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Karl Held: Neues vom Juglar (Konjunkturprognosen in KONKRET 1994)

12. August 2009

Zwar gibt es den folgenden Text von Karl Held aus der KONKRET 04/1994 schon im Web bei fortunecity, da Google aber eindringlich wegen Malware davor warnt, hier nochmal:

Karl Held: Neues vom Juglar
Wie beurteilen einschlägig spezialisierte KONKRET-Autoren die »gesamtwirtschaftliche Entwicklung« in der BRD? Die Redaktion hat Robert Kurz, Winfried Wolf, Jürgen Kuczinsky, Kurt Hübner und Karl Held um ein knappes »Jahresgutachten 94« gebeten. Obwohl sie in der Beurteilung des weiteren Krisenverlaufs sich nahezu einig sind, hätten ihre Beiträge doch kaum unterschiedlicher ausfallen können.

Prognosen über die »wirtschaftliche Entwicklung« taugen auch dann nichts, wenn sie die Deutung des hinreichend bekannt gemachten Zahlenmaterials links einfärben.Aber nicht deswegen, weil man sich in bezug auf die Zukunft nie so recht sicher sein könnte. Unsinnig sind die verhalten optimistischen Einschätzungen und die pessimistischen Warnungen darin, daß sie lauter Ideologien über den kapitalistischen Zirkus kolportieren und das Funktionieren des Ladens zum theoretischen Sorgeobjekt befördern. Da marschieren dann in Gestalt von vorsichtig gewichteten Ziffern alle möglichen Faktoren aus der Welt von Lohn, Preis und Profit auf, entwickeln sich aufgrund von Umständen, die eintreten, ohne daß irgendjemand Einfluß auf sie nimmt – bis dann die Botschaft von den »Sachzwängen« fertig ist, denen sich auch und gerade die maßgeblichen Figuren in Staat und Geschäftswelt ohnmächtig unterwerfen müssen. Von Amts wegen sind sie dazu gezwungen, auf Daten und Fakten zu reagieren – und der leicht elitäre Genuß des Prognostikers besteht darin, Bescheid zu wissen über die gebieterische Natur der Umstände und die Hilflosigkeit der Macher. Es soll sogar Leute geben, die mit dieser Betrachtungsweise dem »Wertgesetz« in seiner geballten Unerbittlichkeit auf die Spur gekommen sein wollen; gewöhnlich aber endet der Einblick in die »Lage« und ihre für den Kenner erkennbaren »Tendenzen« in einer ideellen Amtsübernahme – »linke« Prognostiker gefallen sich in alternativen Rezepten fürs Regieren und Geschäftemachen.
Eingedenk der kaum zu beweisenden Hypothese, daß es sich bei denen, die sich auf Daten als »Sachzwänge« berufen, um dieselben handelt, die jene Sachzwänge in Kraft setzen und sie ausnützen, fallen Prognosen natürlich eher wie Diagnosen aus. Sie befassen sich mit den Entscheidungen von Unternehmen wie Politikern, die das »Wertgesetz« des alten Marx sowieso nicht anders kennen, als es dieser für die Erfahrung genehmigt hat: als den Zwang der Konkurrenz, die sie bestehen wollen. Diese Entscheidungen stellen nämlich die Weichen für das »Wirtschaftsleben« der Zukunft, auf das die Bedenkenträger der Nation immer so gespannt sind, daß sie sich Prognosen bestellen. Das Bedürfnis nach Auskünften über die Geschäfte der kommenden Monate verrät dabei den Zweifel daran, ob die ergriffenen Maßnahmen auch die beabsichtigten Wirkungen zeitigen – was wiederum verständlich ist angesichts der entsprechenden Anstrengungen der Konkurrenten, die den Vergleich »preiswerter« Waren zu ihren Gunsten zu entscheiden trachten.
Der gemeinnützige Verein, der bei uns »die Wirtschaft« heißt, weil seine speziellen Interessen an einem einträglichen Geschäftsgang in der Demokratie den Rang des Allgemeinwohls erhalten haben, hat in bezug auf die nächsten Runden Marktwirtschaft ziemlich fatale Entscheidungen getroffen. Was andere »Krise« nennen und mit abenteuerlichen Theorien aufzuhellen suchen, war für die Mitglieder der »Wirtschaft«, soweit sie über die Produktion gebieten, schlicht ein Einbruch ihrer Geschäfte; seit geraumer Zeit schränken sie das Produzieren ein, weil es sich nicht rentiert – und machen den Rest der Welt dafür haftbar, daß sie »rechnen müssen«. Dieses Argument zählt bei denen, die nicht zur »Wirtschaft« zählen, aber von ihr abhängig sind, nichts. Deswegen sind die Statistiken und Prognosen über Leute, die von ihrer Arbeit leben müßten, aber nicht können, nicht von der Hand zu weisen. Daß bei ausbleibendem Wachstum der »Wirtschaft« zum Ausgleich die Armut wächst, ist eine vernünftige Vorhersage in einer freien Gesellschaft, in der »nützlich« nun einmal dasselbe ist wie »rentabel«. Eine Anstalt in Nürnberg zählt die Ergebnisse bis auf zwei Stellen hinter dem Komma nach.
Soweit die »Wirtschaft« über ehrlich verdientes Geld verfügt, dem in der Produktion keine lohnende Anlage zu Gebote steht, wird sie auch weiterhin ihren Reichtum in einer Unterabteilung »arbeiten lassen«, die zu den Schönheiten des Kapitalismus gehört. Das Recht auf Vermehrung von in Geld gemessenem Privateigentum, das in der freien Welt gesetzlich geschützt ist, wird neben und zusätzlich zur produktiven Investition wahrgenommen. Kapital verzinst sich in allerlei finanziellen Transaktionen, denen in Zeiten des Wachstums die Leistung zugeschrieben wird, alles flüssige Geld der Gesellschaft der einzig senkrechten Anwendung zuzuführen, die die Missionare der Marktwirtschaft kennen. In Zeiten der Krise treten sie an die Stelle der produktiven Investitionen, weil die sich nicht rentieren, und lassen sogar das Vermögen von Konzernen wachsen, die ansonsten durch Entlassungen glänzen. Die Ahnung, daß sich diese Geschäfte des Finanzkapitals mit einem Schlag als unsolide erweisen können, bestimmt zu Recht das »Klima« an den Finanzplätzen; sie hat aber schon allein deshalb nicht einen Ausstieg der rührigen Schwindler zur Folge, weil deren Habe nur in dieser Sphäre der Leistungsgesellschaft Bestand hat. Der Ausstieg wäre der Crash und das jähe Ende mancher Null, vor dem Komma.
Diese Lage hat auch die Bundesregierung samt ihren tüchtigen Zuarbeitern, die die Waren-, Geld- und Arbeitsmärkte statistisch minutiös beäugen, beeindruckt. Daß es so nicht weitergehen kann, ist ihre Dia- und zugleich Prognose bezüglich der »wirtschaftlichen Entwicklung«, welche die Krise verheißt. Die feine Redensart, daß »wir über unsere Verhältnisse gelebt haben«, meint sie aber in einer Weise beherzigen zu müssen, die selbst anständigen Nationalisten die klassenlose und gerechte 1. Person Plural verleiden könnte. Die politische Elite der BRD besteht darauf, daß der nationale Erfolg in Wirtschaftsdingen nichts mit der halbwegs gesunden Ernährung ihrer deutschen Stammbelegschaft zu tun hat, sondern mit der Erhaltung und dem Wachstum von Kapital, das deutsch ist. Die »Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland« geht so:
· Die Erfolge deutscher »Wirtschaft«, mit denen »wir« über Jahrzehnte hinweg »Exportweltmeister« waren, haben sich in einer weltweiten Nachfrage nach deutschem Geld niedergeschlagen. Deutscher Kredit läuft in aller Herren Länder um, sein Besitz gilt als Verfügung über gutes, weltweit akzeptiertes Geld; deutsche Banken und ihr Schirmherr, der deutsche Staat als Garant aller in DM denominierten Zettel, sind Gläubiger an den Finanzplätzen; ihre relativ zu anderen Nationalkrediten solide Ware genießt bei den finanzkapitalistischen Umtrieben enormen Zuspruch. In der von »den Märkten« wie von anderen Währungshütern respektierten Stärke der DM entdeckt die deutsche Führung erstens die ungebrochene Zahlungsfähigkeit der Nation und ihrer privaten Agenten, der Banken und Konzerne; zweitens leitet sie daraus das Recht ab auf die Verfügung über sämtliche Sorten internationalen Reichtums und dessen Zuwächse. Während vor allem die europäischen Partner eingestehen müssen, daß ihre Freiheit zu Verschuldung geschwunden ist, weil bei ihnen die Gleichung »nationaler Kredit = internationales Geld« nicht mehr aufgeht, genehmigt sich die BRD in der Produktion von Schulden alles, was ihr nützlich vorkommt.
· Das damit verbundene Risiko, daß »die Märkte« und die konkurrierenden Währungshüter den privaten und öffentlichen Herren der DM Bescheid stoßen und deren »Härte« anzweifeln, ist den Agenten des schwarz-rot-goldenen Reichtums bekannt. Abgehalten hat sie das jedoch von nichts – und bislang hat die Abhängigkeit der ausländischen Finanzkraft von deutschem Kredit, die Anerkennung der eingerissenen Schuldner-Gläubiger-Beziehungen ihren Dienst getan. Regierung und Bundesbank tragen besagtem Risiko auf ganz andere Weise Rechnung. Sie betreiben eine Standort-Politik, die den Anteil deutscher Geschäfte am Weltmarkt nach seiner Erholung vergrößern soll.
· Diese Wirtschaftspolitik ist einerseits konsequent und normal in einer »Weltwirtschaft«, in der Staaten das Kapital und sein Wachstum zu ihrem Lebensmittel machen und ihre Konkurrenz untereinander in ihrer Eigenschaft als »Kapitalstandort« abwickeln; andererseits kennzeichnet der Standpunkt der ausschließenden Benutzung des Weltmarkts eine neue Etappe der Völkerfreundschaft, weil sie sich von den Vorbehalten freimacht, die es in der Phase des Ost-West-Gegensatzes gegen wirtschaftskriegerische Praktiken gegeben hat. Diese Wirtschaftspolitik geht auch davon aus, daß andere Weltwirtschaftsmächte genauso verfahren – von den Gatt-Streitigkeiten und den interessanten Demarchen zwischen Japan und USA, Japan und Europa etc. sind ja die Zeitungen voll. Die Internationalisierung des Kapitals, die Durchrassung der Nationalökonomie mit lauter »Multis« ist die Grundlage für einen Kampf um die Nationalisierung der Erträge, der die Zurichtung des heimischen Ladens erforderlich macht. Maßgebliche Demokraten und die Vertreter der »Wirtschaft« vollziehen daher einen »Umbau« der Gesellschaft, der sich gewaschen hat. Im Namen der internationalen Konkurrenzfähigkeit wird sowohl »plattgemacht« und gesundgeschrumpft als auch subventioniert und aufgebaut. Es wird reichlich Kredit geschöpft, um ihn in international überlegenes Kapital zuverwandeln.
· Gespart wird zum Ausgleich auch ein bißchen – am Volk. Der Sozialstaat, jene famose Erfindung der Bismarckschen Arbeiterbewegung, eignet sich mit seiner Verstaatlichung von Einkommen nicht nur zur Verwaltung der kapitalistischen Armut; einmal eingerichtet, taugt er auch zur zielstrebigen Produktion einer soliden Verelendung. Das macht ganz nebenbei die Löhne derer, die in stets abnehmender Zahl für konkurrenzfähige Unternehmen gebraucht werden, erträglicher. Denn nicht nur den Mißerfolg des nationalen Geschäfts, der in der Krise betränt wird, haben die Lohnabhängigen auszubaden. Sie müssen auch und gerade für den Erfolg der deutschen Sache mit ihrem Opfer geradestehen – schließlich sind sie ganz und gar abhängige Variable.

Und das bleiben sie auch, solange sie und ihre politischen Freunde auf Prognosen, Statistiken über Beschäftigung und Lebenshaltungskosten, über ihre »Einkommensentwicklung« hören. Wenn sie gar noch das Recht auf deutsches Wachstum für das halten, was sie brauchen und was »das Ausland« hintertreibt, bieten sie auch die Gewähr für ihr Funktionieren in den programmierten Handels-, Geld- und anderen Krächen.

Zu Juglar schreibt wikipedia übrigens:

Der Ökonom Josef Schumpeter benannte neben zwei anderen Zykluslängen die etwa siebenjährigen Konjunktur-Zyklen Juglar. Während die anderen beiden Zyklen Schumpeters heute kaum mehr verwendet werden, sind die Juglars in der Realität immer wieder nachweisbar

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  1. der Klassensprecher von 1984
    12. August 2009, 14:54 | #1

    Zu „Neues vom“ schreibt Wikipedia:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Neues_vom_Hexer 😉

  2. 12. August 2009, 15:25 | #2

    Ich bin nun kein Konjunktur-Forscher-Kenner. (Und daß ich mir mal Wallace-Krimis angesehen habe, liegt auch ewig lange zurück). Aber es stimmt wahrscheinlich, daß man bei Durbridge ungefähr genausoviel über den Verlauf von Konjunkturen lernt, wie bei Juglar.

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