Entstehung des kubanischen deformierten Arbeiterstaates
Eine der grundlegenden Schwächen der trotzkistischen Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg war ihre Unfähigkeit, den Prozeß rechtzeitig und korrekt zu analysieren, der zur Entstehung deformierter Arbeiterstaaten in Osteuropa und China führte. In unserem Aufsatz „Ursprünge des Pabloismus“ (Spartacist— Deutsche Ausgabe, Nr. 3) haben wir aufgezeigt, wie die Pseudo-Orthodoxie der ersten Jahre in opportunistische Nachtrabpolitik und immer offeneren Revisionismus umschlug. Bei den europäischen Pabloisten führte die Isolierung von der Massenbewegung, die in einigen entscheidenden europäischen Ländern vom Stalinismus dominiert wurde, in den Jahren 1951-53 zum endgültigen Bruch mit dem trotzkistischen Programm. Die amerikanische SWP, die einige Jahre lang diesen Verrat, wenn auch in unzulänglicher Weise, bekämpft hat, unterlag schließlich unter dem Einfluß der kubanischen Revolution einem ähnlichen Degenerationsprozeß.
Die Debatte über die Kuba-Frage, die I960 in der SWP einsetzte, stellt einen entscheidenden Wendepunkt im Kampf für die Wiedergeburt der Vierten Internationale dar. Während die beiden wichtigsten europäischen Sektionen des- „orthodoxen“ Internationalen Komitees (IK), die britische Socialist Labour League (SLL) unter Führung von Gerry Healy und die französische Gruppe um Pierre Lambert (die heutige Organisation Communiste Internationaliste — OCI) dem Impressionismus der SWP- , Führung nur Realitätsblindheit gegenüber den Ereignissen in Kuba entgegenzusetzen wußten, entstand innerhalb der S WP selbst eine oppositionelle Minderheit, die Revolutionary Tendency (RT), die prinzipienfestes Beharren auf den Positionen des Trotzkismus mit der Fähigkeit verband, auf neue Probleme eine korrekte Antwort zu geben. Die in dem Bulletin „Cuba and Marxist Theory“ (Marxist Bulletin, Nr. 8) zusammengefaßten Dokumente bilden deshalb einen Meilenstein in der Geschichte der, internationalen Spartacist Tendenz.
Wir hoffen, in späteren Ausgaben des Spartacist — Deutsche Ausgabe wesentliche Beiträge aus dieser Diskussion veröffentlichen zu können. In dieser Ausgabe drucken wir das Vorwort ab, das für die zweite Auflage von „ Cuba and Marxist Theory“ (l973) geschrieben wurde. Es gibt in sehr konzentrierter Form einen Abriß über die Geschichte der Gesamtproblematik und geht damit über den Rahmen der ursprünglichen Kuba-Debatte hinaus: das allgemeine Problem, wie und zu welchem Zeitpunkt die bürokratisch deformierten Arbeiterstaaten entstanden sind, wird angerissen. Die früheren Positionen der Revolutionary Tendency werden somit vertieft und erweitert; deren Wert als prinzipienfeste Grundlage für die Herausbildung einer authentisch trotzkistischen Tendenz wird dadurch nur unterstrichen.
Im Laufe der Zeit findet in der marxistischen Bewegung eine langsame Verschiebung der Einschätzung vergangener Ereignisse statt, die in bestimmten Momenten zu einer scharfen Abkehr von dem führt, was früher als gegeben galt. Manchmal wird eine wesentlich höhere und umfassendere Synthese mit nur nebensächlichem Verlust besonderer Details erreicht, die in einer früheren Periode gesehen worden Waren; manchmal aber geht eine wesentliche Einsicht in die Realität verloren. Was sich durchsetzt, hängt von Umständen ab, die über das betreffende Ereignis hinausgehen und von ihm bisweilen weit abgehoben sind.
Die Haston-Vern-Position
Gewiß hat sich der massive Enthusiasmus für Fidel Castro bei denen, die vorgeben, sich auf den revolutionären Marxismus zu berufen, weitgebend verflüchtigt oder, allgemeiner gesehen, verschoben. Aber die Erklärungen, Rationalisierungen und Ersatzvorstellungen aller zentristischen, revisionistischen und reformistischen Strömungen stellen keinen Fortschritt dar. Zum Beispiel haben diverse zur Zeit oder bis vor kurzem in der SWP befindliche Elemente neuerdings in alten SWP-Bulletins die Schriften der Vern-Ryan-Tendenz aus den fünfziger Jahren über Osteuropa wiederentdeckt, einer Fraktion in Los Angeles, die sich bald danach in Max Shachtmans Independent Socialist League auflöste (welche sich ihrerseits seitdem längst in der amerikanischen Sozialdemokratie [Socialist Party/ Social-Democratic Federation] aufgelöst hat). Dennis Vern wiederum hatte den Kern seiner Ansichten der Mehrheitsfraktion der britischen trotzkistischen Revolutionary Communist Party entlehnt, die unter der Führung von Jock Haston stand, bis die Haston-Gruppe sich mehr oder weniger im rechten Flügel der Labour Party auflöste. Heute nicht mehr unbedingt einsichtig ist es, daß die Haston-Vern-Position wonach überall dort, wo die Rote Armee am Ende des Zweiten Weltkrieges einrückte, durch diese Tatsache jenes Stück Land ein deformierter Arbeiterstaat geworden sei als eine Liquidierung des Trotzkismus verstanden wurde — nicht, wie es die Logik andeuten würde, gegenüber den Stalinisten, die in Großbritannien und den US,A schwach waren, sondern letztlich gegenüber den reformistischen Widerspiegelungen der eigenen bürgerlichen Ordnung.
Aber Haston und Vern sahen tatsächlich einen Aspekt der sozialen Veränderung in Osteuropa, der den hilflosen trotzkistischen Theoretikern von damals, wie Hansen und Germain-Mandel, weitgehend entging, daß nämlich die vorhandene bewaffnete Macht als grundlegender Faktor beim Versuch zu verstehen, was für ein Prozeß dort vor sich geht, berücksichtigt werden muß. Doch Haston und Vern blieben bereits an der Schwelle der Erkenntnis stehen. Und dieses Stück Erkenntnis war noch dazu schief. Der gegebene Klassencharakter des Staates, bis dieser gestürzt ist oder solange er es noch nicht ist, bestimmt sehr wohl die Richtung der sozialen Entwicklung innerhalb der Gesellschaftsordnung, die von diesem Staat gesichert wird. Doch war der Kern des Staates in Osteuropa eine russische Armee, Agentur des russischen stalinistischen degenerierten Arbeiterstaates.
Kurzfristig konnte die russische stalinistischen Führung über das gesellschaftliche Ergebnis eine Wahl treffen (eine Wahl, die nicht frei entschieden wurde), was sie auch tat. Daher der grundlegende Fehler im Haston-Vern-Syllogismus „Klassencharakter des Staates ist gleich Vorherrschaft dieser Klasse in der Gesellschaft“, wenn der Staat (die Armee) russisch und die Gesellschaft z.B. österreichisch oder ungarisch ist. Die Russen zogen sich aus den Gebieten zurück, die sie in Österreich und im Iran kontrollierten, leiteten aber die Verwandlung des Großteils von Osteuropa in soziale und politische Gegenstücke zur Sowjetunion d. h. Konsolidierung im Kielwasser der russischen Eroberung.
Eine Ausnahme bildete der besondere, aber damals nicht klar zur Kenntnis genommene Fall Jugoslawiens, dessen gesellschaftliche Transformation im wesentlichen intern zustande gekommen ist. Trotz der Tito-Stalin-Spaltung wurde die Bedeutung Jugoslawiens erst im Lichte der chinesischen und auch der kubanischen Revolution vollkommen klar.
Wohlforth
Die jugoslawische, die chinesische und die kubanische Revolution können in keiner Weise durch das direkte Aufzwingen russischer Herrschaft erklärt werden — jedenfalls von niemandem, der links von der John Birch Society steht, d. h. mit Ausnahme von Tim Wohlforth von der Workers League/„Internationales (Healyistisches) Komitee“. Und selbst Wohlforths krampfhafte Dogmen — diese triviale Parodie des Marxismus, die sich „The Theory of Structural Assimilation“ (Die Theorie der strukturellen Assimilation) nennt (eine Bulletin-Publikation von I964)— brachen zusammen, was sich eindeutig an der Unfähigkeit zeigte, Kuba in sein Schema einzubauen. Wie Wohlforth in seinem Vorwort bemerkte:
„Im Sommer 1961 schrieb ich den vorläufigen Entwurf eines Dokuments über die Natur des kubanischen Staates und die sich daraus ergebenden theoretischen Implikationen [,.Cuba and Marxist Theory“, nachgedruckt in Marxist Bulletin Nr. 8 — Anm. der SL]. Die ersten Diskussionen über dieses Dokument überzeugten mich, daß ich gänzlich und vollkommen auf dem Holzweg war. Wie die Führung der SWP selbst warf ich einfach Theoriebrocken zusammen, um eine Impression der Realität in Kuba zu ,erklären‘ und eine politische Schlußfolgerung zu rechtfertigen – die natürlich der kubanischen Führung gegenüber weitaus kritischer war als die der SWP-Mehrheit. Es wurde mir klar, daß, wenn ich den ersten Schritt im Verständnis von Kuba erreichen wollte, ich Kuba in ein allgemeines theoretisches Verständnis der Nachkriegsentwicklungen insgesamt einfügen mußte. Also, mußte ich zunächst mit den theoretischen Problemen ringen, die durch Osteuropa, Jugoslawien und China aufgeworfen worden waren, bevor ich erwarten könnte, über aktuellere Entwicklungen irgendeinen Fortschritt machen zu können. Je weiter ich im Verständnis dieser Ereignisse kam, desto weniger fand ich ironischerweise ihren Bezug zu Kuba. So kommt es, daß ein Dokument, welches als eine Analyse Kubas begann, sich nicht einmal direkt mit dieser Frage befaßt. Wir werden eine Analyse Kubas gesondert herausgeben.“
Wohlforths „Theorie“ reduziert sich auf Folgendes: erstens, Absorbierung von Nachbarstaaten in den russischen degenierten Arbeiterstaat; zweitens, soziale Transformation des neu gewonnenen Gebietes; drittens und letztens, dessen Freigabe als eigenständiger deformierter Arbeiterstaat — all das aufgrund eines „defensiv expansionistischen“ Drangs der russischen stalinistischen Bürokratie als Antwort auf die unmittelbare Bedrohung durch den kapitalistischen Imperialismus. Wohlforth erklärte sogar die Verwandlung Nordvietnams in einen deformierten Arbeiterstaat mit der ihm eigenen Version der „Domino-Theorie“: zuerst wurde China von Rußland einverleibt und wieder herausgewürgt, dann in gleicher Weise Vietnam von China.
Mit einem Blick in seinen Atlas stellte Wohlforth jedoch fest, daß Kuba von Rußland recht weit entfernt und obendrein eine Insel ist! So blieb Wohlforth auf der Position sitzen, die heute noch, mehr oder weniger verschämt, von der Workers League vertreten wird — der kubanische Staat unter der Führung von Fidel Castro sei kapitalistisch. Das dürfte auch der Grund sein, warum der literarisch so produktive Wohlforth uns bis jetzt, I973, immer noch auf die versprochene „gesonderte Analyse Kubas“ warten läßt. (Übrigens haben wir in letzter Zeit auch keinen Nachdruck von „The Theory of Structural Assimilation“ bemerkt.)
Unsere Tendenz entstand als Opposition zum Revisio-nismus der SWP-Mehrheit, indem sie für drei programmatische Hauptpunkte in bezug auf die kubanische Revolution und deren Verteidigung kämpfte: Festhalten an der Permanenten Revolution, d. h. an der Ansicht, daß keine der wesentlichen Aufgaben der Revolution vor dem Sieg und der Konsolidierung eines Arbeiterstaates erfüllt werden könne; dementsprechend die Unentbehrlichkeit eines Kampfes um die Hegemonie der Arbeiterklasse in der Revolution; damit verbunden die Notwendigkeit einer bewußten trotzkistischen Partei als proletarischer Avantgarde zur Führung dieses Kampfes.
„Übergangsstaat“
Wie wir in unserem früheren Vorwort bemerkten [siehe Marxist Bulletin Nr. 8, S. i], hatte Shane Mage 1961 —mit der Zustimmung von Wohlforth und der disziplinierten Unterstützung anderer in unserer damals noch gemeinsamen Tendenz — eine politisch prinzipienfeste, aber theoretisch noch vage und nicht vertretbare Position vorgelegt: der kubanische Staat habe noch keinen definierten Klassencharakter, er sei ein „Übergangsstaat“. Diese Ansicht sowie die Art und Weise, wie sie der Tendenz aufgezwungen wurde, war eine der frühen Reibungspunkte in dem Prozeß, der schließlich anderthalb Jahre später mit der Abspaltung Wohlforths von der Tendenz endete, aus der die Spartacist Tendenz entstand. Die Resolution von Mage 1961 über die kubanische Frage, die zuvor in der Tendenz überhaupt nicht zirkuliert war, wurde in einer Tendenzsitzung in New York mit der Erklärung von Wohlforth eingebracht, daß sie in jedem Fall am nächsten Morgen für das interne Bulletin der SWP eingereicht werden müsse. Da eine mögliche Mehrheit der Tendenz in New York und auf nationaler Ebene der Ansicht war, Kuba sei bereits zu einem deformierten Arbeiterstaat geworden, folgten viele von uns nur aus einem starken Sinn für Tendenzdisziplin, _die der programmatische Kampf in der SWP erforderte.
Die umstrittene Frage, was gegenwärtig der Klassencharakter des kubanischen Staates sei — Mages „Übergangs-Staat“, der „deformierte Arbeiterstaat“ des Großteils der Tendenz oder (nachdem er erst die Position von Mage aufgegeben und sich dann kurz auf die Auffassung der Tendenzmehrheit eingelassen hatte) Wohlforths „kapitalistischer Staat“ — führte in der unmittelbar darauffolgenden Periode zu der Neigung, bestimmte theoretische Aspekte im Schatten zu lassen, insbesondere eine präzise, chronologisch eingehende Analyse der früheren Periode der kubanischen Revolution. Wenn diese auseinanderweisenden Interpretationen auch alle im Rahmen der damaligen Entwicklungsphase mit unserer gemeinsamen programmatischen Basis vereinbar waren, so bildeten sie doch eine Quelle der Spannung innerhalb der Tendenz.
Dann, im November 1962, spaltete sich Wohlforth, angestiftet von A. Phillips und Gerry Healy, von der Tendenz ab, im wesentlichen wegen der Frage, ob man einen Block mit der SWP-Mehrheit anstreben solle, um deren drohende Wiedervereinigung mit den europäischen Pabloisten zu verhindern — eine Politik, die Wohlforth und Healy unter dem Deckmantel einer Debatte über den Charakter der SWP in die Tendenz einzuschmuggeln trachteten (siehe Marxist Bulletin Nr. 2). Unser politischer Kampf um die Fragen, die für die SWP-Konferenz 1963 aufgeworfen worden waren, und unser erfolgloser Kampf gegen den Ausschluß aus der SWP (den die von Wohlforth fabrizierten und an die Mehrheit weitergegebenen „Enthüllungen“ über uns auslösten) beschäftigten unsere Tendenz ein Jahr lang.
1964 führte eine ausführliche mündliche Diskussion im New Yorker Teil der Tendenz dazu, daß Mage seine Position mehr oder weniger aufgab, und wir kamen durch Konsensus zu folgender zentraler Position: Kuba wurde mit den weitgehenden Nationalisierungen im Sommer und Herbst I960, die die Bourgeoisie als Klasse liquidierten, zum deformierten Arbeiterstaat.
Da unsere Argumentation hauptsächlich gegen die SWP-Mehrheit gerichtet war, die meinte,1 Kuba habe sich von einer „Arbeiter- und Bauernregierung“ zu einem „gesunden“ Arbeiterstaat entwickelt, „der allerdings noch nicht über die Formen der Arbeiterdemokratie“ verfüge, aber unter der Führung des „unbewußten Marxisten Fidel Castro“ stehe (die Position von Joe Hansen), drehte sich der Großteil unserer Beweisführung um den qualitativ deformierten, d. h. stalinistischen Charakter des kubanischen Arbeiterstaates: daß Castro unter dem Zwang stand, zu entdecken und zu erklären, er sei „Marxist-Leninist“, genauso wie die Fidelistas mit der vorher existierenden stalinistischen Partei fusionieren und sie gleichzeitig von ihrer Loyalität zur russischen Bürokratie säubern mußten; die Existenz eines mächtigen — und von den Massen getrennten — staatlichen Repressionsapparates, wie sie die massive (an sich durchaus berechtigte) Inhaftierung verdächtiger Sektoren der kubanischen Gesellschaft während der Schweinebucht-Invasion 1961 offenbarte; Fidel Castros offen zugegebene bonapartistische Rolle in den entscheidenden Momenten der Kubakrise 1962, die ja eine Frage von Leben und Tod für das gesamte kubanische Volk darstellte.
Eine kleinbürgerliche Regierung
Wir sahen es als unbestreitbar an, daß die bewaffneten kubanischen Rebellen, die ursprünglich mit der Granma gelandet waren, in jeder Hinsicht eine kleinbürgerliche Formation darstellten. Ihr militärisch marginaler Kampf war der letzte Schlag für das Batista-Regime, das bei den Massen verhaßt und zunehmend von den oberen Schichten der kubanischen Gesellschaft isoliert war, um schließlich vom Yankee-Imperialismus fallen gelassen zu werden. Die Rebellenarmee, die am 1. Januar 1959 Havana besetzte, existierte fort als politisch heterogene kleinbürgerliche Formation mit massiver Unterstützung in der Bevölkerung.
Ihre ursprüngliche Koalitionsregierung mit echten bürgerlich-liberalen Politikern fand in einer Situation statt, wo der alte bürgerliche Staatsapparat in Scherben lag. Im Laufe des vorangegangenen Guerillakampfes — einer besonderen Form des Bürgerkriegs — waren die früheren direkten Verbindungen der Befehlshaber dieser Rebellenarmee mit oppositionellen bürgerlich-liberalen Elementen in die Brüche gegangen, und sie waren in episodischer Weise von ihren Vätern im Klassensinne (oft auch im biologischen Sinne) — der kubanischen Bourgeoisie — unabhängig geworden. Nachdem sie die Macht übernommen hatten, wurden sie mit den plumpen, sich steigernden Versuchen des US-Imperialismus konfrontiert, sie durch nackten wirtschaftlichen Druck auf Kuba in die Knie zu zwingen, ohne entsprechende Versuche der arroganten Eisenhower-Regierung, die Bedingungen und Verbindungen zu schaffen, um die neuen Machthaber wieder mit dem alten sozialen Gefüge zu verknüpfen und so eine Anpassung an die brutalen Forderungen der Imperialisten zu erleichtern.
Nicht weniger entscheidend als die unter den Bedingungen des Bürgerkriegs geschaffene Entfremdung zwischen den kleinbürgerlichen Guerillakämpfern und der bürgerlichen Ordnung war das Fehlen eines klassenbewußten, kämpferischen Proletariats, das unweigerlich diese klein-bürgerlichen Kämpfer polarisiert, manche auf die Seite der Arbeiter gezogen und andere zurück in die Arme der bürgerlichen Ordnung gestoßen hätte. Daher der außergewöhnliche Spielraum, über den diese kleinbürgerliche Regierung angesichts des sich Schlag auf Schlag eskalierenden wirtschaftlichen Kampfes mit der amerikanischen Regierung in dieser Periode und der enormen patriotisch-populären Begeisterung der undifferenzierten kubanischen Massen verfügte.
Deformierter Arbeiterstaat
Als jedoch mit der wirtschaftlichen Liquidierung der kubanischen Bourgeoisie (viel systematischer und vollständiger als die chinesischen Maoisten sie bis heute durchgeführt haben — sogar die Eisverkäufer wurden nationalisiert) ein Schlußpunkt erreicht worden war, war diese kleinbürgerliche Regierung selbst unter diesen denkbar günstigsten Bedingungen unfähig, einen dritten Weg zwischen Arbeiterklasse und Kapital zu finden, um eine Gesellschaft eigenständiger Art zu organisieren; kraft ihrer neu erreichten sozialen Stellung — ihres politischen Monopols an der Spitze einer nationalisierten Wirtschaft — war sie genötigt, sich jenem Ersatz-Marxismus in die Arme zu werfen, der die quasi-automatische ideologische Widerspiegelung einer stalinistischen Bürokratie darstellt, auch wenn sie noch so frisch aus dem Ei gekrochen ist.
Sicherlich stellte die Existenz des russischen degenerierten Arbeiterstaates ein beispielgebendes Modell und, was wichtiger ist, die materielle Unterstützung bereit, die das Ergebnis praktisch ermöglichte. Aber es waren keineswegs die Russen bzw. ihre einheimischen Nachbeter, die direkt den tatsächlichen Prozeß in Kuba selbst gestalteten. Das Bündnis mit den Russen war Ergebnis und nicht Vorbedingung der Bildung eines deformierten Arbeiterstaates in Kuba.
Zu keiner Zeit gab es in Kuba einen klassenlosen „Übergangsstaat“. Wir wiederholen: in der Zwischenperiode zwischen der Zerschlagung des alten kapitalistischen Batista-Staates, der Kompradoren des amerikanischen Imperialismus, und der Konsolidierung eines deformierten Arbeiterstaates gab es eine kleinbürgerliche — keine klassenneutrale — Regierung, und der Kern ihrer Macht war die kleinbürgerliche Rebellenarmee. Infolge der gewaltsamen Polarisierung des Guerillakampfes konnte dieses Regime eine zeitweilige Autonomie gegenüber der bürgerlichen Ordnung behaupten, wobei es eine Periode großer populärer (nicht spezifisch proletarischer) Massen-Bewegungen durchlief, ohne aber mit einer nationalisierten Wirtschaft bereits fest verbunden zu sein. Überdies wurde seine von den grundlegenden Gesellschaftsklassen — Bourgeoisie und Proletariat — episodisch abgehobene Existenz dadurch ermöglicht, daß die Arbeiterklasse der kapitalistischen Herrschaft nicht den Kampf ansagte.
Daher war der Charakter dieses Regimes nicht so, um den endgültigen Ausgang unausweichlich vorherzubestimmen. Es bestand nämlich eine gewisse Spannung: das Potential, entweder einen kapitalistischen Staat zu regenerieren und zu konsolidieren oder — wenigstens für einen Teil dieses Regimes — sich an die Form des nationalisierten Eigentums zu binden und so in einem lebendigen Prozeß die Gültigkeit der früheren trotzkistischen Charakterisierung zu bestätigen, daß von einem höchst allgemeinen Gesichtspunkt aus betrachtet die russische stalinistische Bürokratie in einem ihrer zentralen widersprüchlichen Aspekte — nämlich als Transmissions-Riemen für den Druck der bürgerlichen Weltordnung auf einen Arbeiterstaat — eine kleinbürgerliche Formation darstellt. Der entscheidende Teil der Castroisten konnte den Übergang zur Führung eines deformierten Arbeiter-staates vollziehen, weil er, da der egalitäre Charakter und die proletarische Demokratie eines direkt durch die arbeitende Bevölkerung erkämpften Staates fehlten, über seine eigenen radikal-kleinbürgerlichen sozialen Gelüste niemals hinausgehen oder sie grundlegend verändern, sondern sie lediglich transformieren und umorientieren mußte. Und, nebenbei gesagt, hierin liegen sowohl die entscheidende Bedeutung als auch die Notwendigkeit der politischen Revolution, von der kubanischen Erfahrung her betrachtet, d. h. von einem anderen Aspekt her als dem des langen, erfolglosen Rückzugsgefechts, das Trotzki in den zwanziger Jahren in Rußland durchkämpfte.
—aus Protokoll Nr. 7 des Politischen Büros, 8. Juli 1973: „Antrag: Die politische Stoßrichtung des Zusatzes zum Vorwort von Marxist Bulletin Nr. 8 anzunehmen.“ Angenommen.
Erweiterungen und Korrekturen durchgeführt, 8. August 1973
Zitiert nach Spartacist, deutsche Ausgabe, Nr. 5 – Mai 1977