, daß es für andere nicht „absehbar“ war. Und was heißt schon „absehbar“? Absehbar ist, daß alle künftigen Regierungen Ägyptens, Tunesiens und sonstwo sich mit den USA arrangieren müssen. Anders gehts nicht. Insofern ist die Situation dort keineswegs unberechenbar.
    Vielleicht können die USA, um deinen Beitrag zu würdigen, sich bei einer entsprechend freundlichen Regierung einiges an Militärhilfe sparen?!
    Zu den Moslembrüdern hab ich weiter oben schon alles gesagt. Vieleicht war das – nachträglich natürlich! – eine „Sünde“ Mubaraks in den Augen der USA, daß er sich mit denen nicht einigen konnte …
    Daß die USA kein Freund des „ägyptischen Volkes“ sind, ist ein eher matter Beitrag. No na. Wessen „Freund“ sind sie eigentlich? Der ihres eigenen Volkes eher nicht.
    Woher stammt der Text eigentlich?

  13. umwerfend, was sonst?
    2. Februar 2011, 00:43 | #13

    also bei al jazeera, woher auch der text stammt, sieht man das eher so, dass die USA nicht wirklich glücklich sind – zumindest nicht über die ägyptischen proteste.

    sich mit den USA arrangieren müssen. Anders gehts nicht.

    doch: china (das ja sein geld investiert, wo es nur kann, zB iran), iran … nach dem sturz des us-verbündeten iranischen schahs kam auch nichts mit „sich arrangieren müssen“.
    ich halte das zwar für unwahrscheinlich, aber ausgeschlossen ist es nicht.

    Vielleicht können die USA, um deinen Beitrag zu würdigen, sich bei einer entsprechend freundlichen Regierung einiges an Militärhilfe sparen?!

    weil das, was dann immer noch ansteht, plötzlich gratis ist? das militärbudget ist doch nicht nur fürs innere gedacht.

    Daß die USA kein Freund des „ägyptischen Volkes“ sind, ist ein eher matter Beitrag.

    hab ich ja eh nur zitiert. damit ist aber schon auch was gesagt, nämlich dass die mehrheit der ägypter keine großen US-freunde sind. weil sie das mit ihrer derzeit noch bestehenden herrschaft assoziieren. oder wie es ein astreines arschloch auf achgut ausgedrückt hat:

    Du meinst, die Herzen der Massen würden für den Westen schlagen, nur weil Du sie jetzt gegen Mubarak unterstützt? Falsch – die Menschen hören Dich gar nicht, weil über ihren Köpfen Tränengaskanister mit dem Aufdruck „Made in USA“ explodieren.

    nicht, dass es im allgemeinen nicht egal wäre, was das volk so denkt. aber wenn’s grad aufmüpfig ist …
    aber das wird sich eh alles zeigen.

  14. 2. Februar 2011, 01:26 | #14

    „woher die Gewißheit, daß diese Aufstände „nicht bestellt“ waren“
    „Es ist doch denkbar“
    das sind die EINZIGEN argumente, die nestor anbringt. das ist doch offensichtlich lächerlich – in der gleichen art kann man auch fragen, ob nicht auch marsmenschen oder die Weisen von Zion hinter den ägyptischen vorgängen stecken könnten – kann einem ja auch keiner widerlegen.

  15. Nestor
    2. Februar 2011, 02:32 | #15

    @bigmouth
    Nanana – Es stimmt schon, daß ich mehr Hypothesen als Argumente zur Verfügung hab, aber deshalb muß man ja nicht alles abtun, was ich sag. Die „Argumente“ der restlichen Welt sind ja auch nicht so toll, also bitte doch einmal dort diesen strengen Maßstab anlegen.
    @umwerfend
    Der Iran ist eben die unangenehme Ausnahme, mit der sich die USA abfinden mußte, aber keineswegs „arrangiert“ hat.
    Der Iran ist sehr volkreich – mehr als 70 Millionen Einwohner …, und daran ist auch Saddam gescheitert, als er seinerzeit – durchaus mit dem Wohlwollen der USA – dort mitmischen wollte.
    Was das Militärbudget betrifft – gegen wen wird das heute veranschlagt? Gegen Libyen, nimm ich einmal an. Gegen Israel? gegen Saudi Arabien? Gegen Jordanien? Nehmen wir doch einmal an, alles geht glatt – gegen wen brauchen die dann Militärhilfe, außer gegen Ghadaffi?
    Die Massen in Tunesien und Ägypten mögen was gegen die USA haben – man liest nix davon – aber auf jeden Fall sind sie Fans von Europa. Und „Demokratie“ ist doch ein universales Ideal, oder?
    Was China betrifft: China ist ein astreiner Trittbrettfahrer der Weltökonomie und -politik. Wenn irgendwo einmal klare Verhältnisse geschaffen sind, so eilt China daher und bietet bessere Konditionen als die Konkurrenten. So wird das auch bei Ägypten sein, und das wird verschiedene Leute gar nicht freuen.
    Einmal sehen, was kommt.

  16. 2. Februar 2011, 09:50 | #16

    Die USA sahen in Mubarak einen Verbündeten gegen den Islam, auch wenn er eine Diktatur führte. Der Sturz Mubaraks bedeutet höchstwahrscheinlich, dass nun Islamisten an die Macht kommen, die dem Weltfrieden und dem Kampf gegen den Terror nicht zuträglich wären.

  17. 2. Februar 2011, 10:13 | #17

    mit militärhilfe hat man leute aber viel sicherer im sack als mit einer möglich pro-amerikanischen demokratischen regierung, die auch nicht gerade auf dem tapet steht. ich finde deine argumentation da einfach unsinnig
    die hypothesen deiner gegenseite sind jedenfalls voll kompatibel mit den bildern, die wir zu sehen bekommen – die eines spontanen aufstandes, an dem gar nichts geheimnisvoll ist

  18. 2. Februar 2011, 10:16 | #18

    Karolin, wenn ich dich richtig verstehe, teilst du die bisherige Auffassung der USA und der EU, daß das Hauptziel der imperialistischen Nahostpolitik, die Aufrechterhaltung des Status quo (=“Weltfrieden“) und die Zerschlagung jeglichen verzweifelten Aufbegehrens dagegen (=islamistischer Terror) es schon wert war und weiterhin ist, mit aller Macht den jeweiligen Deckel auf den siedenden Töpfen zu halten.
    Nun zeigt sich aber für die und dich leider, daß das nicht mehr so weiter geht. Jedenfalls personell. Denn daß das ansonsten so weitergeht wie bisher, dafür werden USA und EU sicherlich auch weiterhin Himmel und Hölle in Bewegung setzen.

  19. Nestor
    2. Februar 2011, 13:07 | #19

    @bigmouth
    So funktioniert der Imperialismus auch nicht, daß man irgendwo ein Militär hinstellt und das hält dann die Leute nieder. Es braucht schon Regierungen, die mit den weltmächten kooperieren, und die die Herrschaftstechniken anwenden, die ihnen je nach Land zur Verfügung stehen. Aber wenn eine Regierung diesbezüglich ausgedient hat – und das merkt man dann, wenn sie ihre Bevölkerung nicht mehr im Griff hat, so ist es eben an der Zeit, die auszuwechseln. Und das wird da wie dort geschehen.

  20. umwerfend, was sonst?
    2. Februar 2011, 13:15 | #20

    Der Iran ist eben die unangenehme Ausnahme, mit der sich die USA abfinden mußte, aber keineswegs „arrangiert“ hat.

    schau mal nach, in welchem bezug du „arrangieren“ vorher verwendet hast, dann wird etwas klarer, was ich meinte. da ging es nicht drum, dass die USA sich arrangieren, sondern darum, dass sich angeblich ägypten stets und immer mit den USA arrangieren müssen. – dem habe ich widersprochen.
    ägypten ist übrigens noch viel „volksreicher“ als der iran.

    Was das Militärbudget betrifft – gegen wen wird das heute veranschlagt? Gegen Libyen, nimm ich einmal an. Gegen Israel? gegen Saudi Arabien? Gegen Jordanien? Nehmen wir doch einmal an, alles geht glatt – gegen wen brauchen die dann Militärhilfe, außer gegen Ghadaffi?

    na klar. die USA stellen von heute auf morgen ihre gesamte imperialistische politik um. indiz? – der protest!
    israel & saudi-arabien kannst übrigens streichen, das sind verbündete (über die USA). jordanien auch (auch us-verbündete). GEGEN diese staaten braucht ägypten kein budget ausgeben. hier die agenda:

    During the 31 January 2010 meeting, al-Assar constantly referred to the numerous unstable security situations in the Middle East that influenced Egyptian military doctrine to include: Pakistan, Afghanistan, Iraq, Syria, Lebanon/Hezbollah, Palestine/HAMAS, Yemen, Sudan/Darfur, Somalia, Eritrea, Piracy issues, Algeria, and al-Qaida.
    […]During the meeting, Kahl discussed the need to incorporate a military strategy that included symmetrical and asymmetrical capabilities, pursuing a capabilities-based approach to security assistance, FMF issues, balance of power in the region, nuclear weapons in the Middle East, current U.S. policy towards Iran, Egyptian efforts to counter-smuggling and interdict illicit weapons destined for Gaza, and the release of advanced weapons systems.

    aber auf jeden Fall sind sie Fans von Europa.

    wo hast du das her?
    china. klare verhältnisse? wie im sudan?

  21. umwerfend, was sonst?
    2. Februar 2011, 13:34 | #21

    meine einschätzung: was wir da sehen ist die rebellion im hinterhof gegen das im-hinterhof-sein. die protestierenden müssen sich da gar nichts lange überlegen, durch ihre aktionen zerlegen sie grad die hinterhof-stabilisierung. dementsprechend verwirrt sind die USA und auch europa. manchen können sie aber nicht viel, weil das einzige was derzeit „helfen“ würde, wäre die versendung von truppen zur stabilisierung der herrschaften vor ort. das wollen sie nicht machen, wie ziemlich offensichtlich ist (aus afghanistan gelernt? – „hybrid wars“).
    ich weiß nicht, wie manche auf die idee kommen, dass die USA auf immer und ewig weltmacht sein wird. sie waren es früher nicht, und es kann gut sein, dass sie es in 20-30 jahren nicht mehr sind. die USA haben eine desaströse haushaltssituation – auch aufgrund des militärbudgets (man kann sich natürlich auch zusammenreimen, dass der iwf-warnschuss bestellt war, nur um zuhause die leute noch mehr verarmen zu können; man kann es aber auch anders sehen) -, in afghanistan geht nix weiter (in ihrem sinne), china macht ihnen zu schaffen …

  22. umwerfend, was sonst?
    2. Februar 2011, 13:56 | #22

    So funktioniert der Imperialismus auch nicht, daß man irgendwo ein Militär hinstellt und das hält dann die Leute nieder. Es braucht schon Regierungen, die mit den weltmächten kooperieren

    hat bigmouth doch geschrieben! militärhilfe impliziert das ja gerade.

  23. Nestor
    2. Februar 2011, 21:25 | #23

    @umwerfend
    Ja, daß die USA auch einmal als Weltmacht flöten gehen können, ist durchaus möglich.
    Aber das spricht noch nicht gegen meine These, daß sie mit der ganzen Region irgendwelche Pläne und vielleicht auch beim Entstehen der Protestbewegungen ihre Finger im Spiel hatten.
    Es mag sein, daß die Angelegenheit inzwischen eine Eigendynamik angenommen hat, oder noch annehmen wird, und die kommenden Entwicklungen ihre Pläne durchkreuzen. Aber auffallend war es schon, daß sie Mubarak sehr schnell abgeschrieben haben.
    Die USA als Weltmacht gehen doch so vor, daß sie davon ausgehen, daß sie der ganzen Welt ihren Willen aufzwingen können. Wenn eine Form – der direkten Intervention – nicht geht oder nicht das gewünschte Ergebnis zeitigt, so versucht man es halt auf andere Weise. Dafür haben sie ja auch Think Tanks und Special Envoys und sonst was noch.
    Insofern mag es durchaus einen Lerneffekt aus Afghanistan geben. Nur: Der heißt keinesfalls Zurückhaltung.

  24. 2. Februar 2011, 21:35 | #24

    Die USA als Weltmacht gehen doch so vor, daß sie davon ausgehen, daß sie der ganzen Welt ihren Willen aufzwingen können.

    ah ja…

  25. umwerfend, was sonst?
    3. Februar 2011, 01:38 | #25

    Aber auffallend war es schon, daß sie Mubarak sehr schnell abgeschrieben haben.

    manche araber sehen das anders.

    Obama to Mubarak: License to Murder the Egyptian people
    […]
    I just read the speech by Obama: it confirmed my suspicion, that basically Mubarak was permitted by the US to do with the Egyptian people as he would like. Every drop of blood that is spilled in Egypt from this day onwards should be blamed on Obama because he has embraced this new strategy of letting Mubarak defy the popular will of the Egyptian people.
    […]
    The speech by Obama was a not-so-coded language that let Mubarak do what he wish: the talk about transition means that he was basically told to stay in power, because Israel really freaked out at the prospect of Egypt without Mubarak.

    http://angryarab.blogspot.com/2011/02/obama-to-mubarak-license-to-murder.html?utm_source=twitterfeed&utm_medium=twitter

  26. umwerfend, was sonst?
    3. Februar 2011, 02:07 | #26

    im übrigen: alle haben pläne. jeder staat hat pläne. auch die EU hat pläne. manche sind beim umsetzen erfolgreicher, andere weniger. alle unterhalten think tanks.
    http://www.eu.thinktankdirectory.org/
    das eu-pendant zu den special envoys:
    http://www.consilium.europa.eu/showpage.aspx?id=263&lang=EN

  27. 3. Februar 2011, 15:04 | #27

    „Das Gesicht der Revolution“„Mohamed ElBaradei verkörpert den demokratischen Widerstand, im Volk hat er wenig Rückhalt.“ (SZ, 2.2.2011)Eine interessante Meldung der Süddeutschen Zeitung. Wie soll das zusammenpassen? Ein Mann ist gleichzeitig „das Gesicht der Revolution“, „verkörpert den demokratischen Widerstand“ und hat „wenig Rückhalt im Volk“!
    Offensichtlich ist ElBaradei der von uns, sprich: aus deutscher bzw. westlicher Perspektive ausgeguckte Hoffnungsträger für Ägyptens Zukunft. Dass der Nachsatz über seinen mangelnden Rückhalt im Volk eigentlich ein Dementi der Behauptung ist, dass dieser Mann den demokratischen Widerstand verkörpert, fällt diesen Schreibern vor lauter Parteilichkeit gar nicht mehr richtig auf. Dass er weniger die Lichtfigur der ägyptischen Massen als die der westlichen Staaten ist, nehmen sie stattdessen ungemein mitfühlend zur Kenntnis – als Problem, das noch irgendwie bewältigt werden muss: „Mit der Rolle es charismatischen Revolutionärs tut sich Mohamed ElBaradei noch sichtlich schwer. Der distinguierte ehemalige Karrierediplomat, 68 Jahre alt, hatte zwar den dunklen Anzug mit Krawatte gegen eine legere Lederjacke getauscht, als er sich am Freitag unter Missachtung seines Hausarrests unter die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz mischte. Doch seine Worte, gesprochen in ein Megaphon, erreichten eher die internationalen Fernsehteams, die ihn umringten, als die Massen auf dem Platz. Der große Jubel blieb ihm verwehrt.“ (SZ, 2.2.2011)
    Eigentlich zeugt jedes Wort davon, um was für eine organisierte Volksverarschung es sich handelt. Ein Karrierediplomat, der viele Jahre den westlichen Atomstreit gegen Iran federführend mitbetreut hat und deshalb über beste Kontakten zu den entscheidenden Staaten dieser Welt verfügt, will die Umsturz-Situation nutzen, um sich zum Führer seiner Nation aufzuschwingen. Den demonstrierenden Massen ist er eher unbekannt. Im Unterschied zu den vom Ausland mit Misstrauen bedachten Muslim-Brüdern kann er aber auf die Aufmerksamkeit und Unterstützung der westlichen Politik und ihrer „internationalen Fernsehteams“ setzen. Und weil die momentan in ihm die genehme Führungsfigur der nächsten Zeit ausgemacht haben, berichten sie nicht, dass ElBaradei bei den großen Demonstrationen keine Rolle gespielt hat. Nein, ihm ist „der große Jubel (auf den er anscheinend ein natürliches Recht hat!) verwehrt geblieben“.So denken die freien Journalisten des Westens ganz ohne jede Pressezensur die politischen Interessen ihrer Regierungen ganz einfühlsam in ihre Reportagen hinein.
    PS zu Volksaufständen: Von wegen, dass sich hier der Wille des geknechteten ägyptischen Volks endlich Bahn brechen soll, wie die Berichterstattung momentan ja gerne ein wenig emphatisch suggeriert. Offenbar weiß man in den westlichen Hauptstädten inzwischen ziemlich genau, dass sich die unhaltbaren Zustände, die man in seinen Drittwelt-Hinterhöfen einrichtet, ab und zu in gewaltsamem Aufbegehren Luft verschaffen. Da heißt es, rechtzeitig dabei sein, möglichst alles im Griff behalten, die richtigen Nachfolgefiguren platzieren, die „falschen“ Volksfreunde marginalisieren – das heißt Demokratie in diesen Staaten. Beim Versuch, den Verlauf der Aufstände in seinem Sinn zu beeinflussen, wirft der Westen die hergestellten politisch-ökonomischen Abhängigkeiten ins Spiel – und die sind nicht gering! Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die ägyptischen Oppositionsgruppen ElBaradei als Vermittler gegenüber den amerikanischen/europäischen Diplomaten benutzen wollen. Sie wissen, dass ein Neuanfang in Ägypten gegen diese mächtigen Interessen sowieso chancenlos ist und fügen sich berechnend in diese Lage. Tja, wenn das also alles so ist, wird es mit der Zustimmung des Volks für den „Karrierediplomaten“ wahrscheinlich auch irgendwann klappen.
    (von vonmarxlernen)

  28. 3. Februar 2011, 15:06 | #28

    Was dieser Nestor den Leuten wieder eins in den Kopf schauen kann. Erstaunlich!

  29. Nestor
    4. Februar 2011, 15:28 | #29

    @umwerfend, was sonst.
    Ja, aber aus der Tatsache, daß Pläne auch schiefgehen können, leitest du ab, daß es sie nicht gibt, bzw. sie gar nicht erst in Gang gesetzt werden. Und das ist eher verkehrt.
    Daß irgendwelche Leute das anders sehen, kratzt mich nicht. Es ist doch auch verständlich, daß Verwirrung herrscht bei Leuten, die wissen, daß der ägyptische Häuptling jahrelang von den USA gestützt wurde, und jetzt auf einmal fallengelassen wird.
    Mubarak hat ausgedient, so die Sicht der USA, er hat sich verbraucht, jetzt suchen wir nach einer frischen Kraft, – oder mehreren – die sich an dem Posten bewährt/en.

  30. Nestor
    4. Februar 2011, 15:31 | #30

    Nachsatz: Und sie sind überzeugt davon, daß sich schon wer finden wird.

  31. star wars
    4. Februar 2011, 17:37 | #31

    @Nestor
    Mubarak hat ausgedient nachdem die Proteste in Tunesien und später in Ägypten gekommen sind. Alles andere ist Augenwischerei.

  32. u
    4. Februar 2011, 18:10 | #32

    „Ja, aber aus der Tatsache, daß Pläne auch schiefgehen können, leitest du ab, daß es sie nicht gibt“
    vs.
    „im übrigen: alle haben pläne. jeder staat hat pläne.“
    „eher falsch“ oder falsch?
    „Es ist doch auch verständlich, daß Verwirrung herrscht bei Leuten“
    irgendwelche leute, verwirrt vs. nahost-kenner? — angry arab ist so einer.

  33. Stetsky
    6. Februar 2011, 13:56 | #33

    Bestürzend, dass nach Jahren der antinationalen Agitation nicht im mindesten die nationalistische Beschränktheit der nordafrikanischen Protestbewegungen thematisiert wird.

  34. 6. Februar 2011, 16:08 | #34

    Stetsky, vielleicht liegt dieser Mangel daran, daß diese GSP-Freunde (übrigens nicht *der* GSP, ich habe da auch schon Negatives gehört, ohne das das aber näher ausgeführt war) in erster Linie gegen den Hauptfeind im eigenen Land bzw. gegen deren Massenanhang hier anargumentieren. Auf jeden Fall müßte eine Agitation in Nordafrika schon anders aussehen als hier im Herzen des EU-Imperialismus.

  35. Stetsky
    6. Februar 2011, 18:06 | #35

    @ Neoprene
    Zugegeben, dass ich selbst es mir zweimal überlegen würde, bevor ich mit einer Israelfahne über den Tahrir-Platz liefe, nur glaube ich Du hast mich missverstanden: Als bestürzend empfinde ich, dass bei der Beurteilung der Lage wie selbstverständlich die nationale Perspektive übernommen wird und es danach nur darum geht, wie man die möglichen imperialistischen Verstrickungen bewertet.

  36. 6. Februar 2011, 18:20 | #36

    Stetsky, ich verstehe immer noch nicht, was du sagen willst:
    – Über wen sprichst du?
    – Wessen Nation gibt wem die Richtschnur ab?
    – Genauer, wer übernimmt da von wem was?
    – Was ist das argumentativ Schlimme an einer „Bewertung“ „möglicher imperialistischer Verstrickungen“?

  37. Stetsky
    6. Februar 2011, 21:58 | #37

    @ Neoprene
    Oh, und dabei versuch ich meine Kommentare möglichst kurz und lasch zu halten:
    – ich spreche über die in dieser Kommentarspalte Schreibenden
    – diese übernehmen m.E. die nationale Richtschnur der
    ägyptischen Protestbewegung, indem sie deren innen- und
    außenpolitischen Optionen als entscheidend betrachten.
    – nichts ist schlimm an geostrategischen Spekulationen, ich
    will nur anmerken, dass die Beurteilung darauf beschränkt
    bleibt (und solche Bewertungen nebenbei keine Argumente
    liefern außer der Parteinahme für irgendein imperialistisches
    Lager)
    Und jetzt frag´ mich nicht, was meiner Meinung nach fehlt, sonst fühl´ich mich verarscht.

  38. Krim
    7. Februar 2011, 10:13 | #38

    1. Das Erörtern der Optionen des ägyptischen Protests ist nicht das selbe, wie die Übernahme ihrer Perspektiven.
    2. Was ist denn entscheidend, wenn nicht die innen- und
    außenpolitischen Optionen des Protests? Revolutionäre sind das nicht.
    3. Dass Spekulationen nichts bringen stimmt. Dass aber hier auf dem Blog für ein imperialistisches Lager Partei ergriffen wird, sehe ich nicht. Da müsstest du ein Zitat bringen.

  39. Stetsky
    7. Februar 2011, 11:07 | #39

    @ Krim
    ad 1: wird die Voraussetzung übernommen, dass politische Optionen sich nur im Rahmen eines bürgerlichen Staats ergeben, bedeutet das objektiv die Übernahme bürgerlicher, d.h. nationalistischer Perspektiven.
    ad 2: die Beibehaltung der Optionen, die sich durch die Partizipation am bürgerlichen Staat ergeben, sind entscheidend für die Niederlage des Protests; entscheidend für eine revolutionäre Weiterung wäre ihre Aufgabe. Insofern stimme ich Dir zu.
    ad 3: Spekulationen über imperialistische Strategien bringen genauer gesagt deshalb nichts, weil es z.Z. keine Möglichkeit gibt, sich ihnen entgegenzustellen. Wäre es anders, lieferten sie tatsächlich Argumente in der Erörterung der besten Vorgehensweise sie zu durchkreuzen. Da es aber nicht so ist, kommt es im schlimmsten Falle zu imperialistischen Parteinahmen z.B. für oder gegen die USA, die EU oder irgendeinen ihrer imperialistischen Subunternehmer, im weniger schlimmen zu einem unentschiedenem Hin- und Herschwappen wie in der Diskussion zwischen Umwerfend, Bigmouth und Nestor, in der mehr Motive als Gründe verhandelt werden.

  40. Krim
    7. Februar 2011, 15:24 | #40

    Was ist denn der Maßstab einer Niederlage des Protests? Im Moment sieht es ja so aus, als würde Mubarak tatsächlich seinen Posten aufgeben. – Also erstmal Sieg! Das wollten die Massen doch. Mubarak weg – Mubarak geht weg. Die Tragik ist ja, dass der Protest schon so erzdemokratisch ist. Die Führer sind korrupt, also muss man sie auswechseln.
    Bessere Lebensbedingungen wird ihnen d i e s e r Protest sicher nicht bescheren. Nur an der Verbesserung der Lebensbedingungen gemessen wäre der Protest eine Niederlage. Eine Niederlage an einem Maßstab aber, den die Protestler gar nicht mehr haben, weil sie so verdammt reif sind für die Demokratie.

  41. 7. Februar 2011, 16:13 | #41

    Das Tragische ist doch, daß die in Nordafrika aufbegehrenden Massen dies deshalb tun, weil es ihnen in den letzten Jahren saumäßig gegangen ist: Inflation, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit gerade für die vielen Jungen, usw. Aber nicht dagegen lehnen sie sich auf, sondern bisher fast ausschließlich gegen die Despoten, die das unlegitimiert ihnen reingewürgt haben. So erzdemokratisch, wie die zumeist drauf zu sein scheinen, kann dem offensichtlich von zynischen Volksfreunden glatt abgeholfen werden, in dem den Leuten ihr Elend zukünftig halbwegs demokratisch reingewürgt wird. Bzw. dann eben nicht mehr aufgezwungen wird, sondern als Sachzwang und unvermeidlich eingeredet werden wird wie anderswo ja auch schon. Dann wird die Bereicherung der wenigen eben ganz marktkonform ablaufen und nicht mehr nur der jeweiligen Präsidentenfamilie zugute kommen. Als wenn damit der Masse der eigentumslos Gehaltenen damit irgendwie gedient wäre, außer daß es dann auch moralisch einwandfrei zugeht.

  42. Stetsky
    7. Februar 2011, 16:14 | #42

    Maßstab eines Sieges wäre der sofortigen Rücktritt Mubaraks, aber nach den letzten Meldungen scheint mir noch nicht einmal dieses symbolische Ziel erreicht zu werden: eben weil der Rücktritt als Bedingung nur für repräsentative Verhandlungen gesetzt wurde. Ja, das ist tragisch. Das ganze ein ungeheure Farce mit sehr vielen Toten.

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