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100 Blogs = Wahlcretinismus

26. September 2009

Man konnte ja auch in diesem Wahlkampf wieder ne Menge Sachen lesen, wo man sich fragen mußte, ob das ernst gemeint oder Realsatire ist. Ein besonders krasser Fall scheint mir der folgende Phönix aus der Asche des linken Wahlkämpfertums zu sein: 100 Blogs für Die Linke.
Sozusagen Fünf vor Zwölf, wo selbst nach den Maßstäben des bürgerlichen Wahlkampfwesens alle Messen gesungen sind, treten deren Initiatoren jetzt, am 25.09.09 so auf:

„Kollegen“ meinten, wir sollten das doch sein lassen, nicht Partei ergreifen und uns nicht einmischen. Doch wir mischen uns ein, denn die politische Entwicklung dieser Republik betrifft auch uns und unsere Familien und Freunde.

Auch wir haben vor Augen, daß Angela Merkel aller Voraussicht nach für vier weitere Jahre Bundeskanzlerin sein wird und entweder Schwarz-Gelb oder eine Neuauflage der großen Koalition dieses Land regieren wird. Dies aber sorgt uns, denn es bedeutet wohl, daß – wie die Herren Steinbrück und zu Guttenberg es bereits angekündigt haben – wir, die Bürger, mit weiteren Einschnitten in den Bereichen Soziales und Bildung zu rechnen haben, da die 480 Milliarden Euro für die Rettung von Banken und Industrie ja auch gegenfinanziert werden müssen. Zudem wird die „afghanische Frage“ auch von der neuen Regierung wohl nur mit Truppen-Aufstockungen beantwortet werden; Sinn und Zweck dieses „Out of area“-Einsatzes wird auch sie nicht nennen können – und ebensowenig eine ‘Exit-Strategie’ vorlegen.

All diese Entwicklungen bereiten uns aber Sorgen, denn wir stehen für ein sozial gerechtes und friedfertiges Deutschland, wie es derzeit von den, im Bundestag vertretenen, Parteien wohl nur von der Linken vertreten wird. Die Linke steht unserer Ansicht nach für ein Programm, das sich auf die vier Eckpfeiler früherer grüner(!) Politik beruft: ökologisch, basisdemokratisch, sozial und gewaltfrei. Dies sind Punkte, die auch ‘wir’ – egal, welcher politischen Provenienz wir sonst sind – tragen können und wollen, weshalb wir diese Initiative gestartet haben.

Als Hinweis zu den hehren Zielen, die Die Linke „wohl“ vertritt, nur ein paar Hinweise (aus dem Bundestagswahlprogramm 2009):
gewaltfrei„? „die Bundeswehr zu einer Verteidigungsarmee umgestalten“, „Die deutsche Außenpolitik ist von SPD und Grünen militarisiert worden“ (Gottseidank haben Adenauer bis Kohl so schlimme Sachen nicht gemacht!) „die NATO auflösen“ ist auch was anderes als die imperialistischen Gewaltapparate aus der Welt schaffen, „den Verteidigungsetat verkleinern“ ist nicht identisch mit dem alten „keinen Mann, keinen Pfennig den imperialistischen Kriegstreibern!“ aus den 20ern
sozial„? Es fällt schon beim Querlesen auf, daß die Linke „sozial“ und eben nicht sozialistisch“ oder gar „kommunistisch sein will und auch nicht ist. Wer für „gute Arbeit“ ist, ist nicht gegen Lohnarbeit, wer für „anständige“ Bezahlung ist, hat nichts gegen die Erpressbarkeit der Lohnabhängigen damit, daß sie außer sich nichts anderes verkaufen können. Wer „Hungerlöhne“ abschaffen will, will eben nicht das Lohnssystem abschaffen, wer „skandalöse Löhne“ kritisiert, findet das Lohnsystem nicht skandalös. Wer die „Binnennachfrage stärken“ will, hat nichts gegen die Profitkalkulationen der Unternehmen, die natürlich niemand für sich arbeiten lassen, wenn man deren Arbeitsergebnisse nicht mit Gewinn an irgendwenn versilbern kann. Ein besonderes Schmankerl: “ Wir fordern ein Verbot von Massenentlassungen bei allen Unternehmen, die nicht insolvenzgefährdet sind“. Denn sonst kann man als sozialer Mensch gegen Massenentlassungen ja nun wirklich nichts Vernünftiges einwenden. Auch das „Zukunftsprogramm für zwei Millionen Arbeitsplätze“ spricht Bände: Weiß nicht jeder, daß es viele Millionen mehr sind, die das Kapital hierzulande für seine Zwecke nicht mehr gebrauchen kann? Wer für „gute Arbeit“ ist, ist dann auch für „Gute Rente“. Und weil „sozial“ sein auch hier heißt, realistisch sein, sieht für Die Linke „gute“ Rente dann so aus, daß man mit 800 € dann aber auch den Mund zu halten hat. Genauso wie die Hartz IVler, denen die Partei eine „Mindestsicherung“ anbietet, „die Armut tatsächlich verhindert“. Da traut sie sich vor lauter Realismus noch nicht mal auch nur einen Mickerbetrag aufzuschreiben. Reichen da nicht eventuell auch 500 oder 600€? Aber da muß Die Linke wahrscheinlich auch erst den Genossen Steinbrück fragen, der wird das alles ganz genau ausrechnen.

Kategorien(3) Fundstellen Tags:
  1. pro_kommunismus
    27. September 2009, 09:28 | #1

    Aus der BILD-Zeitung:

    Ganz schön peinlich! Einerseits fordert Linke-Fraktionschef Gregor Gysi (61) auf Wahlplakaten „Reichtum für alle“. Oft nur wenige Meter weiter verlangt seine Partei auf einem weiteren Plakat allerdings: „Reichtum besteuern!“

    Will die Linke uns nur reich machen, um uns das Geld dann gleich wieder wegzunehmen? Oder hat die Linkspartei etwa das Patentrezept gefunden, wie man die leeren Staatskassen wieder füllt?

    Gysi versuchte, die Plakat-Nummer in einem Interview so zu erklären:

    „Die Schlussfolgerung aus beidem lautet: Nur wenn ich Reichtum begrenze, kann ich Armut überwinden. Dann sind zwar immer noch nicht alle reich, aber jeder hat ein Leben in Würde.“

  2. 27. September 2009, 14:20 | #2

    Es ist ja typisch, das BILD bei der Linkspartei so tut, als ob sie und der Wähler deren Parolen wörtlich nehmen und nehmen müßten, während bei den andren Parteien doch allerseits akzeptiert ist, daß das nicht gilt. Deshalb ist es doch auch völlig in Ordnung wenn Merkel damit werben läßt, daß sie deshalb wieder Kanzlerin werden müsse, weil sie es jetzt ja auch schon ist. Oder, daß man mit ihr „Kraft“ und „Vernunft“ wählen würde.
    Leider stimmt auch bei der Linkspartei, daß deren Unterstützer und Wähler das aus genau dem bißchen Reformismus machen, den Gysi der Bild erzählt hat. So schlau/blöd sind die doch schon länger, daß die sich auch diesen Reim machen können und genau deshalb Gysi haben wollen und nicht Steinmeier. Genauer noch, Steinmeier mit Gysi statt Steinmeier mit Merkel.

  3. 28. September 2009, 20:45 | #3

    Der Blogger (nicht ganz überraschend auch einer der 100 Blog-Pioniere für die Linkspartei) hat meinen Verriss auf der erzliberalen Seite http://www.antibuerokratieteam.net übrigens wie folgt kommentiert:

    ()

  4. 29. September 2009, 00:30 | #4

    dafür gibt er einen hervorragenden militärberater mit explizitem ab. putzig ist es allemal, daß er von linken und seinem lager phantasiert. das erstere stimmt wohl, wenn man sozialdemokraten als links bezeichnen will, das zweitere leider nicht.

  5. 29. September 2009, 15:01 | #5

    Ich habe Dir darauf bereits auf meinem Blog geantwortet. „bizarr“ und „putzig“ beziehen sich auf die Rechtsliberalen beim A-Team und nicht auf Dich, dessen Kritik ich sehr ernst nehme.

  6. 29. September 2009, 16:00 | #6

    Da ich nicht sicher war, ob ich dein Ernst nehmen wirklich selber auch Ernst nehmen soll, bin ich einerseits für meine Verhältnisse sehr didaktisch andererseits eben auch für meine Verhältnisse typisch ironisch aufgetreten.

    Deine Rechtfertigung des Wahlaufrufs für die Linkspartei läßt mich leider wieder eher in Richtung Ironie tendieren:

    Mich erinnert solche eine Argumentation, immer noch einen Silberling in einem Haufen Scheiße finden zu können, an das klassische Argument, mit denen die Generation meiner Väter dem Zweiten Weltkrieg doch etwas abgewinnen konnten:

    Deshalb habe ich solche Art von Kleineres-Übel-Politik indirekt als „bizarr“ bezeichnet.

  7. 29. September 2009, 16:05 | #7

    Tja, nach der Logik hätten wir dann so einige AsylbewerberInnen und Flüchtlinge direkt dem Verrecken überantworten müssen. Die wären ohne bürgerliche Verbündete und Multiplikatoren nämlich nicht mehr am Leben. Aber Hauptsache, die Theorie bleibt rein, gelle?

  8. 29. September 2009, 16:21 | #8

    Che, deine Logik stimmt nicht:

    Erstens steht es doch gar nicht im „direkten“ Belieben von Leuten, die Flüchtlingsarbeit machen, bestimmte Abschiebungen zu verhindern. Es sei denn, du propagierst den Überfall auf Abschiebeknäste, um die Freigekämpften dann im Untergrund zu versorgen.

    Zweitens habe ich doch gar nichts dagegen gesagt, z.B. für eine Protestdemo gegen eine angesetzte Abschiebung auch die Linkspartei zu fragen, ob sie auch was dagegen sagen wollen. Und meinetwegen ruf auch noch den einen freundlichen Journalisten im Radio an, von dem du hoffst, daß er das positiv kommentiert. Wenn du viel Glück hast, dann kennst du vielleicht sogar einen Gewerkschafter vom Abschiebeflughafen, den du ansprechen kannst.

    Was zum Teufel hat aber solch eine „Aktionseinheits“politik, gegen die ich gar nichts einzuwenden habe, mit deinem Trommeln dafür zu tun, daß die Linkspartei in den Bundestag gehören würde? Schließlich verteidigt auch diese Partei den Gewaltapparat dieses Staates in Form von Bundestag, Polizei und Gerichten und perpetuiert damit erst das System, in dem nun wirklich systematisch rund um die Uhr Illegale wieder aus dem Land geschmissen werden. Gysi for Innenminister und alles wird gut???

  9. 29. September 2009, 17:51 | #9

    Nein, natürlich nicht. Aber bestimmte Dinge in der Flüchtlingsarbeit und auch in der Antifa.-Mobilisierung sind leichter, wenn diese Partei im Bundestag sitzt. Ich kann mich noch gut erinnern, dass etwa ein Viertel aller bei mir eingehenden emails mit Informationen zum Thema Asylpolitik – und ich sitze an Mailverteilern von Antiragruppen und Flüchtlingsräten – aus dem früheren Abgeordnetenbüro von Ulla Jelpke kamen. Auch in einem System, das ich als Ganzes ablehne, finde ich es besser, einen Fuß in der Tür zu haben, um wenigstens bei bestimmten Schweinereien Eingreifmöglichkeiten zu haben, und seien diese noch so gering. Das erscheint mir mit der Partei Die Linke im Bundestag eher gegeben zu sein als ohne sie. Die Aktionseinheitspolitik hat ja u.a. zur Voraussetzung, dass die bürgerlichen Partner in der Aktionseinheit tatsächlich auch Möglichkeiten haben, die unsereins nicht hat.

    Btw. Jenseits von Überfällen auf Abschiebeknäste gibt es noch viele andere Möglichkeiten, von Verstecken bis zur Revision über Heiraten bis zu Kirchenasyl und tatsächlich dem Einschalten von Promis. Mit Letzterem haben wir schon mal eine Genossin aus einem türkischen Folterknast geholt.

  10. 30. September 2009, 21:35 | #10

    Deiner Ulla Jelpke (gegen die ich übrigens früher, als sie noch linker war und nicht in der Linkspartei, etwas weniger Einwände hatte) möchte ich Jutta Dittfurth entgegenhalten, die zwar für mich immer eine sympathische Linke Streiterin gewesen ist auch als sie noch grün war, aber eben auch eine in der Wolle gefärbte Demokratin bis zum persönlichen Umfallen war und ist. Aber, wo sie Recht hat, hat sie Recht:

    Den Text habe ich von , die wiederum auf folgendes verweisen:
    Den Text erhielten wir von der AutorIn. Er wurde erstveröffentlicht bei der Zeitschrift PRINZ auf der Seite mit gleichnamigen Headline wie Ihr jüngstes Buch ZEIT DES ZORN, wozu es den BLOG .gibt.

  11. 30. September 2009, 23:31 | #11

    Das ist etwa so links wie Milton Friedman oder Turgut Özal. Aber wie sähe es aus, wenn es links von SPD/grün im Parlament gar nichts mehr gäbe? Schlimmer, nicht besser. Ehe wir uns in Aufrechnungen verstricken: Es geht mir nur um ein kleineres von vielen Übeln, von dem ich denke, dass es zumindest gewisse Handlungsmöglichkeiten offen lässt, um nichts sonst. Ich schreib demnächst drüben bei mir mal was zu meinen Grundsatzpositionen, bist herzlich zur Diskussion eingeladen!

  12. Fidel2009
    1. Oktober 2009, 09:17 | #12

    Che: Das ist doch immer das gleiche verlogene Geseier. Woher willst Du wissen, dass unter Rot-Grün alles schlimmer geworden wäre oder unter Schwarz-Gelb? Das ist ohnehin hypothetisch. Zumal auch unter den genannten Koalitionen beispielsweise sozialstaatliche Dinge getan wurden, die den Betroffenen „nutzten“. Als wäre es so, dass linke Regierungen nur verschenken und andere Regierungen die Geschenke wieder einsacken…quatsch! Die Regierungen tun das, was einer kapitalistischen Nation nutzt, linke wie rechte.

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