Deformierte Arbeiterstaaten: Die Datumsfrage
Das folgende ist eine unauthorisierte Rohübersetzung eines Auszugs aus Walter Daums Buch „The Life and Death of Stalinism. A Resurrection of Marxist Theory“. Die US-Amerikanische League for the Revolutionary Party (LRP) hat es 1990 herausgegeben.
„Eine besondere Schwierigkeit, die die Vierte Internationale nie lösen konnte, war die Bestimmung des Datums des revolutionären Wechsels. Wann exakt haben diese sozialistischen Revolutionen stattgefunden? War dies 1944-45, zum Zeitpunkt der stalinistischen Eroberungen, oder 1947-48, als die alten Bourgeoisien aus der Machtteilhabe verjagt wurden? Beide Alternativen führten zu unüberwindlichen Schwierigkeiten.
Wenn man das Datum der Revolution auf 1947-48 oder später legt, heißt dies, dass die soziale Transformation den Staatsapparat unangetastet ließ, denn die Stalinisten kontrollierten die Streitkräfte und die Staatsbürokratie sowohl vor als auch nach diesem Datum. Dies widerspricht direkt dem marxistischen Prinzip, dass ein Staat das Organ einer herrschenden Klasse ist, derselbe Staat kann nicht erst einer herrschenden Klasse dienen, dann am Sturz der Herrscher teilnehmen und damit enden, der vormals ausgebeuteten Arbeiterklasse zu dienen. Selbst wenn man, nur um des Argumentes wegen, annimmt, dass die Stalinisten die Staatsmacht „treuhänderisch“ für die Arbeiter gehalten haben, dann bedeutet dies immer noch, dass die Klassenmacht friedlich transformiert wurde, ohne dass es einen Wechsel im Staat gegeben hätte, denn vor dem revolutionären Zeitpunkt hätten die Stalinisten dann ja treuhänderisch für die Bourgeoisie geherrscht.
Solch eine Theorie widerspiegelt die revisionistische Methoden von Bernstein, und das ist keine abstrakte Formalität. Das verletzte Prinzip ist historisch die Scheidelinie zwischen Reform und Revolution gewesen, eine Lektion für die Millionen von Arbeitern mit ihrem Blut bezahlt haben. Es war die Schlussfolgerung von Marx und Engels aus der Erfahrung des Fehlschlagens der Pariser Kommune, die bürgerliche Maschinerie zu zerschlagen. Der Punkt war so grundlegend, dass er sie dazu führte, dem kommunistischen Manifest etwas anzufügen: Sie schrieben in ihrem Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1872, dass die Arbeiterklasse nicht einfach sich der bestehenden Staatsmaschinerie bemächtigen kann und sie für ihre eigenen Zwecke einsetzen kann. Aber dies ist genau das, was die neue Theorie behauptete: Nämlich dass die stalinistische Partei dies im Namen der Arbeiterklasse getan habe.
Solch eine Theorie würde ebenfalls implizieren, dass die russische Revolution einen Arbeiterstaat frühestens ein Jahr nach der bolschewistischen Revolution geschaffen hätte. Denn erst Ende 1918 wurden die Fabriken der Bourgeoisie rationalisiert und auch dies nur in dem eingeschränkten Gebiet, das die Rote Armee damals kontrollierte. Natürlich hat keine marxistische Analyse der UdSSR je diese Behauptung aufgestellt, denn es ist unbezweifelbar, dass die Arbeiterklasse die Staatsmacht schon 1917 erobert hat.
Wenn man andererseits das Datum der osteuropäischen Revolutionen auf 1944-45 setzt, dann macht man die stalinistischen Kräfte zu Agenten einer proletarischen Revolution genau in dem Augenblick, wo sie die Bewegungen der Arbeiterrevolten zerschlagen haben. In Wirklichkeit hat es Stalin überhaupt nicht eilig gehabt, mit den alliierten Imperialisten und den lokalen Bourgeoisien zu brechen. Dafür hatte er mehrere Gründe: Er hoffte die Allianz der Kriegsjahre fortsetzen zu können, gemäß dem Übereinkommen mit Churchill; und die Arbeiterklasse war auch noch nicht besiegt. Deshalb kamen die stalinistischen sozialen Umwälzungen erst später. Wie Trotzki festgestellt hatte würde das nationalisierte Eigentum ein allzu verlockend das Objekt abgeben, als dass man es sich in Reichweite einer aktiven unbesiegten Arbeiterbewegung leisten könnte sollte.“