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Von der Wissenschaft zur Utopie

24. April 2009

Amelie hat mich auf ein recht anspruchsvolles Unterfangen hingewiesen, was mittlerweile auch im Web zu begutachten ist, erstaunlicherweise sogar bei blogsport (http://stattkapitalismus.blogsport.de/)!
Ein östereichischer Genosse, Alfred Fresin, hat erst ein Buch geschrieben
Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft (BVW) statt Kapitalismus
Eine Kritik der Marktwirtschaft und die Umrisse einer Alternative

(Taschenbuch: 304 Seiten, Verlag: Lang, Peter Frankfurt; Auflage: 1 (Oktober 2005),
ISBN-10: 3631544464
ISBN-13: 978-3631544464)
Dann hat jemand sich die Mühe gemacht, das ins Web zu stellen, so ist obiger Blog entstanden. Aber offensichtlich ist der bisher niemand aufgefallen, wenn man das anhand der ausgebliebenen Reaktionen beurteilen kann (Nur Nestor Machno aka Amelie Lanier hat sich dort mit dem Buch auseinandergesetzt).
So symphatisch mir prinzipiell jemand ist, der nach den Zusammenbruch des Realen Sozialismus wenigstens bei N. Bucharin und E. Preobraschensky „Das ABC des Kommunismus – Populäre Erläuterung des Programms der Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewiki)“ anknüpfen will, (das Buch kann man bei marxist.org übrigens online lesen, so problematisch sehe ich so ein Unterfangen schon ehe ich es überhaupt gelesen habe: Ich kann da nur Alfred selber zitieren:
„Der Modellentwurf ist nicht die Beschreibung bestehender Wirklichkeit und auch keine wissenschaftliche Prognose, wie eine zukünftige Gesellschaft aussehen wird. Sollte in mehr oder weniger ferner Zukunft die Marktwirtschaft durch eine andere Wirtschaftsform abgelöst werden, so liegt es an den Beteiligten, sich auf die Organisation einer menschenfreundlichen Ökonomie zu einigen“.
Zudem die wissenschaftliche Analyse und Kritik der Gegenwart schon genug zu sein scheint.

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  1. Karla
    28. April 2009, 13:18 | #1

    Dieser Text will der üblichen Ablehnung einer Kapitalismuskritik und des darin implizierten Aufrufs zur Revolution entgegentreten, die in der scheinbar unschuldigen Frage steckt, ob die Kritiker denn eine Alternative zu bieten hätten und ob die überhaupt funktionieren könne. Der Text tritt dieser Antikritik in der Weise entgegen, dass es ihre Forderungen zu erfüllen versucht. Hier wird also einmal so richtig ausgebreitet, wie man sich die Zukunftsgesellschaft vorstellen könnte, inwiefern die Abschaffung der Ausbeutung schon möglich sei – und das unter Berücksichtigung aller antikommunistischen Bedenken gegen die Möglichkeit einer solchen Wirklichkeit.
    Alles Nötige zu diesen verkehrten Bedürfnissen wurde im Gegenstandpunkt ausführlich abgehandelt:
    http://gegenstandpunkt.com/gs/04/1/lb-plan.htm

  2. Karla
    28. April 2009, 13:18 | #2

    Dieser Text will der üblichen Ablehnung einer Kapitalismuskritik und des darin implizierten Aufrufs zur Revolution entgegentreten, die in der scheinbar unschuldigen Frage steckt, ob die Kritiker denn eine Alternative zu bieten hätten und ob die überhaupt funktionieren könne. Der Text tritt dieser Antikritik in der Weise entgegen, dass es ihre Forderungen zu erfüllen versucht. Hier wird also einmal so richtig ausgebreitet, wie man sich die Zukunftsgesellschaft vorstellen könnte, inwiefern die Abschaffung der Ausbeutung schon möglich sei – und das unter Berücksichtigung aller antikommunistischen Bedenken gegen die Möglichkeit einer solchen Wirklichkeit.
    Alles Nötige zu diesen verkehrten Bedürfnissen wurde im Gegenstandpunkt ausführlich abgehandelt:
    http://gegenstandpunkt.com/gs/04/1/lb-plan.htm

  3. Clara
    2. August 2009, 02:47 | #3

    Eine indirekte Bestätigung oder, je nachdem, wie man den Inhalt expliziert, eine implizite Kritik dessen, was Karla als den Standpunkt der Ablehnung einer Diskussion um die Grobzüge eines kommunistischen Gemeinwesens, wie sie, was gerne, wenn nicht mit Absicht, um sich nicht darauf einlassen zu müssen, unterschlagen wird, aus der Kritik der alten Welt sich dem Erkennenden aufnötigen, durch die Redaktion GegenStandpunkt deklamatorisch zusammengefasst hat, findet sich im Einführungstext einer neuen, auch sonst viel interessantes Material enthaltenden Internetseite, gemacht vom Herausgeber der bis 2007 in 14 Ausgaben erschienenen Zeitschrift Exitus, zu laden unter:
    http://verlagketabha.wordpress.com/2009/07/14/verlag-ketabha/
    Hier der Link –
    http://verlagketabha.files.wordpress.com/2009/07/einfuhrung-in-was-fur-eine-bitot1.pdf
    des Einführungstextes, einem ohne Bezugnahme auf Theorieprodukte des GegenStandpunkts Quasi-Kontrastprogramm zu dessen Sicherheiten, was sich aus dem Kapitalismus nur alles machen ließe, würden die Produktivkräfte erst einmal freigesetzt. Deshalb geraten dem Verf. auch eher die immanenten Probleme einer sozialen Umwandlung der Lebens- und Arbeitswelt in den Blick und nicht Machtfragen.
    Eventuell ist es ja auch so, dass die Schärfung jenes Problembewusstseins einer Unterwanderung des Denkens und einer Inaufruhrbringung der sozialen Beziehungen viel eher förderlich ist, als die fortwährende Zuspitzung der Analyse auf unendliche Machtfragen zum Ohnmachtsgenuß der vielen Erkenntnis der Übel der Welt, […]. Denn an Faktizität und Innehabung der Macht entscheidet sich auf lange Zeit eh nichts. Und ihre Infragestellung hätte sowieso nur von unten einen Sinn. Die Frage der Eroberung und Entfaltung der und welcher Produktivkräfte überhaupt will nur erst einmal richtig gestellt sein. Das ist keine Sache der Konstruktion, vielmehr die Klärung der Qualität, die man, nicht der äußeren Notwendigkeit und nicht dem freien Walten von Schaltern ausgesetzt, haben will, die zunächst noch immer deren Kritik im Jetztzustand incl. eingeschriebener Folgen ist.
    __________________________________________
    Und der Sicherung des Artikels wegen noch die entsprechende KOPIE:
    EINFÜHRUNG
    Kommunismus! Eine Idee, die heute in der Gerümpelkammer der Geschichte gelandet zu sein scheint. Der Betrug, der mit ihr getrieben worden ist, die Verbrechen, die in ihrem Namen begangen worden sind und die grosse Verwirrung, die daraus folgte, sind am ideologischen Vergessen nicht unschuldig. Diese Idee hat die Wechselfälle der Geschichte tragen müssen und zahlt nun dafür ihren Preis.
    Dennoch: Angesichts einer heute gänzlich dem Kapitalismus ausgelieferten Welt hätte diese Idee ein besseres Schicksal verdient. Der Kommunismus sollte der Menschheit erlauben, sich unterdrückender und entfremdender gesellschaftlicher Beziehungen zu entledigen: der Klassenunterschiede (System gesellschaftlicher Ungleichheit); der Warenökonomie (System des Kampfes aller gegen alle), der Lohnarbeit (System der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen), des Geldes (Profitsystem) und des Staates (System der Beherrschung). Für uns jedenfalls ist ‚Kommunismus’ kein Wort, das man besser nicht mehr ausspricht.
    Doch wäre es illusorisch, ja, man ginge fehl damit, zu meinen, man müsse nur die Prinzipien des Kommunismus in ihrer Gesamtheit wieder aufstellen, um auf sie als „eine andere mögliche Welt“ deuten zu können. Wir leben nicht mehr im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, ebenso wenig in demjenigen der ersten Hälfte des 20., sondern in einem Kapitalismus, der sich beträchtlich gewandelt, um nicht zu sagen, seine historische Grenze erreicht hat, wie das die strukturelle Dauerkrise und die ökologische Krise, welche sein Hyper-Wachstum hervorgerufen hat, beweisen. Das Projekt des Kommunismus ist daher gezwungen, sich mit Problemen auseinander zu setzen, die sich anfänglich kaum stellten oder die es glaubte, gelöst zu haben, die aber nichtsdestoweniger klare Antworten verlangen: das Wachstum, der Industrialismus, die High-Tech, der Konsumismus, die Umwelt-Degradierung, die Beziehung zur Natur. Diese Problemen zu ignorieren, hiesse, sie den spezifischen heutigen Strömungen, ökologischen und andern, zu überlassen, die nicht dem Projekt des Kommunismus verpflichtet sind, oder dieses gar verwerfen, und somit nur zur Verbesserung des Kapitalismus beizutragen. Diese Strömungen geben sich der Illusion hin, den Kapitalismus friedlich dazuzubringen, sein Ziel zu verändern, was natürlich absurd ist. Betrachten wir also etwas genauer, worin diese notwendige Rückkehr zum kommunistischen Projekt bestehen könnte.
    Zuallererst: Welche Beziehung sollte der Kommunismus zu den Produktivkräften, also zur fortgeschrittenen Industriegesellschaft, die den Kapitalismus aufsteigen liess, unterhalten? Soll der Kommunismus die Entwicklung der Produktivkräfte einfach fortsetzen oder davon Abstand nehmen?
    Marx war, wie man weiss, ein heisser Parteigänger der Entwicklung der Produktivkräfte. So hatte er nicht gezögert, den Anfang des „Kommunistischen Manifestes“ mit einer Apologie der Bourgeoisie zu machen, da diese die Produktivkräfte kontinuierlich revolutioniere. Diese Ehrbezeugung an die „grosse zivilisatorische Aufgabe des Kapitals“, wie er später sagen wird, war seiner Ansicht nach dadurch gerechtfertigt, dass diese Aufgabe „zur Schaffung der materiellen Produktionsbedingungen“ beitrage, „die allein die reale Grundlage einer Form höherer Gesellschaft konstituieren können“ („Das Kapital“), also des Kommunismus. Doch wenn Marx einerseits dem materiellen Wirken des Kapitalismus Beifall spendete, so war er andrerseits der Ansicht, der Kapitalismus sei aufgrund seiner Produktionsbeziehungen unfähig, diese Entwicklung gut anzuführen; ein immer grösser werdender Widerspruch zwischen diesen verfestigten Produktionsbedingungen und den in Bewegung befindlichen Produktivkräften tauche auf. Die periodischen ökonomischen Krisen seien sichtbarer Ausdruck dieses Widerspruches und führten notwendigerweise dazu, eine Revolution hervorzurufen, welche die Produktivkräfte vom Korsett der kapitalistischen Produktionsbeziehungen befreien würde, um sie auf eine höhere Ebene zu bringen, auf der die volle und ganze Verwirklichung des Kommunismus möglich würde.
    Dieser von Marx vorausgesagte Lauf des Kapitalismus hat sich nicht verwirklicht. Ökonomische Krisen gab es zwar durchaus, doch wurden sie alle überwunden. Das bedeutet, dass die kapitalistischen Produktionsverhältnisse ziemlich strapazierfähig sind und sich nicht so schnell auflösen. Ja es war der Kapitalismus, welcher die Produktivkräfte auf ein sehr hohes Niveau brachte, wovon heute die äusserst weit vorangetriebene Mechanisierung der Produktion zeugt, die in einigen Sektoren der Industrie bis zur Vollautomatisierung fortschreitet.
    Worin könnte also noch das kommunistische Projekt bestehen? Etwa darin, diese Hyper-Entwicklung der entwickeltsten kapitalistischen Länder auf den Rest des Planeten, heute also über 6 Milliarden, bald 8 – 10 Milliarden Menschen, auszuweiten?
    In der Tat genügte es, dass eine Minorität im Westen (aber nicht nur dort) zu diesem Entwicklungsstand gelangt ist, um den ganzen Planeten zu degradieren: Luft, Flüsse sind verschmutzt, die Meere in Abfalldeponien verwandelt, die Böden von chemischen Produkten vergiftet. Schrankenlos, bis zur Erschöpfung, werden Rohstoffe abgebaut, wird Erdöl, Gas, Kohle ausgebeutet, um die industrielle Megamaschine zu speisen. Und was noch schlimmer ist, diese unsinnige Aktivität wirft die grossen ökologischen Kreisläufe über den Haufen; insbesondere ist eine Klima-Erwärmung des Erdballs absehbar, die letztlich ein Leben des Menschen auf Terra verunmöglicht. Das heisst nichts anderes, als dass die gegenwärtig ablaufende Entwicklung mit dem natürlichen Milieu unverträglich ist. Die Erde ist endlich, das Wachstum des Kapitals strebt aber ins Unbegrenzte.
    Der Kommunismus kann nicht mehr das Wachstum der Produktivkräfte zum Programm erklären. Es gilt nicht nur, ihr Wachstum zu stoppen, sondern sie einzuschränken. Das bedeutet eine Entmechanisierung der Produktion. Diese Entmechanisierung ist wegen der Verknappung der Rohstoffe, der Energie-Ressourcen und der Verschlechterung des Öko-Systems Erde unbedingt notwendig. Was die vom Kapitalismus bis anhin noch vernachlässigten Zonen betrifft, so wird ihre Entwicklung in den Produktionsmitteln bestehen, die für ihre vitalen Bedürfnisse notwendig sind, was gleichzeitig die Rückführung ihrer Bevölkerungen auf ein vernünftiges Niveau einschliesst. Mit dem unaufhörlichen Wachstum der Menschheit, welches wesentlich zur Verschlechterung der natürlichen Umwelt beiträgt, muss ein Ende gemacht werden.
    Also: Bruch mit der marxistischen Vision, welche den Kommunismus auf eine optimale Entwicklung der Produktivkräfte und eine industrielle kapitalistische Gesellschaft in Dauer-Revolution abstellt und der Produktion einen immer schnelleren Rhythmus aufzwingt. Diese Vision hat sich verwirklicht und hat gezeigt, wohin sie führt: in eine Sackgasse. Das wird immer augenscheinlicher.
    Betrachten wir einen weiteren Aspekt des kommunistischen Projekts, welcher der Revision bedarf: die Arbeit und ihre Zukunft.
    Man findet bei Marx verschiedene Perspektiven, was mit der Arbeit werden soll, die letztlich aber auf eine hinauslaufen: In einer ersten Zeit soll die Arbeit weiterhin eine Notwendigkeit bleiben, wobei aber, von der Lohnarbeit befreit, der Kommunismus eine „Assoziation von freien und gleichen Produzenten“ bilden wird. Später, bei voll entwickelten Produktivkräften wird die Arbeit, die „von äusserer Notwendigkeit und äusserem Bedürfnis aufgedrängt“ wird, dank der hyper-entwickelten Mechanisierung wenn nicht ganz unterdrückt, so doch stark verringert werden; nunmehr sollen sich die Individuen Tätigkeiten ihrer Wahl widmen können, „wissenschaftlichen, künstlerischen“, wie Marx erläutert. Das ist der bekannte „Übergang aus dem Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit“.
    Heute hat der Kapitalismus in den fortgeschrittenen Gebieten die Produktivkräfte auf eine so hohe Ebene gebracht, dass die unmittelbaren Produzenten nur noch eine Minderheit der aktiven Bevölkerung (5% in der Landwirtschaft, 25% in der Industrie) ausmachen, während der Rest der Bevölkerung in jenem weiten Zwischenbereich arbeitet, den man Dienstleistung nennt. Stände unter diesen Umständen der Kommunismus als Ende der notwendigen Arbeit nicht auf der Tagesordnung? Seit den 1960er-Jahren mit der Einführung der Automation und der Roboterarbeit in verschiedenen Bereichen der Produktion, verstärkt aber seit den 1980er Jahren mit der mikro-elektronischen Revolution und der High-Tech, liegt diese Idee in der Luft. Nun denn, bye-bye Turbine, uns gehört die Freiheit! Eine Anti-Arbeits-Ideologie, die sich subversiv glaubt, hat sich breit gemacht. Ganz begeisterte gehen soweit, Pamphlete „Gegen die Arbeit“ zu veröffentlichen: Es handle sich nicht mehr nur darum, die Arbeit
    von der Prägung durch den Kapitalismus zu befreien, sondern darum, sie schlichtweg abzuschaffen.
    Doch was ist diese Perspektive wert?
    Zuallererst: Sie ist weltweit gar nicht zu verwirklichen; denn damit eine solche industrielle Mega-Maschine zur Abschaffung der Arbeit weltweit gebaut und unterhalten werden könnte, müssten gigantische Energie-Ressourcen und Mengen von Rohstoffen zur Verfügung gestellt werden, die mehreren Planeten ‚Erde’ entsprächen,. Das vermöchte das Öko-System Erde, das schon jetzt arg gebeutelt wird, nicht zu tragen.
    Im Weiteren ist eine solche Abschaffung der Arbeit nicht einmal wünschenswert. Es war ein Missgriff von Marx, zu glauben, die einmal von der Notwendigkeit befreite Arbeit schüfe Raum für eine allgemeine menschliche Emanzipation. Wie das Beispiel des heute technologisch fortgeschrittenen Kapitalismus zeigt, der den Weg der Abschaffung der Arbeit beschreitet, wobei die Maschinen einen bedeutenden Stellenwert nicht nur in der Produktion, sondern auch im Alltagsleben der Individuen einnehmen, stellt man eine drastische Abnahme der Fähigkeiten der Menschen fest, eigenständige Überlegungen anzustellen und Proben kritischen Sinnes abzulegen. Damit gehen abnehmender, auch physischer Mut, abnehmende Fähigkeit, etwas durchzustehen und sinkende Ausdauer bei gleichzeitigem Versinken in Zerstreuungen aller Art einher . . . was die Menschen nur immer blöder macht. Das ist natürlich nicht, was Marx wollte, doch sein Kommunismus mit Abschaffung der notwendigen Arbeit hätte auf keine andere Gesellschaft als diese fortgeschrittene kapitalistische hinausgeführt. Nichts Besseres wäre herausgekommen, denn, ob Kommunismus oder Kapitalismus, eine auf solchem Niveau stehende Technologie erzeugt dieselben entfremdenden Effekte: Indem sie den Menschen ersetzt, enteignet sie ihn seiner Fähigkeiten und macht aus ihm ein reduziertes Wesen. Der Fehler von Marx bestand darin, nicht zu sehen, dass, einmal das Reich der Notwendigkeit beseitigt, d. h.: die Menge der Hindernisse stark vermindert, welche den Menschen zwingen, zu kämpfen und sie zu überwinden, sich notwendigerweise seine intellektuellen, moralischen und physischen Kräfte verringern. Das ist eine anthropologische Gegebenheit. Sie liegt in der Bedingungen des Menschseins überhaupt, welches auch immer die Form der Gesellschaft ist, in der er lebt.
    Wir sind also gezwungen, die Vision eines Kommunismus, der die Arbeit abschafft und dafür Maschinen einsetzt, auf der ganzen Linie zu revidieren; es ist eine falsche Idee. Sie hatte sich Marx aufgrund der Illusionen seines Jahrhunderts, die er teilte, aufgedrängt. Das 19. Jahrhundert glaubte an die unendlichen Möglichkeiten der Wissenschaft und der Technik und projizierte diesen Glauben in die Zukunft, welche zum Kommunismus gelangen sollte. Heute, im aufgehenden 21. Jahrhundert, ist eine solche Illusion nicht mehr erlaubt. Der Kapitalismus ist an einigen Orten auf dem Planeten auf einem hypertechnisierten Stand angekommen, eine vollständig künstliche Schöpfung, die überhaupt keine Zukunft hat – was allerdings einigen Fanatikern des „Fortschritts“ durchaus recht ist.
    Folglich wird das Ziel des kommunistischen Projektes keine „Freizeitgesellschaft“ sein und sei sie noch so „kultiviert“, wie sie Marx vorsah. Im Gegenteil, das Ziel ist eine neue Zivilisation der Arbeit, welche die Arbeit von jeder kapitalistischen Entfremdung befreien wird. Es wird keine Lohnarbeit mehr geben, dazu bestimmt, das Kapital zu verwerten. Im Zentrum wird die Handarbeit stehen; die Maschinen werden die Funktion haben, dieser Arbeit beizustehen, nicht, sie zu ersetzen. Die Handarbeit wird jedermanns Sache sein, nicht nur, weil das angesichts der reduzierten Anzahl zur Verfügung stehender Maschinen gar nicht mehr anders möglich ist, sondern, weil die parasitären, nutzlosen und überflüssigen Tätigkeiten, welche gegenwärtig so zunehmen, keinen Sinn mehr haben werden. Es wird aber eine Arbeit sein, die genügend attraktiv ist, um nicht als Zwangsarbeit empfunden zu werden, das heisst, dass es qualifizierte Arbeit mit schöpferisch-künstlerischem Anstrich sein wird. Was an mühsamen, abstossenden Arbeiten übrigbleibt, wird, soweit nicht von Maschinen abgenommen, von allen geteilt und nicht immer denselben Menschen auferlegt.
    Schliesslich, dritter erneut zu betrachtender Aspekt, die Frage der Bedürfnisse im Kommunismus. Diese stellt sich infolge der Einführung der berühmten Konsumgesellschaft ganz anders als in der Vergangenheit.
    Anfänglich und während einer längeren Phase, reduzierte der Kapitalismus, abgesehen vom Luxuskonsum der Bourgeoisie und der anderen privilegierten Klassen, die Bedürfnisse der Arbeiter auf ihren einfachsten Ausdruck: die strikt notwendigen Bedürfnisse für das Funktionieren der Arbeitskraft, oder gar darunter. Es handelte sich hier um einen Kapitalismus, der erst noch die materielle Grundlage seines Systems legen musste und daher im Wesentlichen auf die Produktionsmittelproduktion ausgerichtet war: Strassen, Kanäle, Brücken, Eisenbahnen, Grossmaschinen, Stahlwerke, Minen usw. Das kommunistische Programm zielte daher, einmal die Revolution gemacht, auf die vorrangige Produktion von Konsummitteln zur Sättigung der unterernährten Massen ab, wobei in einer ersten Phase das Prinzip „jedem nach seiner Leistung“ gelten sollte. Die Verteilung der Güter sollte mit einem Arbeits-Bon-System bewerkstelligt werden. Sobald aber alle Quellen des Reichtums flössen, sollte ohne abzuzählen aus dem gesellschaftlichen Schatz geschöpft werden können, so dass jeder „nach seinen Bedürfnissen“ erhalten sollte.
    Indessen hatte Marx im Verlauf der Analyse des Kapitalismus bemerkt, dass dieser die Bedürfnisse tendenziell wachsen liess. Mit der Entwicklung der Produktivkräfte, schrieb er, „wächst die Konsumsphäre ebenso sehr wie die Produktionssphäre“; das hat zur Folge, dass „sich die bestehende Konsumtion quantitativ ausweitet“, „man erzeugt neue Bedürfnisse, man entdeckt neue Gebrauchswerte“ („Grundrisse“). Das bedeutete, dass der Lohn sich nicht auf die strikt notwendigen Bedürfnisse beschränkt, deren das Funktionieren der Arbeitskraft bedurfte, sondern, dass er die Befriedigung von Bedürfnissen einschliesst, welche mit dem erreichten „Grad der Zivilisation“, d.h. mit dem Stand der Produktivkräfte, entstanden sind. Anders gesagt, je höher dieser Grad, desto mehr nehmen die Bedürfnisse zu. Und das trat wirklich ein. Eine Menge neuer Gebrauchswerte wurden erfunden und geschaffen. Nennen wir zur Erinnerung einige davon: Fahrrad, Automobil, Grammophon, Photoapparat, Radio, Fernseher, Kühlschrank, Staubsauger, Video-Gerät, Computer, tragbares Telephon und vieles mehr. Das sind Massenprodukte mit Produktionskosten, die infolge gesteigerter Arbeitsproduktivität stetig sinken und deshalb auch der Arbeiterklasse zugänglich werden, mehr oder weniger natürlich und insbesondere dank Kredit. Dazu kommen die Kämpfe für höhere Löhne. Neue Konsumgüter werden so zu normalen Bestandteilen des Reallohnes, wodurch sich der Lebensstandard erhöht. Dies ist das Geheimnis dessen, was man konfuser Weise ‚Konsumgesellschaft’ nennt.
    Heisst das nun, dass das kommunistische Projekt seinerseits dieses Bedürfnissystem, welches der Kapitalismus errichtet hat, übernehmen, gerechter machen und inhaltlich ausbauen wird? Es scheint, dass Marx darin nichts Störendes sah, denn er beglückwünschte sich dazu, dass „die auf dem Kapital beruhende Produktion die Entwicklungsbedingungen aller Fähigkeiten des gesellschaftlichen Menschen, eines Individuums mit einem Maximum an Bedürfnissen schafft“ („Grundrisse“). Und nach Marx übernahmen alle oder fast alle (inklusive die Anarchisten) diese Einstellung: Der Kommunismus sollte zur „Überflussgesellschaft“ werden, die allen zur Verfügung stehen sollte, wobei die Gebrauchswerte, welche der Kapitalismus schuf, überhaupt nicht kritisiert wurden. Man kennt die Konsequenzen. Mit der sukzessiven Wandlung zur Konsumgesellschaft (in den USA schon vor 1914) war es der Kapitalismus, welcher diesen Traum vom Überfluss auf seine Weise verwirklichte, unvollkommen und unausgeglichen natürlich, doch gut genug, um eine Bequemlichkeit und materielle Leichtigkeit zu schaffen, welche sich die vergangenen Generationen niemals vorzustellen gewagt hätten.
    Damit hat der Kapitalismus nicht nur das kommunistische Projekt aufgehoben, sondern auch dessen bürgerliche Seite deutlich zum Vorschein gebracht: den bürgerlichen dummen Glauben an das materielle Paradies, an das Immer-mehr, an das Konsumentenglück. Auch wenn dieses kommunistische Projekt Wirklichkeit geworden wäre, so hätte es diese heutige Welt der Bequemlichkeit und materiellen Leichtigkeit nicht besser als die Bourgeoisie zustande gebracht.. Die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse hätten an dieser kommunistischen Konsumgesellschaft nicht viel verändert, denn vom Augenblick an – und das ist eine anthropologische Gegebenheit – , wo das Individuum sich in einer Situation findet, die ihm ein „Maximum an Bedürfnissen“ erlaubt, wie Marx sagt, verliert es sich notwendigerweise im Genuss, wird weich, verbürgerlicht, wird dekadent, und die moralischen Werte des Mutes, der Würde, der gegenseitigen Hilfe und Solidarität schwinden, die sich unter raueren Existenzbedingungen entwickelt haben. Es war der grosse Anziehungspunkt des Kapitalismus, immer den materiellen Aspirationen der Massen voranzugehen, die zu Beginn angesichts des Elends der Massen legitim waren. Der Kapitalismus machte daraus aber ein Herrschaftsmittel über die Massen, indem aus diesen Aspirationen das Zentrum jedes Interesses und der materielle Wohlstand und was dazu gehört: Konsum, Komfort, Freizeit, zur Massenobsession wurden. In diese Falle des Überflusses, vom Kapitalismus gestellt, sollte mehr oder weniger die ganze Bewegung, die sich auf Sozialismus und Kommunismus berief, fallen. Davon ausgenommen waren die ersten Kommunisten, die Babouvisten, welche eine gewisse Einfachheit der Bedürfnisse propagierten, was Marx mit der Einstufung ihres Kommunismus als „Universal-Asketismus“ und „groben Egalitarismus“ (im „Manifest“) vom Tisch wischte.
    Heute beginnen sich sogar die bürgerlichen Befürworter der Konsumgesellschaft zu fragen, wie lange sie denn noch dauern könne: „ Wie lange noch hat es genug Öl für die Autos? Werden die geplanten thermonuklearen Kraftwerke mit Kernfusion, welche die Energie der Sterne einfangen sollen, genügen?“ Und es ist kein Zufall, wenn die USA die Gefahr spüren, die dem konsumistischen Leben droht, das sie mehr als jede andere Nation entwickelt haben, und sich deshalb entschlossen für die unbedingte Verteidigung des American Way of Life aussprechen. Sie haben nicht Unrecht, wenn sie angesichts der Verschleuderung all der natürlichen Ressourcen (die ihrer Erschöpfung entgegengehen) im sinnlosen Konsumismus (den doch gerade sie gefördert haben) unruhig werden; infolge der fortgeschrittenen Zerrüttung des Ökosystems des Planeten könnte der Konsumismus vor seinem Ende stehen, umso mehr als solche Mastodonten wie China und Indien nun auch zu Konsumgesellschaften werden, was das Ende nur beschleunigen kann.
    „Nur das Nötige, aber alles Nötige“: Ein kommunistisches Projekt wird sich an einer solchen Devise bezüglich der Bedürfnisse orientieren, welche vor 200 Jahren die Babouvisten aufgestellt haben. Das bedeutet keine spartanische Kärglichkeit, sondern eine andere, weniger materialistische Lebensweise, die auf andere zentrale Bedürfnisse ausgerichtet ist, Bedürfnisse, die in der gegenwärtigen Gesellschaft keineswegs befriedigt werden: das Bedürfnis nach Gemeinschaft, das Bedürfnis nach einer Arbeit, die nicht nur ein Mittel zum Überleben ist, sondern zum ersten Lebensbedürfnis wird, wie das Marx noch zu Zeiten schrieb, als er noch nicht vom Traum einer hypertechnisierten Welt besessen war. Überfluss an diesen Bedürfnissen sollte zum Ziel werden.
    Über welche Produktionsmittel wird man verfügen? Was wird aus der Arbeit? Was wird man produzieren und konsumieren? Das sind die Fragen, welche im Verlaufe des folgenden Essays aufgegriffen werden sollen. Bevor wir jedoch darauf eintreten, möchten wir uns einen Ausblick auf jene “andere mögliche Welt“ verschaffen, welche der Kommunismus sein wird.
    Für Marx sollte der Kapitalismus mit seiner Entwicklung der Produktivkräfte die materiellen Grundlagen für den Kommunismus schaffen. Das war nur teilweise wahr; denn, angenommen seit einem Jahrhundert wäre der Kommunismus an die Stelle des Kapitalismus getreten, so hätte er den von der Bourgeoisie übernommenen Produktionsapparat vollständig neu organisieren müssen, um ihn seinen eigenen Zwecken dienstbar zu machen. Doch die sozialistische und kommunistische Bewegung jener Epoche war unfähig, ihre Situation wahrzunehmen, wie die sukzessiven Misserfolge der Ersten (1872), Zweiten (1914) und Dritten Internationalen (1923) beweisen. Diese unterlagen jedes Mal der Bourgeoisie, sei es, indem sie sich mit ihr kompromittierten, sei es, dass sie nicht die Statur hatten, um gegen sie zu kämpfen. Diese Niederlagen waren historisch.
    Sie bedeuteten, dass der Kapitalismus zunehmen freie Bahn vorfand und in seiner Entwicklung sehr weit würde gehen können; insbesondere dass die Produktivkräfte einen bis anhin nie gesehenen Aufschwung nehmen sollten. Das ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in vollem Masse eingetreten.
    Hat nun ein solches Vorpreschen des Kapitalismus Bedingungen geschaffen, welche dem Kommunismus förderlicher sind?
    Sieht man, wie diese Entwicklung der Produktivkräfte aus diesen Destruktivkräfte werden liess, welche die Natur dermassen bedrohen, dass die Lebensbedingungen auf dem Planeten schwer bedroht sind, kann die Antwort nur negativ sein. Es ist in der Tat lange her, dass der Kapitalismus nicht mehr den Kriterien einer „progressiven“ Produktionsweise entspricht, welche die reale Grundlage einer höheren Gesellschaftsform bilde könnte, wie sie Marx noch in derjenigen des 19. Jahrhunderts fand. In seiner Entwicklung hat der Kapitalismus eine Welt zu seinem ausschliesslichen Gebrauch geschaffen, die auf sein Mass zugeschnitten ist und in sich nichts als ihn selbst enthält. Es wäre illusorisch, auf dieser kapitalistischen Welt eine andere, diejenige des Kommunismus, aufpfropfen zu wollen. Was soll in Tat und Wahrheit die Kommunisierung/1/ all der Installationen, Fabriken, Büros, Maschinen, Flughäfen, Autobahnen, Urbanisationen, Megapolen, Chemie-Komplexe, AKW, Vergnügungspärke bedeuten? Es hiesse das Nicht-Kommunisierbare kommunisieren wollen!
    Wir müssen für immer die Idee fahren lassen, dass zur Verwirklichung des Kommunismus nur weiterhin dem Vorbild der kapitalistischen Modernisierung zu folgen wäre. Bevor der Kommunismus zu seiner Ausstattung fortschreiten kann, muss eine Revolution mit so ziemlich allem abfahren, was der Kapitalismus an eigener materieller Welt aufgebaut hat. Ein Beispiel: Die Revolution wird zur Aufgabe haben, dem heute bis zum Äussersten getriebenen Gegensatz zwischen Stadt und Land ein Ende zu machen; die heutigen Städte sind monströse Megapolen geworden, wo die Menschen massiert sind, während das Land verödet ist. An ihre Stellen werden Gemeinschaften mit menschlichem Mass treten, in denen industrielle und landwirtschaftliche Arbeit kombiniert sind. Kurz, der Kommunismus wird sich vor einer vollständig neu zu errichtenden Welt finden. Es wird ein grosses, sehr langfristiges Unternehmen nicht ohne raue Umstellungen werden. Niemals darf vergessen werden, dass der Kapitalismus, weit davon entfernt, den Königsweg zum Kommunismus zu ebnen, im Laufe seiner Entwicklung nur Hindernisse für die Entwicklung zum Kommunismus angehäuft hat.
    Wenn man heute die subjektiven Auswirkungen dieser kapitalistischen Hyper-Entwicklung auf das Bewusstsein der Menschen beobachtet, so ist man gezwungen, dieselbe Diagnose zu machen.
    Diese Hyper-Entwicklung liess nämlich das „Gespenst“ des Kommunismus, welches zu Beginn die bürgerliche Gesellschaft heimsuchte, verschwinden, dagegen gleichzeitig den Kapitalismus als einzige mögliche Welt erscheinen. Der Kommunismus gilt heute als „totalitäre Utopie“, die, an verschiedenen Orten auf der Erde „ausprobiert“, heute ausgespielt habe. Das ist überhaupt nicht wahr, denn der Kommunismus hat nirgendwo je existiert.
    Dagegen verwirklicht sich die „totalitäre Utopie“ im perversen Universum des Warenkapitalismus, wo das Irreale die Gestalt des Realen annimmt. Auf jeden Fall, sieht man die tiefe politische Unkultur, die herrscht, weiss man überhaupt nicht mehr, was Kommunismus ist; nur zu häufig wird er idiotischerweise mit den verschiedenen Arten von Stalinismus in Osteuropa und in der Dritten Welt, oder mit einer Partei verwechselt, die nur seinen Namen getragen hat.
    Die Arbeiterklasse ihrerseits ist in das kapitalistische System integriert worden. Die Parteien und Gewerkschaften bilden schon seit langem nichts als Elemente in seinem Räderwerk.
    Marx hatte seinerzeit in ihr eine revolutionäre Klasse erblickt, fähig, eine radikale Umwandlung der Gesellschaft zu unternehmen. Das war eine fragwürdige Einschätzung, denn schon zu jener Epoche war sie weit davon entfernt, eine feste revolutionäre Kraft zu bilden; sie war von starken reformistischen Strömungen durchzogen, etwa durch den Trade-Unionismus in England, den Proudhonismus in Frankreich und den Lassallismus in Deutschland. Andrerseits bestanden in ihrem Innern radikale und anti-kapitalistisch agitierende Minderheiten, wie die revolutionäre syndikalistische Strömung in Frankreich, der Anarcho-Syndikalsimus in Spanien, der IWW in den USA, der Links-Kommunismus in Deutschland und in Italien. Mit der modernen Entwicklung des Kapitalismus wurden alle diese proletarischen Strömungen aufgesogen, wenn nicht sogar ausgelöscht, und liessen einem reformistischen Proletariat freien Spielraum, dessen einzige Perspektive darin besteht, sich möglichst angenehm im Kapitalismus einzurichten.
    Der Klassenkampf hielt nicht, was er versprach. Während er für Marx den Zugang zum Kommunismus ermöglichen sollte, beschränkte er sich auf einen einfachen Kampf um Forderungen, welche die Sache des Kapitalismus keineswegs in Frage stellten. Wenn am Anfang der Klassenkampf seine Legitimität daraus zog, ein Kampf ums Brot zu sein, so wurde er mit der eintretenden Konsumgesellschaft zur kämpferischen, einfachen Befriedigung der Forderung nach „immer mehr“. Heute ist er noch tiefer gelandet: bei einer „Sozialbewegung“ zur Verteidigung korporativistischer Interessen einiger Gesellschaftsgruppen, die an ihren kleinen Privilegien hängen. In einer Schlussbilanz wird klar, dass ein solcher Kampf keine andere Funktion hatte, als die Rolle eines Regulators innerhalb des Kapitalismus zu spielen, wobei dieser sich an eine gewisse Konflikthaftigkeit sehr wohl anpassen konnte.
    Das sagt viel über die Fähigkeit des Kapitalismus aus, seine Ausgebeuteten sein System als Selbstverständlichkeit annehmen zu lassen. Wenn z. B. Arbeiter von heute anlässlich der Schliessung ihres Unternehmens (etwa infolge einer Dislokation) protestieren und geltend machen, es rentiere doch gut und könne gut fortfahren, Profite zu machen, dann wird offensichtlich, dass sich die Logik des Kapitals gänzlich ihrer Köpfe bemächtigt hat, wie sehr sie auch ihr Opfer sind. Das Kapital ist die Art und Weise ihres Denkens, Handelns und Fühlens geworden. „In dem Masse, wie die kapitalistische Produktion sich entwickelt, tritt eine Arbeiterklasse hervor, welche ihre Erziehung, Tradition und Gewohnheit dazu gebracht hat, die Erfordernisse dieser Produktionsweise für selbstverständlich zu betrachten“, schrieb in „Das Kapital“ ein Marx, der sich offenbar selbst nicht ganz glaubte. Und das ist in der Tat eingetreten. Am Anfang rebellierte die Arbeiterklasse gegen die Arbeitsmethoden und den Fabrik-Despotismus des Kapitals, war sie doch aus dem Handwerk und der qualifizierten Arbeit hervorgegangen. Zu seiner Entwicklung musste daher der Kapitalismus eine Arbeiterklasse nach seinen Erfordernissen erziehen, welche weniger zu Konflikten Anlass gab. Damit verschwand aus der Arbeiterklasse der letzte revolutionäre Anflug.
    Heute wird das Requiem für die Arbeiterklasse gelesen. Nicht genug, sie in sein System einzubauen, der Kapitalismus ersetzt die Arbeiter durch Maschinen, sodass diese eine minoritäre Klasse darstellen (weniger als 25% der aktiven Bevölkerung gegenüber über 50% anfangs des 20.). Daneben beschleicht die Arbeiterklasse neben ihrer zahlenmässigen Schwächung der Zweifel an ihrer Existenz als „Klasse für das Kapital“ (Marx). Doch alles, was einen Lohn bezieht (80% der aktiven Bevölkerung), „Arbeiterklasse“ zu nennen, ist mehr als verwirrend: Die Stellung, welche die Menschen im Produktionsprozess einnimmt, bestimmt ihre Klassenzugehörigkeit. Das heisst aber für die Mehrzahl dieser 80%, dass sie zum sogenannten tertiären Sektor gehört. Wir haben es also bei der Arbeiterklasse mit einer absteigenden Klasse zu tun.
    Diesem Niedergang der Arbeiterklasse entspricht aber der phänomenale Aufstieg der Unproduktiven des tertiären Sektors (= Nicht-Produzenten von Mehrwert, etwa 60% der aktiven Bevölkerung). Damit wird augenfällig: Der Kapitalismus als auf Ausbeutung beruhende Produktionsweise (Ausbeutung der Arbeiterklasse) mit dem Ziel der Kapitalverwertung, gelangt an sein Ende. Wenn die Mehrzahl der Lohnbeziehenden nicht mehr als produktive Lohnabhängige gebraucht wird, so ist das das Zeichen, dass der Kapitalismus am Ende eines historischen Zyklus angelangt ist. Das erscheint als strukturelle Dauerkrise. Wo das tote Kapital (die Maschinerie) in der Produktion ein solches Gewicht erreicht hat und das lebendige Kapital (die Arbeiter, welche das Kapital verwerten) beträchtlich reduziert ist, ergibt sich eine grösser werdende Masse von unnütz gewordener Arbeitskraft, die man im Dienstleistungsbereich mit seiner schummriger Kontur einsetzt (was die Rentabilität des Kapitals beeinträchtigt) oder man verdammt sie zu prekären Jobs, wenn sie nicht sogar schlichtweg von jeder Anstellung ausgeschlossen werden, woraus sich eine Schicht von Sozialempfängern und neuen Armen ergibt.
    Gewiss, der Kapitalismus hat sich in andere Regionen der Welt verlagert (Ost-Europa, Zentral- und Südamerika, Asien), wo seine Rentabilität wegen der niedrigen Kosten der unqualifizierten Arbeit höher ist. Doch zu seiner strukturellen Krise kommt noch die ökologische, was einen explosiven Cocktail ergibt. Wohlan! Komme was da kommen mag!
    Es ist nicht verboten, sich vorzustellen, dass die Menschheit, wenn sie angesichts eines Kapitalismus, der sie in den Abgrund schicken will, noch eine Zukunft haben will, im Kommunismus eine Lösung für ihr Überleben finden wird; im Kommunismus, diesem verleumdeten, abgeschriebenen Kommunismus, von dem man uns eintrichtern wollte, er sei nun tot, als hätte er jemals schon irgendwo bestanden. Nur er kann die enormen Probleme lösen, die sich im planetarischen Massstab nach dem Ende des Kapitalismus stellen werden.
    Sollte es eine Revolution geben, so wird sie nicht mehr die Sache des Proletariates als Klasse sein, ausser man sieht denn überall „Proletarier“: in den Beamten, Studenten, Pizza-Lieferanten, Sozialunterstützten, in all denjenigen, welche das Spektakel unterbrechen, z. B. in den Auto- und Schulhausanzündern in gewissen Banlieues, kurz, im grossen gesellschaftlichen Magma, welches der Kapitalismus in seiner Degeneration hervorgebracht hat. Die Revolution wird von all jenen unter den Lohnabhängigen (aller gesellschaftlichen Kategorien) getragen werden, die bereit sind, für eine gänzlich neu aufzubauende Welt zu kämpfen: für den Kommunismus. Wie wird diese Masse von Unbewussten, von vom modernen Kapitalismus Vergifteten, je dazu kommen, in einem gewaltigen Elan eine Revolution hervorzurufen? Durch welche Kämpfe wird sie hindurch gehen müssen, um dazu zu gelangen? Das alles wissen wir nicht; die Geschichte wird es zeigen. Es kann hier nicht abgehandelt werden, wie die Revolution vonstatten gehen wird, sondern es geht darum, zu zeigen, was für eine andere Welt möglich ist. Und dazu bedarf es keines solchen Unsinns wie des „Endes der Arbeit“ oder der „Freizeitgesellschaft“, um die „strahlende Zukunft“ zu illustrieren. Niemand soll hier zu etwas verführt werden, im Gegenteil. Es soll erkannt werden, dass uns in einer kommunistischen Zukunft notwendigerweise eine in vieler Hinsicht rauere und strengere Gesellschaft als die gegenwärtig kapitalistisch-modernistische erwartet, welche ihren ekelhaften und frivolen Reichtum ausbreitet. Und wenn diese Ausführungen auch nicht gefallen mögen, so mögen sie zu überlegen geben, was nicht unnütz ist.
    Nun einige Worte zu Marx und zum Kommunismus. Ohne Umschweife gesprochen: Seine Vision von Kommunismus überstieg nicht den Horizont der aufgeklärten Bourgeoisie. Für ihn sollte der Kommunismus all das aufweisen, was die bürgerliche Zivilisation geschaffen hatte: die Produktivkräfte, Reichtümer, das Wissen, die neuen Bedürfnisse, nur dass dies alles mit der kommunistischen Revolution in Reichweite von jedermann gerückt wäre. Daraus sollte sich „eine Form höherer Gesellschaft ergeben, deren grundlegendes Prinzip die freie und volle Entfaltung der Individuen“ sein sollte („Das Kapital“). Anders gesagt: Marx war ein Liberaler, der aus dem Individuum das Ziel, den höchsten Wert machte, jedoch ein fortgeschrittener Liberaler insofern, als er dieses Ziel erst unter der Bedingung der Abschaffung des Kapitalismus für verwirklichbar hielt. Den Kommunismus verstand er folglich als materielles und nicht als menschliches Gemeinwesen, d. h. als Mittel zu diesem Zweck. Dazu musste er nur beweisen – und darin widersprach er allerdings den liberalen Ökonomen und war ein atypischer Bourgeois – dass die kapitalistische Produktionsweise nicht die absolute ökonomische Form ist, sondern nur eine Übergangsform im materiellen historischen Prozess. Daher auch „Kritik der politischen Ökonomie“, der Untertitel von „Das Kapital“, das meisterhafte Hauptwerk von Marx, dessen Kenntnis unumgänglich ist, wenn man den Kapitalismus auch nur einwenig verstehen will.
    Wir haben uns auf ihn unzählige Male berufen. Sonst aber haben wir Marx aufgegeben und ziehen eine Rückkehr auf das Ur-Projekt des Kommunismus vor, das anlässlich der Französischen Revolution entstanden ist und bis 1848 Bestand hatte; wir meinen die babouvistische Strömung. Aufgetaucht zu einem Zeitpunkt, als der Kapitalismus noch nicht das Monopol auf Zukunft hatte, stellte er eine andere Vision des Kommunismus dar, was wir für interessant halten. Im übrigen beziehen wir uns auf Autoren wie W. Morris, G. Orwell, S. Weil und G. Leval, die mehr oder weniger am Rande der kommunistischen Bewegung standen, aber auf ihre je eigene Weise und in ihren Grenzen darüber nachgedacht haben, was eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus sein könnte.
    1 Siehe „Revue internationale pour la communisation“. Kommunisierung beinhaltet gemäss dieser Zeitschrift die Feststellung, dass jede permanente Klassenorganisation zum Scheitern verurteilt ist; dass die einzige revolutionäre Perspektive die Zerstörung des Kapitalismus ist und die Zerstörung aller Klassen beinhalten muss; dass heute einzig der Kampf zwischen Proletariat und Kapitalistenklasse relevant ist; die Kritik jeder revolutionären Perspektive, welche noch eine Übergangsphase vorsieht; die Feststellung, dass die Revolution nicht mit dem Kommunismus, sondern mit der Vergemeinschaftung aller Beziehungen zwischen den Individuen zusammenfällt. [Anmerkung des Übersetzers]

  4. Clara
    2. August 2009, 02:47 | #4

    Eine indirekte Bestätigung oder, je nachdem, wie man den Inhalt expliziert, eine implizite Kritik dessen, was Karla als den Standpunkt der Ablehnung einer Diskussion um die Grobzüge eines kommunistischen Gemeinwesens, wie sie, was gerne, wenn nicht mit Absicht, um sich nicht darauf einlassen zu müssen, unterschlagen wird, aus der Kritik der alten Welt sich dem Erkennenden aufnötigen, durch die Redaktion GegenStandpunkt deklamatorisch zusammengefasst hat, findet sich im Einführungstext einer neuen, auch sonst viel interessantes Material enthaltenden Internetseite, gemacht vom Herausgeber der bis 2007 in 14 Ausgaben erschienenen Zeitschrift Exitus, zu laden unter:
    http://verlagketabha.wordpress.com/2009/07/14/verlag-ketabha/
    Hier der Link –
    http://verlagketabha.files.wordpress.com/2009/07/einfuhrung-in-was-fur-eine-bitot1.pdf
    des Einführungstextes, einem ohne Bezugnahme auf Theorieprodukte des GegenStandpunkts Quasi-Kontrastprogramm zu dessen Sicherheiten, was sich aus dem Kapitalismus nur alles machen ließe, würden die Produktivkräfte erst einmal freigesetzt. Deshalb geraten dem Verf. auch eher die immanenten Probleme einer sozialen Umwandlung der Lebens- und Arbeitswelt in den Blick und nicht Machtfragen.
    Eventuell ist es ja auch so, dass die Schärfung jenes Problembewusstseins einer Unterwanderung des Denkens und einer Inaufruhrbringung der sozialen Beziehungen viel eher förderlich ist, als die fortwährende Zuspitzung der Analyse auf unendliche Machtfragen zum Ohnmachtsgenuß der vielen Erkenntnis der Übel der Welt, […]. Denn an Faktizität und Innehabung der Macht entscheidet sich auf lange Zeit eh nichts. Und ihre Infragestellung hätte sowieso nur von unten einen Sinn. Die Frage der Eroberung und Entfaltung der und welcher Produktivkräfte überhaupt will nur erst einmal richtig gestellt sein. Das ist keine Sache der Konstruktion, vielmehr die Klärung der Qualität, die man, nicht der äußeren Notwendigkeit und nicht dem freien Walten von Schaltern ausgesetzt, haben will, die zunächst noch immer deren Kritik im Jetztzustand incl. eingeschriebener Folgen ist.
    __________________________________________
    Und der Sicherung des Artikels wegen noch die entsprechende KOPIE:
    EINFÜHRUNG
    Kommunismus! Eine Idee, die heute in der Gerümpelkammer der Geschichte gelandet zu sein scheint. Der Betrug, der mit ihr getrieben worden ist, die Verbrechen, die in ihrem Namen begangen worden sind und die grosse Verwirrung, die daraus folgte, sind am ideologischen Vergessen nicht unschuldig. Diese Idee hat die Wechselfälle der Geschichte tragen müssen und zahlt nun dafür ihren Preis.
    Dennoch: Angesichts einer heute gänzlich dem Kapitalismus ausgelieferten Welt hätte diese Idee ein besseres Schicksal verdient. Der Kommunismus sollte der Menschheit erlauben, sich unterdrückender und entfremdender gesellschaftlicher Beziehungen zu entledigen: der Klassenunterschiede (System gesellschaftlicher Ungleichheit); der Warenökonomie (System des Kampfes aller gegen alle), der Lohnarbeit (System der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen), des Geldes (Profitsystem) und des Staates (System der Beherrschung). Für uns jedenfalls ist ‚Kommunismus’ kein Wort, das man besser nicht mehr ausspricht.
    Doch wäre es illusorisch, ja, man ginge fehl damit, zu meinen, man müsse nur die Prinzipien des Kommunismus in ihrer Gesamtheit wieder aufstellen, um auf sie als „eine andere mögliche Welt“ deuten zu können. Wir leben nicht mehr im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, ebenso wenig in demjenigen der ersten Hälfte des 20., sondern in einem Kapitalismus, der sich beträchtlich gewandelt, um nicht zu sagen, seine historische Grenze erreicht hat, wie das die strukturelle Dauerkrise und die ökologische Krise, welche sein Hyper-Wachstum hervorgerufen hat, beweisen. Das Projekt des Kommunismus ist daher gezwungen, sich mit Problemen auseinander zu setzen, die sich anfänglich kaum stellten oder die es glaubte, gelöst zu haben, die aber nichtsdestoweniger klare Antworten verlangen: das Wachstum, der Industrialismus, die High-Tech, der Konsumismus, die Umwelt-Degradierung, die Beziehung zur Natur. Diese Problemen zu ignorieren, hiesse, sie den spezifischen heutigen Strömungen, ökologischen und andern, zu überlassen, die nicht dem Projekt des Kommunismus verpflichtet sind, oder dieses gar verwerfen, und somit nur zur Verbesserung des Kapitalismus beizutragen. Diese Strömungen geben sich der Illusion hin, den Kapitalismus friedlich dazuzubringen, sein Ziel zu verändern, was natürlich absurd ist. Betrachten wir also etwas genauer, worin diese notwendige Rückkehr zum kommunistischen Projekt bestehen könnte.
    Zuallererst: Welche Beziehung sollte der Kommunismus zu den Produktivkräften, also zur fortgeschrittenen Industriegesellschaft, die den Kapitalismus aufsteigen liess, unterhalten? Soll der Kommunismus die Entwicklung der Produktivkräfte einfach fortsetzen oder davon Abstand nehmen?
    Marx war, wie man weiss, ein heisser Parteigänger der Entwicklung der Produktivkräfte. So hatte er nicht gezögert, den Anfang des „Kommunistischen Manifestes“ mit einer Apologie der Bourgeoisie zu machen, da diese die Produktivkräfte kontinuierlich revolutioniere. Diese Ehrbezeugung an die „grosse zivilisatorische Aufgabe des Kapitals“, wie er später sagen wird, war seiner Ansicht nach dadurch gerechtfertigt, dass diese Aufgabe „zur Schaffung der materiellen Produktionsbedingungen“ beitrage, „die allein die reale Grundlage einer Form höherer Gesellschaft konstituieren können“ („Das Kapital“), also des Kommunismus. Doch wenn Marx einerseits dem materiellen Wirken des Kapitalismus Beifall spendete, so war er andrerseits der Ansicht, der Kapitalismus sei aufgrund seiner Produktionsbeziehungen unfähig, diese Entwicklung gut anzuführen; ein immer grösser werdender Widerspruch zwischen diesen verfestigten Produktionsbedingungen und den in Bewegung befindlichen Produktivkräften tauche auf. Die periodischen ökonomischen Krisen seien sichtbarer Ausdruck dieses Widerspruches und führten notwendigerweise dazu, eine Revolution hervorzurufen, welche die Produktivkräfte vom Korsett der kapitalistischen Produktionsbeziehungen befreien würde, um sie auf eine höhere Ebene zu bringen, auf der die volle und ganze Verwirklichung des Kommunismus möglich würde.
    Dieser von Marx vorausgesagte Lauf des Kapitalismus hat sich nicht verwirklicht. Ökonomische Krisen gab es zwar durchaus, doch wurden sie alle überwunden. Das bedeutet, dass die kapitalistischen Produktionsverhältnisse ziemlich strapazierfähig sind und sich nicht so schnell auflösen. Ja es war der Kapitalismus, welcher die Produktivkräfte auf ein sehr hohes Niveau brachte, wovon heute die äusserst weit vorangetriebene Mechanisierung der Produktion zeugt, die in einigen Sektoren der Industrie bis zur Vollautomatisierung fortschreitet.
    Worin könnte also noch das kommunistische Projekt bestehen? Etwa darin, diese Hyper-Entwicklung der entwickeltsten kapitalistischen Länder auf den Rest des Planeten, heute also über 6 Milliarden, bald 8 – 10 Milliarden Menschen, auszuweiten?
    In der Tat genügte es, dass eine Minorität im Westen (aber nicht nur dort) zu diesem Entwicklungsstand gelangt ist, um den ganzen Planeten zu degradieren: Luft, Flüsse sind verschmutzt, die Meere in Abfalldeponien verwandelt, die Böden von chemischen Produkten vergiftet. Schrankenlos, bis zur Erschöpfung, werden Rohstoffe abgebaut, wird Erdöl, Gas, Kohle ausgebeutet, um die industrielle Megamaschine zu speisen. Und was noch schlimmer ist, diese unsinnige Aktivität wirft die grossen ökologischen Kreisläufe über den Haufen; insbesondere ist eine Klima-Erwärmung des Erdballs absehbar, die letztlich ein Leben des Menschen auf Terra verunmöglicht. Das heisst nichts anderes, als dass die gegenwärtig ablaufende Entwicklung mit dem natürlichen Milieu unverträglich ist. Die Erde ist endlich, das Wachstum des Kapitals strebt aber ins Unbegrenzte.
    Der Kommunismus kann nicht mehr das Wachstum der Produktivkräfte zum Programm erklären. Es gilt nicht nur, ihr Wachstum zu stoppen, sondern sie einzuschränken. Das bedeutet eine Entmechanisierung der Produktion. Diese Entmechanisierung ist wegen der Verknappung der Rohstoffe, der Energie-Ressourcen und der Verschlechterung des Öko-Systems Erde unbedingt notwendig. Was die vom Kapitalismus bis anhin noch vernachlässigten Zonen betrifft, so wird ihre Entwicklung in den Produktionsmitteln bestehen, die für ihre vitalen Bedürfnisse notwendig sind, was gleichzeitig die Rückführung ihrer Bevölkerungen auf ein vernünftiges Niveau einschliesst. Mit dem unaufhörlichen Wachstum der Menschheit, welches wesentlich zur Verschlechterung der natürlichen Umwelt beiträgt, muss ein Ende gemacht werden.
    Also: Bruch mit der marxistischen Vision, welche den Kommunismus auf eine optimale Entwicklung der Produktivkräfte und eine industrielle kapitalistische Gesellschaft in Dauer-Revolution abstellt und der Produktion einen immer schnelleren Rhythmus aufzwingt. Diese Vision hat sich verwirklicht und hat gezeigt, wohin sie führt: in eine Sackgasse. Das wird immer augenscheinlicher.
    Betrachten wir einen weiteren Aspekt des kommunistischen Projekts, welcher der Revision bedarf: die Arbeit und ihre Zukunft.
    Man findet bei Marx verschiedene Perspektiven, was mit der Arbeit werden soll, die letztlich aber auf eine hinauslaufen: In einer ersten Zeit soll die Arbeit weiterhin eine Notwendigkeit bleiben, wobei aber, von der Lohnarbeit befreit, der Kommunismus eine „Assoziation von freien und gleichen Produzenten“ bilden wird. Später, bei voll entwickelten Produktivkräften wird die Arbeit, die „von äusserer Notwendigkeit und äusserem Bedürfnis aufgedrängt“ wird, dank der hyper-entwickelten Mechanisierung wenn nicht ganz unterdrückt, so doch stark verringert werden; nunmehr sollen sich die Individuen Tätigkeiten ihrer Wahl widmen können, „wissenschaftlichen, künstlerischen“, wie Marx erläutert. Das ist der bekannte „Übergang aus dem Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit“.
    Heute hat der Kapitalismus in den fortgeschrittenen Gebieten die Produktivkräfte auf eine so hohe Ebene gebracht, dass die unmittelbaren Produzenten nur noch eine Minderheit der aktiven Bevölkerung (5% in der Landwirtschaft, 25% in der Industrie) ausmachen, während der Rest der Bevölkerung in jenem weiten Zwischenbereich arbeitet, den man Dienstleistung nennt. Stände unter diesen Umständen der Kommunismus als Ende der notwendigen Arbeit nicht auf der Tagesordnung? Seit den 1960er-Jahren mit der Einführung der Automation und der Roboterarbeit in verschiedenen Bereichen der Produktion, verstärkt aber seit den 1980er Jahren mit der mikro-elektronischen Revolution und der High-Tech, liegt diese Idee in der Luft. Nun denn, bye-bye Turbine, uns gehört die Freiheit! Eine Anti-Arbeits-Ideologie, die sich subversiv glaubt, hat sich breit gemacht. Ganz begeisterte gehen soweit, Pamphlete „Gegen die Arbeit“ zu veröffentlichen: Es handle sich nicht mehr nur darum, die Arbeit
    von der Prägung durch den Kapitalismus zu befreien, sondern darum, sie schlichtweg abzuschaffen.
    Doch was ist diese Perspektive wert?
    Zuallererst: Sie ist weltweit gar nicht zu verwirklichen; denn damit eine solche industrielle Mega-Maschine zur Abschaffung der Arbeit weltweit gebaut und unterhalten werden könnte, müssten gigantische Energie-Ressourcen und Mengen von Rohstoffen zur Verfügung gestellt werden, die mehreren Planeten ‚Erde’ entsprächen,. Das vermöchte das Öko-System Erde, das schon jetzt arg gebeutelt wird, nicht zu tragen.
    Im Weiteren ist eine solche Abschaffung der Arbeit nicht einmal wünschenswert. Es war ein Missgriff von Marx, zu glauben, die einmal von der Notwendigkeit befreite Arbeit schüfe Raum für eine allgemeine menschliche Emanzipation. Wie das Beispiel des heute technologisch fortgeschrittenen Kapitalismus zeigt, der den Weg der Abschaffung der Arbeit beschreitet, wobei die Maschinen einen bedeutenden Stellenwert nicht nur in der Produktion, sondern auch im Alltagsleben der Individuen einnehmen, stellt man eine drastische Abnahme der Fähigkeiten der Menschen fest, eigenständige Überlegungen anzustellen und Proben kritischen Sinnes abzulegen. Damit gehen abnehmender, auch physischer Mut, abnehmende Fähigkeit, etwas durchzustehen und sinkende Ausdauer bei gleichzeitigem Versinken in Zerstreuungen aller Art einher . . . was die Menschen nur immer blöder macht. Das ist natürlich nicht, was Marx wollte, doch sein Kommunismus mit Abschaffung der notwendigen Arbeit hätte auf keine andere Gesellschaft als diese fortgeschrittene kapitalistische hinausgeführt. Nichts Besseres wäre herausgekommen, denn, ob Kommunismus oder Kapitalismus, eine auf solchem Niveau stehende Technologie erzeugt dieselben entfremdenden Effekte: Indem sie den Menschen ersetzt, enteignet sie ihn seiner Fähigkeiten und macht aus ihm ein reduziertes Wesen. Der Fehler von Marx bestand darin, nicht zu sehen, dass, einmal das Reich der Notwendigkeit beseitigt, d. h.: die Menge der Hindernisse stark vermindert, welche den Menschen zwingen, zu kämpfen und sie zu überwinden, sich notwendigerweise seine intellektuellen, moralischen und physischen Kräfte verringern. Das ist eine anthropologische Gegebenheit. Sie liegt in der Bedingungen des Menschseins überhaupt, welches auch immer die Form der Gesellschaft ist, in der er lebt.
    Wir sind also gezwungen, die Vision eines Kommunismus, der die Arbeit abschafft und dafür Maschinen einsetzt, auf der ganzen Linie zu revidieren; es ist eine falsche Idee. Sie hatte sich Marx aufgrund der Illusionen seines Jahrhunderts, die er teilte, aufgedrängt. Das 19. Jahrhundert glaubte an die unendlichen Möglichkeiten der Wissenschaft und der Technik und projizierte diesen Glauben in die Zukunft, welche zum Kommunismus gelangen sollte. Heute, im aufgehenden 21. Jahrhundert, ist eine solche Illusion nicht mehr erlaubt. Der Kapitalismus ist an einigen Orten auf dem Planeten auf einem hypertechnisierten Stand angekommen, eine vollständig künstliche Schöpfung, die überhaupt keine Zukunft hat – was allerdings einigen Fanatikern des „Fortschritts“ durchaus recht ist.
    Folglich wird das Ziel des kommunistischen Projektes keine „Freizeitgesellschaft“ sein und sei sie noch so „kultiviert“, wie sie Marx vorsah. Im Gegenteil, das Ziel ist eine neue Zivilisation der Arbeit, welche die Arbeit von jeder kapitalistischen Entfremdung befreien wird. Es wird keine Lohnarbeit mehr geben, dazu bestimmt, das Kapital zu verwerten. Im Zentrum wird die Handarbeit stehen; die Maschinen werden die Funktion haben, dieser Arbeit beizustehen, nicht, sie zu ersetzen. Die Handarbeit wird jedermanns Sache sein, nicht nur, weil das angesichts der reduzierten Anzahl zur Verfügung stehender Maschinen gar nicht mehr anders möglich ist, sondern, weil die parasitären, nutzlosen und überflüssigen Tätigkeiten, welche gegenwärtig so zunehmen, keinen Sinn mehr haben werden. Es wird aber eine Arbeit sein, die genügend attraktiv ist, um nicht als Zwangsarbeit empfunden zu werden, das heisst, dass es qualifizierte Arbeit mit schöpferisch-künstlerischem Anstrich sein wird. Was an mühsamen, abstossenden Arbeiten übrigbleibt, wird, soweit nicht von Maschinen abgenommen, von allen geteilt und nicht immer denselben Menschen auferlegt.
    Schliesslich, dritter erneut zu betrachtender Aspekt, die Frage der Bedürfnisse im Kommunismus. Diese stellt sich infolge der Einführung der berühmten Konsumgesellschaft ganz anders als in der Vergangenheit.
    Anfänglich und während einer längeren Phase, reduzierte der Kapitalismus, abgesehen vom Luxuskonsum der Bourgeoisie und der anderen privilegierten Klassen, die Bedürfnisse der Arbeiter auf ihren einfachsten Ausdruck: die strikt notwendigen Bedürfnisse für das Funktionieren der Arbeitskraft, oder gar darunter. Es handelte sich hier um einen Kapitalismus, der erst noch die materielle Grundlage seines Systems legen musste und daher im Wesentlichen auf die Produktionsmittelproduktion ausgerichtet war: Strassen, Kanäle, Brücken, Eisenbahnen, Grossmaschinen, Stahlwerke, Minen usw. Das kommunistische Programm zielte daher, einmal die Revolution gemacht, auf die vorrangige Produktion von Konsummitteln zur Sättigung der unterernährten Massen ab, wobei in einer ersten Phase das Prinzip „jedem nach seiner Leistung“ gelten sollte. Die Verteilung der Güter sollte mit einem Arbeits-Bon-System bewerkstelligt werden. Sobald aber alle Quellen des Reichtums flössen, sollte ohne abzuzählen aus dem gesellschaftlichen Schatz geschöpft werden können, so dass jeder „nach seinen Bedürfnissen“ erhalten sollte.
    Indessen hatte Marx im Verlauf der Analyse des Kapitalismus bemerkt, dass dieser die Bedürfnisse tendenziell wachsen liess. Mit der Entwicklung der Produktivkräfte, schrieb er, „wächst die Konsumsphäre ebenso sehr wie die Produktionssphäre“; das hat zur Folge, dass „sich die bestehende Konsumtion quantitativ ausweitet“, „man erzeugt neue Bedürfnisse, man entdeckt neue Gebrauchswerte“ („Grundrisse“). Das bedeutete, dass der Lohn sich nicht auf die strikt notwendigen Bedürfnisse beschränkt, deren das Funktionieren der Arbeitskraft bedurfte, sondern, dass er die Befriedigung von Bedürfnissen einschliesst, welche mit dem erreichten „Grad der Zivilisation“, d.h. mit dem Stand der Produktivkräfte, entstanden sind. Anders gesagt, je höher dieser Grad, desto mehr nehmen die Bedürfnisse zu. Und das trat wirklich ein. Eine Menge neuer Gebrauchswerte wurden erfunden und geschaffen. Nennen wir zur Erinnerung einige davon: Fahrrad, Automobil, Grammophon, Photoapparat, Radio, Fernseher, Kühlschrank, Staubsauger, Video-Gerät, Computer, tragbares Telephon und vieles mehr. Das sind Massenprodukte mit Produktionskosten, die infolge gesteigerter Arbeitsproduktivität stetig sinken und deshalb auch der Arbeiterklasse zugänglich werden, mehr oder weniger natürlich und insbesondere dank Kredit. Dazu kommen die Kämpfe für höhere Löhne. Neue Konsumgüter werden so zu normalen Bestandteilen des Reallohnes, wodurch sich der Lebensstandard erhöht. Dies ist das Geheimnis dessen, was man konfuser Weise ‚Konsumgesellschaft’ nennt.
    Heisst das nun, dass das kommunistische Projekt seinerseits dieses Bedürfnissystem, welches der Kapitalismus errichtet hat, übernehmen, gerechter machen und inhaltlich ausbauen wird? Es scheint, dass Marx darin nichts Störendes sah, denn er beglückwünschte sich dazu, dass „die auf dem Kapital beruhende Produktion die Entwicklungsbedingungen aller Fähigkeiten des gesellschaftlichen Menschen, eines Individuums mit einem Maximum an Bedürfnissen schafft“ („Grundrisse“). Und nach Marx übernahmen alle oder fast alle (inklusive die Anarchisten) diese Einstellung: Der Kommunismus sollte zur „Überflussgesellschaft“ werden, die allen zur Verfügung stehen sollte, wobei die Gebrauchswerte, welche der Kapitalismus schuf, überhaupt nicht kritisiert wurden. Man kennt die Konsequenzen. Mit der sukzessiven Wandlung zur Konsumgesellschaft (in den USA schon vor 1914) war es der Kapitalismus, welcher diesen Traum vom Überfluss auf seine Weise verwirklichte, unvollkommen und unausgeglichen natürlich, doch gut genug, um eine Bequemlichkeit und materielle Leichtigkeit zu schaffen, welche sich die vergangenen Generationen niemals vorzustellen gewagt hätten.
    Damit hat der Kapitalismus nicht nur das kommunistische Projekt aufgehoben, sondern auch dessen bürgerliche Seite deutlich zum Vorschein gebracht: den bürgerlichen dummen Glauben an das materielle Paradies, an das Immer-mehr, an das Konsumentenglück. Auch wenn dieses kommunistische Projekt Wirklichkeit geworden wäre, so hätte es diese heutige Welt der Bequemlichkeit und materiellen Leichtigkeit nicht besser als die Bourgeoisie zustande gebracht.. Die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse hätten an dieser kommunistischen Konsumgesellschaft nicht viel verändert, denn vom Augenblick an – und das ist eine anthropologische Gegebenheit – , wo das Individuum sich in einer Situation findet, die ihm ein „Maximum an Bedürfnissen“ erlaubt, wie Marx sagt, verliert es sich notwendigerweise im Genuss, wird weich, verbürgerlicht, wird dekadent, und die moralischen Werte des Mutes, der Würde, der gegenseitigen Hilfe und Solidarität schwinden, die sich unter raueren Existenzbedingungen entwickelt haben. Es war der grosse Anziehungspunkt des Kapitalismus, immer den materiellen Aspirationen der Massen voranzugehen, die zu Beginn angesichts des Elends der Massen legitim waren. Der Kapitalismus machte daraus aber ein Herrschaftsmittel über die Massen, indem aus diesen Aspirationen das Zentrum jedes Interesses und der materielle Wohlstand und was dazu gehört: Konsum, Komfort, Freizeit, zur Massenobsession wurden. In diese Falle des Überflusses, vom Kapitalismus gestellt, sollte mehr oder weniger die ganze Bewegung, die sich auf Sozialismus und Kommunismus berief, fallen. Davon ausgenommen waren die ersten Kommunisten, die Babouvisten, welche eine gewisse Einfachheit der Bedürfnisse propagierten, was Marx mit der Einstufung ihres Kommunismus als „Universal-Asketismus“ und „groben Egalitarismus“ (im „Manifest“) vom Tisch wischte.
    Heute beginnen sich sogar die bürgerlichen Befürworter der Konsumgesellschaft zu fragen, wie lange sie denn noch dauern könne: „ Wie lange noch hat es genug Öl für die Autos? Werden die geplanten thermonuklearen Kraftwerke mit Kernfusion, welche die Energie der Sterne einfangen sollen, genügen?“ Und es ist kein Zufall, wenn die USA die Gefahr spüren, die dem konsumistischen Leben droht, das sie mehr als jede andere Nation entwickelt haben, und sich deshalb entschlossen für die unbedingte Verteidigung des American Way of Life aussprechen. Sie haben nicht Unrecht, wenn sie angesichts der Verschleuderung all der natürlichen Ressourcen (die ihrer Erschöpfung entgegengehen) im sinnlosen Konsumismus (den doch gerade sie gefördert haben) unruhig werden; infolge der fortgeschrittenen Zerrüttung des Ökosystems des Planeten könnte der Konsumismus vor seinem Ende stehen, umso mehr als solche Mastodonten wie China und Indien nun auch zu Konsumgesellschaften werden, was das Ende nur beschleunigen kann.
    „Nur das Nötige, aber alles Nötige“: Ein kommunistisches Projekt wird sich an einer solchen Devise bezüglich der Bedürfnisse orientieren, welche vor 200 Jahren die Babouvisten aufgestellt haben. Das bedeutet keine spartanische Kärglichkeit, sondern eine andere, weniger materialistische Lebensweise, die auf andere zentrale Bedürfnisse ausgerichtet ist, Bedürfnisse, die in der gegenwärtigen Gesellschaft keineswegs befriedigt werden: das Bedürfnis nach Gemeinschaft, das Bedürfnis nach einer Arbeit, die nicht nur ein Mittel zum Überleben ist, sondern zum ersten Lebensbedürfnis wird, wie das Marx noch zu Zeiten schrieb, als er noch nicht vom Traum einer hypertechnisierten Welt besessen war. Überfluss an diesen Bedürfnissen sollte zum Ziel werden.
    Über welche Produktionsmittel wird man verfügen? Was wird aus der Arbeit? Was wird man produzieren und konsumieren? Das sind die Fragen, welche im Verlaufe des folgenden Essays aufgegriffen werden sollen. Bevor wir jedoch darauf eintreten, möchten wir uns einen Ausblick auf jene “andere mögliche Welt“ verschaffen, welche der Kommunismus sein wird.
    Für Marx sollte der Kapitalismus mit seiner Entwicklung der Produktivkräfte die materiellen Grundlagen für den Kommunismus schaffen. Das war nur teilweise wahr; denn, angenommen seit einem Jahrhundert wäre der Kommunismus an die Stelle des Kapitalismus getreten, so hätte er den von der Bourgeoisie übernommenen Produktionsapparat vollständig neu organisieren müssen, um ihn seinen eigenen Zwecken dienstbar zu machen. Doch die sozialistische und kommunistische Bewegung jener Epoche war unfähig, ihre Situation wahrzunehmen, wie die sukzessiven Misserfolge der Ersten (1872), Zweiten (1914) und Dritten Internationalen (1923) beweisen. Diese unterlagen jedes Mal der Bourgeoisie, sei es, indem sie sich mit ihr kompromittierten, sei es, dass sie nicht die Statur hatten, um gegen sie zu kämpfen. Diese Niederlagen waren historisch.
    Sie bedeuteten, dass der Kapitalismus zunehmen freie Bahn vorfand und in seiner Entwicklung sehr weit würde gehen können; insbesondere dass die Produktivkräfte einen bis anhin nie gesehenen Aufschwung nehmen sollten. Das ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in vollem Masse eingetreten.
    Hat nun ein solches Vorpreschen des Kapitalismus Bedingungen geschaffen, welche dem Kommunismus förderlicher sind?
    Sieht man, wie diese Entwicklung der Produktivkräfte aus diesen Destruktivkräfte werden liess, welche die Natur dermassen bedrohen, dass die Lebensbedingungen auf dem Planeten schwer bedroht sind, kann die Antwort nur negativ sein. Es ist in der Tat lange her, dass der Kapitalismus nicht mehr den Kriterien einer „progressiven“ Produktionsweise entspricht, welche die reale Grundlage einer höheren Gesellschaftsform bilde könnte, wie sie Marx noch in derjenigen des 19. Jahrhunderts fand. In seiner Entwicklung hat der Kapitalismus eine Welt zu seinem ausschliesslichen Gebrauch geschaffen, die auf sein Mass zugeschnitten ist und in sich nichts als ihn selbst enthält. Es wäre illusorisch, auf dieser kapitalistischen Welt eine andere, diejenige des Kommunismus, aufpfropfen zu wollen. Was soll in Tat und Wahrheit die Kommunisierung/1/ all der Installationen, Fabriken, Büros, Maschinen, Flughäfen, Autobahnen, Urbanisationen, Megapolen, Chemie-Komplexe, AKW, Vergnügungspärke bedeuten? Es hiesse das Nicht-Kommunisierbare kommunisieren wollen!
    Wir müssen für immer die Idee fahren lassen, dass zur Verwirklichung des Kommunismus nur weiterhin dem Vorbild der kapitalistischen Modernisierung zu folgen wäre. Bevor der Kommunismus zu seiner Ausstattung fortschreiten kann, muss eine Revolution mit so ziemlich allem abfahren, was der Kapitalismus an eigener materieller Welt aufgebaut hat. Ein Beispiel: Die Revolution wird zur Aufgabe haben, dem heute bis zum Äussersten getriebenen Gegensatz zwischen Stadt und Land ein Ende zu machen; die heutigen Städte sind monströse Megapolen geworden, wo die Menschen massiert sind, während das Land verödet ist. An ihre Stellen werden Gemeinschaften mit menschlichem Mass treten, in denen industrielle und landwirtschaftliche Arbeit kombiniert sind. Kurz, der Kommunismus wird sich vor einer vollständig neu zu errichtenden Welt finden. Es wird ein grosses, sehr langfristiges Unternehmen nicht ohne raue Umstellungen werden. Niemals darf vergessen werden, dass der Kapitalismus, weit davon entfernt, den Königsweg zum Kommunismus zu ebnen, im Laufe seiner Entwicklung nur Hindernisse für die Entwicklung zum Kommunismus angehäuft hat.
    Wenn man heute die subjektiven Auswirkungen dieser kapitalistischen Hyper-Entwicklung auf das Bewusstsein der Menschen beobachtet, so ist man gezwungen, dieselbe Diagnose zu machen.
    Diese Hyper-Entwicklung liess nämlich das „Gespenst“ des Kommunismus, welches zu Beginn die bürgerliche Gesellschaft heimsuchte, verschwinden, dagegen gleichzeitig den Kapitalismus als einzige mögliche Welt erscheinen. Der Kommunismus gilt heute als „totalitäre Utopie“, die, an verschiedenen Orten auf der Erde „ausprobiert“, heute ausgespielt habe. Das ist überhaupt nicht wahr, denn der Kommunismus hat nirgendwo je existiert.
    Dagegen verwirklicht sich die „totalitäre Utopie“ im perversen Universum des Warenkapitalismus, wo das Irreale die Gestalt des Realen annimmt. Auf jeden Fall, sieht man die tiefe politische Unkultur, die herrscht, weiss man überhaupt nicht mehr, was Kommunismus ist; nur zu häufig wird er idiotischerweise mit den verschiedenen Arten von Stalinismus in Osteuropa und in der Dritten Welt, oder mit einer Partei verwechselt, die nur seinen Namen getragen hat.
    Die Arbeiterklasse ihrerseits ist in das kapitalistische System integriert worden. Die Parteien und Gewerkschaften bilden schon seit langem nichts als Elemente in seinem Räderwerk.
    Marx hatte seinerzeit in ihr eine revolutionäre Klasse erblickt, fähig, eine radikale Umwandlung der Gesellschaft zu unternehmen. Das war eine fragwürdige Einschätzung, denn schon zu jener Epoche war sie weit davon entfernt, eine feste revolutionäre Kraft zu bilden; sie war von starken reformistischen Strömungen durchzogen, etwa durch den Trade-Unionismus in England, den Proudhonismus in Frankreich und den Lassallismus in Deutschland. Andrerseits bestanden in ihrem Innern radikale und anti-kapitalistisch agitierende Minderheiten, wie die revolutionäre syndikalistische Strömung in Frankreich, der Anarcho-Syndikalsimus in Spanien, der IWW in den USA, der Links-Kommunismus in Deutschland und in Italien. Mit der modernen Entwicklung des Kapitalismus wurden alle diese proletarischen Strömungen aufgesogen, wenn nicht sogar ausgelöscht, und liessen einem reformistischen Proletariat freien Spielraum, dessen einzige Perspektive darin besteht, sich möglichst angenehm im Kapitalismus einzurichten.
    Der Klassenkampf hielt nicht, was er versprach. Während er für Marx den Zugang zum Kommunismus ermöglichen sollte, beschränkte er sich auf einen einfachen Kampf um Forderungen, welche die Sache des Kapitalismus keineswegs in Frage stellten. Wenn am Anfang der Klassenkampf seine Legitimität daraus zog, ein Kampf ums Brot zu sein, so wurde er mit der eintretenden Konsumgesellschaft zur kämpferischen, einfachen Befriedigung der Forderung nach „immer mehr“. Heute ist er noch tiefer gelandet: bei einer „Sozialbewegung“ zur Verteidigung korporativistischer Interessen einiger Gesellschaftsgruppen, die an ihren kleinen Privilegien hängen. In einer Schlussbilanz wird klar, dass ein solcher Kampf keine andere Funktion hatte, als die Rolle eines Regulators innerhalb des Kapitalismus zu spielen, wobei dieser sich an eine gewisse Konflikthaftigkeit sehr wohl anpassen konnte.
    Das sagt viel über die Fähigkeit des Kapitalismus aus, seine Ausgebeuteten sein System als Selbstverständlichkeit annehmen zu lassen. Wenn z. B. Arbeiter von heute anlässlich der Schliessung ihres Unternehmens (etwa infolge einer Dislokation) protestieren und geltend machen, es rentiere doch gut und könne gut fortfahren, Profite zu machen, dann wird offensichtlich, dass sich die Logik des Kapitals gänzlich ihrer Köpfe bemächtigt hat, wie sehr sie auch ihr Opfer sind. Das Kapital ist die Art und Weise ihres Denkens, Handelns und Fühlens geworden. „In dem Masse, wie die kapitalistische Produktion sich entwickelt, tritt eine Arbeiterklasse hervor, welche ihre Erziehung, Tradition und Gewohnheit dazu gebracht hat, die Erfordernisse dieser Produktionsweise für selbstverständlich zu betrachten“, schrieb in „Das Kapital“ ein Marx, der sich offenbar selbst nicht ganz glaubte. Und das ist in der Tat eingetreten. Am Anfang rebellierte die Arbeiterklasse gegen die Arbeitsmethoden und den Fabrik-Despotismus des Kapitals, war sie doch aus dem Handwerk und der qualifizierten Arbeit hervorgegangen. Zu seiner Entwicklung musste daher der Kapitalismus eine Arbeiterklasse nach seinen Erfordernissen erziehen, welche weniger zu Konflikten Anlass gab. Damit verschwand aus der Arbeiterklasse der letzte revolutionäre Anflug.
    Heute wird das Requiem für die Arbeiterklasse gelesen. Nicht genug, sie in sein System einzubauen, der Kapitalismus ersetzt die Arbeiter durch Maschinen, sodass diese eine minoritäre Klasse darstellen (weniger als 25% der aktiven Bevölkerung gegenüber über 50% anfangs des 20.). Daneben beschleicht die Arbeiterklasse neben ihrer zahlenmässigen Schwächung der Zweifel an ihrer Existenz als „Klasse für das Kapital“ (Marx). Doch alles, was einen Lohn bezieht (80% der aktiven Bevölkerung), „Arbeiterklasse“ zu nennen, ist mehr als verwirrend: Die Stellung, welche die Menschen im Produktionsprozess einnimmt, bestimmt ihre Klassenzugehörigkeit. Das heisst aber für die Mehrzahl dieser 80%, dass sie zum sogenannten tertiären Sektor gehört. Wir haben es also bei der Arbeiterklasse mit einer absteigenden Klasse zu tun.
    Diesem Niedergang der Arbeiterklasse entspricht aber der phänomenale Aufstieg der Unproduktiven des tertiären Sektors (= Nicht-Produzenten von Mehrwert, etwa 60% der aktiven Bevölkerung). Damit wird augenfällig: Der Kapitalismus als auf Ausbeutung beruhende Produktionsweise (Ausbeutung der Arbeiterklasse) mit dem Ziel der Kapitalverwertung, gelangt an sein Ende. Wenn die Mehrzahl der Lohnbeziehenden nicht mehr als produktive Lohnabhängige gebraucht wird, so ist das das Zeichen, dass der Kapitalismus am Ende eines historischen Zyklus angelangt ist. Das erscheint als strukturelle Dauerkrise. Wo das tote Kapital (die Maschinerie) in der Produktion ein solches Gewicht erreicht hat und das lebendige Kapital (die Arbeiter, welche das Kapital verwerten) beträchtlich reduziert ist, ergibt sich eine grösser werdende Masse von unnütz gewordener Arbeitskraft, die man im Dienstleistungsbereich mit seiner schummriger Kontur einsetzt (was die Rentabilität des Kapitals beeinträchtigt) oder man verdammt sie zu prekären Jobs, wenn sie nicht sogar schlichtweg von jeder Anstellung ausgeschlossen werden, woraus sich eine Schicht von Sozialempfängern und neuen Armen ergibt.
    Gewiss, der Kapitalismus hat sich in andere Regionen der Welt verlagert (Ost-Europa, Zentral- und Südamerika, Asien), wo seine Rentabilität wegen der niedrigen Kosten der unqualifizierten Arbeit höher ist. Doch zu seiner strukturellen Krise kommt noch die ökologische, was einen explosiven Cocktail ergibt. Wohlan! Komme was da kommen mag!
    Es ist nicht verboten, sich vorzustellen, dass die Menschheit, wenn sie angesichts eines Kapitalismus, der sie in den Abgrund schicken will, noch eine Zukunft haben will, im Kommunismus eine Lösung für ihr Überleben finden wird; im Kommunismus, diesem verleumdeten, abgeschriebenen Kommunismus, von dem man uns eintrichtern wollte, er sei nun tot, als hätte er jemals schon irgendwo bestanden. Nur er kann die enormen Probleme lösen, die sich im planetarischen Massstab nach dem Ende des Kapitalismus stellen werden.
    Sollte es eine Revolution geben, so wird sie nicht mehr die Sache des Proletariates als Klasse sein, ausser man sieht denn überall „Proletarier“: in den Beamten, Studenten, Pizza-Lieferanten, Sozialunterstützten, in all denjenigen, welche das Spektakel unterbrechen, z. B. in den Auto- und Schulhausanzündern in gewissen Banlieues, kurz, im grossen gesellschaftlichen Magma, welches der Kapitalismus in seiner Degeneration hervorgebracht hat. Die Revolution wird von all jenen unter den Lohnabhängigen (aller gesellschaftlichen Kategorien) getragen werden, die bereit sind, für eine gänzlich neu aufzubauende Welt zu kämpfen: für den Kommunismus. Wie wird diese Masse von Unbewussten, von vom modernen Kapitalismus Vergifteten, je dazu kommen, in einem gewaltigen Elan eine Revolution hervorzurufen? Durch welche Kämpfe wird sie hindurch gehen müssen, um dazu zu gelangen? Das alles wissen wir nicht; die Geschichte wird es zeigen. Es kann hier nicht abgehandelt werden, wie die Revolution vonstatten gehen wird, sondern es geht darum, zu zeigen, was für eine andere Welt möglich ist. Und dazu bedarf es keines solchen Unsinns wie des „Endes der Arbeit“ oder der „Freizeitgesellschaft“, um die „strahlende Zukunft“ zu illustrieren. Niemand soll hier zu etwas verführt werden, im Gegenteil. Es soll erkannt werden, dass uns in einer kommunistischen Zukunft notwendigerweise eine in vieler Hinsicht rauere und strengere Gesellschaft als die gegenwärtig kapitalistisch-modernistische erwartet, welche ihren ekelhaften und frivolen Reichtum ausbreitet. Und wenn diese Ausführungen auch nicht gefallen mögen, so mögen sie zu überlegen geben, was nicht unnütz ist.
    Nun einige Worte zu Marx und zum Kommunismus. Ohne Umschweife gesprochen: Seine Vision von Kommunismus überstieg nicht den Horizont der aufgeklärten Bourgeoisie. Für ihn sollte der Kommunismus all das aufweisen, was die bürgerliche Zivilisation geschaffen hatte: die Produktivkräfte, Reichtümer, das Wissen, die neuen Bedürfnisse, nur dass dies alles mit der kommunistischen Revolution in Reichweite von jedermann gerückt wäre. Daraus sollte sich „eine Form höherer Gesellschaft ergeben, deren grundlegendes Prinzip die freie und volle Entfaltung der Individuen“ sein sollte („Das Kapital“). Anders gesagt: Marx war ein Liberaler, der aus dem Individuum das Ziel, den höchsten Wert machte, jedoch ein fortgeschrittener Liberaler insofern, als er dieses Ziel erst unter der Bedingung der Abschaffung des Kapitalismus für verwirklichbar hielt. Den Kommunismus verstand er folglich als materielles und nicht als menschliches Gemeinwesen, d. h. als Mittel zu diesem Zweck. Dazu musste er nur beweisen – und darin widersprach er allerdings den liberalen Ökonomen und war ein atypischer Bourgeois – dass die kapitalistische Produktionsweise nicht die absolute ökonomische Form ist, sondern nur eine Übergangsform im materiellen historischen Prozess. Daher auch „Kritik der politischen Ökonomie“, der Untertitel von „Das Kapital“, das meisterhafte Hauptwerk von Marx, dessen Kenntnis unumgänglich ist, wenn man den Kapitalismus auch nur einwenig verstehen will.
    Wir haben uns auf ihn unzählige Male berufen. Sonst aber haben wir Marx aufgegeben und ziehen eine Rückkehr auf das Ur-Projekt des Kommunismus vor, das anlässlich der Französischen Revolution entstanden ist und bis 1848 Bestand hatte; wir meinen die babouvistische Strömung. Aufgetaucht zu einem Zeitpunkt, als der Kapitalismus noch nicht das Monopol auf Zukunft hatte, stellte er eine andere Vision des Kommunismus dar, was wir für interessant halten. Im übrigen beziehen wir uns auf Autoren wie W. Morris, G. Orwell, S. Weil und G. Leval, die mehr oder weniger am Rande der kommunistischen Bewegung standen, aber auf ihre je eigene Weise und in ihren Grenzen darüber nachgedacht haben, was eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus sein könnte.
    1 Siehe „Revue internationale pour la communisation“. Kommunisierung beinhaltet gemäss dieser Zeitschrift die Feststellung, dass jede permanente Klassenorganisation zum Scheitern verurteilt ist; dass die einzige revolutionäre Perspektive die Zerstörung des Kapitalismus ist und die Zerstörung aller Klassen beinhalten muss; dass heute einzig der Kampf zwischen Proletariat und Kapitalistenklasse relevant ist; die Kritik jeder revolutionären Perspektive, welche noch eine Übergangsphase vorsieht; die Feststellung, dass die Revolution nicht mit dem Kommunismus, sondern mit der Vergemeinschaftung aller Beziehungen zwischen den Individuen zusammenfällt. [Anmerkung des Übersetzers]

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